Die Welt ist im Schmerz und wir sind Teil dieser Welt. Wir brauchen nur unser Bewusstsein ein Stück zu weiten und schon begegnen wir diesem unbegrenzten und unendlichen Meer an Schmerzen und Leiden. Wir spüren den Schmerz der anderen leidenden Wesen. Dieser kollektive Schmerz kann überwältigend werden, weil es so unglaublich viel Leid in dieser Welt gibt.
Dazu kommt Ohnmacht und Hilflosigkeit, weil wir nichts dagegen tun können. Es ist schwer auszuhalten, Leid zu erkennen und zur Untätigkeit verdammt zu sein. Wir würden uns sicherer und selbstmächtiger fühlen, wenn wir etwas dazu beitragen könnten, was den Schmerz lindert.
Denn so sind wir es gewohnt in unserem Alltag. Wenn jemand traurig ist oder an anderen Schmerzen leidet, können wir Zuwendung geben, Trost spenden oder auf andere Weise den Schmerz lindern. Wir kennen alle den menschlichen Impuls, dem, was uns an Leid begegnet, abzuhelfen. Dazu sind wir da, uns gegenseitig bei der Bewältigung des Leidens zu helfen.
Doch hat diese Einstellung nur in den kleinen Lebenskreisen Sinn, in denen wir direkt miteinander zu tun haben. Darüber hinaus sind unsere Kapazitäten schnell überfordert. Ein paar Schritte auf der Straße einer Großstadt, und wir sind schon konfrontiert mit dem Unglück der Bettler und Alkoholiker und dem Stress von fast allen anderen. Ein Blick in die Nachrichten, und das Leid von Millionen wird uns schmerzlich bewusst. Mit jeder Kenntnisnahme von Leidensbotschaften wächst die Ohnmacht.
Schmerz und Wachstum
Wie können wir unsere innere Balance behalten angesichts einer Welt in Schmerz und unserer Unfähigkeit, dem Einhalt zu gebieten?
Schmerz empfinden wir als sehr unangenehm und wir tun alles, um Schmerzen zu vermeiden. Dennoch haben sie eine wichtige Funktion, die darin besteht, uns auf Schwachstellen, Defizite oder Störungen aufmerksam zu machen. Schmerzentstehung und Schmerzempfindung sind Signale unseres Organismus, die zum Optimalzustand zurückführen sollen. Sie kommen in vielen, wenn nicht allen Bereichen der Natur vor und sind uralte Formen, wie sich das Leben selbst regelt. Wir können also den Wert des Schmerzes verstehen, auch wenn er uns weh tut.
Offensichtlich kann der Weltprozess, ähnlich wie unser eigener Lebensweg nicht frei von Schmerzen verlaufen. Schmerzen gehören zur Entwicklung und zum Wachsen. Mit Schmerzen und unter Schmerzen wurden wir geboren, schmerzhafte Krisen haben wir überstanden und für die Zukunft müssen wir damit rechnen, dass es wiederum schmerzhafte Erfahrungen geben wird. Ähnlich verläuft die Weltgeschichte. Der Fortschritt zu mehr Friede und Gerechtigkeit führt immer wieder zu schmerzhaften Vorkommnissen.
Wir erkennen dabei, dass es viele Schmerzen in der Welt gibt, die uns unnötig erscheinen, vor allem jene, die Menschen anderen Menschen antun. Schmerzen, die mit keiner Weiterentwicklung, sondern mit Rückschritten verbunden sind und die oft Lawinen von weiteren Zerstörungen nach sich ziehen, bereiten uns viel Kummer. Solche Vorfälle zu akzeptieren fällt uns am schwersten, weil etwas vom Wichtigsten dabei verletzt wird, was wir haben: der soziale Zusammenhalt. Sie stellen zudem unsere Fähigkeit des Hoffens auf eine harte Probe.
Ohnmacht und Wunschvorstellungen
Wir erleben uns nur dort hilflos, wo wir meinen, dass wir nichts ausrichten können. Die Welt verhält sich nicht gemäß unserer Auffassung, wie sie sich verhalten sollte und wie wir sie haben wollen. Dann entsteht die Mischung aus Leid und Ohnmacht, die uns äußerst unangenehm ist. Wir kennen diese Gefühlskombination aus unserer Kindheit, in der es immer wieder Situationen gegeben hat, die uns nicht gepasst hatten und wo wir unsere Wünsche angesichts der elterlichen Übermacht zurückstellen mussten. Im Leiden an der Welt wiederholen wir diese Erfahrungen und vergessen dabei, dass wir schon erwachsen sind.
Als Erwachsene wissen wir, dass Leid zum Leben gehört wie die Freude. Wir wissen auch, dass fast alles, was in der Welt geschieht, nicht in unserer Macht steht. Und wir wissen, dass es in unserem Leben genau um dieses „Fast“ geht, dass wir den Gestaltungsraum, der uns gegeben ist, sinnvoll und konstruktiv nutzen. Diesen Raum können wir mit unserer Macht füllen und formen. Es gibt also immer einen Beitrag, den wir leisten können, um das Leid zu mindern. Wir können das umso besser, je mehr wir uns vom Weltschmerz und seiner Verquickung von Leid und Unfähigkeit lösen.
Der Weltschmerz macht uns auf unsere Begrenztheit und Beschränktheit aufmerksam. Er ist auch ein Leiden an unserer Endlichkeit. Eine zentrale Aufgabe unseres Erwachsenenlebens besteht darin, diese Endlichkeit in ihrer Radikalität anzunehmen und die Angst vor der absoluten Grenze, der wir ausgesetzt sind, zu überwinden. Gerade angesichts der Endlichkeit öffnet sich der Raum für das Handeln – verbunden mit dem klaren Bewusstsein, dass es nicht die eigene Aufgabe sein kann, die ganze Welt zu retten, ja, dass es schon anmaßend ist zu meinen, auch nur annährend das Leid, das im eigenen Lebensumfeld auftaucht, heilen zu können.
Besonders und unübergehbar ist es unsere Aufgabe, uns um unser eigenes Leid zu kümmern. Solange wir offene Wunden in uns tragen, sind unser Aktivitätspotenzial und unsere Kreativität gehemmt. Das eigene Leid hat einen ersten Ansprechpartner und Heiler, das eigene Selbst. Dafür benötigen wir Ressourcen. Wenn wir nicht ausreichend für uns selber sorgen, können wir nie im vollen Sinn für jemand anderen eine Stütze sein.
In allen Berufen, die viel mit Zwischenmenschlichkeit zu tun haben und wo die Tätigkeit mit leidenden Menschen zu tun hat, erkennen wir die Notwendigkeit, sich beim Helfen nicht zu verausgaben und die Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten und der eigenen Ressourcen nicht aus dem Blick zu verlieren. Es braucht ein klares Gefühl der Abgrenzung zwischen dem, was in der eigenen Macht steht, und dem, was man selber nicht schaffen kann.
Das Mitgefühl als Brücke
Als Erwachsene haben wir das Mitgefühl zur Verfügung, das die Brücke zum Leid von anderen schlägt, ohne dass wir uns in ihm verlieren. Wir müssen uns nicht abschotten, wir müssen aber auch nicht an der Hilflosigkeit verzweifeln. Wir tun, was in unserer Macht und in unseren Möglichkeiten steht, mehr ist nicht notwendig und gefordert. Falls wir an einem schlechten Gewissen leiden, das uns unsere Mangelhaftigkeit im Helfen vorwirft, wird ein Blick in die eigene Lebensgeschichte zeigen, woher diese Tendenz zur Selbstkritik stammt. Das Verständnis für die alten Wurzeln der Schuldgefühle aus der Familiendynamik hilft uns, sie zu überwinden und wieder in unsere nach vorne gerichtete Handlungsfähigkeit zu kommen.
Pablo Neruda hat darüber geschrieben, den Schmerz der Welt in Hoffnung zu verwandeln. Das ist die Lehre, die wir aus der Erfahrung von Weltschmerz ziehen können: Diese Aufgabe zu kultivieren und mit unseren Kräften und unserer Bewusstheit daran zu arbeiten.
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