In der Meditation können wir ganz andere Erfahrungen machen. Die Augen sind geschlossen, das Hauptmaß der Aufmerksamkeit ist nach innen gerichtet, vor allem, wenn das Außen ruhig ist und keinen Anlass für Ablenkungen bietet. In diesen Fällen muss die meditierende Person erst lernen, der Versuchung, akustischen Außenreizen zu folgen und inneren Körperempfindungen Aufmerksamkeit zu geben, nicht nachzugeben. Für manche Anfänger ist es schon eine Hürde, über längere Zeit die Augen geschlossen zu halten. Vor allem Menschen, die in ihrer Geschichte häufig durch Außenreize irritiert und aus dem inneren Rhythmus geworfen wurden, unterliegen einem Kontrollzwang, sodass sie dauernd wachsam sein müssen und mit Ängsten reagieren, wenn sie die Augen geschlossen halten sollen.
Sind wir jedoch einmal geübt im Meditieren, gibt es genug im Inneren zu entdecken, sodass manchmal die Zeit wie im Flug vergeht. Allerdings kennt jeder Meditierer Phasen der Innenversenkung, die sich lange hinziehen, die nicht zu enden scheinen, bis sich irgendwann der Blick auf die Uhr stiehlt. Es ist in solchen Situationen ungemein mühsam, die Aufmerksamkeit im Innen zu halten. Der einzige Weg, dennoch bei sich zu bleiben, besteht darin, die Nervosität und innere Anspannung, die hinter der Schwierigkeit zur inneren Konzentration steckt, genauer zu erforschen, also zu spüren, wie sie sich anfühlt. Diese Übung kann wie Schwerarbeit erscheinen, weil wir gegen unseren Drang zur Ablenkung ankämpfen. Dieser Drang wird aus einem Hintergrundstress genährt.
Natürlich nützen sich wiederholende Reize ab, und im Aktivitätsmodus verlangt das Nervensystem beständig nach neuartigem Kitzel, wenn die immer gleichen Nervenverbindungen durch Übernutzung ausgeleiert werden. Besonders wenn wir uns in Anspannung befinden, wollen wir einen schnellen Wechsel im Reizangebot, das zwar den Stressmodus selber zusätzlich anheizt, aber uns das Gefühl gibt, die Kontrolle zu wahren. Im Entspannungsmodus verlangsamt sich das innere Tempo und die Versorgung mit neuen Reizen wird weniger wichtig. Da können wir die Wolkenformationen oder den Wellenschlag am Ufer, das Wiegen von Blättern im Wind und die Schönheit von Blumen auf einer Wiese betrachten, ohne dass uns fad wird.
Langeweile ist also immer ein Indikator von Anspannung, manchmal nur im Hintergrund bemerkbar. Der Ablenkungsdrang kommt aus einem Kontrollbedürfnis, das wiederum von einer unbewussten Angst genährt wird. Weil es unangenehm ist, die Angst zu spüren, drängt uns unser Bewusstsein, schnell einen Reiz zu finden, der unsere Aufmerksamkeit fesselt. Die Anspannung bleibt und meldet sich, sobald sich die Neuigkeit des Reizes abgenutzt hat.
Die Langeweile und der Verstand
Langeweile tritt auf, wenn der Verstand mit sich selbst beschäftigt ist. Irgendwann läuft sich er sich tot, weil er seine Energien verbraucht, ohne neue zu produzieren. Dann bemängelt er das Fehlen von äußerem Input. Er leidet also an einem selbsterzeugten Mangel. Da er von unbewussten Ängsten kontrolliert ist, kann er schwer die Konzentration auf den Moment halten. Er meint, dass immer irgendetwas an diesem Moment falsch oder gefährlich ist. Deshalb versucht er, dem Jetzt zu entkommen, indem er die Sinne fortwährend auf die Suche nach neuen Reizen schickt.
Die Langweile macht uns also auf die Natur unseres Verstandes aufmerksam: Mit großer Umsicht schafft er es, zu verhindern, was helfen könnte, und das Problem, an dem das Leiden besteht, durch die scheinbare Lösung zu verstärken. Denn er bräuchte sich nur zurückzuziehen, schon wird die Sicht auf die schöpferischen Aspekte des aktuellen Moments frei, und das Leiden am Reizmangel ist verschwunden. Aber er hält sich für die wichtigste Instanz, schließlich hat er all seine Ideen und Schlussfolgerungen aus gefährlichen Situationen gewonnen und tut so, als wären diese immer noch aktuell. Deshalb ist er immer anderswo, in Bereichen, die keine neuen Energien schaffen, sondern nur die noch vorhandenen verbrauchen. Die Lösung verstärkt also das Problem.
Dieser selbstbestätigenden Problemspirale brauchen wir uns nicht auszuliefern, außer wir wollen uns selbst einen Schildbürgerstreich spielen. Wenn wir Langeweile erleben, können wir das vielmehr als Gelegenheit ansehen, um uns von der Zwangsjacke unseres Verstandes zu befreien und unseren Sinnen ihre explorative Freiheit zurückzugeben.
Mangel an Präsenz
Langeweile ist ein Gefühl, das, sobald wir es erforschen, verschwindet. Es signalisiert nicht einen Mangel an Außenreizen, sondern einen Mangel an Präsenz, am Sein mit dem, was gerade ist. Es ist ein schnelles Opfer der Bewusstheit: Sobald wir die Achtsamkeit auf den Moment lenken, brauchen wir es nicht mehr. Dafür schleicht es sich leicht bei der Hintertür herein, und oft braucht es eine Kraftanstrengung des bewussten Teils, um gegen die Langeweile anzukommen. Aber mit etwas Übung geht es leichter, und das quälende Gefühl ist rasch vergessen. Statt dessen schwelgen wir in der Üppigkeit der Wirklichkeit.
Vgl. Meditation und Langeweile
Störungen in der Meditation
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