Dienstag, 29. September 2015

Für ein Verbot der Angstmacherei

Irrationalismen entstehen, wenn der Realitätskontakt unterbrochen ist und kein direkter Bezug zu ihr besteht. Irrationalismen sind also Konstruktionen in unserem Kopf, die nicht mit äußeren Daten abgeglichen werden. Deshalb geschieht es schnell, dass die eigenen Ängste in die irrealen Konstruktionen hinein fantasiert werden und dort ihren festen Sitz bekommen. Wo keine Realität, dort keine Korrektur. Wo kein Realitätsbezug, dort keine Korrekturmöglichkeit.

Ein Beispiel: Der Antisemitismus wird von der irrealen Angst erzeugt, dass Juden eine Gefahr für die restliche Menschheit darstellen. Er ist dort am größten, wo es keine Juden gibt. Eine typische Antwort eines Antisemiten auf die Frage, ob die Juden, die er persönlich kenne, auch böse oder gefährlich seien, ist: „Nein, aber die sind eine Ausnahme." Wie jede Ideologie, ist auch der Antisemitismus ein geschlossenes System.

Parallel dazu gibt es das Phänomen der Xenophobie ohne Fremde. Ein interessantes Detail bei den Ergebnissen der Landtagswahlen in Oberösterreich vom 27. September 2015 zeigt, dass der Stimmanteil der FPÖ, der ausländer- und flüchtlingsfeindlichen Partei, in Gemeinden mit untergebrachten Flüchtlingen kleiner ist als in Gemeinden ohne. Die Befürchtungen steigen nicht, wenn wir der Bedrohung direkt, also von Mensch zu Mensch begegnen, im Gegenteil: sie sinken. Je mehr Realität, desto weniger Angst und desto mehr Rationalität (=Vernunft).

Sobald wir uns mit einer Angst konfrontieren, verliert sie ihre Macht. Das Bedrohliche lebt von seiner Ungreifbarkeit. Solange es keine Realität hat, kann es übermächtig werden wie bei einem Psychotiker, der in seinem Zimmer sitzt und vom Wahn in den Wahnsinn getrieben wird, dass der Raum voller böser Geister ist. Wieder ist das System geschlossen, denn es gibt keine Realität, die als Korrektur dienen könnte.

Wo wir auf die Realitätsprüfung verzichten, laufen wir Gefahr, psychotisch zu werden. Psychose ist eine Krankheit, die darin besteht, dass die betreffende Person nicht mehr unterscheiden kann, was Fantasie und was Realität ist. Wir haben es mit Vorformen der Psychose zu tun, wenn Ängste verbreitet werden, ohne dass eine Realitätsprüfung notwendig ist. Deshalb wählen viele Menschen gerade diejenige Partei, die das gestörteste Verhältnis zur Realität hat. Sie finden sich dadurch bestätigt.


Die Sucht nach Angstmachern


Die Ängstlichen suchen die Angstmacher, weil sie meinen, dass die, die vor Ängsten warnen, um die Realität wissen. Da Angst immer einengt, nicht nur den Körper und seine Funktionen, sondern auch die Wahrnehmung, kann unter Angst nur ein eingeschränktes Bild der Realität erzeugt werden. Von den Angstmachern wird angenommen, dass sie den Durchblick haben, der einem selber fehlt, und dass sie die Handlungskraft haben, von der man selber abgeschnitten ist. Sie repräsentieren die Macht, die die eigene Ohnmacht ausgleichen soll. Sie können die bösen Geister bannen.

Deshalb müssen die Angstmacher martialisch und aggressiv auftreten und zu zumindest verbaler Gewalttätigkeit fähig sein. Dann glauben die Ängstlichen an sie und klammern ihre Hoffnungen daran, die Angstmacher an die Macht zu bringen und dann daran teilhaben zu können. 


Für ein Verbot der Angstverbreitung


Ängste sind lähmend. Ängste sind ansteckend. Ängste machen krank. Ängste machen asozial. Ängste führen zu psychischen und körperlichen Erkrankungen. Also sollte es verboten und unter Strafe gestellt sein, Ängste zu verbreiten. Parteien, die das Angstmachen in ihrer Propaganda und Programmatik vertreten, sollten verboten werden. Schließlich erlauben wir es auch nicht, dass Menschen mit hochinfektiösen Krankheiten in der Öffentlichkeit herumlaufen, und müssten dagegen vorgehen, wenn jemand zur Verbreitung von gefährlichen Infektionen aufruft. Drogenhandel und –konsum sind untersagt, Angstverbreitung wird als Ausdruck von Meinungsfreiheit gerechtfertigt.

Solange wir nicht verstanden haben, dass wir im Inneren unsere Ängste loswerden sollen, müssen und können, wird die Macht der Ängste und ihre kollektive Steuerung und Instrumentalisierung nicht als kriminelles Delikt verstanden, sondern als Bestandteil jeder Gesellschaftsordnung verharmlost. Es bedarf also der Weiterführung der Aufklärung in die Bereiche der Emotionalität, wenn wir das Projekt einer gerechten und befreiten Menschheit weiterführen wollen.


Vgl.: Großprobleme und der Hang zum Irrationalisieren
Die Flüchtlinge in unseren Köpfen

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