Mittwoch, 8. Januar 2014

Die Offenheit der Wissenschaften


Die Wissenschaft ist ein System, das prinzipiell offen ist, also immer vorläufige Einsichten und begrenztes Wissen hervorbringt. Eine ihrer Grundlagen wurde von Karl Popper als Falsifizierbarkeit bezeichnet: wissenschaftliche Erkenntnisse gelten solange, bis sie durch bessere Erkenntnisse widerlegt sind. Sie müssen auch so angelegt und formuliert sein, dass sie überprüfbar, wiederholbar und widerlegbar sind. Ein persönlicher Erfahrungsbericht ("Ich habe ein UFO von meinem Küchenfenster aus gesehen") kann deshalb nicht als wissenschaftlich gelten. Niemand kann eine persönliche Erfahrung widerlegen, wiederholbar ist die Erfahrung ebensowenig, außer es befindet sich wirklich ein UFO im eigenen Garten, dann können die Wissenschaftler kommen, um es zu untersuchen und andere können kommen, um deren Ergebnisse in Frage zu stellen.

Missbrauch der wissenschaftlichen Autorität


Allerdings sind Wissenschaftler nicht frei von der Versuchung, sich in geschlossene Weltbilder hineinzubewegen. Das ist der Fall, wenn ein Wissenschaftler alles, was wissenschaftlich nicht erklärt werden kann, prinzipiell als Unfug darstellt. Wird z.B. eine scheinbare Wunderheilung mit wissenschaftlichen Mitteln als scharlatanischer Betrug entlarvt, so ist eine wissenschaftliche Leistung erbracht worden.

Wird aber mit der Autorität der Wissenschaft behauptet, dass eine bestimmte Wunderheilung so nicht erfolgt sein kann, wie es behauptet wird, weil es dafür keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Die wissenschaftliche Autorität wird missbräuchlich verwendet, wenn ein derartiges Phänomen als Täuschung oder Betrug bezeichnet wird, ohne dass eine wissenschaftliche Evidenz vorgelegt wird. Eine derartige Behauptung ist also nicht wissenschaftlich, sondern ideologisch, weil sie nicht auf wissenschaftliche Befunde zurückgreifen kann und nicht den Falsifizierbarkeitskriterium der Wissenschaft unterliegt. Sie verfolgt andere Interessen als die einer auf Wissenschaft gegründeten Aufklärung der Öffentlichkeit. Sie will einen Zirkel um die Domäne der Wissenschaften ziehen, und alles, was nicht drinnen ist, ist draußen und eo ipso falsch. Damit wird ein geschlossenes System proklamiert.

Der Erfolg der Wissenschaften gründet darauf, dass sie mit offenen und relativen Konzepten arbeiten und bestrebt sind, geschlossene Konzepte immer wieder in offene zu überführen. Jede wissenschaftliche Erkenntnis besteht solange, bis sie durch eine bessere ersetzt wird. Diese Art des Denkens schafft Vertrauen, weil es auf der Beschränktheit und Revidierbarkeit menschlicher Erfahrungen gründet. Es liegt eine besondere Bescheidenheit in dieser Haltung, die besagt, dass gültige und praktisch nützliche Aussagen über alle Bereichen getroffen werden können, auf welche die Wissenschaften mit ihren Methoden zugreifen können. Dort, wo dies allerdings nicht möglich ist, gibt es (noch) kein nach diesen Maßstäben gültiges Wissen und wir müssen auf die Sicherheit, die ein solches Wissen bringt, verzichten. Wissenschaftliches Wissen kann eben nie absolut sein, sondern ist in seinem Wesen immer als vorläufig und verbesserbar.

Damit konnten und können sich die Wissenschaft von Ideologien und Weltanschauungen klar unterscheiden, ja noch mehr, sie werden zu den Mentoren der Ideologie- und Weltanschauungskritik. Diese Unabhängigkeit von partikularen Interessen bringt ihr eine hohe Glaubwürdigkeit ein und trägt bei zur hohen Akzeptanz in den modernen pluralistischen Gesellschaften. Diese Form der emanzipierten Wissenschaft kann von den Machtapparaten nicht in Dienst genommen werden, weil sie ihr eigenes Wissen immer wieder selbst in Frage stellt und deshalb nicht für die Beherrschung der Menschen taugt.

Wissenschaften gegen Wissenschaften


Es gibt auch unter Wissenschaftlern und zwischen Wissenschaftszweigen Rivalitäten und Konkurrenz. So halten manche Naturwissenschaftler nichts von den Sozialwissenschaften und manche Sozialwissenschaftler nichts von den Wirtschaftswissenschaften usw. Abgesehen von der inhaltlichen und methodischen Kritik, die an jeder Form der Wissenschaft angebracht werden muss, gehören Abwertungen und Vorurteile zum Kapitel "Menschliches, allzu Menschliches", aber nicht zum Geist der Wissenschaften. Dort, wo die Leistungen und Methoden der eigenen Wissenschaft nicht in Frage gestellt und die anderer Wissenschaftszweige ohne ausreichende Argumentation verworfen werden, geht es nicht um die Vertiefung und Verbreiterung von Wissen, sondern um Macht und Einfluss innerhalb einer Gesellschaft. Und an diesen Punkten mischen sich geschlossene Systeme in den offenen Geist des wissenschaftlichen Denkens und Forschens.

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