Montag, 9. September 2013

Esoterik und Wissenschaft 3: Erweiterte Empirie

Dies ist der dritte Beitrag zum Schwerpunktthema „Esoterik“ der ZEIT vom 16. Mai 2013. Er geht ein auf den dort formulierten Vorwurf an die „Esoterik“, sich mit dem Begriff der „erweiterten Empirie“ der wissenschaftlichen Überprüfung zu entziehen.

Es ist tatsächlich ein gängiger Vorwurf an alles, was als Esoterik bezeichnet wird,  dass die wissenschaftliche Überprüfung der angebotenen Heilpraktiken, Hilfsmittel und therapeutischen Methoden fehlt. Wir erkennen unschwer, dass sich Quacksalber neben seriösen Könnern und engagierten Innovatoren im Feld der Esoterik herumtreiben können, ohne dass sich von außen ein Unterschied ausmachen ließe. Schon zum Schutz der Konsumenten wäre es wünschenswert, dass hier überprüfbare Standards eingezogen werden.

Es ist jedenfalls zu billig, wenn einige der esoterischen Anbieter meinen, dass sich die Wirkung ihrer Salben, Wässerchen oder energetischen Zuwendungen nicht messen ließe, weil sie im feinstofflichen Bereich angesiedelt wäre. Dort würden die groben wissenschaftlichen Geräte ohnehin nicht ansprechen, und daher wäre jede wissenschaftliche Untersuchung von vornherein zum Scheitern verurteilt.  Also brauche man sich gar nicht erst um eine wissenschaftliche Abstützung der angebotenen Gerätschaften oder Methoden bemühen.

Angesichts solcher vormoderner Abwehrstrategien fürchten die Skeptiker, dass damit der Willkür und der Rosstäuscherei Tür und Tor geöffnet wird. Jeder kann alles behaupten und versprechen, den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen und dann, sollte sich die gewünschte Wirkung nicht einstellen, zynisch feststellen, dass eben der Glaube gefehlt hat oder die Vorsehung andere Pläne hatte oder noch zehn Behandlungen notwendig gewesen wären für den sicheren Erfolg. Also muss die Wissenschaft her, um hier Klarheit und Ordnung zu schaffen.


Das Dilemma der Empirie


Die Diskussion um die Wissenschaftlichkeit stößt jedoch auf ein Dilemma: Für die gesellschaftliche Akzeptanz und für die rationale Sicherheit der Konsumenten brauchen wir „harte“ wissenschaftliche Ergebnisse. Die esoterischen Praktiker verweisen dagegen immer wieder darauf, dass es nicht um allgemeine, also für alle geltende Beweise gehe, sondern dass die Wirkung im Einzelfall zähle. Gut wäre, was gut wirkt, gleich, ob es von der Wissenschaft anerkannt ist oder nicht. Was die Wissenschaft an Erkenntnissen liefert, taugt nicht zur Verbesserung der Orientierung in dem immer unübersichtlicher werdenden Feld.

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel Homöopathie: Dieses weitverbreitete Verfahren, mit dem auch viele Ärzte arbeiten, verfügt über keine wissenschaftliche Basis. Es gibt zwar in Österreich von den Ärztekammern anerkannte Ausbildungen in der homöopathischen Medizin und rund 900 Ärzte sind Mitglieder der Gesellschaft für Homöopathische Medizin.

Bis heute existiert jedoch weder ein formaler, reproduzierbarer Nachweis noch eine akzeptable naturwissenschaftliche Begründung für die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel. Über hundert Studien (lt. wikipedia) haben nach den Kriterien der Wissenschaft keine stichhaltigen Beweise erbracht. Und dennoch verwenden viele Ärzte die Methode, offensichtlich weil sie Erfolge sehen, und noch viel mehr Patienten schwören auf sie, weil sie ihnen vermutlich Heilung oder Linderung von Leiden gebracht hat. Also gibt es eine umstrittene Methode der Heilkunst, die keine wissenschaftlich belegbaren Erfolge nachweisen kann und dennoch seit über hundert Jahren Bestand hat, weiterentwickelt und angewendet wird.

Mit diesem Befund zeigt sich zweierlei. Zum einen ist offensichtlich, dass die Menschen der Wissenschaft gar nicht so voll vertrauen, wie wir das annehmen würden. Möglicherweise ist der wissenschaftliche Beweisnotstand, in dem sich z.B. die Homöopathie befindet, wenigen bekannt. Aber es interessiert einfach kaum jemanden, ob eine Methode, die von jemandem, dem man vertraut, angeboten oder empfohlen wird, auch den Segen der strengen Wissenschaft hat. Vielmehr hofft jeder, dass einem selbst hilft, was anderen schon geholfen hat. Davon auszugehen, dass alle, die die Dienste der Homöopathie in Anspruch nehmen, blind und naiv sind, indem sie sich nur irgendwelche nichtexistenten Heilerfolge einbilden, wäre nur anmaßend und überheblich. Eine solche Annahme, die von einem massiven Vorurteil gesteuert erscheint, müsste selbst erst einmal einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen werden.

Zum anderen zeigt sich an diesem Beispiel die schwache Aussagekraft der wissenschaftlichen Beweismethode für die Praxis. Die Homöopathie hat also trotz umfangreicher Untersuchungen keine wissenschaftlich nachweisbare Wirkung. Die Praxis widerlegt ganz einfach die Wissenschaft. Ärzte lassen sich trotzdem ausbilden, Menschen gehen trotzdem hin. Sie würden nicht hingehen, wenn sie nicht einen positiven Effekt erführen. Die Wissenschaft kann also nicht nachweisen, dass die Methode funktioniert, geschweige denn, warum sie funktioniert. Sie hat sich einfach bis dato als unnütz und unbrauchbar erwiesen, was dieses Gebiet anbetrifft. Mit ihren Ergebnissen können wir in Bezug auf die Praxis der Heilkunde schlicht nichts anfangen. Dienlich sind sie einzig im politischen Bereich, wo mit Berufung auf die Unwissenschaftlichkeit die Gelder der öffentlichen Hand, also unsere Gelder, von in diesen Bereichen ferngehalten werden.

Was auf die Homöopathie zutrifft, kann nahtlos auf die anderen Richtungen im weiten Feld der alternativen oder esoterischen Heilmethoden übertragen werden. Wo es Untersuchungen gibt, z.B. in der Kinesiologie, kommt es zu den gleichen Nicht-Ergebnissen wie bei der Homöopathie, sodass anzunehmen ist, dass bei einer Ausdehnung solcher Studien auf alle Bereiche der Esoterik keine brauchbareren Ergebnisse zustande kämen.


Was gilt als wissenschaftlicher Beweis?


Als wissenschaftlich abgesicherte Wirksamkeitsnachweise gelten sogenannte Doppelblindstudien mit Kontrollgruppe. Darunter versteht man, dass die Patienten eine Behandlung oder ein Medikament erhalten und nicht wissen, ob es sich um ein Placebo handelt, ebenso wenig wissen es die verabreichenden Behandler. Die Kontrollgruppe bekommt nur Placebos. Ein Wirksamkeitsnachweis ist erbracht, wenn zwischen Patientengruppe und Kontrollgruppe, also zwischen denen, die die zu testende Substanz bekommen, und jenen, die ein wirkungsloses Mittel erhalten, ein statistisch signifikanter Unterschied besteht.

Meist werden mehrere solcher Untersuchungen durchgeführt, und vergleichbare Ergebnisse sichern den wissenschaftlichen Nachweis ab. Der Aufwand für solche Untersuchungen ist groß, viel zu groß, als dass auch nur ein Bruchteil der Heilverfahren im esoterischen Umkreis einer eingehenden wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden könnte. Wer sollte das zahlen?

Diese Prüfstandards stammen aus der pharmakologischen Forschung für die Testung von Medikamenten. Sie werden auch von anderen Verfahren eingefordert, weil sie die größtmögliche Sicherheit versprechen. Klar ist, dass insbesondere im Bereich der chemischen Präparate, die Menschen verabreicht werden, eine besondere Vorsicht walten muss, weil bei unzureichender Absicherung viel Schaden angerichtet werden kann. Dennoch kommt es bekanntermaßen auch bei Einnahme von umfangreich und aufwändig getesteten Medikamenten bei nicht wenigen Menschen zu Unverträglichkeiten und unangenehmen Abwehrreaktionen, die in manchen Fällen das Leiden verschlimmern statt es zu erleichtern. Dazu kommen noch die längerfristigen schädlichen Folgen, wie sie z.B. bei der Einnahme von Antibiotika auftreten können.

Außerdem zielt die wissenschaftliche Forschung auf Durchschnittspersonen, sodass in der Folge bei der Dosierung nicht auf unterschiedliche Sensibilitäten und Verträglichkeiten geachtet wird. Schließlich kann noch angemerkt werden, dass bei einem hohen Prozentsatz der verwendeten Medikamente unklar ist, warum sie die Wirkung erzielen, die beobachtet werden kann. Hier kann also die Wissenschaft keine schlüssige Aussage über die Wirkmechanismen liefern.


Das Problem der Komplexität


Im an sich schon komplexen Bereich der Pharmakologie können wir sehen, dass es mit der eingeforderten Wissenschaftlichkeit gar nicht so weit her ist, wie stillschweigend überall angenommen wird. Vollends unklar wird die Situation, wenn dieser Bereich verlassen wird, aber die Standards und Methoden in eine andere Sphäre, z.B. jene der alternativen Heilmethoden übertragen werden. Im Vergleich zu ganzheitlich arbeitenden Verfahren macht sich der Gegenstand der Pharmakologie reichlich einfach aus. Hier wird möglichst nur ein Symptom behandelt, während die alternativen Verfahren beanspruchen, den ganzen Menschen zu behandeln.

Vom einen (dem pharmakologischen) in den anderen (alternativen) Bereich kommt man nur, wenn man mehrfach die Organisationsebene wechselt. Jeder Wechsel bringt eine Potenzierung der Komplexität mit sich. Wird die Organisationsebene z.B. nur in der Bekämpfung einer Heiserkeit gesehen, geht es also darum, eine entzündete und überreizte Rachenschleimhaut zu heilen, sind die Wenn-Dann-Bedingungen für diese Absicht relativ leicht überschaubar. Der Erfolg ist da, wenn die Heiserkeit verschwunden ist.

Aus einer ganzheitlichen Sicht kommen jedoch viel mehr Perspektiven ins Blickfeld. Hier wird z.B. auf die Auslöser der Erkrankung geachtet, und diese werden nicht nur auf der organischen Ebene und isoliert auf den Problembereich, in diesem Fall die Kehle, gesehen. Vielmehr kommen z.B. die Ernährung, die Lebensweise und die Lebensumstände, die Arbeitssituation, die psychische Verfassung und viele andere Faktoren ins Blickfeld. Die Idee dabei ist, dass, wenn dieses weite Feld der möglichen Hintergründe eines Symptoms mit behandelt wird, das Symptom an seinen Wurzeln und damit nachhaltig geheilt werden kann.

Viele der esoterischen Angebote wollen helfen, und viele der Praktiker bieten das an, was ihnen selber weitergeholfen hat. Sie wollen niemanden schädigen, auch wenn es in diesem, wie wohl in jedem Bereich, Betrüger gibt. Doch können sie nicht garantieren, dass das, was für sie hilfreich war, beim nächstbesten Interessenten auch funktionieren wird.  Je komplexer das Symptom ist, das behandelt werden soll, desto komplexer, d.h. desto vielfältiger muss die Behandlung angesetzt werden. Und da liegt eine Schwachstelle bei vielen Esoterik-Anbietern, die ihre Ware oder Dienstleistung als Wunder- oder Allheilmittel anpreisen. Sie können oder wollen sich und ihren Kunden nicht darüber Rechenschaft ablegen, dass sie nicht wissen können, ob und wie weit ihr Angebot zur Heilung des spezifischen Problems der spezifischen Person beitragen kann. So liegt es auch an der Mündigkeit der Konsumenten, sich vor solchen Pauschalversprechungen zu hüten.

Je komplexer wir ein Symptom verstehen, d.h. in je mehr Dimensionen wir es einbetten, desto umfangreicher müssen die Maßnahme zur Heilung ansetzen. Und wir sollten Symptome komplexer verstehen, weil wir nur so zu einer nachhaltigen Heilung gelangen. Bekanntlich birgt die bloße Bekämpfung des Symptoms das Risiko in sich, dass sich die nichtbehandelten Wurzeln des Symptoms in anderer Gestalt bemerkbar machen. Ganzheitlichkeit und Einfachheit passen erst auf einer sehr hohen Stufe des Bewusstseins zusammen. 


Die Individualität der Heilung


Dort, wo es um eine tiefgreifende Behebung von Leidenszuständen geht, ist aufgrund der Komplexität auch eine zeitaufwändige Behandlung notwendig, die ganz auf das jeweilige Individuum abgestimmt werden muss. Deshalb können wir z.B. in der Psychotherapie keine schnellen Heilungen erwarten für Symptome, die vor langer Zeit entstanden und über Jahrzehnte gewachsen sind und sich in den inneren Systemen der Klienten verfestigt haben.

Zudem muss erst die Therapie für den betreffenden Menschen gemeinsam mit ihm entwickelt werden. Manchmal gelingt auch eine rasche Erleichterung, und das sind besondere Momente, aber die lassen sich auch nicht verallgemeinern – die Intervention oder Technik, die die spontane Heilung bewirkt hat, läuft beim nächsten Klienten ins Leere.

Wichtig in diesen auf ein Individuum abgestellten Behandlungen ist der Faktor Beziehung. Dieser ist komplex, und das hat zur Folge, dass er auf keine allgemeingültige Basis gestellt werden kann. Jede therapeutische Sitzung, gleich nach welcher Methode geleitet, hat einen individuellen Charakter, womit es unsinnig wird, sie wissenschaftlich nach einem allgemeinen Standard auszuwerten. Beziehungen haben vielfältige Ebenen, sind dynamisch und in ihrem Ablauf unvorhersehbar. Sie sind nur von einer systemischen Sichtweise aus verständlich und überschaubar. Dort gelten dann keine Wenn-Dann-Beziehungen mehr, wie sie die klassische Auffassung von Wissenschaft prägen, sondern interaktive Wechselwirkungen, deren Entwicklung nicht vorausgesagt werden kann.

Ein Beispiel: Untersuchungen haben ergeben, dass ein wichtiger Wirkfaktor von Behandlungen im zwischenmenschlichen Bereich darin liegt, wie sehr der Anbieter von seiner Methode überzeugt ist. Dazu könnte man sagen, dass solche Untersuchungen zeigen, wie leicht Menschen manipulierbar sind. Allerdings wirkt die Überzeugtheit nur, wenn sie echt ist, d.h. aus eigenen positiven Erfahrungen gewonnen ist. Damit überträgt sich auf den Interessenten eine positive Erwartung, die dann auch die eigene Heilung fördert. Deshalb können wir das Untersuchungsergebnis auch so interpretieren, dass es auf die enorm wichtige und komplexe Rolle der zwischenmenschlichen Beziehung hinweist, die sich der wissenschaftlichen Verallgemeinerung entzieht. 


Monosymptomatik


Dazu kommt: Die pharmakologischen Studien, die als randomisierte kontrollierte Studien  (RCT) bezeichnet werden, müssen monosymptomatisch angelegt sein, d.h. sie funktionieren nur bei Patienten, bei denen eine einzige spezifische Störung vorliegt. Menschen, die mit Problemen in die Psychotherapie oder in ein anderes, vielleicht esoterisch bezeichnetes Heilverfahren kommen, leiden meist an verschiedenen Symptomen. Zwar können sie anfangs unter Umständen nur ein Symptom ansprechen, das sie loswerden wollen, doch zeigt sich meist sehr rasch, dass andere Problemzonen damit verbunden sind.

Man weiß z.B., dass Depressionen nur in der Minderzahl ohne zusätzliche Problematiken, wie Angststörungen, Zwänge oder Burnout auftreten. Gerade wenn es um unsere Psyche geht, ist es kaum vorstellbar, dass sie sich nur in einem Symptom Ausdruck verleiht. Vielmehr haben wir es mit komplexen Vernetzungen zu tun, die gerade deshalb ein komplexes Beziehungsgeschehen als wichtigen Heilfaktor brauchen.


Eine neue Wissenschaft


Diese Überlegungen führen m.E. zu dem Schluss, dass wir zur Verbesserung der Orientierung im esoterischen Feld eine neue Form von Wissenschaft brauchen. Einfach zu kritisieren, dass sich esoterische Praktiken der empirischen Prüfung verweigern, greift zu kurz. Es müsste erst einmal geklärt werden, welche Form von Empirie überhaupt sinnvoll ist. Dazu brauchen wir ein Wissenschaftsverständnis, das weit genug ist und über den Tellerrand der empirisch-experimentellen Methodik hinausschaut.  Dann können die zugehörigen Untersuchungsprozesse entwickelt werden, die dem Gegenstandsbereich adäquat sind und die dann brauchbare Resultate bringen können.

Diese neue Form von Wissenschaft kann sich dann nicht mehr ausschließlich am digitalen Standard der Naturwissenschaften orientieren, sondern benötigt ein starkes Fundament in den analogen Wissenschaften. Wir müssen also damit leben, dass im Bereich der Esoterik die harten Fakten weniger aussagekräftig sind als die weichen Erkenntnisse, wie sie geistes- und kulturgeschichtliche Forschungen mit phänomenologischen und hermeneutischen Methoden zuwege bringen.

Außerdem müsste diese Wissenschaft von einer Empirie des inneren Sinnes ausgehen ("Wissenschaft der ersten Person"), d.h. über Werkzeuge oder Kriterien verfügen, die Erkenntnisse der inneren Erfahrung, also dessen, was wir wahrnehmen, wenn wir nach Innen gehen, erforscht und dokumentiert.


Auf der persönlichen wie auf der gesellschaftlichen Ebene geht es darum, dass wir uns den Ängsten stellen, die mit einem blinden Vertrauen auf die (Natur-)Wissenschaft verbunden sind, ebenso wie die Ängste, die hinter dem oft ebenso blinden Run auf die alternativen und esoterischen Angebote stecken. Wenn wir in diesen Bereich mehr Klarheit bringen, kann sich die Diskussion entkrampfen und von Vorurteilen reinigen. Dadurch wird es leichter, im bunten Markt der Heilsversprechen den Spreu vom Weizen zu trennen.

Vgl. Einfachheit und Komplexität
Vgl. Die Abkehr vom Determinismus

1 Kommentar:

  1. Ihr Vorschlag einer "Empirie des inneren Sinns" hat zweifellos Parallelen zu einem (auto-)ethnographischen Vorgehen in der Soziologie und den
    Sozialwissenschaften insgesamt.
    Als spannend würde ich die Frage ansehen, welche "Ergebnisse" ein neues Wissenschaftsverständnis, wie Sie es vorschlagen, erbringen kann und
    soll. Dass diese anders aussehen würden als in den gängigen wissenschaftlichen Verfahren (so wie Sie sie beschreiben) ist klar. Aber
    was könnte dabei heraus schauen? ein Beispiel: Die Frage nach den Wirkungen und nach dem "Funktionieren" verschiedener alternativer
    Heilmethoden, Therapieverfahren etc. würde in verschiedenen qualitativen Ansätzen in der Soziologie (so wie ich sie kenne) erst gar nicht
    gestellt (oder zumindest ganz anders gestellt). Oftmals wird weniger nach Ursache und Wirkung Ausschau gehalten, sondern insbesondere auf das
    WIE abgestellt. Die Frage könnte dann etwa lauten: Welche Handlungen führen dazu, dass eine bestimmte Methode von einem bestimmten Klienten
    unter bestimmten Bedingungen als "funktionierend" empfunden wird? Das würde dann aber die Frage nach dem Funktionieren nicht a priori als
    Kriterium in die Untersuchung einbringen, sondern vielmehr selbst als Problem empirischer Rekonstruktion behandeln. Man kann so sicher sehr
    viel über die Funktionsweise von unterschiedlichen Methoden erfahren (ich selbst beginne gerade eben mich ein bisschen in die
    Psychotherapieforschung einzulesen), allerdings stellt sich die Frage nach Publikum und "Verwertbarkeit" solcher Studien. Hier wird eher
    Komplexität erzeugt als reduziert und das macht die Handhabung (vor allem mit Blick auf die legitimierende Funktion von Wissenschaft) schwierig. Soweit zu meinen spontanen Gedanken zu Ihren Ausführungen...

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