Samstag, 21. März 2020

Raus aus der Gehirnwäsche

Seit ein paar Wochen hat ein Thema Einzug gehalten in unser Bewusstsein und es mittlerweile fast vollständig in Besitz genommen. In den traditionellen Medien gibt es Coronaberichte mit Unterbrechungen, in den sozialen Medien tummeln sich die unterschiedlichsten Beiträge zu dem einen Thema. Es scheint, als ob wir nichts anderes mehr bereden oder bedenken dürften. 

Klar: Dieses Virus hat unser aller Leben in einer Weise umgekrempelt, wie es das „seit Menschengedenken“ nicht mehr gegeben hat. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft muss seine Gewohnheiten und Tagesabläufe an die Erfordernisse der Situation anpassen. Es erfordert eine Menge an Denk- und Sprechleistung, um diese Veränderungen verarbeiten zu können. 

Ein kollektives Bewusstsein hat sich ausgebreitet und ist ungehindert in unsere Köpfe eingedrungen. Sein Hauptantrieb ist die pure Überlebensangst, sein Zusatzmotor die soziale Angst, andere nicht anstecken zu wollen. Dieses Bewusstsein wirkt wie ein Sog, das alles in sich hineinziehen will, von dem nichts unberührt bleiben soll. Es hat unsere Handlungsmöglichkeiten eingekreist und wir haben uns in unser Los geschickt, wissend, dass alle anderen mitmachen. Zugleich hat es unser Denken gebunden und okkupiert, das dann wie in einer Gefängniszelle von einer Wand zur anderen wankt und dann wieder zurück.

Dazu kommt die Unsicherheit über die Dauer der Maßnahmen, die alle Planungen und Zukunftserwartungen, die wir in uns aufgebaut und vorbereitet haben, mit Fragezeichen versieht. Wir wissen nicht, wie lange wir zuhause sitzen müssen, wie lange die Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit aufrechterhalten bleiben und in welcher Form sie weiterbestehen. Wir müssen mehr im Moment leben, auch wenn die Fantasie immer wieder in die Zukunft reisen möchte.  Unser Denken kann auch hier nur kreisen: Was habe ich schon alles geplant und wie wenig weiß ich, ob es eintreten kann.

Wir sind in einem viel größeren Ausmaß mit der grundsätzlichen Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit der Wirklichkeit konfrontiert. Die Lehre des Buddhas kreiste schon vor 2600 Jahren um die Nichtpermanenz, um die andauernde Wandelbarkeit des Lebens und um den menschlichen Verstand, der das nicht und nicht akzeptieren will, der seine ganzen Ängste um diese Unbeständigkeit herum aufbaut. Nach Buddha entsteht das Leiden aus der Bekämpfung dieser Unbeständigkeit durch das Festhaltenwollen an alten Gewohnheiten, Beziehungen, Erwartungen, Dingen, darunter auch die Gesundheit. Sobald und erst wenn wir anerkennen, dass nichts von Dauer ist und dass deshalb nichts unserer absoluten Kontrolle unterliegt, finden wir zum inneren Frieden.

Wie aber sollen wir in Frieden kommen, wenn um uns herum alles unsicher ist? Wie sollten wir Ruhe finden, wenn alle fortwährend von dem einen Thema sprechen, das nichts Positives enthält, sondern nur Sorgen und Ängste bereitet? Das Virus mit all seiner unabwägbaren Bedrohung ist doch überall oder könnte zumindest überall sein, auf jeder Türschnalle und in jedem Lufttröpfchen. 


Plädoyer für coronafreie Räume


Nicht einmal dieses Plädoyer kommt ohne Anspielung auf das allmächtige Thema aus. So ist das, wenn das kollektive Bewusstsein eingeengt und eingeschränkt ist. Wir kommen aber aus dieser Verhexung nur heraus, wenn wir uns mit anderen Themen beschäftigen. Da kommt gleich wer und sagt, das wäre ja nur Ablenkung? Doch wovor sollten wir uns ablenken? Wir wissen mittlerweile im Überfluss und Überdruss, was es zu wissen gibt. Wir tun, was zu tun ist. 

Also ist jede Menge Zeit für andere Dinge, andere Aktivitäten, andere Ideen, die nichts mit dem allgegenwärtigen Virus zu tun haben. Dazu müssen wir unsere Köpfe frei machen, statt sie fortwährend aufs Neue zuzustopfen mit dem Thema. Das Virus hat sich fix in unseren Köpfen eingenistet und will sich, wie es seiner Natur entspricht, vermehren und weiter vermehren. Es will uns süchtig nach sich selbst machen, wie ein Verliebter, der die Quelle seiner Anbetung mit seinem Selbst füllen will, damit sie ihn keine Sekunde vergisst.

Wie bekämpfen wir eine Sucht? Wir hören damit auf, sie zu nähren, sie zu füttern. Wir schränken ihren Raum ein, indem wir andere Räume öffnen und uns in ihnen aufhalten, bis die Sucht in ihrem Kämmerlein verkümmert ist. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf alles, was frei ist von Viren: Die Tiere und Pflanzen um uns, der Sonnenschein, die Regentropfen. Wir nutzen die Zeit, um alte Hobbies auszugraben oder liegengebliebene Ideen zu verwirklichen. Wir freuen uns an den Schönheiten und Wundern, die uns umgeben. Wir leben mit dem Zauber der Einfachheit, den uns diese Zeit beschert. 

Die äußeren Einschränkungen haben in diesem Fall glücklicherweise nichts mit Gewalt und Zerstörung zu tun wie in einem Krieg (dieser Unterschied sollte nicht verwischt werden, auch wenn sich manche Politiker mit der Verwendung dieser Metapher für eine Seuchenbekämpfung als martialische Retter darstellen wollen). Wir können diese Einschränkungen in innere Einschränkungen übersetzen und dann an unserer Unbeweglichkeit leiden, oder wir können unsere innere Freiheit umso mehr weiten, als wir durch die äußeren Regelungen beengt sind.

Zum Weiterlesen:
Die Corona-Krise als Chance?
Mit Unvorhersehbarkeiten leben
Eine Krise des Neoliberalismus

3 Kommentare:

  1. Danke für die unaufgeregte Sicht auf Alternativen und deren Möglichkeiten - das die Gegenwart sich erschöpfen lässt, indem man andere Versionen von ihr eingeht oder im kleinen etwas anderes plant als das Kollektiv im Sozialen, im Politischen zur Zeit ihre Abstriche hinterlässt.
    Auch danke ich Dir für das Ruhen in Deinen Worten, sie - diese Ruhe - geht als Klang mit mir weiter...lieben Gruss!

    AntwortenLöschen
  2. Ja Ich bin auch schon mehr als gesättigt von diesem Thema und die letzten 2 Tage schaue Ich nur kurz nach um am laufenden zu bleiben der Rest der Zeit beschäftige Ich mit Anderem ... tut wirklich gut!

    AntwortenLöschen