Donnerstag, 23. Februar 2017

In der Mangel des Erfolgsstrebens

Frühkindliche Prägungen


Erfolg heißt, ich schaffe es, trotz Widerstand und Schwierigkeiten doch noch zu dem zu kommen, was ich ersehne und wodurch ich hoffe, der Ganzheit näher zu kommen. Aus der kindlichen Perspektive ist das, wonach ich mich sehne, das, was ich brauche, und das ist mein Recht, deshalb spricht die Psychologie auch von Entwicklungsrechten. In der Sicht des Kindes ist es ein Recht, das zu bekommen, was zum Überleben notwendig ist. Das Kind klagt in seinem Schreien aus Bedürfnisnot sein Existenzrecht ein: Wenn ich das, was mir jetzt gerade fehlt, nicht kriege, dann wird mein Menschenrecht auf Existenz nicht geachtet.

Wenn die Erfüllung der Bedürfnisse selbstverständlich und bedingungslos gewährt wird, folgt also auf die Bedürfnisäußerung in angemessener Zeit die entsprechende Befriedigung, dann schließt sich die Gestalt, die Spannung schwindet und Wohlgefühl macht sich breit. Unter dem aktuellen Ereignis wächst das Fundament an Vertrauen, in die Menschen, in die Welt und in sich selbst: Ich bin mit der Welt in gutem Kontakt so wie sie mit mir, ich haben meinen Platz, von dem aus ich wachsen kann.
Kommt es aber zu Störungen und Unterbrechungen im Zyklus zwischen Bedürfnis und Erfüllung, so entsteht statt Entspannung Frustration. Und jede Frustration bewirkt Enttäuschung und Misstrauen und verunsichert die Einstellung zur Umgebung und zu sich selbst. Jede Frustration führt zu einer inneren Verhärtung, und sucht sich eine Kompensation.

Erfolge als Kompensation


Kompensation heißt, dass etwas Eigentliches, Authentisches, auf organischer Ebene Stimmiges und Gesundes durch etwas Zweitrangiges ersetzt wird, gewissermaßen eine falsche Kopie für das Original, der Schnuller für die Mutterbrust. Wir können die gefälschte Version der Wirklichkeit akzeptieren, weil sie der eigentlich stimmigen Befriedigung ähnlich ist und weil sie einen gewissen Grad an Befriedigung bedeutet. Wir täuschen uns selber über die Frustration und ihren Schmerz hinweg und trösten uns mit einem Ersatz. Diese Figur bestimmt hinfort unser Streben in der Welt.

Denn die moderne Lebenswelt in ihrer Üppigkeit und Buntheit bietet uns eine nahezu unendliche Fülle an Kompensationen an: Konsumartikel und Erfolgschancen. Beide sind ineinander verschachtelt: Wir wollen konsumieren, um innere Mängel zu kompensieren. Dafür brauchen wir Erfolg, für den wir uns anstrengen müssen, und wir strengen uns deshalb an, weil wir dann ungehemmt konsumieren können, also alle Mängel auffüllen können. Der Mangel dient dann wieder als Antrieb für das Erfolgsstreben. Konsum ist die passive und Erfolg die aktive Seite der Lebensbewältigung, solange sie nur von unerfüllten Kindheitsbedürfnissen gelenkt wird.

Das ist der Motor des materialistischen Bewusstseins: Jedem wird eine Karotte vor die Nase gebunden, die er zu erhaschen strebt, weil sie ihm die Erfüllung jedes inneren Mangels verspricht. Sie sagt: „Verspeise mich, dann bist du für immer glücklich, aber erst musst du mich mal erwischen.“ Und jetzt glaubst du, du hast sie geschnappt und das Glück ist dein – aber nein, da baumelt schon wieder eine vor der Nase, oder ist das noch immer die alte?

Die unbarmherzige Herrschaft des Zahlenprinzips schlägt auf dieser Bewusstseinsebene zu: Welche Zahl du auch nimmst, es gibt unendlich viele, die mehr davon sind. Wie viele Erfolge du auch hast, es gibt unendlich mehr von denen, die du nicht hast. Wie viel Geld du hast, es gibt unendlich mehr, das du nicht hast. Alles, was du erreicht hast, findet sich inmitten einer bis an den Horizont reichenden Wüste des Mangels. Dennoch ist es keine Wahl, aufzugeben, denn Aufgeben bedeutet den Untergang.

Es heißt so schön: Ohne Fleiß kein Preis. Ohne Anstrengung gibt es keine Auffüllung des Mangels. Solange der Mangel herrscht, war die Anstrengung noch zu gering. Wer erfolgreich sein will, muss hart arbeiten. Das zeigen uns die, die es geschafft haben, die uns auf den Hochglanzbildern gütig zulächeln: Sie haben ihren Mangel gestillt und schweben deshalb nahe am Himmel, badend in ihrem märchenhaften Reichtum, millionenfach bewundert und beneidet.

Bedingungsloses Schaffen


Im anderen Fall, also wenn die Aktivität nicht aus den unerfüllten emotionalen Bedürfnissen der Kindheit kommt, sprießt sie aus kreativen Gestaltungsbedürfnissen, die ungehindert und ungeplant aus dem Lebensvertrauen sprudeln und sich entfalten wollen. Hier geht es nicht primär um den Erfolg, sondern um den Selbstausdruck, um das Teilen des Eigenen und Individuellen mit dem Ganzen, also um ein Geben, das nicht auf das Zurückbekommen fixiert ist. Die Aktivität macht schon in sich Sinn, gleich was danach kommt, ob sie mit frenetischem Applaus von Menschenmassen bedacht wird oder im Stillen blüht, von niemandem bemerkt und bestaunt. Es beinhaltet auch die Freude über Anerkennung, denn das Teilen ist erst wirklich ein Teilen, wenn es von jemandem angenommen wird. Was fehlt, ist die Abhängigkeit vom Rücklauf, von der Reaktion der Menschen auf das Geschaffene. Das ist es, was die Freiheit im Schaffen bewirkt.

Diese Freiheit entsteht, wenn wir erkennen, dass ein innerer, emotionaler Mangel nicht durch äußere, materielle Erfolge wettgemacht werden kann, so üppig diese auch ausfallen mögen. Wir müssen uns den Gefühlen stellen, die durch die fehlende Bedürfnisbefriedigung in uns entstanden sind und weiter wirken. So entkommen wir den Schleifen der Erfolgsabhängigkeit und werden frei für ein bedingungsloses Schaffen, für ein Geben aus dem Vertrauen heraus, dass alles, was wir brauchen, uns in der rechten Form zukommt.


Vgl. Wozu brauchen wir Erfolge?

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