Mittwoch, 4. Mai 2016

Herr Hofer und die Erlösungssehnsüchte in der österreichischen Seele

Der herrschende Wahlkampf zum Amt des österreichischen Bundespräsidenten zeigt einen eigenartigen Drall, unter dem das Amt so aufgebläht wird, dass es nur von einem „starken Mann“ ausgefüllt werden kann. Kein Wunder, dass die einzige Frau, die sich beworben hat, auf der Strecke geblieben ist. Die Kandidaten werden befragt, wie sie ihr Amt ausüben wollen, was natürlich jeden Wähler interessieren sollte. Wenn aber dann als Antwort kommt, dass Regierungen entlassen werden, wenn sie „über 2,3 Jahre“ nichts tun (gibt es ein einziges Beispiel einer Regierung in der Geschichte Österreichs, die über Jahre faul herumgelegen ist und sich nicht um die Probleme des Landes gekümmert hat?) Man muss nicht über alle Maßnahmen zufrieden sein, aber völlige Untätigkeit kann man wohl keiner Regierung nachsagen. Außerdem haben wir ein Parlament, das die Performance der Regierung zu kontrollieren hat, 183 Mandatare, denen auch so auffallen sollte, wenn ein Minister die Gesetze, die da beschlossen wurden, nicht ausführt. Dafür werden sie schließlich bezahlt.

Also dient die jetzt im Raum stehende Drohung offenbar nur dazu, dass sich der Kandidat, der solches äußert, den Mund voll nimmt, um als der mächtige Oberlehrer dazustehen, der kontrolliert, ob die faulen Schüler die Hausübungen vollständig und richtig gemacht haben und ob sie schön genug geschrieben haben. Wenn nicht, kommt zuerst der erhobene Zeigefinger, und, wenn das nicht fruchtet, werden die Schüler entlassen.

Ein autoritäres Verständnis des höchsten Amtes im Staat und der Verfassung wird da propagiert. Oben steht der Präsident, und die Regierung hat es ihm recht zu machen. Herr Hofer spricht von Untätigkeit, bei der er eine Regierung entlassen würde. Das ist aber ein weitgestecktes Feld, das viele Interpretationen offen lässt. Die Drohung kann auch schlagend werden, wenn der künftige BP der Meinung ist, die Regierung werde nicht in der Weise tätig, wie er sich das vorstellt – sie will beispielsweise die Mindestsicherung für Asylwerber nicht kürzen oder streichen, was er sich von seinem ideologischen Hintergrund wünschen und für den Staat als unbedingt notwendig erachten könnte. Die Regierung macht nicht das, was er gerne hätte, also wird sie entlassen, damit eine gefügigere oder genehmere Regierung gebildet werden kann.

Dass solches autoritäres Denken gerade von der Person vertreten wird, die als dritter Präsident dem Nationalrat, also dem gesetzgebenden Organ vorsteht, mutet seltsam an. Denn aus dem Amt müsste er wissen, dass Recht und Gesetz vom Volk ausgehen, das diesen Nationalrat wählt. Dieses Gremium berät und beschließt die Gesetze und überwacht deren Ausführungen, mit denen die Regierung betraut ist. Es gibt da keine autoritäre Über- und Unterordnung, sondern ein System von check and balance.

Eine ähnliche Schieflage zeigt sich bei der Debatte um internationale Verträge, die in diesen Wahlkampf hineingetragen wird: Da brüsten sich die Kandidaten, Verträge, die dem Land schaden könnten, nicht zu unterschreiben. Aber alles, was ein Präsident an Gesetzen und Verträgen unterschreiben soll, wird ihm vom Parlament auf den Tisch gelegt, und allein die Annahme, dass dieses Gremium unfähig ist zu erkennen, was dem Land guttut und was ihm Schaden zufügt, ist eine Missachtung der Parlamentarier und eine maßlose Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Wieso sollte eine Person an der Spitze des Staates um so viel mehr Durchblick und Weisheit haben als 183 Abgeordnete?

Die Sehnsucht nach dem starken Mann – noch immer


Doch verfängt eine derartige Ansage nur dort, wo der zitierte „starke Mann“ ersehnt wird. Da meint man vielleicht, dass dieses Motiv doch längstens obsolet sein sollte: Die Schneise der Verwüstung, die dieses Konzept durch unsere äußeren und inneren Landschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezogen hat, sollte doch genügen, um für den Reste der Geschichte gegen die verblendenden Versprechen eines starken Helden immunisiert zu sein. Doch reagiert unser historisches Immunsystem nur, wenn es Bewusstheit und Reflexion in die Zusammenhänge gebracht hat.

Auffälligerweise wird vieles an dem erfolgreichen und smarten BP-Kandidaten der FPÖ bemerkt; über seine Anspielungen an den Mythos des starken Mannes, der sich über die demokratischen Institutionen stellen möchte, habe ich noch kaum etwas gelesen, noch fließt dieser Zusammenhang in die Diskurse ein.  Herr Hofer spielt, bewusst oder unbewusst, mit den Sehnsüchten, die aus den Seelen der Österreicher noch immer nicht getilgt sind und die besonders dann wieder lebendig werden, wenn die Wirtschaftslage pessimistisch gesehen wird und ein furchterregender Druck von außen in Form von Flüchtlingsmassen bildlich in den Köpfen verankert ist. Die Unübersichtlichkeit der Lage, verbunden mit dem Gefühl der Bedrohung, mobilisiert Sehnsüchte nach einem Retter, der mit starker Faust alle Not bannt und jede Gefahr in die Schranken weist.

Die Situation erinnert an die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, allerdings übertragen auf ein ungleich höheres Niveau des Wohlstandes und der sozialen Absicherung. Doch die tieferen Seelenstrukturen haben diesen Unterschied nicht zur Kenntnis genommen, die irrationalen Ängste und medial erzeugten Bedrohungsszenarien nähren irrationale Hoffnungen, sobald blaue, verheißungsvoll nach oben gerichtete Augen suggerieren, dass alles noch heil werden kann.


Wer historisch denkt, kann da leicht ein mulmiges Gefühl bekommen. Die Herabwürdigung, Lächerlichmachung und Abwertung des Parlaments stand am Anfang der Errichtung der Diktatur in Deutschland und Österreich. In beiden Fällen tragen die „starken Männer“ auf, von ihren Anhängern hysterisch verehrt, martialisch schreiend ihre Durchsetzungskraft in die Welt posaunend. Die Taten folgten schnell und konsequent, mit den verheerenden Folgen, die uns bis heute zur Mahnung dienen sollten.

Man soll ja nicht das Schlimmste befürchten, und auch Herr Hofer ist an seinen Taten zu messen, sollte ihm der Griff nach dem obersten Amt im Staate gelingen. Aber ich zumindest werde mich nicht wundern, sollte tatsächlich der Mythos des starken Mannes reinszeniert werden. Schließlich wurde das alles schon angedeutet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen