Donnerstag, 5. Mai 2016

Donald Trump und die Ängste in der "strengen Weltsicht"

Die Soziologin Elisabeth Wehling (University of Berkeley) beschreibt in einem Artikel im Standard die Erfolge von Donald Trump im US-Präsidentschaftswahlkampf damit, dass er ganz bestimmte Werthaltungen, die in Nordamerika tief verwurzelt sind, konsequent anspricht und damit seine Wähler emotional engagiert. Sie benennt das als „strenge Weltsicht“, die auf fünf Säulen ruht:  Selbstbezogenheit, Sozialdarwinismus, Hierarchie, Fürsorge für die eigene Gemeinschaft und ihre Verteidigung gegen das Böse auf der Welt durch eine starke, männliche Autoritätsfigur. Ich möchte in diesem Artikel die angesprochenen Werte auf das Modell der Bewusstseinsevolution beziehen.

Die Selbstbezogenheit


Trump präsentiert sich als vollkommener und rücksichtsloser Egoist und begeistert damit seine Anhänger. Seine Botschaft ist: „Wenn du so egoistisch bist wie ich, kommst du an die Spitze. Wenn wir als Land so egoistisch sind wie ich, dann bleiben wir an der Spitze.“

Der Egoismus als Ideologie hat seine Wurzeln im Zerfall der tribalen Strukturen und im daraus resultierenden Zerfall der verbindenden Werte der Gemeinschaft. Er entsteht im Übergang zur emanzipatorischen Bewusstseinsebene und ist von der Angst bestimmt, dass man niemandem vertrauen kann als sich selbst und dass man deshalb primär immer das eigene Überleben sichern muss.

Wie schon öfter auf diesen Seiten belegt wurde, ist der Egoismus keine „natürliche“ Eigenschaft des Menschen, sondern eine Reaktionsform auf frustrierte Bedürfnisse, also die Trotzhaltung, die entsteht, wenn die sozialen Beziehungen brüchig werden.

Sozialdarwinismus


Trump im Originalton: „Das Gute an mir ist, dass ich reich bin, reiche Menschen sind reich, weil sie schwierige Probleme lösen.“ Der Sozialdarwinismus ist die Ideologie des Egoismus. Er besagt, dass der rücksichtslose Kampf um die knappen Mittel zeigt, wer der stärkere ist, und dass dem Sieger im Kampf legitimerweise die Beute plus die Macht über den Unterlegenen gehört.

Das darwinistische Prinzip für die Evolution des Lebens besagt: Survival of the fittest, also das Überleben der am besten Angepassten. Der Sozialdarwinismus macht daraus: Survival of the strongest, also je brutaler, desto überlebensfähiger. Diese Ansicht war grundlegender Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie (die ja auch in den USA viele Anhänger hatte) und diente als Rechtfertigung für die Vernichtung alles Schwachen und Minderen. Der Machtwahn, der aus dieser Denkfigur stammt, kann nur gebrochen werden, wenn er in der eigenen Vernichtung endet, denn er muss bis zum letzten Quäntchen seiner Kraft beweisen, dass er der Stärkere ist.

 Der Sozialdarwinismus ist ein Produkt der personalistischen Ebene der Bewusstseinsentwicklung, in der zwar die Persönlichkeit des Einzelnen verherrlicht und verfeinert wurde, aber auch eine ideologische Überhöhung stattfand. Der Sozialdarwinismus überträgt die Brutalität des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes und der rücksichtslosen Ausbeutung auf den gesamten gesellschaftlichen Prozess und umgibt sie mit einem ideologischen Glorienschein. Er wird mit der Macht der Natur und der Natürlichkeit ausgestattet: Im Ganzen des Lebens ginge es so zu, also kann es unter den Menschen nicht anders sein.

Hierarchie


Diese Werthaltung sieht es als gottgegeben an, dass es unter den Menschen Rangordnungen gibt, die einigen Menschen die moralische Autorität über andere verleihen: Männer über Frauen, Weiße über Schwarze, Heteros über Homos usw.

Die Idee der political correctness dagegen besagt, dass niemandem aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht oder Hautfarbe Rechte und Privilegien, die andere haben, vorenthalten werden dürfen, die andere genießen. Sie ist eines der größten Feindbilder für  die konservativen Amerikaner.

Diese Idee ist eine Anleihe aus dem hierarchischen Bewusstsein. Dieses stellt den Ausweg aus der Schrankenlosigkeit des emanzipatorischen Egoismus dar. Es installiert Unterschiede unter den Menschen, die durch die Geburt definiert werden und unveränderlich sind. Damit gibt es eine klare Zuordnung der Vorrechte für die einen und der Benachteiligung für andere, und niemand darf sich beklagen.

Es widerspricht freilich auch im konservativen Weltbild dem „naturgegebenen“ Überlebensegoismus, denn die jeweils Untergeordneten müssen zugunsten der Übergeordneten auf ihre Egoismen verzichten und werden mit der Gewalt der Rechtmäßigkeit der „heiligen Ordnung“ in ihrer Selbstdurchsetzung eingeschränkt, wie die Demonstranten bei Trumps Veranstaltungen, die verprügelt werden müssen, weil ihnen als Untergeordneten keine Meinungsäußerung zusteht.

Fürsorge


Man sorgt für Seinesgleichen, und zwar gut. Andere gehen einen nichts an, die sollen selber schauen, wie sie zurecht kommen. Der Kreis der „Seinesgleichen“ wird willkürlich definiert: Wer sich den eigenen Werthaltungen unterwirft, gehört dazu und wird unterstützt, wer andere Einstellungen vertritt, bleibt ausgeschlossen.

Hier tritt das Urmotiv des tribalen Bewusstseins auf, allerdings in der pervertierten Form der willkürlichen Zuordnung und der aggressiven Ausgrenzung. Dazu gehört der, der sich unterordnet, im Sinn der NS-Parole: „Du bist nichts, dein Volk ist alles.“ Wer das Volk ist, wird ideologisch festgelegt.

Das tribale Bewusstsein dagegen ist begründet in einer selbstverständlichen und vorgegebenen Zugehörigkeit, die nicht willkürlich festgelegt und verändert werden kann. Alle Menschen tragen die Sehnsucht nach einer derartigen Zugehörigkeit in sich, weil nur diese ihnen Geborgenheit und Sicherheit auf einer ganz tiefen emotionalen Ebene gewähren kann. Die Gemeinschaftsideologien, die in späterer Zeit, besonders im 19. Jahrhundert, in dem auch die Hauptbesiedelung in Nordamerika stattgefunden hat, entstehen, nutzen diese emotionalen Bedürfnisse für ihre Zwecke aus.

Freund-Feindschema und starke männliche Autorität


„Die Welt ist gespalten in Gut und Böse, und um die eigene – selbstredend gute! – Gemeinschaft zu verteidigen, braucht es eine starke männliche Autorität, die nicht zimperlich ist und auch mal zupacken kann – zum Beispiel in Form von Angriffskriegen oder Folter.“ (Wehling)

Hier finden wir wieder das Motiv des Helden, der als der Gute gegen das Böse kämpft, Thema in all den bombastischen Hollywood-Leinwandepen. Der Preis der vereinfachenden Aufteilung der Welt in Schwarz und Weiß ist die Paranoia, die Angst, die auf Dauer gestellt ist. Wir müssen immer auf der Hut sein, das Böse schläft nie und schlägt gerade dann zu, wenn wir uns am sichersten fühlen. Wie sagte der Psychiater zum Paranoiker: „Bloß weil Sie Paranoiker sind, brauchen Sie nicht zu glauben, dass Sie nicht verfolgt werden.“

Der Preis der Paranoia ist auch der Wirklichkeitsverlust, denn diese ist weder gut noch böse, sondern vielschichtig und differenziert, und sie verändert sich dauernd. Wer sich dem Freund-Feind-Schema verschreibt, hat es nicht mehr mit der Wirklichkeit zu tun, sondern mit den Gespenstern im eigenen Kopf.

Das Freund-Feindschema stammt nach meiner Auffassung unmittelbar aus dem Kampf-Flucht-Mechanismus unserer urtümlichen Stressreaktion. Unter Gefahr müssen wir uns schnell orientieren, um der Bedrohung effektiv zu entgehen und brauchen dafür das einfachste Schema, das es gibt: Sicher oder unsicher, gut oder böse. Wenn wir das Schema internalisiert haben, haben wir eine Daueranspannung in uns etabliert.

Wieder wird am Übergang von der tribalen Sicherheit in die emanzipatorische Willkür angesetzt. Außerhalb der Stammesgemeinschaft gibt es nur feindliche Wildnis, und ich brauche eine einfache Perspektive, um damit zurechtzukommen. Jedem, der mir eine solche verspricht, muss bedingungslos gefolgt werden.

Zusammenfassung


Diese Analyse zeigt, dass sich dieses „strenge Weltbild“, an dem sich das konservative Amerika orientiert, aus den Ängsten verschiedener Bewusstseinsschichten nährt, dass dabei die erste Ebene in ihrer ursprünglichen Qualität ausgeblendet bleibt und die sechste und siebte Stufe nicht vorkommen, weil diese alle durch diesen Wertkomplex repräsentierten Einstellungen in Frage stellen und als mangelhaft und überholt erklären. Die weiße und noch schlimmer die schwarze Bevölkerung der USA ist im Bewusstsein des endgültigen und unwiederbringlichen Verlustes der tribalen Sicherheit in ihr neues Land gekommen. Ein völliger Neuanfang, bei dem jeder ganz auf sich gestellt ist, musste gewagt werden. Manche haben das gut geschafft, manche weniger. Danach teilt sich das Land ein, und jeder seiner Bewohner weiß um seinen Platz in der unsichtbaren Hierarchie. Eine selbstverständliche Zugehörigkeit gibt es nicht (und deshalb auch keine selbstverständliche Sozialfürsorge). Donald Trump steht für diesen Pioniergeist und bietet sich als Identifikationsfigur an für alle, die es so weit bringen wollen wie er.

Dieses wilde Gemisch an Bewusstseinselementen kann auch die Folie sein, vor der vielen von uns Donald Trump wie ein skurriles Wesen von einem anderen Stern oder aus einer anderen, längst überwundenen Zeit vorkommt. Tatsächlich tragen wir alle die Spuren der angesprochenen Bewusstseinsschichten in uns. Womit wir allerdings einen Unterschied machen können, ist die Bereitschaft, die eigenen Werthaltungen beständig zu überprüfen und dafür die Maßstäbe des systemischen und des holistischen Bewusstseins zu nutzen. Dann fällt es uns leichter, Licht in die dunkelsten Vorgänge zu bringen und zugleich die eigenen Verwicklungen mit diesen Bereichen der Seele zu lösen.

Für deutsche Leser: Was bedeutet dieses Profil für das Verständnis von Pegida und AfD? Für österreichische Leser: Wie kann man die Erfolge der FPÖ vor diesem Hintergrund verstehen?

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