Mittwoch, 15. Juli 2015

Von den Absichten zur Absichtslosigkeit

Absichten, die unsere Orientierung stärken


Wir kennen auch Absichten, die uns helfen, bei der Verwirklichung unserer Ziele weiterzukommen. Oft beginnen solche Ziele mit Absichten, allerdings braucht es eine innere Entscheidung, damit wir vom bloßen Wünschen zu den konkreten Schritten der Umsetzung kommen. Eine solche Entscheidung wirkt wie ein Weg in die Zukunft hinein, der mit diesem Schritt gebahnt wird. Die Orientierung geht "nach vorne", sie richtet uns aus, und aus der Spannung zwischen dem, was wir jetzt in die Zukunft hinein wollen, entsteht Kraft und innere Klarheit. Wenn wir uns z.B. vornehmen, zugunsten unserer Gesundheit auf ein Abendessen zu verzichten, kann uns das helfen, trotz Versuchungen bei unserer Entscheidung zu verbleiben.

Bei solche Absichten können wohl auch Ängste des Egos mitspielen. Aber wir brauchen bei jedem kreativen Prozess auch die proaktiven Aspekte unseres Egos, das uns helfen muss, damit wir die Ideen und Visionen, die uns zufallen, auch in die Wirklichkeit hinein übersetzen können.


Wie uns Absichten am Weiterkommen hindern


Absichten steuern also unser Leben. Wir richten uns mit ihnen in die Zukunft hinein aus. Wir spannen einen Bogen, der  vom Jetzt dorthin reicht, was nach unserer Absicht sein soll. Wir gehen an den Badestrand, um uns im angenehm warmen Wasser abkühlen zu können. Wir kommen an den Strand, und es bläst ein heftiger Wind, der die Absicht zum Abkühlen zum Verschwinden bringt.

Wir können jetzt enttäuscht sein und über den Wind jammern, der uns die Badefreude nimmt. Aber natürlich leiden wir nicht am Wind, sondern an unserer Erwartung, die uns ein anderes Bild der Zukunft vorgezaubert hat, bevor wir aufgebrochen sind. Die Diskrepanz zwischen unserer Absicht und der danach eintretenden Realität lässt uns leiden. Hätten wir uns darauf eingestimmt, einfach Zeit am Strand zu verbringen, wie auch immer das Wetter gerade ist, wäre uns die Enttäuschung erspart geblieben. Die Zukunft offen lassen, heißt, sich von Absichten befreien.

Christian Sator weist in seinem Artikel auf den Unterschied von dualer und nondualer Wirklichkeitssicht hin. Absichten trennen uns von der Wirklichkeit, genauer gesagt, das Festhalten an ihnen. Sobald wir merken, dass sich die Wirklichkeit mit der Absicht überkreuzt, können wir die Absicht loslassen und uns auf die Wirklichkeit einlassen, dann kommen wir in ein nonduales Erleben des Fließens. Bleiben wir an unserer ursprünglichen Absicht hängen, sind wir in unserem Bewusstsein gespalten, also dual: Ein Teil ist am windigen Strand, ein anderer in der Vorstellung des windstillen, angenehm warmen Strandes.

Christian schreibt: "Jede Absicht hat ein Ziel, das in der Zukunft liegt, oder hat die Wurzel in einer Angst, die in der Vergangenheit liegt. Dadurch geht die volle Achtsamkeit für das Jetzt verloren. Wenn ich absichtsvoll handle, kann mir nur mehr das, was ich mir wünsche, Freude schenken. Ich schränke also die Möglichkeiten der freudebringenden Zukunft für mich radikal ein. Ich schaue mit einem Tunnelblick in die Zukunft, und kann mich nur mehr freuen, wenn sich dieser winzig kleine Ausschnitt der Wirklichkeit, den ich ersehne, erfüllt hat. Bringt die Zukunft etwas ganz Anderes, bin ich meist frustriert. ... Bin ich präsent und voll in der Gegenwart, ist jeder Augenblick einmalig, einzigartig und kostbar, auch dann, wenn aus der Sicht des Verstandes nichts Besonderes geschieht."

Überwinde ich also meinen Widerstand gegen die Wirklichkeit, so gibt es nichts mehr, was mich frustrieren kann. Umgekehrt kann ich jede Frustration, die ich erlebe, darauf zurückführen, dass ich gerade im Widerstand gegenüber der Wirklichkeit bin. Diese reflexive Einsicht kann es mir erleichtern, wieder in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu kommen und damit den gegenwärtigen Augenblick in seiner Einzigartigkeit wertschätzen: Oh, jetzt habe ich gerade aus dem Fließen der Erfahrung ausgeklinkt, und es wird Zeit, wieder zurückzukehren.

Wir werden schwerlich unsere Gewohnheit, Absichten zu bilden, abstellen können. Wenn wir etwas planen, verbinden wir damit immer gewisse kognitiv und emotional gefärbte innere Bilder. Wenn wir ein Buch kaufen, erwarten wir interessante Einsichten und erfüllte Lesezeiten. Aber wir können unsere Neigung, an unseren Absichten festzuhalten, erkennen und abschwächen. Bewusstheit bringt uns immer in die Gegenwart, und Bewusstheit mit Frustrationserfahrungen macht uns auf die Spaltung aufmerksam, die uns unterlaufen ist.

Absichtslosigkeit ist deshalb nicht ein absolutes Ziel, das wir erreichen müssen, um innerlich frei zu sein. Der Begriff erinnert uns vielmehr daran, dass wir unsere Vorstellungen und Ideen über die Zukunft immer wieder loslassen können. Denn unsere Absichten sind nur Luftblasen, die wir zerplatzen lassen können, sobald sie ihr kreatives Schillern verloren haben. Jede verschwundene Luftblase kann einer neuen Platz machen, und so bleibt unser Leben ein kreativer, aus sich heraus wachsender Prozess. Dazu ist es wichtig, dass wir den leeren Raum zwischen den Blasen bewusst wahrnehmen als den Einstieg in die eigentliche Quelle von allem. Die Freiheit von Absichten gehört zum Luxus des meditativen Lebens; die Kunst, Absichten klar zu erkennen, zu bewerten, zu Entscheidungen zu führen, und sie dann zum besten Zeitpunkt zu vergessen, ist Teil der alltäglichen Lebenskompetenz, an der wir immer wieder feilen müssen.


Zum Weiterlesen:
Absichtslosigkeit in der Therapie

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen