Sonntag, 20. April 2014

Das N-Wort und die politische Korrektheit

Mit politischer Korrektheit wird seit ein paar Jahrzehnten der Standard für eine nicht-diskriminierende Verwendung von Worten gekennzeichnet. Wir haben alle im Lauf unseres Aufwachsens Worte gelernt, die heute nicht mehr in diesem Sinn als korrekt gelten: Zigeuner, Eskimos und eben Neger, weil sie von den betroffenen Personen als abwertend oder beleidigend empfunden werden.

Konservative Menschen haben ihre Schwierigkeiten mit Änderungen.  Sie hätten gerne, dass alles so bleibt, wie es ist. Sie finden es als Zumutung, dass sie sich an neue Standards anpassen sollen. Sie pochen auch auf die Redefreiheit: Jeder Bürger ist und bleibt frei in der Rede, also braucht es keine „Sprachpolizei“ und keine Sprachrichter, die mittels Strafen das korrekte Reden erzwingen.

Allerdings geht es nicht um eine autoritäre Sprachnormierung wie etwa bei Orwell mit dem in 1984 geltenden newspeak („Neusprech“). Im Gegenteil: Korrektes Sprechen beinhaltet die Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten und Verletzbarkeiten. Es geht also nicht um Vorschriften, sondern darum, öffentliches Sprechen mit Verantwortung zu verbinden. Jeder darf reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und jeder trägt eine Verantwortung für das Gesprochene. Worte, die als diskriminierend, ausgrenzend, abwertend verstanden werden, können beleidigen, können also anderen Menschen Leid zufügen. Füge ich jemandem unabsichtlich Leid zu, dann trage ich meine Verantwortung dafür, wenn ich mich entschuldige. Füge ich jemandem absichtlich Leid zu, dann bin ich ein Täter („üble Nachrede“ usw.) im schlimmsten Fall ein Verbrecher („Rufmord“). Die Rechtfertigung wird schwieriger. Da genügt dann nicht mehr das trotzige Beharren darauf, „nichts Böses gemeint zu haben“.

Denn Worte sind nicht einfach nur konventionell aneinander gereihte Buchstaben, sondern sind immer mit Emotionen und Geschichten verbunden, bei denen, die sie aussprechen, und bei denen, die sie hören. Deshalb ist der Wortgebrauch sensibel und erfordert Rücksichtnahme auf den Gesprächspartner. Wenn jemand öffentlich redet, z.B. ein Politiker in einem Medium, ist die Rücksichtnahme auf alle potentiellen Hörer notwendig und mit einer besonderen Verantwortung verbunden. Wer dazu nicht in der Lage ist, sollte in solchen Zusammenhängen nicht auftreten und auch kein öffentliches Forum bekommen.

Seit die Zusammenhänge bekannt sind, trägt das „N-Wort“ die gesamte Geschichte der Unterdrückung und Versklavung von Millionen Menschen aus Afrika in sich. Wer es verwendet, vertritt die Verachtung und Überheblichkeit der Weißen gegenüber den Schwarzen und rechtfertigt das Unrecht, das den Afrikanern zugefügt wurde und zugefügt wird.

Wir können diesem Kontext, der sich um das Wort herum gebildet hat, nicht mehr entkommen. Wenn wir heute ein altes Kinderbuch in die Hand nehmen, in dem z.B. von Negern und Negerinnen die Rede ist, dann müssen wir heutzutage unweigerlich die historische Schuld der Weißen an den Schwarzen mitdenken. Damit tragen wir unser historisches Gewissen mit Verantwortung.

Einübung in die Verantwortungslosigkeit und Dummheit


Schlimm ist nicht, wenn jemand die Zusammenhänge noch nicht gelernt und verstanden hat. Schlimm sind die Verweigerung des Lernens und das trotzige Beharren auf der Verwendung des N-Wortes, weil man ja nichts Böses damit meine. Abgesehen davon, dass in der Behauptung selbst schon etwas Böses mitschwingt, und abgesehen davon, dass das Meinen immer auf einer Selbsttäuschung beruhen kann, ist es fahrlässig und gemein-gefährlich, das Wort zu verwenden, weil es gerade bei den Adressaten und Hörern, die selber nicht schwarz sind, deren negative Stereotype aktivieren und verstärken kann. Also auch wenn ich als naiver Sprecher eine blütenweiße innere semantisch Weste trüge, die mit dem N-Wort sympathische, liebenswerte und intelligente Menschen verbindet, muss ich davon ausgehen, dass der Verwendungszusammenhang und emotionale Hinterhof des Wortes bei anderen Zeitgenossen ganz anders bis gegenteilig gelagert sein kann. Aber das mag ja durchaus die eigentliche Absicht sein, wenn Politiker vom rechten Rand solche Ausdrücke verwenden:  die schon vorhandenen negativen Vorurteile warmzuhalten und zu verstärken, um Menschen auszugrenzen.

Warum wehrt sich nun jemand dagegen, ein emotional geladenes Wort („Neger“) durch ein anderes neutrales („Schwarzer“, „Afroamerikaner“...) zu ersetzen? Weil er auf die Emotionen nicht verzichten will, die mit dem Wort verbunden sind: Fremdheit, Misstrauen, Vorsicht, Angst, Verachtung. Kleinen Kindern macht Fremdes, Ungewohntes Angst. Wenn sie das erste Mal einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe sehen, kann sie das irritieren (wie schwarze Kinder, die erstmals jemanden mit weißer Hautfarbe treffen). Wenn die Erwachsenen in der eigenen Umgebung die Irritation bestätigen, kann sich ein Vorurteil einprägen, das dann hartnäckig bestehen bleibt, auch wenn keine negativen Erfahrungen mit Menschen mit anderer Hautfarbe gesammelt werden. Der rational denkende Erwachsene kann allerdings die eigenen Vorurteile überprüfen und damit entmachten.

Wer auf seinem Vorurteil beharrt, will auf der kindlichen Wahrnehmungsstufe verharren. Er weigert sich, die erwachsenen Möglichkeiten der vernünftigen Prüfung der eigenen Vorurteile und des eigenen Sprachgebrauchs zu nutzen. Er weigert sich damit, Neues zu lernen und im Denken flexibler zu werden. Gemeinhin nennen wir eine derartige Selbstverurteilung zu geistiger Starrheit Dummheit, verbunden mit Borniertheit.

Der Hausverstand ebenso wie die Gehirnforschung bestätigen, dass es gesund ist, geistig in Bewegung zu bleiben. So bedeutet jedes Beharren auf Lernunwilligkeit das Einüben und die Vorbereitung auf den Leistungsabbau der grauen Substanzen im Kopf, also auf Demenz und/oder Alzheimer. Hören wir also auf, solche Menschen als Vorbilder oder als wählbare Politiker anzusehen, die uns mit ihrer Dummheit und geistigen Verarmung beeindrucken wollen.

Jeder ist in unserer Gesellschaft frei, an seiner eigenen Verdummung zu arbeiten und Beschränktheit zum Lebensprinzip zu machen. Peinlich wird es dort, wo solches Verhalten im Rahmen demokratischer Freiheit öffentlich gefördert wird, öffentliches Auftreten möglich wird, und solche Menschen Volksvertreter werden, denn das heißt, dass, nach Sympathiewerten und Wahlergebnissen, 20 - 30% der Wähler in unserem Land solcher geistiger Selbstverstümmelung zustimmen können.

Politische Korrektheit ist Teil der weltbürgerlichen Sprachkompetenz. Sie ist damit eine Grundlage dafür, dass wir als Menschheit eine Gemeinschaft auf der Basis von gegenseitigem Respekt bilden können. Wir brauchen eine solche Gemeinschaft, um die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme unserer Welt zu lösen.

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