Dienstag, 14. Mai 2013

Die Freiheit der Kunst und die religiösen Gefühle

Ein Eklat bei den Wiener Festwochen: Einige der Theaterbesucher waren von einem Stück und seiner Inszenierung entsetzt und äußerten ihre Empörung lautstark während der Aufführung. Solches erinnert an den Aufruhr um dänische Karikaturen des Propheten Mohammed oder das Todesurteil gegen den Schriftsteller Salman Rushdie: Bestimmte Kunstwerke verletzen die religiösen Gefühle und sollen deshalb nach der Meinung der Betroffenen verboten werden, die dann, wenn sie besonders radikal eingestellt sind, fordern, dass die Urheber der Kunstwerke bestraft werden.

Es geht hier nicht um die Frage, ob solche Strafen gerechtfertigt wären. Solche Ansätze möchte ich nicht einmal diskutieren. Hier geht es darum, ob sich die Kunst erlauben darf, Gefühle von Menschen zu verletzen. Gibt es Grenzen der Empfindlichkeit, welche die Kunst respektieren muss?

Sicher darf es nicht sein, dass die Kunst jemanden persönlich beleidigt, das sollte prinzipiell niemand absichtlich tun. Manchmal geschieht es allerdings, dass jemand beleidigt ist, ohne dass wir das wollen. Menschen haben die unterschiedlichsten Sensibilitäten, und nicht jeder kann in seinen Handlungen auf alle anderen gleichermaßen Rücksicht nehmen. Deshalb wird es immer wieder zu Betroffenheiten kommen, die zu Konflikten führen. Solche Auseinandersetzungen können jedoch mit den Mitteln einer dialogisch agierenden Zivilgesellschaft friedlich beigelegt werden.


Stellvertretende Gefühle


Mit den religiösen Gefühlen ist es ein wenig komplizierter. Was sind das überhaupt für Gefühle? Jemand fühlt sich persönlich beleidigt, wenn Inhalte des eigenen Glaubens von jemand anderem beleidigt werden. Ein Anhänger Mohammeds ist persönlich betroffen, wenn jemand den Propheten beschimpft oder lächerlich macht. Er übernimmt eine Stellvertretung, die so weit gehen kann, die Beleidigung zu rächen. Die beleidigte Person, in diesem Fall Mohammed, wurde aber nicht befragt, ob sie selber von der Verletzung betroffen ist und überhaupt eine Rache braucht oder gutheißen kann. Es werden also Stellvertreter-Gefühle verletzt, und die mit der Beleidigung gemeinte Person hat gar keine Möglichkeit, die Stellvertretung zu akzeptieren oder abzulehnen. Es handelt sich also um eine selbstangemaßte Stellvertretung, die sich hier empört und die sich auf religiöse Gefühle beruft.

Wenn auf einer Bühne ein Jesusbild mit „Handgranaten aus Plastik“ beworfen wird, wie kürzlich in Wien geschehen, kann man das interessant oder geschmacklos finden, ohne dass dabei religiöse Gefühle betroffen sein müssen. Jedem, der an Jesus glaubt, müsste wohl klar sein, dass dieser als göttliches Wesen von solchen Aktionen nicht betroffen sein kann. Nur ein schwaches Ego leidet an Beleidigungen.

Jedem allerdings, der nur an ein Jesusbild glaubt, kann das aufs Gemüt gehen. Der Glaube an Bilder wird ja in manchen Traditionen als Häresie, als Ketzerei angesehen, er ist jedoch weit verbreitet, wenn nicht überhaupt die vorherrschende Form des religiösen Glaubens. Denn an ein Bild zu glauben ist einfacher und bequemer, als an einen Gottmenschen, der den Menschen den Spiegel vorhält, der Forderungen stellt, der Gewohnheiten aufrüttelt. Eine „herabwürdigende“  Darstellung kann deshalb so stark irritieren, weil dem Bildgläubigen das beschmutzte Bild nicht mehr die Sicherheit geben kann, die er von ihm braucht. Das Bild muss heil und unversehrt bleiben, nur so bleibt auch sein Glaube heil und unversehrt.

Der Identifikationsgläubige will das Objekt seines Glaubens auf das Bild festnageln, das er sich von ihm gemacht hat. Es soll so sein und bleiben, wie er es braucht. Es darf nicht frei sein, sonst müsste die eigene Unfreiheit erkannt werden. Die Identifikation mit einem Bild müsste durch Vertrauen in ein lebendiges und freies Gegenüber ersetzt werden.

Die Stifter von Religionen waren nicht deshalb erfolgreich, weil sie mustergültig ein Leben im Rahmen der herrschenden Konventionen gelebt haben, nicht deshalb, weil sie sich den Bildern, die ihnen vorgegeben wurden, angepasst haben, sondern weil sie aus der Rolle gefallen sind, überraschend, provozierend, schockierend.

Welche Religion meinen also die von Kunst Schockierten, wenn sie sich auf ihre verletzten religiösen Gefühle berufen? Sicher nicht eine Religion, die selber schockieren will. Können sie in ihrer Empörung an einen Jesus glauben, der selber Empörung in einem Ausmaß erregt hat, dass er dafür hingerichtet wurde?

Ein wahrhafter Gottsucher allerdings, also einer, der die Bilder in sich selber gestürmt hat, weiß um die Größe und auch die Radikalität der Botschaft, die durch kein menschliches Argument und durch keine menschliche Aktion verkleinert werden kann. Die Kleingläubigen dagegen richten die Aggression nach außen, statt den eigenen Glauben zu überdenken und zu vertiefen. Die Beschimpfer werden beschimpft, die Bekämpfer bekämpft. 


Die Kunst ist frei


Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat die Kunst, wie die Philosophie und die Religion, der Sphäre des absoluten Geistes zugeordnet. Damit hat er gemeint, dass sie die Wirklichkeit in einer nicht-alltäglichen Weise reflektiert, also zur Darstellung bringt, um uns, den Konsumenten der Kunst, zu einer neuen Sicht dieser Wirklichkeit zu verhelfen. Kunst verändert also den betrachtenden Menschen. Je besser die Kunst, desto tiefgreifender ist die Veränderung.

Kunst als Ausdruck des absoluten Geistes ist nicht in den Kategorien der Alltagswelt zu deuten. Deshalb kann sie nicht beleidigen, wie das Menschen untereinander tun. Sie kann provozieren, d.h. Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten in Frage stellen (dekonstruieren). Sie greift damit aber nicht einzelne Menschen persönlich an, sondern alle gleichermaßen. Jeder ist anders betroffen, aber die Botschaft ist die gleiche, wie Rilke in Anbetracht einer archaischen griechischen Plastik formuliert hat: „Denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht: du musst dein Leben ändern.“

Wenn wir mit einem solchen Anspruch auf Veränderung konfrontiert werden, neigen wir dazu, uns zur Wehr zu setzen: „Wieso soll ich mein Leben ändern, es läuft doch alles gut, ich mache doch alles richtig…“ Ändern ist anstrengend und riskant, weil ich nicht weiß, wo mich die Veränderung hinführt.  Allerdings ist das Leben Veränderung, der Stillstand und die Erstarrung ist das Prinzip des Todes. Wenn wir uns für das Leben entscheiden, entscheiden wir uns für die permanente Veränderung. Dazu gehört auch, dass Beleidigungen passieren, und dass wir lernen, mit ihnen so umzugehen, dass wir nicht selber zu Beleidigern werden. Dazu müssen wir uns ändern.

Die Kunst kann diese Funktion nur ausführen, wenn sie frei ist, d.h. wenn sie nicht von außerhalb der Kunst gemaßregelt oder zensuriert wird. Staatlich oder kirchlich verordnete und zurechtgestutzte Kunst ist keine Kunst mehr, sondern Propaganda. Deshalb unterdrücken alle autoritären Regime die Freiheit der Kunst. Und deshalb sind alle demokratischen Staaten erfolgreicher, weil sie der künstlerischen Kreativität einen Freiraum zubilligen und damit einen dauernd wirkenden Stachel der Veränderung zulassen. Je größer dieser Freiraum ist, desto größer ist der Freiraum der gesamten Gesellschaft.


Die Freiheit der Religion


Auch die Religion gehört in den Bereich des absoluten Geistes. Auch sie fordert heraus zur Veränderung, auch sie will in den Ablauf des täglichen Lebens und in seine Gewohnheiten eingreifen. Sie kann das nur, wenn sie in diese nicht hineinverflochten ist, wenn sie frei ist von den menschlichen Kleinlichkeiten.

Deshalb kann auch eine Religion, eine religiöse Lehre oder eine religiöse Gestalt nicht beleidigt werden. Beschimpfungen und „Herabwürdigungen“ gehen ins Leere. Sie treffen nur die, die ihre eigene Unfreiheit als Religion verbrämen. Die Religion ist frei wie die Kunst und spielt in einer anderen Liga als die allzu menschlichen Leidenschaften und Gewohnheiten.  Sie fordert dazu auf, dass wir uns gegenseitig nicht beleidigen und beleidigen lassen. Das kann sie nur, wenn sie auf Beleidigungen nicht beleidigt reagiert, sondern gelassen und verständnisvoll bleiben kann, gleich, ob das gefällt, was die Menschen aufführen. 


Vgl. Was heißt: Ein religiöses Gefühl verletzen?
Religiöse Gefühle versus Meinungsfreiheit 

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