Wir wissen viel über ökologische Zusammenhänge, über knapper werdende Ressourcen, über die Schädigungen an Atmosphäre, Wasser, Vegetation usw. Wir wissen auch, dass wir durch unser Verhalten dazu beitragen und was wir ändern könnten, damit wir die Belastungen für die Umwelt reduzieren. Wir kennen den ökologischen Fußabdruck, der uns z.B. sagt, dass wir mit einem Flug von Wien nach New York 2 793 Tonnen CO2-Ausstoß sorgen, dass wir als durchschnittliche Autofahrer 3.758 t pro Jahr CO2 produzieren. Wir wissen, dass wir mit einem durchschnittlichen Fleischkonsum zwischen 0,3 und 3,6 Tonnen CO2-Emissionen/Jahr bewirken. Wir können auch leicht herausfinden, dass unser Fleischessen 2 Millionen Liter Wasser pro Jahr verbraucht und dass wir durch die rein vegetarische Ernährung den Wasserverbrauch durch das, was wir essen, halbieren könnten. Und so weiter.
Wir sind gebildet, aufgeklärt, verantwortungsbewusst und sagen unseren Kindern, wie sie gut auf die Umwelt achten können. Dennoch wollen wir nur wenig bis gar nichts an unseren Gewohnheiten ändern. Wenn ich das Auto nehme, brauche ich nur die halbe Zeit für den Weg auf die Post, muss ich mich nicht mit den schweren Taschen abschleppen, … Ich habe ja immer Gründe, warum ich das Auto verwende. Ebenso muss ich das Flugzeug verwenden, wenn ich auf Urlaub gehe, ich will ja mal ein fernes Land erkunden, und da ist das Fliegen die einzige Möglichkeit. Und weil es so schön war, muss nächstes Jahr wieder eine Fernreise stattfinden und zur Abwechslung zwischendurch ein paar Städteurlaube, nur kurz, und wie schön, es gibt ja die Billigflieger, das muss man ausnutzen.
So leben wir dahin auf Kosten künftiger Generationen, die auf diese vermutlich zurückschauen werden als die der Prasser, die die Werte dieser Erde mit vollen Händen hinausgeworfen bzw. in die Atmosphäre geblasen haben – für ihre Bequemlichkeit, für ihr Vergnügen. Schön, dass sie Spaß und Abwechslung hatten und sich nicht allzu sehr anstrengen mussten, könnten unsere Enkel- und Urenkelkinder einmal über uns sagen, aber wir können das alles nicht mehr, weil die Ressourcen weg sind, unwiederbringlich. Wir müssen uns damit begnügen, was sie uns übriggelassen haben.
„Hinter uns die Sintflut“ scheint das Motto für unsere westliche Lebenskultur zu sein. Aber das sprechen wir ungern aus, statt dessen beschwichtigen wir unsere etwaigen Schuldgefühle mit einer Palette an Ausredestrategien:
Wir machen Gegenrechnungen: Ich fahre zwar alles, was geht mit dem Auto, dafür trenne ich den Müll gewissenhaft. So, als wären schlechte Taten durch das Tun von Gutem ungeschehen gemacht: Ich bestehle jemanden und spende einer karitativen Organisation. Das Spenden macht natürlich den Diebstahl nicht wett und hilft dem Opfer nichts.
Wir verstecken uns in der Menge: Wenn ich nicht auf Urlaub fliege, sitzt jemand anderer auf meinem Platz. Das ist die Logik der Verantwortungslosigkeit, ähnlich, wie sich manche Kriegsverbrecher zu rechtfertigen versuchen: Wenn ich die Kinder nicht erschossen hätte, hätte es jemand anderer gemacht. Dinge geschehen, Flugzeuge fliegen, Menschen werden ermordet, und ich steck mei Köpferl in Sand.
Wir verdrängen: Je mehr Informationen auf uns einströmen, desto wirkungsloser werden sie. Der Schock lässt nach, bis er nicht mehr wahrgenommen wird. Unser Hirn siebt aus: Aha, das Polareis ist wieder geschmolzen, schlimm, aber kenne ich schon, damit habe ich schon gelernt zu leben. Das muss ich mir nicht merken, und das muss ich schon gar nicht auf mein Leben beziehen. Oje, die armen Eisbären, blöde Geschichte, aber so weit weg.
Wir wälzen die Schuld auf die anderen: Was „die Industrie“ und „die Wirtschaft“ an Abgasen ausstößt, ist um so viel mehr als der Verkehr, also brauche ich mir um den Schadstoffausstoß meines kleinen SUVs keine Gedanken machen. Die Chinesen und die Inder haben ja überhaupt kein Umweltbewusstsein, die sollen mal aufräumen. Außerdem hat mein Nachbar ein noch größeres Auto und fährt jedes Pipiwegerl damit, bloß um allen zu zeigen, wer er ist.
In der Sandkiste gelernt, fürs Leben tauglich – die Kultur der Ausreden, die wir in uns angelegt haben. So können wir uns „kognitiven Dissonanzen“ bewältigen: Wir wissen, dass vieles von dem, was wir tun, zur Schädigung der Umwelt beiträgt; wir wollen (oder können) das nicht ändern. Das macht Druck im Gewissen. Wir entlasten uns, indem wir uns Ausreden zulegen, die wir innerlich so oft wiederholen, bis uns das schlechte Gewissen nicht mehr plagt.
Zwischen das, was wir wissen und das, was wir tun sollten, legen wir unsere Ausreden. Sie schützen uns davor, unseren Einsichten gemäß zu handeln.
Wir können kein perfektes Leben führen. Es ist vielleicht nicht so extrem, wie Theodor W. Adorno dramatisch formuliert hat: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Doch müssen wir mit Widersprüchen und Spannungen leben und diese aushalten, statt uns über sie hinwegschwindeln. Das macht das Erwachsenenleben aus, und das ist anstrengend und erfordert mehr Bewusstheit. Ja, wir machen uns mitschuldig an den Problemen dieser Welt, mit jedem Stück Fleisch, das wir essen, mit jedem Meter, den wir im Auto zurücklegen, mit jedem billigen T-Shirt, das wir kaufen. Ja, wir wirken mit an den Katastrophen, die uns erschrecken. Wenn wir bereit sind, diese Spannung auszuhalten, hilft uns das, in unserem Leben Alternativen zu entwickeln und auszuprobieren.
Die Ausreden dagegen dienen der Regression. Wir verhalten uns wie Kinder, die nicht in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen und Widersprüche auszuhalten. Manchmal ist es einfach so, weil wir uns überlastet fühlen. Dann können wir auch dazu stehen, und bald ändert sich unser Zustand und wir haben wieder Zugriff auf unsere Kompetenzen.
Dann können wir uns auch bewusst machen, dass uns Ausreden nicht weiterhelfen, wenn wir an integralem Wachstum interessiert sind. Denn dieses besteht auch darin, die Räume der Verantwortung auszuweiten und nicht zu reduzieren. Mit der Übernahme von Verantwortung und Mitverantwortung wächst uns auch die Kraft zu, aus ihr zu leben, d.h. die richtigen Entscheidungen zu treffen und in Handlungen umzusetzen.
Vgl. Autofahren und Bewusstheit
Vgl. Die Politik der Symbole
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