Denn eine Störung seiner Freuden
sucht jeder möglichst zu vermeiden. (Wilhelm Busch)
Schnell kann uns etwas stören in den Abläufen, in denen wir uns befinden. Etwas entspricht nicht unseren Erwartungen, und wir fühlen uns gestört. Wir wollen spazieren gehen, es regnet plötzlich, und der Regen stört uns. Wir sitzen im Zug und freuen uns, dass der Platz daneben frei ist. Dann setzt sich jemand neben uns, der uns unsympathisch ist. Wir führen am Telefon ein Privatgespräch, und der Chef schaut bei der Tür herein. Wir fühlen uns gestört.
Die Reaktionsmöglichkeiten auf Störungen können in zwei Paradigmen beschrieben werden. Paradigma 1: Störungen geschehen in der Welt um uns herum und wir können nichts dagegen machen, wir haben den Eindruck, ihnen ausgeliefert zu sein. Äußere Einflüsse greifen in unser Leben ein und bringen es durcheinander. Wir können das Wetter nicht ändern, wir können nicht verhindern, dass sich im Zug jemand neben uns setzt, der uns unsympathisch ist. Wir können nicht verhindern, dass der Chef aufkreuzt. Mit diesem Paradigma treten wir die Verantwortung an die Außenwelt ab. Deshalb fühlen wir uns hilflos.
Das Paradigma 2 geht von folgender Annahme aus: Störungen tauchen nur in uns selbst auf. In der Außenwelt gibt es Abläufe und Geschehnisse. Zu Störungen werden Ereignisse erst, wenn wir sie bewerten und als störend einstufen. Das passiert dann, wenn wir sie mit unseren Erwartungen vergleichen. Fällt der Vergleich negativ aus, werden also unsere Erwartungen nicht erfüllt, sprechen wir von einer Störung. Eine Störung ist nur eine frustrierte Erwartung und hat nichts mit der Außenwelt zu tun, außer dass sie den Auslöser dafür liefert. Denn die Erwartung haben wir selber erzeugt, unter der Annahme, dass sie auch eintreten wird, was wir aber nie mit Sicherheit wissen können. Mit dieser Sichtweise bleibt die Verantwortung bei uns selbst. Das bedeutet auch, dass wir die Auswirkungen der Störung nur in uns selbst verändern und beruhigen können.
Gewohnheitsmäßig tendieren wir zum ersten Paradigma. Die Ursache für die Störung liegt außerhalb von uns. Selbst wenn es sich um eine körperliche Störung handelt, empfinden wir unseren Körper in solchen Momenten wie einen Außeneinfluss. Außerdem kommt diese Sichtweise, die allgemein vorherrscht, unseren Überlebensstrategien entgegen. Wir haben dieses Vorgehen früh erlernt, auch an den Vorbildern der Eltern und anderer Erziehungspersonen. Da es von den meisten Menschen benutzt wird, wird es auch kaum in Frage gestellt. Deshalb ist nicht verwunderlich, dass unsere erste und unmittelbare Reaktion auf eine Störung im Ablauf unseres Lebens die Suche nach einer Ursache im Außen ist. Die Ursache setzen wir mit Schuld und Verantwortung gleich. Sobald wir wissen, wer die Störung angezettelt hat, wer also ihr Urheber ist, wissen wir, wer aus unserer Sicht schuld ist. Wir wissen, an wem wir unsere Enttäuschung und unseren Zorn abladen können. Damit fühlen wir uns aus dem Schneider. Der Zorn führt uns aus der Hilflosigkeit heraus.
Allerdings ist die Wut immer ein zweischneidiges Schwert. Durch sie entladen wir die angestaute Frustenergie, bleiben aber im Groll auf die Täterperson, die die Störung verursacht hat, in der Opferrolle. Die Wut führt uns nicht aus der Kränkung heraus, sondern bestärkt uns im Ressentiment gegenüber unseren Mitmenschen oder gegen andere Faktoren, die nicht unserer Kontrolle unterliegen.
Das Paradigma der Außenverursachung folgt einem mechanistischen Modell: Ein Außenreiz drückt auf einen Knopf (Triggerpunkt) und sogleich entsteht das innere Gefühl der Frustration und des Ärgers. Es wird ein Automatismus ausgelöst. Diese Sichtweise stimmt insofern, als wir keinen willentlichen Einfluss auf unsere unmittelbaren Reaktionen auf Au0enereignisse haben. Die Stresshormone werden so schnell ausgeschüttet, dass wir mit unserer Bewusstheit nicht eingreifen können. Das Modell ist aber andererseits irreführend, weil wir unsere Reaktion verändern können, sobald sie uns bewusst wird und wir sie nicht für selbstverständlich nehmen, sondern für eine Eigenproduktion, deren Produktionsbedingungen wir auch ändern können.
Unsere Erwartungen stecken hinter dem, was wir als Störung erleben
Damit sind wir beim zweiten Paradigma, das aus unserer Bewusstheit entwächst. Wir gelangen zu dem Verständnis, dass es nur unsere selbstgebastelten Erwartungen sind, die unsere Enttäuschungen bewirken und dazu führen, dass wir uns gestört fühlen. Mit dieser Einsicht legt sich schnell der Frust und wir entspannen uns wieder. Sobald wir diese Einstellung zur Gewohnheitsreaktion werden lassen, verschwindet der Begriff Störung aus unserem Repertoire: Es gibt nur Ereignisse, die uns dazu bewegen, unsere Erwartungen zu verändern. Auf diese Weise gewinnen wir mehr Gelassenheit in unserem Leben.
Übungen in der Innenversenkung und Gefühlsbeobachtung, die wir regelmäßig praktizieren, sind eine Hilfe zur Entmachtung der Reaktionen auf Störungen. Auch wenn wir eine Meditation machen, tauchen Störungen auf – Außengeräusche oder Gedankenschleifen. Da die Übung darin besteht, die Aufmerksamkeit von der Störung auf das Innere, z.B. auf das Fließen des Atems zurückzulenken, lernen wir, bei uns selbst zu bleiben und jede Störung zu verabschieden.
Hier ein Zitat von Edgar Allan Poe: "Den Grad der Versunkenheit eines Meditierenden können wir ermessen an der Art, wie er auf eine Störung reagiert. Je tiefer sein Erschrecken, desto seichter sein Nachdenken und umgekehrt."
Noch ein Zitat, diesmal von Albert Einstein:
„Wer glaubt, dass andere schuld sind an der eigenen Unzufriedenheit, der glaubt auch, dass Bleistifte Rechtschreibfehler machen.“
Zum Weiterlesen:
Störungen zerstören Illusionen
Störungen in der Meditation
Erwartungen und Enttäuschungen
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