Ein statistischer Befund: Das reichste Prozent der Weltbevölkerung kassiert ca. 19 Billionen $ als jährliches Einkommen, was so viel ist wie ein Viertel des globalen Bruttoprodukts (GDP). Bei diesen Zahlen sollte man mitbedenken, was daraus folgt: Ein Viertel all der Arbeit, die wir leisten, all der Ressourcen, die wir der Umwelt entnehmen und all der Klimagase, die wir emittieren, geschieht zu dem Zweck, damit die kleine Schicht der superreichen Leute noch reicher wird.
Und dann hören wir, dass sich Leistung doch auszahlen sollte
und wir den Reichen ihren Reichtum nicht neiden sollten. Schließlich wolle doch
jeder gerne reich werden, aber die wenigsten schaffen es, und die sind eben
besonders gut und fleißig. Wer mehr leistet, kriegt eben mehr.
Was aber, wenn all diese Rechtfertigungen einer Ideologie
entspringen, einer Kopfvernebelung? Die Vorstellung, dass Reichtum 1:1 das
Ergebnis von Leistung ist, lässt sich nicht aufrechterhalten. Das gilt für
Individuen und für Gesellschaften. Vielmehr ist die Gleichsetzung von Reichtum
und Leistung ein Konstrukt, eine ideologische Leistung, mit der es den
Propagandisten der Leistungs- und Reichtumsgesellschaft gelungen ist, die
Menschen zu manipulieren. Sie sollen die Reichen bewundern für ihren Reichtum
und verstehen, dass sie es selber zwar schaffen könnten, aber aufgrund ihrer
Mangelhaftigkeit nie schaffen werden.
Absurde Maßstäbe
Es fällt schnell auf, dass da absurde Maßstäbe am Werk sind,
wenn es Leute gibt, die in fünf Tagen so viel verdienen wie der Durchschnitt in
einem Jahr. Das müssten Menschen sein, die 73mal so viel leisten wie der
Durchschnitt, und das Tag für Tag. Es ist sofort einsichtig, dass es nicht die individuelle
Arbeitsleistung ist, die den Unterschied macht, sondern das System, das eine
Leistung höher bewertet als eine andere, und zwar in exorbitanten, und man
könnte sogar sagen, unverschämten Ausmaßen. Die Existenz von Milliardären und
Superreichen erscheint aus der Sicht einer egalitären Ethik als ein Skandal,
als ein unerträglicher Missstand. Aber auch der einfache Menschenverstand sieht
klar, dass es obszön ist, wenn einige Wenige Unmengen im Geld schwimmen, das
ihnen Tag für Tag zugespült wird, oft ohne dass sie einen Finger rühren, während
viele viel zu wenig kriegen, Millionen hungern und Hunderttausende an Hunger
sterben müssen.
Natürlich ist es nicht die Schuld oder ein moralisches
Versagen der Betroffenen, reich zu sein. Die meistens von ihnen meinen auch von
sich selber, dass sie sich ihr Geld redlich verdient haben, oft auch dann, wenn
sie es bloß geerbt haben oder aufgrund einer Erbschaft über wesentlich bessere
Startbedingungen verfügen als alle anderen. Es handelt sich auch in den meisten Fällen nicht um illegal
erworbenen Reichtum, sondern wurde nach allen Regeln des Rechtsstaates
angehäuft. Es ist also kein Verbrechen, reich zu sein.
Wir mögen diese Menschen als tolle Typen, intelligente
Geschäftemacher oder geniale Visionäre bewundern und verehren, als Menschen, die
besondere Leistungen erbracht haben. Wir können sie aber auch als Nutznießer
des Profitsystems und als Beschleuniger des Kapitalismus ansehen, die besonders
von Mechanismen profitiert haben, durch die die Geldflüsse so lenken, dass sie
dorthin fließen, wo schon viel Geld ist. Tatsächlich ist jeder Cent, den ein
Superreicher in seiner Tasche oder auf einem seiner steuergeschonten Konten hat,
zum weitaus größten Teil aus der Arbeit anderer Menschen entstanden.
Was jemand leistet, ob bettelarm oder superreich, verdient
Anerkennung und verhältnismäßigen Ausgleich. Es macht wohl keinen Sinn, wenn
jeder Tätigkeit der gleiche finanzielle Ausgleich zusteht, wie es in manchen
Utopien gefordert wird. Es macht einen Sinn, wenn ein Arzt mehr verdient als
die Reinigungskraft. Es macht aber keinen Sinn mehr, wenn die Unterschiede ins
Unermessliche wachsen. Superreichtum entsteht, wo es keine Verhältnismäßigkeit
mehr gibt, die die Gier mäßigt und für Balance sorgt. Übermäßiger Reichtum
entsteht nicht aus übermäßiger Leistung, sondern aus dem Ausnutzen derer, die
die Knochenarbeit im Schweiß ihres Angesichts leisten und damit vergleichsweise
bestenfalls mit Brosamen abgespeist werden. Reiche Menschen sind nicht wegen
ihres Reichtums böse, obwohl ihnen Jesus den Zugang zum Himmelreich
abgesprochen hat, weil sie nicht durch ein Nadelöhr kommen, sie sind nur
besonders geschickt darin, das System für die eigenen Interessen auszunutzen. Dem
kapitalistischen System ist es völlig egal, ob die Akteure, die es antreiben,
ein soziales Gewissen haben oder nicht. Es begünstigt jene, die seine Regeln skrupellos
und giergetrieben befolgen.
Reichtum und ökologische Belastung
Dazu kommt, dass die Verfügung über Reichtum mit einem
höheren Verbrauch an Ressourcen verbunden ist. Die Reichen bekommen nicht nur
mehr, sie nehmen auch mehr aus dem Reichtum der Natur. Sie schneiden also am
meisten ab beim Aneignungs- und Vernichtungsprozess, mit dem die moderne
Wirtschaft die natürlichen Vorräte ausbeutet und plündert, und konsumieren gleichzeitig
wesentlich mehr als die Armen oder die Otto-Normalverbraucher. Sie tragen
deshalb mehr bei zum Turbo des Kapitalismus und sind deshalb auch interessiert
daran, dass die Mechanismen verfeinert werden, die sie im doppelten Sinn zu den
Profiteuren macht: Sie geben ihnen mehr vom Kuchen auf der Einkommensseite und
erlauben ihnen, mehr zu konsumieren. Vielleicht hätte jeder gerne eine Yacht
oder einen Privathubschrauber, aber nur wenige können ihn sich leisten. Wer etwas
davon sein Eigen nennt, wird es auch nutzen und entsprechend die Ressourcen
dafür verbrauchen, die man sich locker leisten kann.
Es gibt reiche Menschen, die ihre soziale Ader nicht
verdrängt haben und Teile ihres Vermögens in karitative oder
zukunftsorientierte Stiftungen einbringen. Doch die individuelle Großzügigkeit
von einzelnen Wohlhabenden rechtfertigt nicht ein System, das strukturell
bedingt die Armen und Ärmeren konsequent benachteiligt, die arbeiten können,
soviel nur geht, ohne dass mehr dabei herausschaut als dass sie nicht
verhungern müssen oder dass sie ein bisschen materielle Sicherheit schaffen
können. Auf der anderen Seite bringt die Leistung einer Unterschrift Millionen
ein.
Reichtum und Verpflichtung
In einigen großen Religionen werden die Reichen zu
besonderer Großzügigkeit gegenüber den Armen verpflichtet. Reichtum gilt hier
nicht primär als das Ergebnis eigener Leistung, sondern als letztlich von Gott
gegeben, mit dem Auftrag, zu teilen. Diese Religionen haben offenbar
verstanden, dass eine Gesellschaft nur dann im Gleichgewicht bleibt, wenn die
Unterschiede zwischen reich und arm gering gehalten werden und es zu
Verwerfungen kommt, wenn die Reichen von ihrem Reichtum nichts teilen, sondern
ihn nur für sich verkonsumieren. Die Kombination von Reichtum und Verpflichtung
zu sozialer Gerechtigkeit hat die Armut nicht beseitigt, aber die Entkoppelung
von Reichtum und Scham verhindert. Reichtum galt nicht als etwas, mit dem sich
das Ego des Reichen stolz brüsten kann, sondern das es in Bescheidenheit
annehmen sollte und mit der Haltung der Barmherzigkeit den Armen gegenüber
verbinden musste, um sich nicht sündhaft, also schambeladen zu fühlen. Die
ethische Trennlinie verläuft zwischen der gemeinnützigen und der eigennützigen
Verwendung von individuellem Wohlstand.
Die Ausbreitung des Kapitalismus in der Epoche der Neuzeit,
von Europa ausgehend, hat die soziale Wirkung der Religionen unterhöhlt und den
Individualismus der Profitanhäufung verstärkt, emotional getrieben von Gier.
Auch die Aufklärung hat mit ihrer Religionskritik den Einfluss der Religionen
zurückgedrängt, während andererseits die Etablierung der Menschenrechte die Stellung
der Schwachen in der Gesellschaft gestärkt und damit zur Begründung und Verbreitung
des Sozialismus beigetragen hat. Manche sehr einflussreiche Teile der christlichen
Religion, besonders der katholischen Kirche haben sich auf die Seite der
Reichen und damit der Mächtigen gestellt und den Sozialismus bekämpft, der sich
stark für die Rechte der Wenigerbemittelten eingesetzt hat. Damit haben sie den
ausbeuterischen Kapitalismus unterstützt und die Armut der Armen ideologisch gerechtfertigt.
Der Calvinismus mit seiner Ethik der Reichtumsanhäufung hat diese Ideologie
besonders gestärkt, vor allem in den USA, die damit zur Wirtschaftsmacht Nr.1 aufgestiegen
sind und zugleich die Nr.1 im Ressourcenverbrauch und zum Hauptausbeuter der
Natur wurden.
Im Zug der Ausbreitung des Kapitalismus schotteten sich die
Reichen immer mehr ab, um der Scham, die mit Ausbeutung, Güteranhäufung und sozialer
Ungerechtigkeit verbunden ist, zu entkommen.
Wir erwarten von den Reichen, dass sie sich Inseln kaufen und riesige
Villen bauen, dass sie viele Autos haben und teuer essen gehen. Wir erwarten
vielleicht, dass ihre illustren Frauen einmal im Jahr einen Charity-Abend
veranstalten, bei dem sie ein paar Tausend Dollar für die armen dickbäuchigen
Kinder in der Sahelzone sammeln. Wir erwarten aber nicht mehr, dass sie ihren
Reichtum mit der Allgemeinheit teilen. Wenn sie das tun, freuen wir uns darüber
und schätzen es, weil es die Ausnahme darstellt und keinem ethischen Gebot mehr
unterliegt.
Strukturelle Korruption
Die Reichen haben sich verständlicherweise sehr bemüht, die Ideologie,
die die eigene privilegierte Stellung befestigt, ins Zentrum der Gesellschaft
zu bringen, was ihnen zu einem großen Maß gelungen ist. Viele Geldmittel
fließen diesem Zweck zu, Parteien, die die Steuer- und Einkommensprivilegien
der reichen Minderheit vertreten, werden großzügig unterstützt. Man kann diese
Vorgehensweise auch als strukturelle Korruption bezeichnen, weil Politiker
damit manipuliert werden, nicht das Allgemeinwohl ins Zentrum ihres Wirkens zu
stellen, sondern die Interessen einer winzigen Minderheit, deren Wohlstand
durch die Leistungen der großen Mehrheit finanziert wird. Damit bekommt die Minderheit
mit ihrer finanziellen Übermacht einen überproportionalen Machteinfluss, ohne
dass es dafür eine demokratische Kontrolle gibt. Das politische
Ungleichgewicht, das die Demokratie gefährdet, kann nur durch Aufklärung und
durch die Einführung von Parteispendengrenzen behoben werden.
Das Wirtschaftssystem des Kapitalismus erzeugt und mehrt
Reichtum bei einer Minderheit. Es kann nur durch politische Willensbildung
begrenzt werden. Und dieser Wille kann sich nur dann bilden, wenn er nicht der
Macht des Geldes unterworfen ist. Die Entmachtung des Kapitalismus als eines
Systems, das von der Wirtschaft in alle gesellschaftlichen Bereiche eindringt
und sie seinen Prinzipien unterwirft, ist der entscheidende Weg, um das weitere
Auseinanderklaffen der Schere zwischen arm und reich rückgängig zu machen. Wir brauchen
mehr soziale Gerechtigkeit, wir brauchen mehr Schambewusstsein, wo es um die
Fragen von reich und arm geht. Und wir müssen uns von der Gleichsetzung von
Reichtum und Leistung verabschieden, weil es eine Ideologie darstellt, die uns,
soweit wir nicht zu den Millionären und Milliardären zählen, Schaden zufügt und
die bestehenden Ungleichheiten verschärft.
Zum Weiterlesen:
Abschied vom Kapitalismus
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