Mittwoch, 28. September 2016

Das spielerische Universum

Alan Watts, Mystiker und Religionsphilosoph (gest. 1973), beschreibt das Universum als grundlegend spielerisch. „Es gibt für das Universum keinerlei Notwendigkeit. Das heißt, dass es kein Ziel hat, an dem es ankommen sollte. Aber ist kann am besten durch die Analogie mit Musik verstanden werden, weil Musik, als Kunstform, im Wesentlichen spielerisch ist: Wir sagen: ‚Du spielst Klavier‘ und nicht: ‚Du bearbeitest das Klavier.‘
Wenn du reist, versuchst du irgendwo hinzukommen. In der Musik aber macht man das Ende einer Komposition nicht zum Sinn der Komposition. Wenn es so wäre, wären die besten Dirigenten jene, die am schnellsten spielen, und dann gäbe es Komponisten, die nur Finali schreiben. Die Leute gingen ins Konzert,  nur um einen krachenden Akkord zu hören, weil das das Ende ist. Ebenso ist es mit dem Tanzen. Du zielst nicht auf einen bestimmten Punkt im Raum, an dem du ankommen solltest. Der ganze Sinn des Tanzens ist der Tanz.“


Wie geht es uns mit einem singenden und tanzenden Universum?


Wir haben unsere lineare Zeitvorstellung und konstruieren nach ihr unser Leben und darüber hinaus auch alle Prozesse im Universum. Wir haben unsere Vergangenheit, die mit der Empfängnis und der Geburt beginnt, und unsere Zukunft, die wir uns so oder so ausmalen. Ebenso wissen wir um den Urknall und der nach ihm entstehenden Entwicklung, die über Milliarden von Jahren bis zu uns, in diesen Moment geführt hat. Wir haben auch Ideen, wie es weitergehen wird und gehen davon aus, dass es das Universum irgendwann einmal auch nicht mehr geben könnte.

Die Macht der linearen Zeit ist so groß, weil wir sie in unseren täglichen Aktivitäten brauchen. Ohne Zeitpläne könnten wir viele Dinge unseres Lebens nicht erledigen und viele Aufgaben nicht bewältigen. Sie ist tief in unsere inneren Abläufe hineinverwoben und prägt unser Entspannungs- wie unser Stressverhalten.

Es geht auch nicht darum, die lineare Zeitvorstellung abzuschaffen. Da könnten wir keine Termine mehr ausmachen und wüssten nicht, wann wir morgens aufstehen sollten. Wir würden keinen Zug erreichen, noch würde uns ein Zug erreichen.

Hinter der linearen Zeit steckt das Zweckdenken, und darauf hat es Alan Watts abgesehen. Alles, was wir tun, soll einen Zweck haben. Alles, was keinen Zweck hat, ist unnotwendig, weil es nichts zur Linderung einer Not beiträgt. Deshalb werden die Künstler oft etwas mitleidig und herablassend von denen betrachtet, die etwas „Gescheites“ gelernt haben und als Tätigkeit ausüben, eben etwas, das in irgendeiner Weise direkt zur Überlebenssicherung beiträgt.

Die Kunst hingegen übt sich in der Zweckfreiheit, sie ist um ihrer selbst willen da, nicht, weil sie für irgend einen Zweck verwertbar ist. Sie zeigt dem Menschen, dass es anders auch geht – anders als im Hamsterrad steckend immer wieder dieselben Aktionen ausführen, ohne Freiheit und Kreativität. So zumindest sehen viele Künstler ihre nicht kunstschaffenden Zeitgenossen. 


Wie ist also das Universum?


Ist es nach dem Lebensmodell der Künstler beschaffen oder nach dem der Zweckrationalisten? Alan Watts geht von einer reinen Behauptung aus: Das Universum ist so und nicht anders. Wenn wir jeden Drang nach dem Innehaben der letzten Wahrheit zurücknehmen, bleibt uns nur zu sagen: Wir wissen überhaupt nicht, wie das Universum im Ganzen funktioniert, ob es einen Zweck enthält, ob es wie ein Kinderspiel oder wie eine Oper gestaltet ist. Wir wissen, wie einzelne Zusammenhänge im Universum ablaufen, kennen Gesetzmäßigkeiten und Wahrscheinlichkeiten. Immer mehr davon wird erforscht.

Allerdings übersteigt die Frage nach dem Gesamtprinzip den Horizont des Wissbaren. In Wirklichkeit befinden wir uns im Raum reiner Spekulation. Und wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir uns aussuchen, was uns besser gefällt: Ein nach Zwecken entworfenes Universum, z.B. eines, das sich zum immer Besseren weiterentwickelt oder eines, das sich an sich selber zugrunde richtet, oder eines, das von einem Moment in den nächsten geht, ohne Zusammenhang und Sinnverbindung.

Die Inder haben für diese Sichtweise einen eigenen Namen gewählt: Lila, die als die spontane Seite von Brahman gilt, seine Verspieltheit und Absichtslosigkeit zum Ausdruck bringt. Die Vielzahl ihrer Götter bietet den Vorteil, sich für jeden Geschmack oder für jede Lebensstimmung eine jenseitige Vertretung aussuchen zu können.

So ähnlich können wir es handhaben. Es gibt kein Menschenwesen, das einen authentischen Einblick in das große Ganze hat oder haben kann. Und das ist auch gut so. Denn mancher, dem es gerade oder länger schon nicht gut geht, würde sich zusätzlich gefrozzelt fühlen, wenn ihm jemand erzählen würde, sein Unglück sei nur eine Spiellaune des Universums, dem gerade nichts Besseres eingefallen wäre. Und wer daran interessiert ist, dass die Zustände, in denen wir leben, zu mehr Menschlichkeit und Freiheit verbessert werden, hätte auch wenig von einem Weltbild, wo alles, was geschieht, nur ein zweckfreies Tanzen ist, das sich selbst genügt.

Andererseits mag das Bild der tanzenden Götter jemandem helfen, der scheinbar in seinen Handlungszwängen feststeckt. Wie wäre es für den Finanzmanager, der mit dem Aktenkoffer von einem Termin zum nächsten hetzt, wenn er dabei ein paar Tanzschritte einschaltet? Vielleicht könnte eine solche kleine Veränderung ein neues Lebensgefühl erzeugen? Oder wenn jemand, dem irgendeine Routinetätigkeit beim Hals heraushängt, diesen ein paar Mal in alle Richtungen verrenkte?

Kreativität heißt, immer das andere zu nutzen als das, was sich gerade aufdrängt. Wenn wir von der mühseligen Energie der Schöpfergottheit in Anspruch genommen sind, kann es uns befreien, ein Quäntchen von der musischen Göttin lebendig werden zu lassen. Wenn wir im Zweckfreien nicht mehr weiter wissen, können wir uns nach einer Ausrichtung umschauen, die uns mit einer Aufgabe betraut, sodass wir mehr von dem zum Universum beitragen, was wir in uns haben.

Ähnlich geht es uns auf Reisen: wir wollen irgendwo hin, aber dort dann tun, was gerade kommt. Wir setzen uns den Zweck, mehr von der Freiheit zu genießen. Und so können wir vieles in unserem Leben erleben: die Morgenroutine oder das Unterwegssein von A nach B, das Lesen eines Buches oder das Ausfüllen der Steuerabrechnung.

Und auch wenn es um unseren inneren Weg geht, so ist das ein Weg auf ein Ziel hin und zugleich ist er zweckfrei. Wäre er nur ein Tanz, so würden wir nur weitergehen, wenn wir Lust darauf verspüren; wäre es nur zielgerichtete Anstrengung, kämen wir auf diesem Weg nicht weiter, der zur Absichtslosigkeit führt. Wir brauchen Motivation, wenn wir irgendwo steckenbleiben, und wir brauchen Vertrauen, dass im Grund alles gut ist, wie es ist.

So schwindet der Unterschied zwischen dem Zweckhaften und dem Spielerischen: Das Zweckhafte erkennen wir in sich als etwas Verspieltes und das Verspielte hat dann auch seinen tieferen Zweck.

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