Mittwoch, 23. Dezember 2015

Selbst- und Außenbeziehung in Meditation und Therapie

Meditation ist eine uralte Methode, zu sich selber zu finden und in der Bewusstheit zu wachsen. Die Versenkung in sich selbst in Stille, so die ursprüngliche Form der Meditation, konfrontiert mit dem unruhigen Treiben im Inneren, den ablenkenden Gedanken und nagenden Gefühlen, führt zu mehr und mehr innerem Frieden, wenn sie regelmäßig und konsequent geübt wird. Eine wichtige Wurzel der Meditation liegt in Indien, und vor allem durch den Buddhismus hat sich die Praxis des stillen Sitzens in weiten Teilen Ostasiens verbreitert. Auch aus christlichen und islamischen Traditionen stammen verschiedene Formen der Besinnung. In neuerer Zeit („New Age“) sind viele Methoden der Meditation weiterentwickelt und verbreitet worden. 

Erste-Person-Perspektive und Zweite-Person-Perspektive


In der Meditation geht es vor allem um die Selbstbeziehung, mit dem paradoxen Ziel, das Selbst zu überwinden oder aufzuheben oder aufzulösen. Oft heißt es: Du kannst den Weg oder die Lösung nur in dir finden. Die Selbstbegegnung führt dazu, dass das Selbst immer weniger wichtig wird, und das, was die Quelle oder der Hintergrund des Selbst ist, rückt immer mehr in den Vordergrund.

Meditation erfordert eine konsequente Praxis, um Veränderungen zu bewirken. Sie wird meistens für sich selber geübt, jedoch häufig unter Anleitung durch Lehrer, Meister, manchmal auch durch Texte. Sie besteht also in der Auslotung der Erste-Person-Perspektive: Ich mit mir selber. Dazu kommt meist eine Instanz im Außen, die für Rückmeldungen, Fragen oder Korrekturen zuständig ist.

In der Selbsterfahrungsszene kombinieren wir oft Meditation und Therapie miteinander. In diesem Beitrag geht es darum, genauer zu bestimmen, was der eine und was der andere Weg bewirken kann und wie beide Methoden zusammenpassen.

Therapie arbeitet auf und wirkt vor allem durch die Zweite-Person-Perspektive. Sie beinhaltet zwar sehr wesentlich die Erste-Person-Perspektive: Der Therapeut muss wissen, wie sich der Klient fühlt, was er denkt und was sonst in ihm vorgeht. Aber diese inneren Inhalte werden in die Kommunikation eingebracht und erhalten dadurch eine andere Bedeutung. Deshalb ist die Selbstbeziehung eng mit der zwischenmenschlichen Beziehung verknüpft.

Deshalb ist es möglich, dass in der Therapie Mängel in den Außenbeziehungen, z.B. zu den Eltern ausgeglichen und aufgefüllt werden. Damit stärkt sich auch die Innenbeziehung, z.B. durch ein verbessertes Selbstwertgefühl. Auf der Grundlage einer Vertrauensbeziehung werden dann in der Therapie tiefliegende Themen mit Hilfe verschiedener Methoden behandelt. Die Anwesenheit einer mitfühlenden zweiten Person erleichtert die Begegnung mit angstvollen, verletzenden und verstörenden Erinnerungen aus traumatischen Situationen. 


Meditation heilt keine Traumen und Beziehungsdefizite


Meditation kann keine Traumen heilen. Das ist nicht ihre Aufgabe, und dazu gibt es Therapie. Da wir alle verschiedene traumatische Erfahrungen in uns tragen, werden wir therapeutische Hilfe brauchen, wenn wir auf dem inneren Weg weiterkommen und nicht in unseren Mustern steckenbleiben wollen. Durch Meditation können wir zwar die Traumafolgen, also unsere Reaktionsweisen in Retraumatisierungssituationen abmildern und abfedern und damit unser Ausmaß an Leiden verringern und unsere Handlungs- und Leistungsfähigkeit erhöhen. Aber zur Heilung von Traumen in der Tiefe bedarf es einer geleiteten Hilfe durch eine erfahrene Person.

Wohl kann es sein, dass durch intensive Meditationserfahrungen tief verwurzelte und verdrängte Traumen aufgerissen werden. Das kann zu spirituellen Krisen führen, zu Notzuständen, in denen sich spirituelle und traumatische Erfahrungen vermischen, sodass im Extremfall die Person funktions- und lebensunfähig werden kann. Sie braucht dann intensive therapeutische Hilfe und Begleitung.

Meditation kann auch keine Beziehungsdefizite heilen. Meditation verbessert zwar die Beziehung zu sich selbst, indem der Innenkontakt und der innere Sinn verbessert und vertieft wird. Sie kann auch für den Umgang mit Beziehungsthemen hilfreich sein, weil die reaktiven Muster in der Kommunikation abgeschwächt werden. Menschen mit viel Erfahrung in Meditation regen sich weniger auf und gehen gelassener mit Stresssituationen um, auch im Beziehungsbereich. Aber das, was in den frühen Beziehungen gefehlt hat, vor allem an väterlicher und mütterlicher Zuwendung und Aufmerksamkeit, kann durch noch so viel Meditieren nicht aufgefüllt werden.

Manchen passionierten Meditierer hat die Tiefe der Eigenversenkung schon über die Schwächen in Kommunikation und zwischenmenschlicher Offenheit hinweggetäuscht. In Abwandlung eines bekanntes Spruches könnte man deshalb sagen: Wenn du glaubst, erleuchtet zu sein, verbringe eine Alltagswoche mit einer Person, mit der du eine Liebesbeziehung hast. Das Original lautet: Wenn du glaubst…, verbringe eine Woche mit deinen Eltern. In den meisten Fällen wird das auf das Gleiche hinauslaufen.

Ohne Korrektur von außen wissen wir niemals mit Sicherheit, ob wir am richtigen Weg zur Wahrheit sind oder uns in Selbsttäuschung verlieren. Unser Ego ist so trickreich, dass es auch lernen kann, sich in die Meditation und ihre Erfolge einzuschleichen. Die beste äußere Korrektur sind andere Menschen – solche, die uns nahestehen, solche, die uns wichtig sind, denn sie beherrschen es (meist unbewusst) am besten, unsere berühmten Knöpfe zu drücken. Und es bedarf auch solcher Menschen, die ein erfahrenes Auge für unsere Schwächen und ein liebevolles Auge für unsere Qualitäten haben. Diese beiden Augen braucht ein Lehrer der Meditation und ein Psychotherapeut.

Und jeder, der sich auf den inneren Weg begibt, braucht es, gesehen zu werden, von liebevoll aufmerksamen Augen, die nichts Abwertendes im Sinn haben, aber sich nicht blenden zu lassen und in der Lage sind, das Sein hinter dem Schein wahrzunehmen. Denn sonst macht sich das spirituelle Ego dort breit, wo niemand von außen Zutritt bekommt. Die eigenen blinden Flecken bleiben blind und dunkel.

In der Meditation öffnen sich innere Räume, die wir in der Therapie nie betreten können. Sie reichen über die Verwundungen und Verletzungen, die wir mit uns tragen, hinaus. Wir erkennen deren Relativität und Kleinlichkeit angesichts dessen, was das Leben an Überraschungen und Wundern zu bieten hat. Doch ist auch das Relative und Kleine mächtig, wenn wir uns seiner nicht annehmen. Gerade wenn wir uns darüber aus eigener Vollkommenheitsverblendung hinwegtäuschen, wirkt es umso massiver, denn wir können uns so abschotten, dass wir nicht merken, was wir anderen antun und wie sie unter uns leiden. Wir können nichts in uns wegmeditieren, sondern müssen uns so lang damit beschäftigen, bis es von selber schwindet. Das ist wichtig für uns selber, damit es uns gut mit uns selber geht, und auch für die anderen, mit denen wir unser Leben teilen, damit sie es gut mit uns haben. 

Vgl. Der Achtsamkeitsboom
Die Erleuchtungsfalle

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