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Abgesehen von der starken Metaphorik dieser Bibelstelle sowie die ähnlich lautenden Zitate nach Joel im folgenden Text (apg 2, 17-21) stellt sich für mich die Frage, wie wir heute, also nach der Aufklärung, das Zusammenwirken von Geist und Materie verstehen können.
Wie kommt also der Geist in die Materie? – Wie kommen wir überhaupt auf diese Frage? Sie setzt ja voraus, dass der Geist von der Materie unabhängig existiert, und die Materie unabhängig von ihm. Stammt diese Frage aus dem Verstand oder handelt es sich um eine Grundfrage des Seins?
Gibt es ein geheimnisvolles Drittes?
Um die Fragwürdigkeit der Fragestellung zu verstehen, können wir sie mit dem folgenden Szenario vergleichen: Zwei Menschen schauen einander in die Augen. Und dann käme da etwas Drittes von außen dazu, die Beziehung zwischen den beiden Menschen: z.B. der Grad an Anziehung/Abstoßung, Sympathie/Antipathie, Nähe/Distanz, Wohlfühlen/Stress usw. Zuerst wären da zwei Menschen, und dann, im Lauf der Begegnung, kommt der Geist der Begegnung, der Geist ihrer Beziehung dazu.
Von wo soll dieses Dritte dazu kommen? Gibt es da irgendwo ein Reservoir, das solche Beziehungsgeister ausschüttet, wenn danach Bedarf ist? Offenbar ist ja das Geistige immateriell, sonst wäre es ja Materie. Also kann es an keinem Ort sein. Also kann es auch von keinem und an keinen anderen Ort kommen. Es kann sich ja im Raum nicht bewegen, weil es unräumlich ist. Es kann demnach auch nicht von einem Außen in ein Innen gelangen, weil eine solche Bewegung ja Räumlichkeit voraussetzt.
Vielmehr können wir die Wirklichkeit so verstehen: Es treffen zwei Körper-Geist-Wesen zusammen, wodurch ein Kontakt, eine Beziehung entsteht. Diese hat wiederum Körper-Geist-Komponenten und ist solange aktiv, solange dieses Zusammentreffen dauert. Danach verschwindet auch der Kontakt und wird durch andere Kontakte ersetzt, die neu entstehen. Da kommt nichts von "außen" dazu, noch von "innen", weil schon alles da ist. Nur in der Zeitreihe treten neue Phänomene auf, z.B. eine Begegnung, und andere Phänomene verschwinden wieder.
Wie soll der Geist in die Materie kommen?
Was sollte sich es abspielen, dass der Geist in die Materie kommt, die vorher geistlos existierte? Die Materie wird dabei "durchgeistigt", sie kriegt also eine zusätzliche Qualität. Wie sollte die Materie diese Qualität aufnehmen? Welche Rezeptoren würde sie benötigen, damit das Geistige einfließen kann? Und wie macht es das Geistige, dass es sich mit dem Materiellen verbindet, wo doch beide aus getrennten Sphären kommen. Wie soll sich also etwas, das nicht im Raum ausgedehnt ist, mit etwas verbinden, das im Raum ist? Wenn sich zwei Wesen die Hand reichen, um sich zu verbinden, sind sie beide in der gleichen räumlichen Sphäre; einem nichträumlichen Wesen kann man keine Hand reichen und so kann man mit ihm auch keine Verbindung aufnehmen.
Aber: Es könnte sich ja um eine kommunikative Verbindung handeln, die also immateriell abläuft. Schließlich haben die Bedeutungen dessen, was geredet wird, keine materielle Form. Information ist immateriell. Also kommuniziert das Geistige mit dem Materiellen. Doch Vorsicht: Wenn das Geistige der kommunikative Gehalt ist, also das Immaterielle an dem, was geredet wird (und nicht die Schallschwingungen, die auf Trommelfelle und Gehörknöchelchen treffen), braucht es Materielles, um gesendet und um empfangen zu werden. Dann müsste das Geistige, das mit dem Materiellen kommunizieren will, materiell werden, damit es etwas aussenden kann, was vom Materiellen auch empfangen werden kann. Es müsste sich also in Materie verwandeln und dazu noch für die Übertragung Materie nutzen. Dann kann der Empfänger die Nachricht aufnehmen und verarbeiten.
Es gibt gar keine Trennung
Es zeigt sich, dass das Geistige nicht darum herumkommt, materiell zu werden, wenn es in die Materie kommen will. Da sehen wir, wie sich das Denken selbst austrickst. Ausgehend von der Idee, dass Geist und Materie getrennt sind, muss es sich verbiegen, um wieder zusammenzubringen, was es vorher getrennt hat.
Gehen wir dagegen davon aus, dass es die Trennung gar nicht gibt, dass also Materie geistig und Geist materiell ist, sparen wir uns diese Ungereimtheiten – und wir können sogar verstehen, wie es zu diesen Selbstverwirrungen des Verstandes kommt.
Also kann es kein Außen geben, kein unabhängiges Drittes, das "dazu" kommt. Es gibt nur, wie im obigen Beispiel, die zwei Menschen, die in der Beziehung sind, miteinander verbunden, gleichzeitig, in einem, eines nicht ohne das andere. Sobald sie miteinander Kontakt aufnehmen, ist dieser Kontakt schon da, und damit das Neue, das gerade entsteht, die zwei Menschen und das, was sie verbindet. Sobald der Kontakt aufgelöst wird, verschwindet auch das Verbindende.
Übertragen auf das Materie/Geist-Problem heißt es, dass Materie nicht ohne Geist sein kann und umgekehrt. Es kann also nicht eins ins andere kommen, weil es das eine ohne das andere gar nicht geben kann. Materie kann Materie sein, weil sie Geist ist, und Geist kann Geist sein, weil er Materie ist.
Was dann die oben zitierte Bibelstelle zum Pfingstwunder aussagen kann, ist, dass die Apostel in dem wundersamen Moment erkannt haben, dass Geist und Materie eins sind, und diese Einsicht war so universell und grundlegend, dass sie „in allen Sprachen“ sprechen konnten. Absolute Wahrheiten kann man nämlich in allen, weil in keiner Sprache ausdrücken.
Esoterischer Materialismus
Woher kommt nun die Idee der ursprünglichen Trennung, die ein Wudner benötigt, um wieder aufgehoben zu werden?
Paradoxerweise kommt die Fragestellung („Wie kommt der Geist in die Materie“) etwa im Zusammenhang mit der Empfängnis meist aus esoterischer oder pseudospiritueller Richtung, die aber bei genauerer Betrachtung auf reduktionistisch-materialistischen Annahmen beruht. (Ein materialistischer Reduktionismus behauptet, dass es nur Materie gibt und dass das Geistige aus der Materie abgeleitet ist.) Denn nur eine materialistisch reduzierte Wahrnehmung kann auf die Idee der Getrenntheit kommen, wie sie im "Hinzukommen" des Geistes zur vorher leb- und geistlosen Materie gedacht wird.
Deshalb führt die Fragestellung in eine spirituelle Sackgasse, indem sie einem Etikettenschwindel unterliegt. Sie nennt sich zwar spirituell, obwohl sie in Wirklichkeit durch und durch materialistisch denkt: Der Geist wird wie eine Sache behandelt. Er wird verräumlicht und verdinglicht. Nur Dinge können in andere hineinkommen, wie eine Katze in Schrödingers Schachtel oder Luft in einen Ballon.
Scheinbar handelt es sich um Denkfehler, Bequemlichkeit in der Begrifflichkeit oder Nachlässigkeit in der Reflexion. Tatsächlich können wir hinter dem versteckten Materialismus der Esoteriker einen psychischen Mechanismus vermuten, der mit der Entstehung des Verstandesdenkens aus der Dissoziation zusammenhängt. Wie andernorts beschrieben, kann der Verstand als Derivat der Traumaverarbeitung erklärt werden, vor allem dort, wo er dual operiert, also wo er Spaltungen und Trennungen beinhaltet.
Da sich bei der Traumaerfahrung das Bewusstsein von der Wirklichkeit abspaltet, um sich vor der überwältigenden Massivität der Erfahrung zu schützen, wird dieser Vorgang zur grundlegenden Sichtweise des dabei gebildeten Verstandesdenkens. Es ist dafür geeignet, mit traumatischen Situationen umzugehen, aber nicht dazu, die Wirklichkeit zu verstehen. Denn diese liegt vor dem Trauma, und sie kennt keine Abspaltungen, weil ihre Natur das Fließen ist.
Die Wirklichkeit muss sich nicht mit sich selbst zusammenbringen, um wirklich zu werden. Sie ist schon immer wirklich, unabhängig davon, was jemand über sie denkt. Das Denken jedoch, das von der Angst vor der Wirklichkeit geprägt ist, sucht einen Weg, um sich wieder mit dieser Wirklichkeit verbinden zu können. Das führt dann zu Vorstellungen, wie der Geist in die Materie kommt. Übersetzt heißt das: Der Verstand verbindet sich wieder mit der Wirklichkeit, von der er sich in der Traumabewältigung abgespalten hat. Doch geht das nicht mit dem Denken, sondern damit, dass die Angst aufgelöst wird, die der Spaltung zugrunde liegt. Es geht also nur über die Auseinandersetzung mit den Körpererinnerungen.
In der Vorstellung, dass der Geist in die Materie kommt, z.B. dass bei der Empfängnis die Seele "in den Körper schlüpft", schöpft also der Verstand die Hoffnung, mit der Wirklichkeit wieder eins zu werden, ohne sich mit dem angstauslösenden Trauma befassen zu müssen. Er suggeriert dem Bewusstsein, dass die Abspaltung nicht stattgefunden hat, der Geist ist ja in die Materie gekommen. Wenn er hineingekommen ist, kann er auch jederzeit wieder herausgehen, wenn es also gefährlich wird, steht der Verstand als Retter bereit, um in die sichere Welt der Dissoziation zu flüchten. Als letzte Fluchtmöglichkeit schließlich bietet er eine Form des Jenseits nach dem Tod an, in der die Qualitäten der Sphäre der Dissoziation auf ewig genossen werden können.
Das sind die Mittel, die der Verstand zur Bannung der Angst anbietet. Sie dienen, die traumabedingten Gefühle in der Abspaltung zu halten, um sich nicht mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Sie verhindern damit die Heilung und Entspannung und liefern die Energie für den Widerstand gegen eine therapeutische Auflösung der imaginativen Bedrohungen.
Es steht also jede Philosophie, die von einer Trennung von Materie und Geist ausgeht, im Dienst der Abwehr der inneren abgetrennten und verdrängten Themen und verhindert das Zurückfinden zum Fließen des Lebens, das in sich eins ist von Anfang bis zum Ende.
Vgl. Die Idee der Inkarnation und die allgemeine Vernunft
Das Ego und die Dualität
Das Ego und die Idee der Unsterblichkeit
Danke für den schönen Beitrag. Finde den Artikel sehr klar und verständlich, woran sich zeigt, wie gut Du das Thema schon durchdrungen hast.
AntwortenLöschenIch möchte noch einen recht vagen Gedanken anfügen, der sich auf die Frage bezieht, wie in der Wissenschaft mit der Trennung zwischen Geist und Materie umgegangen wird. Die Wissenschaften können grundsätzlich in zwei Gruppen eingeteilt werden: formale oder logische Wissenschaften und empirische Wissenschaften. Zu den formalen Wissenschaften zählen praktisch nur die Logik (als Teildisziplin der Wissenschaftstheorie) und die Mathematik. Alle anderen wissenschaften sind empirische Wissenschaften, deren Gegenstand als irgendwelche weltlichen Erscheinungen festgemacht weden muss. Aus der Mathematik des frühen 19ten Jahrhunderts stammt die Idee des "Laplaceschen Dämon". Damit ist gemeint, dass es möglich sein müsste, eine Weltformel aufzustellen (man müsste dazu "nur" sämtlicher Naturgesetze und alle Initialbedingungen wie Lage, Position und Geschwindigkeit der im Kosmos vorhandenen physikalischen Teilchen kennen). Damit wäre es möglich jeden vergangenen und jeden zukünftigen Zustand zu berechnen und zu determinieren. Der Laplacesche Dämon ist damit sozusagen die Idealform der Trennung zwischen Geist und Materie - reiner Geist der dazu ermächtigt vollkommenes Wissen zu erlangen.
Bekanntlich ist Wissen ja Macht. Daran wird sichtbar wie sehr die Trennung zwischen Geist und Materie auch mit dem Wunsch beziehungsweise der Erfordernis nach der Beherrschung und Kontrolle der Welt in Zusammenhang steht.
Der Laplacesche Dämon ist spätestens seit dem Heisenberg'schen Unschärfeprinzip und den Arbeiten von Kurt Gödel (eines der bedeutendsten Logiker des 20. Jahrhunderts) wiederlegt. Offen bleibt die Frage woraus das Streben nach Wissen resultiet? Ist es die Erfahrung der Spaltung und die daraus resultierende Erfordernis der Kontrolle (in diesem Fall ist es wohl mit Schutzgefühlen verbunden) oder ist es die Erkenntnis an sich und die Neugierde?
Lieber Wolfgang,
AntwortenLöschendanke sehr für diese wertvollen Ergänzungen. Ich würde deine abschließende Frage mit "beides" beantworten: Wir haben das (letztlich technologische) Bedürfnis nach Kontrolle und Herrschaft und wir haben eine unbändige Neugier. Ich denke, die Natur als ganze ist auch so, wir sind da keine Ausnahmen.
Liebe Grüße
Wilfried