Donnerstag, 8. Januar 2015

Bildung und Gewaltlosigkeit

Bildung ist eine Form des inneren Wachsens, eine Form der Therapie. Sie macht mit neuen Inhalten bekannt. Neue Inhalte bereichern das Innere und erweitern den Spielraum des Erkennens und Denkens. Dadurch erweitert sich auch der Spielraum
des Handelns. Wir werden flexibler und weltoffener. 

Im vergangenen Jahr gab es neben vielen anderen Grausamkeiten wieder gezielte Anschläge auf die Bildung, so z.B. das Kidnapping einer ganzen Mädchenschule in Nigeria durch die Boko Haram-Terrorgruppe (Boko Haram bedeutet soviel wie "Bücher sind Sünde") im April und der Angriff der Taliban auf eine Schule in Pakistan im Dezember. 

Malala Yousafzai, die als 17-jährige 2014 den Friedensnobelpreis bekommen hat, selbst Opfer des bildungszerstörenden Wahnsinns, schreibt: “Die Extremisten fürchten sich vor Büchern und Stiften, die Macht der Bildung macht ihnen Angst. Sie fürchten sich vor Frauen. ... Ich will keine Rache an den Taliban, ich will Bildung für die Söhne und Töchter der Taliban.” 

 Malala hat verstanden, dass Terror nur solange Bestand haben kann, als die Bildung minimiert bleibt. Ungebildete Menschen sind manipulierbare Menschen. Menschen, die Bildung genossen haben, haben zumindest eine Art der Basistherapie durchlaufen, die sie weiter sehen und kritischer denken lässt. 

Leider gibt es auch gebildete Menschen, die Gewalttaten begehen und Terrorregime begründen. Doch sie sind rare Ausnahmen in dem immer breiter werdenden Feld von Menschen, die sich bilden und weiterbilden und auf diesem Weg erkennen, dass Gewalt niemals und nirgends zur Lösung von Problemen beiträgt. 

Menschen mit Bildung haben gelernt, dass es immer mehr als eine Sichtweise gibt und dass deshalb Probleme unter den Menschen das Gespräch brauchen, um gelöst zu werden. Im Gespräch werden die unterschiedlichen Sichtweisen miteinander in Kontakt gebracht, und damit entsteht zwischenmenschliches Verstehen, das verbindet. Menschen, die im Verständnis verbunden sind, kommen nicht mehr auf die Idee, dass Gewalt ihre Konflikte lösen könnte. 

Im Großen betrachtet: Die Gräueltaten der bildungsfeindlichen Extremisten sind im Grunde hilflose Versuche, eine Entwicklung der Menschheit, die fast alle ihre Mitglieder wollen, mit Gewalt aufzuhalten. Jeder tote Mensch, jeder Verletzte, der in diesem sinnlosen Morden umkommt, ist ein tragisches Opfer von kurzsichtiger Brutalität. Sinnlos ist das Morden, weil es die Menschheit ist, die sich von sich aus weiter bilden möchte, Männer wie Frauen, Mädchen wie Jungen, Kinder wie Ältere, "westliche" wie "östliche" Menschen. 

Es ist traurig, zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass es noch viele Opfer des Bildungshasses geben wird. Und es ist traurig zu sehen, dass sie für Sinnlosigkeiten sterben müssen, dass die Täter einen aussichtslosen Kampf kämpfen, der ihnen selber nicht mehr bringt als ein kurzzeitiges Gefühl des Triumphes, das angesichts der übermächtigen Gegnerschaft, nämlich die bildungswillige Menschheit, schnell verschwinden wird. 

Dieses Jahr hat die UNO der Erforschung des Lichts gewidmet. Dabei wird eines arabischen Gelehrten gedacht, der vor tausend Jahren zu den gebildetsten Menschen seiner Zeit gehörte und wegweisende Schriften zur Optik und zu anderen Themen der Physik verfasst hat: Ibn Al-Haytham. Er ist nur ein Beispiel für die unschätzbaren Beiträge der Welt des Islams zur Gelehrsamkeit und Bildung auf dieser Welt. 

Denjenigen, die angesichts der vielfachen bildungsfeindlichen Terroraktivitäten mit moslemischem Hintergrund in Islamophobie verfallen, täte es gut, an die bücherverbrennenden Nationalsozialisten zu denken, die unsere Großväter und Urgroßväter gewesen sein können, mitten im bildungsstolzen Deutschland und kulturverliebten Österreich, die nach der Eroberung von Polen zu Beginn des 2. Weltkriegs nicht nur die dortigen Juden, sondern auch die "Intellektuellen" gezielt verfolgten und ermordeten. Das und viele andere Grauslichkeiten mehr gehören zu jenem Abendland, das manche lautstark meinen verteidigen zu müssen. 

Wir als Nichtmuslime brauchen uns folglich kein bisschen besser fühlen als die Anhänger der islamischen Religion. Jede pauschale Ausgrenzung vertieft die Gräben und macht uns selber kein Quäntchen besser. Wir können nur hoffen, dass die große Zahl an rechtschaffenen Muslimen geschlossener gegen ihre radikalisierten Glaubensgenossen auftreten, um ihnen die Sinnlosigkeit ihres Agierens bewusst zu machen - und dass sie uns mitteilen, wie wir sie dabei unterstützen können. 

Bildung trägt keine Masche, sie ist von sich aus weder westlich noch christlich oder was auch immer. Natürlich haben geschlossene Gesellschaftssysteme und Diktaturen immer versucht, die Bildung für ihren Machterhalt zu kanalisieren, aber kein Unterdrückungsregime hat es je geschafft, auf der Basis der Bildungszensur längerfristig zu überleben. Denn wo Bildung begonnen hat, hört sie von selber nicht wieder auf. Wer einmal gelernt hat zu lesen, wer einmal gelernt hat, das Internet zu nutzen, wird in der Welt des Wissens und der Informationen immer wieder auf Neues stoßen, was den Horizont erweitert und das bisher Gewusste relativiert. Der Hunger nach Bildung ist, einmal entfesselt, unstillbar, wie die menschliche Kreativität unerschöpflich ist. 

 Was für die Welt der Bildung gilt, gilt auch in ähnlicher Weise für die Welt des Kulturschaffens - dies geschrieben am Abend eines brutalen Terroranschlages gegen eine Kultureinrichtung.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen