Außerkörperliche Erfahrungen (OBE = Out of Body Experience) sind oftmals dokumentiert. Viele Menschen, die die Erfahrung gemacht haben, aus ihrem Körper herauszutreten und z.B. oberhalb schwebend ihren am Boden liegenden Körper zu betrachten, haben von einem ganz besonderen und herausragenden Gefühl berichtet, als etwas, das sie ihr ganzes Leben nicht mehr vergessen würden.
Aus: Metzinger S. 124 |
In
Wikipedia ist zu lesen, dass in den meisten von 50 untersuchten Kulturkreisen
„die Vorstellung existiert, der Geist oder die Seele könne den Körper
verlassen. Auch die Struktur von außerkörperlichen Erfahrungen ähnelt sich
weltweit. Allerdings ist die Interpretation dieser Erfahrungen wesentlich vom
jeweiligen religiösen Umfeld abhängig.“
Jeder
Mensch kann aber auch ganz einfach die Möglichkeit von außerkörperlichen
Erfahrungen nachempfinden. Wir brauchen nur an ein vergangenes Erlebnis denken,
z.B. wie wir irgendwann einmal eine Wanderung unternommen haben. In den meisten
Fällen wird die Erinnerung so auftreten, dass wir uns von außen, meist leicht
von oberhalb wahrnehmen, wie wir da irgendwo dahinspazieren. Wir befinden uns
also an einem außerhalb des Körpers gelegenem Beobachtungspunkt und betrachten
von dort aus unseren Körper in Bewegung.
Zum
Unterschied von einer echten außerkörperlichen Erfahrung haben wir dabei
allerdings bei solchen Alltagsszenen das deutliche Bewusstsein, dass es sich um
eine Erinnerung handelt und dass wir im gegenwärtigen Moment ganz im Körper
sind. Bei echten OB-Erfahrungen ist der Realitätscharakter sehr stark, es
besteht also der ganz klare Eindruck, dass es sich nicht um eine Vorstellung
oder Erinnerung handelt, sondern um eine reale Erfahrung in der Gegenwart.
Außerkörperliche Erfahrungen und die Seele
Vielen
gelten solche Erfahrungen als Beweis für den Dualismus zwischen Leib und Seele.
Offensichtlich ist es so, dass Menschen über die Möglichkeit verfügen, dass
ihre Seele den Körper verlässt und ihn von außen betrachtet. Also muss diese
Seele über eine eigenständige Existenzform verfügen, die ihr ein vom Körper
unabhängiges Dasein gestattet. Damit wäre klar, dass sie nach dem körperlichen
Tod weiter existieren kann, bzw. vor der Empfängnis an einem anderen Ort gewesen
sein kann, von wo aus sie dann z.B. in die befruchtete Eizelle „schlüpft“.
Die
menschliche Existenz zwischen Empfängnis und Geburt wäre dann eine duale: Zwei Wesenheiten
finden zu einer zusammen, die eine „geistig“ und die andere „materiell“, wobei
die geistige von längerer oder ewiger Zeitdauer und die materielle eben auf die
Lebenszeit begrenzt wäre. Solche Vorstellungen einer unsterblichen Seele sind auch
in den meisten Religionen sowie in esoterischen Kreisen in der einen oder
anderen Form maßgeblich.
Wissenschaftliche Forschungen
Inzwischen
gibt es umfangreiche Forschungen zum Phänomen der außerkörperlichen Erfahrungen.
Eine der für den Zusammenhang mit dem Leib-Seele-Dualismus wichtigsten
Erkenntnis hat sich zufällig ergeben: Bei der Suche nach dem Herd von epileptischen
Störungen wurden bei einem Patienten durch die Reizung einer bestimmten
Gehirnregion außerkörperliche Erfahrungen ausgelöst.
Es
konnten in der Folge bestimmte Gehirnareale lokalisiert werden, die für die
Auslösung dieser Zustände maßgeblich sind. Eine jüngere Hypothese aus der
Forschung geht dahin, dass zwei Störungen zusammenkommen müssen, um einen
außerkörperlichen Erfahrungszustand zu erzeugen: Zwei verschiedene
pathologische Bedingungen müssen zusammenkommen, damit ein OBE ausgelöst wird: „Zum
einen eine Desintegration auf der Ebene des Selbstmodells, die dadurch
entsteht, dass Informationen über den eigenen Körper, die aus dem Tast- und
Gesichtssinn sowie aus der propriozeptiven Eigenwahrnehmung stammen, nicht mehr
zu einer Ganzheit verbunden werden können. Zum anderen ein Konflikt zwischen
dem äußeren, visuellen Raum und dem inneren Bezugsrahmen, der durch vestibuläre
Information erzeugt wird.“ (Metzinger, Ego-Tunnel 143) (vestibulär = den
Gleichgewichtssinn betreffend)
Die
besonderen Glücksgefühle, die bei OBEs auftreten können, werden von der
Wissenschaft mit der Ausschüttung von Endorphinen und anderen Botenstoffen
erklärt, die in extremen Stresssituationen z.B. bei Unfällen oder Operationen vorkommen.
Wenn
wir diese wissenschaftlichen Befunde ernst nehmen, folgt daraus, dass es bei
außerkörperlichen Erfahrungen nicht um eine Spaltung zwischen Geist und Körper geht,
sondern dass ein Koordinationsproblem innerhalb des Gehirns vorliegt. Solche
Erfahrungen sind also (wie alle unsere Erfahrungen) Produktionen des Nervensystems.
Das Gehirn ist in der Lage, in sich selbst die Spaltung herbeizuführen, die zu
einer Doppelung im Bewusstsein führt - das Ich-Bewusstsein bewegt sich mit dem
außerkörperlichen Körper aus dem Körper heraus, während der ursprüngliche
Körper als Objekt wahrgenommen wird. Es handelt sich also um eine seltsame und
selten auftauchende Erfahrung innerhalb des Gehirns, das in solchen Fällen die als
total real erfahrene Illusion erzeugt, als wäre der Körper und damit auch das
Bewusstsein außerhalb seiner selbst.
Die
Nähe und Verwandtschaft mit traumabedingten dissoziativen Zuständen wurde
ebenso dokumentiert. Auch wenn es Unterschiede zwischen verschiedenen Formen
der Dissoziation gibt, scheint es doch möglich, dass das Gehirn einen Vorgang
bereithält, der in Situationen extremer Bedrohung einen außerkörperlichen
Zustand erzeugen kann.
Vermutlich
liegt der evolutionäre Sinn solcher Zustände darin, das Bewusstsein von überwältigenden
Schmerzerfahrungen abzutrennen und damit zum Überleben unter lebensbedrohlichen
Umständen beizutragen. Möglicherweise werden während dieser Abspaltung
Ressourcen mobilisiert, die dazu beitragen, dass die Erfahrung anschließend
besser bewältigt werden kann. Wenn nun OBEs in Situationen ohne offensichtliche
Bedrohung auftreten, kann das entweder ein Wiederbeleben einer früheren
traumatischen Situation sein, oder die Reaktion wird durch eine andere
Umstände, wie z.B. bei der Epilepsie durch Änderungen im Hirnstrombild,
ausgelöst.
Die
Tatsache, dass außerkörperliche Erfahrungen in Wirklichkeit Erfahrungen
innerhalb des Körpers, also innerhalb des Gehirns sind, das in der Lage ist, eine
sehr überzeugende Illusion herzustellen, entzieht den Schlussfolgerungen der
Leib-Seele-Dualisten den Boden unter ihren Argumenten.
Umgekehrt
ist die Vermutung naheliegend, dass solche Erfahrungen, über die Menschen immer
wieder im Lauf der Geschichte berichtet haben, schon in frühester Zeit dazu
geführt haben, dass der Glaube an eine vom Körper unabhängige Seele überhaupt
entstanden ist und sich bis heute gehalten hat. Da Menschen erlebt haben, dass
sie sich mit ihrer „Seele“ aus ihrem Körper herausbewegen können, und
überzeugend davon berichtet haben, wurde dieser „Seele“ eine Art dinglicher
Existenz unabhängig vom Körper zugesprochen. Nun jedoch, mit dem Vorliegen
wissenschaftlicher Befunde, die uns klar vor Augen führen, dass unser Gehirn
selber in der Lage ist, solche Vorstellungen mit ihrer ganzen Überzeugungskraft
hervorzubringen, müssen wir diese Form des Glaubens aufgeben, wie jene an die
so augenfällige „Tatsache“, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Wieder
müssen wir ein Stück Entzauberung der Welt hinnehmen.
Was
wir mit dem Begriff der „Seele“ machen, steht auf einem anderen Blatt. Wir
werden ihn weiter verwenden, weil er uns hilft, vieles verständlich zu machen,
was in uns und in anderen abläuft. Außerdem hat er so vielfältige Bedeutungen,
dass wir schwerlich auf ihn verzichten können. Stattdessen von „neuronaler Selbstorganisation“ oder „innerem Informationsfluss“ zu reden, mag für wissenschaftlich
denkende Menschen befriedigend sein. Lyrischer angehauchte Gemüter werden sich
aller wissenschaftlicher Terminologie zum Trotz immer wieder auf die
Schwingungen ihrer „Seele“ und ihres „Gemüts“ einlassen.
Die
Verfechter des Leib-Seele-Dualismus müssen sich wohl andere Gründe einfallen
lassen, um ihre These zu stützen. Auf phänomenologische Erfahrungen können sie
dabei leider nicht mehr zurückgreifen, denn diese sind immer „innerhalb“, also
Teile des von unserem Gehirn beständig erzeugten Selbstmodells. Es läuft also
immer ein materieller Vorgang ab (Nervenzellen, die aktiv sind), wenn eine
solche geistigen Erfahrung gemacht wird, gleich, was ihr erlebter Inhalt ist.
Wenn wir also noch so fest davon überzeugt sind, in einer anderen Galaxie
unterwegs zu sein, turnen wir in Wirklichkeit nur in einer Ecke unseres
Innenbewusstseins herum, das von einer riesigen Menge von feuernden Neuronen
hergestellt wird.
Wir
können uns weiterhin auch an den Wundern dieser Welt der Selbstmodelle freuen,
selbst wenn der Begriff der „Seele“ seine Unschuld verloren hat. Sollte uns der
Verlust der Sicherheit, die wir durch den „Besitz“ einer unsterblichen Seele
hatten, zu mehr Bescheidenheit und zu mehr
Wissen des Nichtwissens verleiten, sollte das nicht unbedingt zu unserem
Schaden sein. Was wir wissen können, macht uns reicher und bringt uns in mehr
Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, was wir nicht wissen, wird uns immer
neugierig machen; was wir nicht wissen können, hilft uns, die Begrenztheit unserer
Erkenntnisfähigkeit zu akzeptieren. Bloße Meinungen, Phantasien und Glaubensinhalte,
die wir mit Wissen verwechseln, entfernen uns von der Wirklichkeit und von uns
selbst.
Literatur:
Thomas Metzinger, Der Ego Tunnel. Berlin: Bloomsbury 2009
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