Shakespeare ließ Hamlet sagen: There is nothing
either good or bad, but thinking makes it so. (Hamlet 2,2) - An sich ist nichts weder gut
noch böse, das Denken macht es erst dazu.
Die
Wirklichkeit ist also weder gut noch schlecht, sondern unsere Wahrnehmung ist
es, die das Etikett darauf klebt. Was mir gut tut, stimmt mich gut, was mir
schlecht tut, trübt meine Stimmung. Der Regen ist dem einen Segen und dem
anderen Fluch, dem einen bringt er Glück, dem anderen Verderben. Für sich
selbst ist der Regen einfach Regen.
Es
gibt jede Menge Argumente, die diese Sichtweise unterstützen: die endlose
Blutspur von Gräueltaten, die sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, die
giergetriebene Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, die tagtäglichen
Respekts- und Lieblosigkeiten usw. Eine andere Unendlichkeit von Argumenten
unterstützt ihr Gegenteil, den anthropologischen Optimismus. Er behauptet, dass
es einen Fortschritt gibt, der das Leben und die Lebensbedingungen der Menschen
immer mehr verbessert und es damit den Menschen erlaubt, immer besser zu
werden: In vielen Ländern ist die Angst vor dem Verhungern und vor Seuchen
gebannt, Jahrtausende verfeindete Nationen haben zu einem friedlichen
Zusammensein gefunden, viele Menschen setzen sich selbstlos für Notleidende ein
usw.
Man
kann endlos Argumente bringen für das Gute oder das Böse, für das Edle oder das
Verkommene im Menschen. Ich behaupte hier, dass es keine Frage ist, die
empirisch oder statistisch bewiesen werden könnte. Es gibt keine Waagschale,
die groß genug wäre, alle Ansichten und Meinungen zu sammeln, die für das eine
oder das andere sprechen. Es gibt auch keinen Maßstab, der die Motive und Handlungen
der Milliarden von Menschen, die auf diesem Planeten leben und gelebt haben,
vergleichen und gegeneinander abwägen könnte.
Sei optimistisch!
Vielmehr
meine ich, dass es sich um einen ethischen Appell handelt: Wir mögen, sollen,
müssen optimistisch sein! Das ist ein Appell, der nicht unserer Willkür unterliegt,
sondern behauptet, Gutes zu befördern und Schlechtes hintanzuhalten, für die
Einzelnen und für die Gemeinschaft.
Was
soll das? Wer will mir anschaffen, dass ich die Welt schwarz oder weiß zu sehen
hätte? - Missverständnis: Natürlich geht es nicht um einen allgemeinen
autoritativ verkündeter Imperativ, um eine Norm, die eingefordert oder
erzwungen werden könnte. Sondern es geht um eine Selbstverpflichtung, die wir
in uns finden können, wenn wir erkennen, dass sie für uns und für andere von
größerem Nutzen ist als die Orientierung am Gegenteil. Dabei kann uns die Einsicht
helfen, dass der Optimismus auf der Verbindung mit unserem inneren Leben,
unserer Natur und ihren Vollzügen beruht, dass also ein recht verstandener
Optimismus mehr unserem Wesen als Menschen entspricht als der Pessimismus.
Der Pessimist ist ein Egoist
Zunächst
zur Kritik am Pessimismus: Meist verwenden wir ihn als Ausrede, häufig
selbstkokettierend. Ich male mir was besonders Übles aus für die Zukunft, um
dann erleichtert zu sein, dass es doch nicht so schlimm gekommen ist. Auch die
Weltuntergangspropheten und ihre Anhänger spekulieren mit dem relativen Gewinn,
den der präventive Pessimismus verspricht: Tritt die Katastrophe ein, haben sie
zumindest kurzfristig Recht. Tritt sie nicht ein, können sie erleichtert sein,
dass wenigstens diesmal nichts passiert ist. Relativ ist der Gewinn, weil er
einen Selbstbetrug enthält: Der Gewinn liegt bestenfalls im Nichtstattfinden
eines imaginierten Unheils.
Pessimisten
kultivieren ihre Ängstlichkeit. Statt sich ihrer Ängste anzunehmen, manchen sie
daraus Theorien und Gedankengebäude, mit denen sie diese Ängste verstärken und
verewigen. Alle Argumente, die sie für ihre
Position in Anspruch nehmen, sind von solchen Ängsten aneinandergereiht.
Dabei
taugt der Pessimismus nicht einmal zur Begründung der eigenen Lebenspraxis. Er
rechtfertigt alleine einen nichtsnutzigen Fatalismus: Wenn alles schon schlecht
ist und nur noch schlechter wird, hat es keinen Sinn, etwas dagegen zu tun. Der
Einsatz für das Gute oder das Bessere wird verächtlich abgewertet, weil er, wie
jedes Engagement, aus der Sicht des Pessimismus dumm und sinnlos ist.
Damit
fördert und propagiert der Pessimist nichts als seine Weltanschauung, die sich
durch sein Denken und Tun fortwährend selbst bestätigt. Er nutzt die
Mechanismen der selektiven Wahrnehmung, mit deren Hilfe alles weggefiltert oder
weginterpretiert wird, was der negativen Weltsicht und Zukunftserwartung
widersprechen könnte und sorgfältig alles gesammelt wird, was belebt, wie
schlecht die Menschen und ihre Umstände sind.
Ignoriert
oder verraten wird die Kraft des Lebens, die über unsere Zwecksetzungen hinaus
das individuelle Leben, die Gemeinschaften und die Kulturen weiterentwickelt.
Und damit verknüpft ist ein Schaden für uns und für unsere Umgebung.
Der
Pessimist ist ein Egoist. Er mutet seiner Umwelt seine Missstimmung, seine
Ängstlichkeit und sein Jammern zu und sorgt dafür, dass die Stimmung der
anderen hinuntergezogen wird.
Weshalb
sind Pessimisten unehrlich zu sich selber? Indem sie verleugnen, was die Kraft
des Lebens in ihnen bewirkt, verleugnen sie, wer und was sie sind. Sie
verdrängen oder vergessen, dass sie die ganze Zeit, während sie ihrem
Pessimismus huldigen, leben und dass sie dieses Leben nicht sich selber, sondern
einem größeren Ganzen zu verdanken haben. Ohne das Wirken dieses Lebens in
ihnen wären sie nicht bis dorthin gekommen, wo sie jetzt sind, ohne dieses
Wirken würden sie es nicht um die nächste Ecke schaffen. Nicht einen einzigen
pessimistischen Gedanken könnten sie fassen, wenn es das Leben in ihnen nicht
zulassen würde.
Wir
haben die Wahl, diese Bewegung des Lebens, und im größeren Rahmen der
Bewusstseinsevolution zu unterstützen und ihr unseren kleinen Beitrag
hinzuzufügen oder sie zu bremsen und zu blockieren, weil wir nicht ihrer
Weisheit vertrauen, sondern unseren engstirnigen, mit Angst versetzten
Konditionierungen.
Natürlich
ist niemand ohne Grund pessimistisch. Wir können und sollen immer wieder
versuchen, die Gründe zu verstehen, wenn unsere Mitmenschen in ihren negativen
Lebenserwartungen gefangen sind. Aber wir müssen uns nicht auf das Spiel der
Pessimisten einlassen und sollten uns von ihren Ängsten nicht anstecken lassen.
Optimisten
verringern dagegen das Ausmaß der Angst in der Welt. Deshalb sollten wir zu
ihnen gehören. Denn wenn wir die Angst vermehren, arbeiten wir aktiv an der
Verschlechterung der Welt mit. Mehr Angst bewirkt mehr Gier und Gewalt, mehr Leid
und Not. Deshalb sollten wir uns dem Vertrauen auf das Gute verpflichten.
Manche
Pessimisten verstecken ihren Selbstbetrug hinter einem eingeschränkten
Realismus - sie setzen sich eine Brille auf, die alles Gute wegfiltert und
behaupten dann, dass der Blick auf die Realität lehre, dass das Schlechte das
Gute überwiege. Doch, wie wir von Hamlet gelernt haben, ist es nicht die
Realität, die gut oder schlecht ist, sondern der Blick auf sie, womit der
Pessimist nichts Neues verkündet als: Ich will, dass die Welt schlecht ist und
immer schlechter wird, und bestätige mir das durch meine selektive Wahrnehmung.
Ich erkenne, was ich erkennen will, erkenne also nichts als meine eigene
Erwartung. Ich sperre mich in das Gefängnis der permanenten Selbstverweise, von
dem Hamlet spricht, und das letztlich in den Wahnsinn treibt.
Für einen realistischen Optimismus
Der
optimistische Realismus dagegen bedeutet, die Realität als Gegenüber für die
eigenen Wünsche und Ideale zu akzeptieren. Die eigenen Fantasien sind nicht
immer das, was das Gute ist, weil sie aus unseren vergangenen Erfahrungen
gespeist sind, die wiederum die Spuren alter Ängste beinhalten. Da kann uns die
Begegnung mit der Realität lehren, dass alles immer auch anders sein kann, als
es unserer Vorstellung entspricht. Damit werden unsere Ideen daran gehindert,
sich zu verfestigen und realitätsverzerrend in unsere Wahrnehmungsfilter
einzudringen.
Der
optimistische Realismus ist nicht blind. Er versucht, die ganze Bandbreite der
Geschehnisse zur Kenntnis zu nehmen: Von den übelsten Unmenschlichkeiten,
Kurzsichtigkeiten und Engstirnigkeiten bis zu den erhabensten Leistungen. Er
beschönigt nicht, was hässlich ist, und vermindert nicht, was gut gelungen ist.
Er sucht das nichtgelebte Potenzial im Misslungenen und übertreibt keine Erfolge.
Er weiß um den langen Atem der Geschichte, die oft erst nach vielen Mühen die
Lektionen, die aus den Fehlschlägen erwachsen, erlernt. Er vertraut aber
darauf, dass dieses Lernen einmal stattfinden muss und dass sich dadurch etwas
zum Besseren wenden wird.
Optimistischer
Realismus heißt darüber hinaus, den Sinn in der jeweils erfahrenen Realität zu
entdecken: Was könnte uns das Leben mit dem, was gerade passiert, erzählen und
mitteilen wollen? Ich suche also keine Bestätigung meiner Erwartungen in den
Geschehnissen, sondern das Neue darin, das, was ich nicht vorausberechnen oder
vorhersehen kann. Denn jede sich erfüllende Prophezeiung beweist nur, dass ich
die Wirklichkeit dazu missbrauche, um meine vorgefertigten Konzepte zu
bestätigen. Der realistische Optimist befindet sich vor allem in der Gegenwart
und versucht immer wieder, in sie zurückzukommen. Der Pessimist lebt in der
Vergangenheit, die ihm vorschreibt, wie er die Wirklichkeit zu sehen hat.
Die
Selbstverpflichtung zum Optimismus beinhaltet also auch die uneingeschränkte
und bedingungslose Gesprächsbereitschaft mit der Wirklichkeit. Sie enthält die
Offenheit, sich immer wieder belehren und überraschen zu lassen, und daraus
erwächst die Fähigkeit, kreativ und innovativ auf die Wirklichkeit zu
reagieren, was auch immer sie gerade als Herausforderung anbietet.
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