Quelle: Berliner Zeitung |
Hinter den vielfältigen und unterschiedlichsten Konstellationen, die durch die Weitergabe von Gütern nach dem Tod entstehen können, möchte ich auf eine Dynamik hinweisen, die innerpsychisch hinter der massiven Emotionalität steckt, die durch Erbangelegenheiten ausgelöst werden kann. Ich gehe dabei nicht darauf ein, was manche Erblasser mit ihrem Testament machen, indem sie z.B. die „Braven“ belohnen und die „Schlimmen“ bestrafen wollen. Mit solchen Aktionen werden bestehende Konflikte bis über das eigene Grab hinaus weiter geschürt. Ich lasse auch den Aspekt der Geschwisterrivalitäten beseite, die aus der Kindheit stammen und bei Erbstreitigkeiten heftig aufbrechen können. Ich möchte hier auf einen anderen Gesichtspunkt hinweisen.
Ein Erbe zu bekommen, sollte eigentlich als Geschenk empfunden werden: Wir haben, was wir haben, und bekommen ohne weitere Leistung etwas dazu. Ein Erbe haben wir uns nicht verdient (außer wir verstehen uns als haupt- oder nebenberufliche Erbschleicher). Jedenfalls sollten wir unser Leben nicht darauf ausrichten, irgendwann ein Erbe zu bekommen, weil wir dabei auf den Tod einer Person spekulieren.
Erben ist mit dem Tod verbunden. Jemand stirbt und hinterlässt seine Güter. Wenn jemand in unserer Umgebung stirbt, werden wir an unsere eigene Endlichkeit erinnert, und das macht uns Angst. Um diese Angst, die uns meist nicht bewusst ist, zu bewältigen, wollen wir uns die Güter der verblichenen Person sichern. Dinge geben Sicherheit, je mehr davon, desto mehr Sicherheit, je weniger davon, desto mehr Angst. Darum streiten wir, oft mit den unfairsten Mitteln und mit gieriger Zähigkeit, möglichst viel für uns aus dem Kuchen herauszuschlagen. Wir wollen aus dem Tod einer Person möglichst viel Leben für uns herausschlagen.
Natürlich ist die Hoffnung illusorisch, durch möglichst viel Haben mehr Leben zu sichern und den Tod zu besiegen. Wir können uns eben nichts mitnehmen, wenn wir dran sind zu gehen, soviel auch immer wir angehäuft haben. Vielleicht können wir den Zeitpunkt des Todes hinauszögern, wenn wir mehr Reichtum auf der Seite haben: Reiche leben länger als Arme, das weiß auch die Statistik. (Eine Reise vom 1. Wiener Bezirk in den 15., Dauer 10 Minuten mit der U-Bahn, also von einem reichen zu einem armen Bezirk, ist auch eine Reise von hoher zu wesentlich geringerer Lebenserwartung.) Aber früher oder später müssen auch die Reichen das Zeitliche segnen, das wissen wir spätestens seit dem Jedermann.
Es ist also unsere eigene Endlichkeit, an die wir erinnert werden, wenn jemand stirbt. Und diese Erinnerung wird an das Dingliche geknüpft, wenn wir eine Erbschaft machen. Unser Unbewusstes versucht, sich vor dem Grauen des eigenen Endes zu schützen, indem es uns auffordert, möglichst viel aus der Verlassenschaft der verstorbenen Person auf unsere Seite zu bringen. Wir können uns dann ganz auf das konzentrieren, was wir besitzen, damit haben wir genug zu tun und müssen nicht an den eigenen Tod denken.
Die Endgültigkeit des Todes spiegelt sich in der Endgültigkeit einer Erbverhandlung. Wenn die Entscheidung gefallen ist, ist sie endgültig. Deshalb müssen wir gleich mit voller Vehemenz auftreten, um unseren Anteil an der Hinterlassenschaft zu reklamieren. Mit der Abhandlung des Erbes akzeptieren wir auch den Tod der verstorbenen Person endgültig. Doch geht das leicht unter, wenn wir bei der Aufteilung des Erbes unsere Gier befriedigen.
Die Endgültigkeit, die uns immense Angst verursacht, spielt also hinter den Kulissen die eigentliche Regie, wenn Erbstreitigkeiten ausbrechen. So erfinden wir immer wieder Ablenkungen vor der Radikalität des Lebensendes. Unsere Gier nach Gütern und Besitzobjekten ist eine von vielen. Je mehr wir diese Ablenkungen durchschauen, desto weniger binden wir uns an Dinge und gewinnen den inneren Freiraum für das, was hinter den Dingen liegt.
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