Mittwoch, 17. Februar 2016

Die Bagatellisierer und die Übertreiber

Quelle: malters.npage.de
Manchmal suchen sie einander aus, manchmal krachen sie dann aufeinander: Die einen, die sagen: Alles nicht so schlimm, und die anderen: Das ist ja furchtbar - jeweils bezogen auf das gleiche Ereignis. Wir sehen daran nicht nur, dass wir die Wirklichkeit immer in Konzepte packen, sodass es sie in Wirklichkeit gar nicht ohne diese Konzepte gibt. Wir sehen daran auch, dass wir bestimmte Gewohnheiten haben, nach denen wir die Kontexte für unsere Erfahrungen auswählen. Und dass wir uns zu Menschen hingezogen fühlen, die die unserer gegenteilige Strategie vertreten - offensichtlich eine Verführung zum Unglücklichsein, die uns unser Unterbewusstsein präsentiert. Denn die Bagatellisierer leiden unter den Übertreibungen der Übertreiber und die Übertreiber an den Untertreibungen der Bagatellisierer umgekehrt.

Das Leiden der Bagatellisierer oder Minimierer besteht darin, dass sie befürchten, von einer Übermacht des Schrecklichen überrollt zu werden, das die Übertreiber oder Maximierer vor ihnen aufbauschen. Diese wiederum befürchten, dass die Bagatellisierer blind und naiv übersehen, welcher Gefahr sie ausgesetzt sind, und sie selbst deshalb in den Abgrund mitreißen werden.

Beiden geht es um Verstanden- und Gesehenwerden: Die Übertreiber fühlen sich alleingelassen: Sie erkennen das Ausmaß des Furchtbaren und niemand versteht sie. Deshalb müssen sie auf die Bagatellisierer einwirken und sie aus ihrer Lethargie reißen. Ebenso die Bagatellisierer: Sie wollen die Situation entspannen und beruhigen und werden dafür noch bekämpft. Sie werden in ihren löblichen Absichten missverstanden und sollen nun auf Gedeih und Verderb in den Kanon der Übertreiber einstimmen. Weil ihnen jede unnötige Aufregung verhasst ist, wollen sie mit aller Macht auf die Übertreiber einwirken, ihr Treiben zu mäßigen.

Unschwer erkennen wir hinter den polaren Reaktionen das Kampf-Fluchtschema, das in unsere Stressmechanismen eingebaut ist. Wenn wir einer Gefahr ausgesetzt sind, stehen wir vor dieser Alternative. Bagatellisieren heißt, vor der bedrohlichen Wirklichkeit zu flüchten, indem wir den Kopf im Sand vergraben, und übertreiben bedeutet, dagegen zu kämpfen, indem wir den Mund aufmachen, die Zähne zeigen und brüllen.

Mit jeder dieser Haltungen geraten wir in die Enge, weil wir in unserer Angst gefangen sind. Sinnlose Kämpfe kosten unnötige Energie, gelähmtes Wegschauen bindet unnötige Energie. In der Beziehungsdynamik geraten wir ins Dilemma, „uns selbst“ zu verteidigen oder aufzugeben, also eigentlich nur unser Reaktionsmuster, aber das ist schwer genug.

Die Angst-App


Natürlich gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma. Die meisten Bedrohungen, denen wir uns ausgesetzt fühlen, sind Produktionen unseres Kopfes, unserer Angstfantasien. Wir haben eine Traummaschine in unserem Gehirn, die frei fabuliert und koloriert, was an Informationen aus der äußeren Welt geliefert wird. Sie ist eine Funktion unseres Stresssystems, gewissermaßen eine App, die sie sich hochgeladen hat, um sich scheinbar das Leben zu erleichtern: Schneller soll erkannt werden, wo die Gefahren lauern und leichter sollen dann die geeigneten Gegenstrategien generiert werden. Übereifrig erfindet diese Apparatur Ängste und Bedrohungen, die es in der äußeren Wirklichkeit gar nicht gibt. Das Maximieren bzw. Minimieren dieser Fantasieprodukte liegt an der Grundeinstellung der App, entweder eher auf Kampf oder auf Flucht.

Der Vorteil beim Minimieren


Allerdings hat das Übertreiben gegenüber dem Bagatellisieren einen Nachteil (betrachtet von der Aussicht auf mehr Angstfreiheit). Das Übertreiben arbeitet mit einer Verstärkung der Ladung. Es wird mehr Energie ins System gepumpt, dadurch werden die Gefühle intensiver und folglich in der Erinnerung fester eingebrannt, sodass ähnliche Situationen schnell zu ähnlichen Bewertungen und Reaktionen führen. Die Übertreiberin füttert den Angstspeicher erfolgreicher, weil dieser Ereignisse nach dem Grad der Erregung und emotionalen Ladung unterscheidet: Je heftiger, desto prominenter ist die Speicherung.

Beim Bagatellisieren wird die Energie minimiert, und das kann im Fall der Angstlenkung zur inneren Blockade führen. Wenn die Minimierung allerdings in die Entspannung führt, weil die Person erkennt, dass die Gefahr nicht real ist und deshalb nicht so wichtig genommen werden muss, bewegt sie sich auf den Ausweg aus dem Dilemma zu.

Das gilt es zu unterscheiden: Übertreiber können ihr Gegenüber der Bagatellisierung zeihen und dabei übersehen, dass dieses bereits im Entspannungsbereich sind. Das wird sie gemäß der Systemdynamik zur Verstärkung der Übertreibung motivieren, bis sie ihr Gegenüber aus der Entspannungssphäre geholt haben, dann stimmt die allerdings destruktive Dynamik wieder.

Für Übertreiber ist es schwieriger aus dem Zyklus zu entkommen, weil sie aus Gewohnheit mehr Energie in das ohnehin schon angespannte System pumpen. Sie steigern den Stress und brauchen länger, um wieder in die Realität herunterzukommen. Die Bagatellisiererin in der Problemtrance kann zwar auch nicht leicht aus ihrer Haut, aber wenn sie die Entspannung kultiviert, kann sie ihre Einstellung zur Entschärfung der Angstkontexte nutzen. So steht ihr der Weg zur Entspannung offen.

Naivität oder Weisheit?


Im Film "The Bridge of Spies" gibt es einen running gag. Er taucht das erste Mal auf, als der Strafverteidiger dem russischen Spion, der aufgeflogen ist, mitteilt, dass ihm die Todesstrafe droht: "Aren't you worried?" Der Spion darauf: "Would it help?"

Ein Bagatellisierer, ein Stoiker oder ein Weiser? Die Einschätzung hängt ab von der Kontextgewohnheit des Betrachters: Kommt sie aus der Kampf- oder Fluchtperspektive oder hat sie sich schon von diesem Dilemma gelöst? Hat da jemand erkannt, dass es nicht um Flüchten oder Kämpfen geht, sondern um sinnvolles Handeln, wenn dieses möglich ist, und um das Akzeptieren dessen, was unvermeidlich ist?

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