Akzeptieren und Aktivität
Wir sollen um des lieben inneren Friedens willen den Moment
so akzeptieren, wie er ist. Aber heißt das jetzt, dass ich alles so lassen
muss, wie es ist, und nichts gegen das machen soll, was mir nicht passt? Bin
ich also durch das bedingungslose Akzeptieren zur Passivität verurteilt? Muss
ich mir z.B. alles gefallen lassen, wenn andere gemein sind zu mir?
Die Bewusstheit ist die Brücke zur Übereinstimmung mit der
Wirklichkeit. Sie macht uns darauf aufmerksam, wenn eine Trennung geschehen
ist, und mit dieser Einsicht können wir die Verbindung wieder herstellen. Im
nächsten Schritt können wir dann überlegen und entscheiden, was zu tun ist.
Unser Tun wird umso sinnvoller und situationsadäquater sein, je mehr wir die
Wirklichkeit in ihrem Sosein bestätigt haben.
Wir können also nach dieser Reflexion bewusst entscheiden,
ob wir Handlungen setzen, um unguten Entwicklungen vorzubeugen, oder ob wir die
Dinge sich weiter entwickeln lassen, im Vertrauen, dass es sich selber
einregulieren wird.
Die Wirklichkeit ist in dauernder Veränderung, und wir sind
Teil von ihr und von dem Veränderungsprozess. Wir wirken permanent dabei mit.
Wenn wir etwas ändern können oder wollen, steht es uns frei, das zu tun. Doch
können wir jeweils nur von der aktuellen Wirklichkeit ausgehen, vom Annehmen
dessen, was ist, sonst tappen wir mit unseren Änderungsversuchen unweigerlich
daneben und fallen schnell auf die Schnauze. Deshalb ist es unsere Aufgabe,
immer wieder Bewusstheit in das zu bringen, was wir in die Wirklichkeit
einbringen und an ihr verändern. Mit Bewusstheit tragen wir dazu bei, dass sich
die Welt in eine Richtung verändert, die uns stimmig erscheint, manchmal mit
unserem Zutun, manchmal von selbst.
Dazu gehört auch, dass wir aufzeigen, was schief läuft und was
uns gegen den Strich geht. Auch wenn wir akzeptiert haben, dass uns jemand
missverstanden oder abgewertet hat, hindert uns das nicht daran, anzusprechen,
was uns gestört oder verletzt hat. Es geht auch darum, uns selbst in unserer
Verletztheit zu akzeptieren, und aus dieser Erfahrung folgen Handlungen, die
wir wieder akzeptieren können – auch hier wieder: unbeschadet, ob sie uns
gefallen oder nicht.
Es geht beim Akzeptieren nicht darum, einen
Leidensmasochismus zu pflegen oder sich als Weichei zu outen. Es hat nichts mit
Feigheit oder Unterwürfigkeit zu tun. Es ist keine psychologische Schwäche oder
charakterliche Untugend involviert, sondern es handelt sich um eine spirituelle
Übung. Das Akzeptieren enthält keine Handlungsanweisungen. Ob wir den Gleichmut
und die menschliche Größe aufbringen wie Jesus von Nazareth, der die andere
Backe hinhält, wenn ihm auf eine geschlagen wird, oder nicht, ist für die Übung
des Akzeptierens egal. Es gehört auch akzeptiert,
dass wir so auf Grenzüberschreitungen reagieren, wie wir reagieren.
Das Äußere und das Innere akzeptieren
Geht es beim Akzeptieren also nicht nur um die Wirklichkeit
um uns herum, sondern auch um uns selbst?
Die Wirklichkeit umfasst alles, wir haben nur zwei
prinzipiell unterschiedliche Zugänge zu ihr: Die äußere Wirklichkeit nehmen wir
über unsere Außensinne wahr, während uns die inneren Sinne mit der inneren
Wirklichkeit verbinden. Das Akzeptieren der Innenwelt, also die Selbstakzeptanz
ist für unseren inneren Frieden genauso wichtig wie das Akzeptieren der
Außenwelt. Wann immer wir uns durch das Nichtakzeptieren von der Außenwelt
trennen, trennen wir uns genauso von uns selbst, als wenn wir uns selbst
ablehnen. Das Äußere ist immer in unserem Inneren vertreten, und dadurch
enthält das Äußere in unserer Erfahrung immer Anteile von uns selbst. Auch in
dieser Weise besteht eine intensive und dichte Beziehung zwischen innen und
außen, aus der die Erfahrung des Einsseins, wie wir sie in besonderen
spirituellen Momenten erleben, herauswächst.
Diese enge Verflochtenheit ist aber auch der Grund, warum es
zu Verwechslungen des Inneren mit dem Äußeren und des Äußeren mit dem Inneren
kommen kann und warum Unklarheiten entstehen, was wohin gehört. In der Psychose
versagt die Unterscheidungskraft zwischen den Zugängen zur Realität, und die
interne Koordination bricht zusammen, weil nicht mehr eingeordnet werden kann,
was zum Innen und was zum Außen gehört. Demgegenüber steht die Erfahrung der
Erleuchtung, in der es diesen Unterschied nicht mehr braucht und dennoch die
innere Stabilität erhalten bleibt. Im Alltagsbewusstsein sind es die
angstgeleiteten Projektionen, die häufig dafür sorgen, beide Zugänge zur
Erfahrungswelt miteinander zu verwechseln, was uns in Verwirrung bringt und
Missverständnisse erzeugt. Wir tendieren
immer wieder dazu, Inneres für Äußeres und Äußeres für Inneres zu halten und
uns damit in die Irre zu führen.
Projektionen zurücknehmen
Was können wir tun, um solche Verwechslungen zu vermeiden?
Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass es solche
Vertauschungen gibt, die unser Unterbewusstsein vornimmt. Wir sind
fehleranfällig, vor allem dort, wo es alte Wunden und Verstörungen in unserer
Seelenlandschaft gibt. Dazu kommt, dass unsere Wahrnehmung immer zugleich eine
interpretierte Wahrnehmung ist, dass wir also an jedes Erleben eine Theorie
anhängen und dass wir dazu neigen, die Theorie für wichtiger zu nehmen als das,
was wir erleben.
Dann geht es, wie gesagt, darum, die Bewusstheit dafür zu
schärfen, wenn wir solche Projektionen produzieren. Wir fragen nach: Was nehme
ich wahr, was also kann ich über die Sinne bestätigen, und was geben wir dazu
durch unser Interpretieren? Ein Mensch begegnet mir auf der Straße, ich sehe
seine schmutzigen Schuhe. Möglicherweise ordnet mein Bewerten diese Person
sofort in eine Kategorie ein und denkt, dass der Mensch arm oder unordentlich
oder zerstreut ist. Jede dieser Annahmen könnte zutreffen oder auch falsch sein.
Das Einzige, was wir wahrgenommen haben, war der Schmutz auf den Schuhen.
Mit der Bewusstheit lenken wir also unsere Aufmerksamkeit
von den Gedanken und Fantasien wieder zurück zur Wahrnehmungsrealität. Was ist,
ist; was wir interpretieren, sind unsere Eigenproduktionen. Unsere Produkte
dienen unserer Sicherheit und Orientierung in der Welt, also unserer inneren
Homöostase, während die Wahrnehmung dazu da ist, uns mit der Wirklichkeit zu
verbinden, so, wie sie ist.
Wir können zum Identifizieren von Projektionen auch die
Frage nutzen: Wie erkenne ich, was in mir und was außer mir ist? Was macht für
mich den Unterschied? Mit solchen Übungen schärfen wir unsere Unterscheidungskraft,
durchschauen unsere Projektionstendenzen und finden leichter wieder zurück zum
Akzeptieren des aktuellen Erlebens.
Das Schicksal und das Akzeptieren
Es gibt Schicksalsschläge, die kann man einfach nicht
akzeptieren.
Wenn uns ein Ereignis massiv betrifft wie z.B. der Tod eines
nahen Angehörigen, sind wir mit unterschiedlichen Gefühlen konfrontiert:
Schmerz, Angst, Wut, manchmal auch Schuld und Scham. Diese Gefühle helfen uns
dabei, den Verlust zu verarbeiten, und verarbeiten heißt, zur Akzeptanz zu
kommen. Es ist etwas passiert, das uns an unseren Grundfesten erschüttert und
aus den gewohnten Bahnen wirft. Wir hadern mit dem Schicksal und möchten es
ungeschehen machen. Das sind unsere verständlichen menschlichen Reaktionen, die
ihre Zeit brauchen – die Zeit der Trauerarbeit. Irgendwann kommen wir zu dem
Punkt, an dem wir in den Frieden kommen mit dem, was geschehen ist. Wir
akzeptieren, dass passiert ist, was passiert ist, und hören auf, uns in die
Agenden des Schicksals einzumischen. Auch wenn wir nicht verstehen und
gutheißen können, was geschehen ist, steht es nicht in unserer Macht, die
Bahnen der Ereignisse nachträglich in eine uns genehme Richtung zu lenken.
Akzeptieren heißt auch hier, mit der Wirklichkeit in Verbindung
zu sein und setzt voraus, dass der Gefühlssturm in uns zur Ruhe gefunden hat.
Unser verletztes Ego, das sich groß aufgespielt hat, indem es sich mit der
Wirklichkeit angelegt hat, tritt mit der Heilung seiner Wunden zurück und macht
einer Bescheidenheit Platz, in der wir uns als lernende Juniorpartner in
Beziehung zur majestätischen Größe und Souveränität des Lebens einreihen. Wir
ordnen unsere Erwartungen, Wunschfantasien und Projektionen dem mächtigen Strom
der Ereignisse unter, in denen sich das Ganze fortwährend ausdrückt.
Am Beispiel eines schweren Verlustes sehen wir, dass man
nicht verlangen kann – von uns selbst oder von anderen –, etwas zu akzeptieren,
was unmöglich erscheint zu akzeptieren. Wir erkennen auch, dass es das Zulassen
und Durchleben von Gefühlsprozessen erfordert, um mit dem, was das Leben mit
uns vorhat, auf Gleich zu kommen. Nach der Befriedung der Gefühle braucht es
meistens noch länger, bis sich die Gedanken beruhigen und der inneren Stille
Raum geben.
Schicksalsschläge führen uns in eine Krise, weil wir gewohnte
Sicherheiten und Kontakte verlieren. Es ist, also ob die schön geordneten Teile
unserer Innenwelt durcheinandergewirbelt werden und stattdessen ein Chaos entsteht,
mit dem wir so schwer zurechtkommen und das uns viele Kräfte raubt.
Es liegt aber auch eine Chance in jeder Krise: Das Chaos bietet
die Möglichkeit, eine neue Ordnung zu schaffen, die zugleich flexibler und
stabiler ist als die vorherige. Dazu ist es notwendig, dass wir die Krise
nutzen, um mit unseren Gefühlen und Gedanken ins Reine zu kommen. Das
Sicherheitsgefühl verlagert sich mehr nach innen und wird weniger abhängig von
äußeren Bedingungen. Sobald wir akzeptieren können, was passiert ist, ohne Wenn
und Aber, sind wir ein Stück reifer geworden.
Denn menschliche Reife besteht nicht darin, im Leben Erfolg
an Erfolg zu reihen, sondern darin, die Krisen des Lebens meistern zu können,
indem sie als Lernchancen begriffen werden. Ein wichtiger Teil dieses Lernens
besteht darin, mit dem, was geschehen ist, Frieden schließen zu können. Das
Hadern, das Zerren am Schicksal und das Betteln, ob es es sich nicht doch anders
überlegen könnte, damit wir uns die Krise ersparen können, nimmt ein Ende und
zehrt nicht mehr an unseren Nerven. Wir versöhnen uns mit dem, was das Leben uns
vorgesetzt hat, und gehen erhobenen Hauptes den Pfad unseres Lebens mit
Vertrauen weiter.
Zum Weiterlesen:
Akzeptieren, was ist (Teil 1)Akzeptieren, was ist (Teil 3)
Akzeptieren, was ist (Teil 4)
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