Freitag, 30. September 2016

Das Unterscheiden des Absoluten und des Relativen in der Lehre

Lehrer in der Erleuchtungsszene werden immer beliebter. Sie sitzen meist vor ihrem Publikum und verkünden ihre Einsichten. Wenn Fragen kommen, werden sie beantwortet, aber diskutiert wird nicht. Das Gefälle ist deutlich, eben ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, wo der eine weiter ist und mehr zu sagen hat als der, der lernen will, ob dorthin zu kommen, wo der Lehrer schon ist.

In diesem Blog wurde mehrfach der Unterschied von relativer und absoluter Wahrheit thematisiert. Die hier angesprochenen Lehrer besuchen wir, weil wir mehr von der absoluten Wahrheit erfahren wollen, nicht, weil wir mehr über die Hintergründe des Syrien-Konflikts oder über die Funktionsweise von Abgastests wissen wollen. Doch wie genau nehmen es die Lehrer des Absoluten mit der Unterscheidung des Absoluten und des Relativen?


Es gibt keine Lehre des Absoluten, weil sich das Absolute nicht in Worte fassen lässt und deshalb in keine lehrbare Form gebracht werden kann. Jede Beschreibung des Absoluten ist relativ. Weil sie Worte benutzt, die mehrdeutig sind. Dazu kommt, dass die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler immer relativ ist, weil dabei zwei Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Geschichten und Wahrnehmungsweisen zusammenkommen. Alles, was ausgesprochen wird, bekommt erst durch das Hören seine volle Bedeutung und seinen endgültigen Sinn.

Das ist unsere Grundverfasstheit als Menschen. Wir sind soziale Wesen und deshalb immer in sozialen Netzwerken mit wechselseitigen Abhängigkeiten. Diese Verfasstheit trägt auch jeder Lehrer in sich. Es macht gar keinen Sinn, sich davon befreien zu wollen, denn damit würde man einen Angelpunkt außerhalb der menschlichen Gesellschaft suchen, den es nicht geben kann, analog dem Grundsatz von Paul Watzlawick, dass wir nicht nicht kommunizieren können. Wir können nicht nicht relativ sein.

Dennoch haben wir einen Zugang zum Absoluten. Dieser führt uns aber nicht aus der Relativität heraus, sondern fügt ihr eine neue Dimension hinzu. Der Lehrer dient als Wegweiser in diese neue Dimension, kann das aber nur sein, wenn er die Möglichkeiten und Fallen des Relativen gut kennt.

In jeder Begegnung im Relativen, also auch in der zwischen Lehrer und Schüler, kommen deshalb alle Phänomene des Relativen vor: Gefühle, Machtthemen, Erwartungen, Beurteilungen usw. Die Kunst des Lehrers besteht darin, diese Phänomene transparent zu machen, sodass hinter der relativen Kolorierung durch das Persönliche das Absolute sichtbar oder spürbar wird. Diese Wachsamkeit braucht es auch sich selbst gegenüber, denn kein Lehrer ist davor gefeit, Relatives als Absolutes anzubieten.

Dazu gehört, dass die Schülerin bewusst oder unbewusst versuchen wird, den Lehrer in die eigene Welt des Relativen einzuladen. Er will testen, ob und wieweit der Lehrer innerlich frei ist, ob und inwieweit seine Persönlichkeit im Relativen verhaftet ist. Dort, wo die Verhaftung aufgelöst ist, geht die Verführung ins Leere und begegnet einer bedingungslosen Annahme, die aus einem Zustand des inneren Friedens gespeist ist.


Die Lehrerin braucht die Unterscheidungskraft zwischen dem Relativen und Absoluten, sonst stiftet sie Verwirrung. Der Schüler muss für sich erst lernen, wie der Unterschied gemacht werden kann. Doch viele Lehrer fühlen sich in ihrem Lehren so im Fluss, dass sie leicht den Unterschied übersehen. Sie reden sich vom einen Bereich in den anderen und wieder zurück und überdecken oft mit Eloquenz die Zick-Zack-Wege ihrer Rede. Subjektive Meinung mischt sich mit Einsichten aus der Tiefe des Absoluten, ohne dass der Übergang deutlich gemacht und erklärt würde.

Der Lehrer sollte also immer klarmachen, von welcher Position aus er spricht, damit die Zuhörer wissen, wo sie die Aussagen einordnen können: Ist etwas gewissermaßen die Privatmeinung über ein Thema, die aus der eigenen Lebenserfahrung kommt und die ein relatives Angebot darstellt: Überprüfe als Empfänger, ob du diese Aussage annehmen kannst oder nicht, ob sie hilfreich und weiterführend ist oder nicht, ob du eine gegenteilige Ansicht hast oder nicht. Ein Widerstand gegen eine relative Aussage, den die empfangende Person wahrnimmt, ist wertvoll, weil sie auf der Wahrheitssuche weiterhilft. Um wachsen und sich weiter entwickeln zu können, braucht die relative Wahrheit die kritische Auseinandersetzung. Das beste Beispiel dafür bieten die Wissenschaften, deren Erkenntnisfortschritt in der laufenden Kritik an schon bestehenden Theorien und Forschungsergebnissen besteht.

Relatives ist immer kritikfähig und kritikwürdig. Es darf nicht als Absolutes missverstanden oder ausgegeben werden, sonst wird es schnurstracks zur Ideologie. Kritik ist das Medium im Relativen, das es in Bewegung hält und damit für das Absolute öffnet. Denn die Kritik orientiert sich am Ideal, das im Absoluten beheimatet ist. Alles, was am Absoluten verfestigt wird, ist schon relativ. Dies zeigt uns die Geschichte der Dogmatisierungen.

Die Suche nach der absoluten Wahrheit hat ein anderes Verhältnis zur Kritik. Hier kann ein Widerstand, den ein Schüler gegen eine Aussage wahrnimmt, bedeuten, dass er sich nicht auf die Radikalität des Absoluten einlassen will, sondern bei seiner bequemeren relativen Weltsicht stehenbleiben will. Es ist also ein Widerstand, der weder dem Erkenntnisgewinn noch dem inneren Wachsen dient, sondern von der eigenen Angstkonditionierung gesteuert ist. Hier braucht er einen klaren Hinweis des Lehrers, den dieser nur einbringen kann, wenn ihm selber der Unterschied zwischen dem Relativen und Absoluten vertraut und geläufig ist.

Die absolute Wahrheit kennt ja keinen internen Erkenntnisfortschritt. Denn sie ist ja schon immer fertig. Es gibt nur den äußeren Erkenntnisfortschritt: Mehr und mehr Personen können mehr und mehr Facetten und Zugangsformen zum Absoluten erschließen. Dazu dient die Lehre: dem Schüler zu seinem Zugang zum Absoluten zu verhelfen.

Ob die Übermittelung erfolgreich ist, bemisst sich daran, wieweit der Empfänger einen Grad an innerer Befreiung erleben kann, der sich signifikant von der Alltagserfahrung unterscheidet. Es gibt also kein objektives Faktum, das den Erfolg einer Kommunikation über das Absolute verifizieren könnte. Und es geht auch gar nicht darum, vielmehr geht es um inneres Wachsen, das seine eigene Verlaufsform hat, die in den seltensten Fällen eine lineare Richtung hat.

Je klarer und eindeutiger die Unterscheidung zwischen dem Absoluten und dem Relativen vom Lehrer vermittelt werden kann, desto einfacher gelingt dieses innere Wachsen beim Schüler hin zum Absoluten der Wahrheit, die nur von Moment zu Moment existiert. Was sich nicht mehr sagen lässt, sondern was im Inneren gespürt und was sich von selbst mitteilt, jenseits oder innerhalb der Worte, die gesagt werden, ist außer Streit gestellt.


Vgl. Die zwei Wahrheiten
Die zwei Wahrheiten und die Konfliktkultur
Die zwei Wahrheiten und die Religionen
Die zwei Wahrheiten und der Alltag 
Die zwei Wahrheiten und das Ego 
Die zwei Wahrheiten und die Sprache

PS. das ist der 300. Blogartikel auf dieser Seite! 

Mittwoch, 28. September 2016

Das spielerische Universum

Alan Watts, Mystiker und Religionsphilosoph (gest. 1973), beschreibt das Universum als grundlegend spielerisch. „Es gibt für das Universum keinerlei Notwendigkeit. Das heißt, dass es kein Ziel hat, an dem es ankommen sollte. Aber ist kann am besten durch die Analogie mit Musik verstanden werden, weil Musik, als Kunstform, im Wesentlichen spielerisch ist: Wir sagen: ‚Du spielst Klavier‘ und nicht: ‚Du bearbeitest das Klavier.‘
Wenn du reist, versuchst du irgendwo hinzukommen. In der Musik aber macht man das Ende einer Komposition nicht zum Sinn der Komposition. Wenn es so wäre, wären die besten Dirigenten jene, die am schnellsten spielen, und dann gäbe es Komponisten, die nur Finali schreiben. Die Leute gingen ins Konzert,  nur um einen krachenden Akkord zu hören, weil das das Ende ist. Ebenso ist es mit dem Tanzen. Du zielst nicht auf einen bestimmten Punkt im Raum, an dem du ankommen solltest. Der ganze Sinn des Tanzens ist der Tanz.“


Wie geht es uns mit einem singenden und tanzenden Universum?


Wir haben unsere lineare Zeitvorstellung und konstruieren nach ihr unser Leben und darüber hinaus auch alle Prozesse im Universum. Wir haben unsere Vergangenheit, die mit der Empfängnis und der Geburt beginnt, und unsere Zukunft, die wir uns so oder so ausmalen. Ebenso wissen wir um den Urknall und der nach ihm entstehenden Entwicklung, die über Milliarden von Jahren bis zu uns, in diesen Moment geführt hat. Wir haben auch Ideen, wie es weitergehen wird und gehen davon aus, dass es das Universum irgendwann einmal auch nicht mehr geben könnte.

Die Macht der linearen Zeit ist so groß, weil wir sie in unseren täglichen Aktivitäten brauchen. Ohne Zeitpläne könnten wir viele Dinge unseres Lebens nicht erledigen und viele Aufgaben nicht bewältigen. Sie ist tief in unsere inneren Abläufe hineinverwoben und prägt unser Entspannungs- wie unser Stressverhalten.

Es geht auch nicht darum, die lineare Zeitvorstellung abzuschaffen. Da könnten wir keine Termine mehr ausmachen und wüssten nicht, wann wir morgens aufstehen sollten. Wir würden keinen Zug erreichen, noch würde uns ein Zug erreichen.

Hinter der linearen Zeit steckt das Zweckdenken, und darauf hat es Alan Watts abgesehen. Alles, was wir tun, soll einen Zweck haben. Alles, was keinen Zweck hat, ist unnotwendig, weil es nichts zur Linderung einer Not beiträgt. Deshalb werden die Künstler oft etwas mitleidig und herablassend von denen betrachtet, die etwas „Gescheites“ gelernt haben und als Tätigkeit ausüben, eben etwas, das in irgendeiner Weise direkt zur Überlebenssicherung beiträgt.

Die Kunst hingegen übt sich in der Zweckfreiheit, sie ist um ihrer selbst willen da, nicht, weil sie für irgend einen Zweck verwertbar ist. Sie zeigt dem Menschen, dass es anders auch geht – anders als im Hamsterrad steckend immer wieder dieselben Aktionen ausführen, ohne Freiheit und Kreativität. So zumindest sehen viele Künstler ihre nicht kunstschaffenden Zeitgenossen. 


Wie ist also das Universum?


Ist es nach dem Lebensmodell der Künstler beschaffen oder nach dem der Zweckrationalisten? Alan Watts geht von einer reinen Behauptung aus: Das Universum ist so und nicht anders. Wenn wir jeden Drang nach dem Innehaben der letzten Wahrheit zurücknehmen, bleibt uns nur zu sagen: Wir wissen überhaupt nicht, wie das Universum im Ganzen funktioniert, ob es einen Zweck enthält, ob es wie ein Kinderspiel oder wie eine Oper gestaltet ist. Wir wissen, wie einzelne Zusammenhänge im Universum ablaufen, kennen Gesetzmäßigkeiten und Wahrscheinlichkeiten. Immer mehr davon wird erforscht.

Allerdings übersteigt die Frage nach dem Gesamtprinzip den Horizont des Wissbaren. In Wirklichkeit befinden wir uns im Raum reiner Spekulation. Und wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir uns aussuchen, was uns besser gefällt: Ein nach Zwecken entworfenes Universum, z.B. eines, das sich zum immer Besseren weiterentwickelt oder eines, das sich an sich selber zugrunde richtet, oder eines, das von einem Moment in den nächsten geht, ohne Zusammenhang und Sinnverbindung.

Die Inder haben für diese Sichtweise einen eigenen Namen gewählt: Lila, die als die spontane Seite von Brahman gilt, seine Verspieltheit und Absichtslosigkeit zum Ausdruck bringt. Die Vielzahl ihrer Götter bietet den Vorteil, sich für jeden Geschmack oder für jede Lebensstimmung eine jenseitige Vertretung aussuchen zu können.

So ähnlich können wir es handhaben. Es gibt kein Menschenwesen, das einen authentischen Einblick in das große Ganze hat oder haben kann. Und das ist auch gut so. Denn mancher, dem es gerade oder länger schon nicht gut geht, würde sich zusätzlich gefrozzelt fühlen, wenn ihm jemand erzählen würde, sein Unglück sei nur eine Spiellaune des Universums, dem gerade nichts Besseres eingefallen wäre. Und wer daran interessiert ist, dass die Zustände, in denen wir leben, zu mehr Menschlichkeit und Freiheit verbessert werden, hätte auch wenig von einem Weltbild, wo alles, was geschieht, nur ein zweckfreies Tanzen ist, das sich selbst genügt.

Andererseits mag das Bild der tanzenden Götter jemandem helfen, der scheinbar in seinen Handlungszwängen feststeckt. Wie wäre es für den Finanzmanager, der mit dem Aktenkoffer von einem Termin zum nächsten hetzt, wenn er dabei ein paar Tanzschritte einschaltet? Vielleicht könnte eine solche kleine Veränderung ein neues Lebensgefühl erzeugen? Oder wenn jemand, dem irgendeine Routinetätigkeit beim Hals heraushängt, diesen ein paar Mal in alle Richtungen verrenkte?

Kreativität heißt, immer das andere zu nutzen als das, was sich gerade aufdrängt. Wenn wir von der mühseligen Energie der Schöpfergottheit in Anspruch genommen sind, kann es uns befreien, ein Quäntchen von der musischen Göttin lebendig werden zu lassen. Wenn wir im Zweckfreien nicht mehr weiter wissen, können wir uns nach einer Ausrichtung umschauen, die uns mit einer Aufgabe betraut, sodass wir mehr von dem zum Universum beitragen, was wir in uns haben.

Ähnlich geht es uns auf Reisen: wir wollen irgendwo hin, aber dort dann tun, was gerade kommt. Wir setzen uns den Zweck, mehr von der Freiheit zu genießen. Und so können wir vieles in unserem Leben erleben: die Morgenroutine oder das Unterwegssein von A nach B, das Lesen eines Buches oder das Ausfüllen der Steuerabrechnung.

Und auch wenn es um unseren inneren Weg geht, so ist das ein Weg auf ein Ziel hin und zugleich ist er zweckfrei. Wäre er nur ein Tanz, so würden wir nur weitergehen, wenn wir Lust darauf verspüren; wäre es nur zielgerichtete Anstrengung, kämen wir auf diesem Weg nicht weiter, der zur Absichtslosigkeit führt. Wir brauchen Motivation, wenn wir irgendwo steckenbleiben, und wir brauchen Vertrauen, dass im Grund alles gut ist, wie es ist.

So schwindet der Unterschied zwischen dem Zweckhaften und dem Spielerischen: Das Zweckhafte erkennen wir in sich als etwas Verspieltes und das Verspielte hat dann auch seinen tieferen Zweck.

Montag, 26. September 2016

Atemerfahrungen und Kunst

Ein Kunstwerk zu erschaffen bedeutet, etwas Individuelles gestalten, etwas Neues, das es zuvor noch nicht gegeben hat, etwas, das die Welt in besonderer, in dieser Weise noch nicht dagewesener Art bereichert. Kunst bricht mit Gewohnheiten, überrascht und konfrontiert. Ein Kunstwerk besticht nicht dadurch, den Hör- oder Sehgewohnheiten, die wir schon mitbringen, zu entsprechen und vorgefertigte Erwartungen zu bestätigen, sondern uns aus unseren Wahr-nehmungs- und Denkschablonen heraus zu reißen. Es wirkt nicht dadurch, dass ein bestehendes Bild bestätigt wird, sondern darin, dass neue Horizonte geöffnet werden.

Kunst ist diskontinuierlich, sie ist nicht ableitbar aus dem, was vorher da war und setzt einen augenscheinlichen und auffälligen Unterschied zu dem, was vorher da war. Sie sticht aus dem trägen Strom des Gewöhnlichen und Gewohnten heraus. Damit entstehen Risse im Gefüge der etablierten Ordnung, in denen Kreativität sprießen und wachsen kann. Wird die Kunst dieser Rolle nicht gerecht, so wird sie kitschig oder oberflächlich. Kunst muss, um Kunst zu sein, immer etwas Provokantes an sich haben, etwas Rebellisches, sei es durch die Form oder durch den Inhalt. Sie dient in ihren Wesen also nicht primär der Verschönerung oder Behübschung der Welt, nicht dem Bedürfnis nach Bequemlichkeit und Sicherheit, sondern der Verwandlung, der Wendung zum Besseren. Sie ist visionär, sie kümmert sich nicht um die scheinbaren Grenzen der Machbarkeit.

Jede Atemsitzung ist neu


Ähnlich können wir das Geschehen in einer Atemsitzung verstehen. Jede Atemsitzung ist neu, in dieser Weise noch nicht dagewesen, nicht ableitbar aus dem, was früher war. Sie bricht mit den Konventionen, die bisher Bestand hatten und die vorherrschende Komfortzone definierten. In der Atemsitzung ist jeder Atemzug als neuer erfahrbar. Mit jedem Atemzug wird erlebbar, dass sich das Leben auf neue Art fortsetzt und dass das Alte hinter sich gelassen werden kann, dass wir es nicht festhalten, bedauern und betrauern müssen, weil es ja schon vorbei ist. Jeder Atemzug setzt einen neuen Anfang, lässt Neues beginnen.

Wir erfinden als Atembegleiter zusammen mit der Atemreisenden in jeder Sitzung eine neue Methode. Wir wenden zwar einige Grundprinzipien an, die wir gelernt haben, müssen sie aber immer auf die aktuelle Situation und auf den konkreten Menschen beziehen. Dadurch gewinnt die Methode eine individuelle Gestalt, eine noch nie dagewesene Form, ähnlich der Einzigartigkeit eines Kunstwerks. Mit jedem Klienten und mit jeder Sitzung erfinden wir eine neue Therapie.

Es ist der innere Prozess oder der Atem, und nicht das Wollen, die Erwartungen oder irgend-welche Regeln, die über den Verlauf der Sitzung bestimmen. Weder der Atmende noch die Begleiterin verfügen über diesen Prozess. Er ist es, der das Geschehen vorgibt, indem er seinen Gang mit allen Wendungen geht, die er gehen will, mal ruhig und mal heftig, stärker und schwächer, leichter und schwerer, oberflächlicher oder tiefer. Er führt durch Phasen der Verwirrung und der Klarheit. Doch ist es nur das Ganze des Prozesses, in dem sich die verändernde Wirkung Gestalt gibt, gewissermaßen das vollendete Kunstwerk.

Atemsitzungen dienen primär nicht dem Wohlfühlen, der angenehmen Wellness-Entspannung, wiewohl solche Effekte erwünscht sind und auch häufig auftreten, sondern es geht vor allem um das vertiefte Kennenlernen des eigenen Inneren, um die Erforschung von Schattenbereichen, um das Kennenlernen von versteckten Gefühlen. Es geht um mehr innere Wahrheit und Klarheit, auch um den Preis, dass der Prozess unangenehme, schmerzhafte und verwirrende Phasen durchläuft. Es geht um eine Wandlung zum Besseren, die nicht durch die bewusste Absicht und durch kluge Planung erzielt wird, sondern durch das Vertrauen auf einen organischen und emotionalen Ablauf, dem sich die atmende Person möglichst bedingungslos anvertraut.

Der künstlerische Schaffensprozess


Auf diese Weise entstehen auch Kunstwerke. Der Künstler initiiert den Prozess, der ihn bald mit sich reißt und sich seiner Willkür entzieht. Es ist also ob die Form, die das Kunstwerk von sich aus entwickelt, bestimmt, mit welchem Inhalt sie gefüllt werden kann und mit welchem nicht. Schriftsteller berichten oft, dass sich die Figuren, die sie für einen Roman entwerfen, im Zug des Schreibens verselbständigen. Wer Gedichte schreibt, weiß, dass wir so lange nach den richtigen Worten suchen müssen, bis das Gedicht selber zufrieden ist.

Dabei ist es gleichgültig, ob der Künstler wie Mozart scheinbar leichthin und schnell die Noten hinwirft, die dann den wunderbaren Klang ergeben oder wie Beethoven lange um die Fertigstellung einer Partitur ringt. Fertig ist das Kunstwerk erst, wenn alles in ihm seinen Platz gefunden hat und ein integriertes Ganzes ergibt. Dann stellt sich die Erfahrung von Schönheit ein.

Die Vormacht des Prozesses


Auch in der therapeutischen Arbeit mit dem Atem müssen wir uns dieser Vormacht des Pro-zesses unterordnen. Wir können Impulse geben und Eingriffe tätigen, diese wirken jedoch nur, wenn sie dem inneren Verlauf der Sitzung dienen, ähnlich wie der Pinselstrich dann passt, wenn er vom Ganzen des Bildes akzeptiert wird, ähnlich wie jede Note zur Harmonie des ganzen Stücks zusammenklingen muss.

Wir kommen mit unserer Alltagsatmung in die Sitzung. In den Atemmustern sind unsere Gewohnheiten und Schwierigkeiten abgespeichert. Der Anfang der Atemsitzung besteht meis-tens darin, diese gewohnte Form der Atmung zu erweitern und zu vertiefen. Wir unterbrechen die eingeübte und konditionierte Kontinuität, um einer neuen Entwicklung das Tor zu öffnen. Damit beginnt die künstlerische Schaffensarbeit. Manchmal mäandert die Atmung zurück ins alte Muster, doch sucht sie dann wieder wie von selbst den Weg auf die neue Bahn, die mehr Freiheit verspricht. Schließlich mündet sie ein in einen weiteren Strom, der weder heftig noch zaghaft sein muss, sondern seine eigene neue Form gefunden hat. Damit geht eine innere Stimmung einher, die einen größeren und helleren Raum einnimmt und die erstrebte Freiheit repräsentiert.

Im Ganzen betrachtet, erkennen wir den Prozess als Metakontinuität, einem übergreifenden, in sich stimmigen Gesamtgefüge, in dem die einfache Kontinuität, die in den normalen, bewusst wie unbewusst ablaufenden Muster repräsentiert ist, und die Diskontinuität, der Bruch mit dieser Gewohnheit, der im bewussten Atmen geschieht, enthalten ist. Beide zusammen haben zu einer besseren Form des Atemflusses beigetragen, der nun ein befreiteres Bewusstsein bewirkt und dieses auch über die Sitzung hinaus durchs Leben begleiten kann.

Rekonstruktion statt Kausalität


In der Therapie wie in der Kunst rekonstruieren wir die Wirklichkeit. Im Atemprozess tauchen wir ein in die unterirdischen Ströme der Erinnerung, die beim Atmen als Körperphänomene, Empfindungen und Gefühle auftauchen können. Dabei entsteht ein neues dynamisches Abbild von früheren Erfahrungen und Erlebnissen, wie die neue Zusammensetzung eines Puzzles aus Bruchstücken, die vorher ohne Zusammenhang waren. Auch in der Kunst erzeugen wir mit deren verschiedenen Ausdrucksweisen eine neue Form der Realität aus dem, was vorhanden ist, indem wir es in Teile zerlegen und neu verbinden.

Wir wenden zwar in beiden Bereichen Techniken an – die Techniken der Komposition z.B. oder die Techniken des bewussten Atmens. Allerdings bleiben die Techniken Randphänomene: Denn das Geschehen, das in Gang gesetzt wird, hat keinen kausalen Verlauf im Sinne einer Wenn-Dann-Beziehung: Wenn ich mit der Komposition in einer bestimmten Weise beginne, dann nimmt sie einen vorhersehbaren Verlauf. Wenn ich die Atmung in bestimmter Weise anleite, kommt ein vorbestimmtes Resultat heraus. Vielmehr wird die Kausalität außer Kraft gesetzt, so gut es geht: Denn die Wenn-Dann-Beziehungen sind die musterhaft ablaufenden Zwänge, unter denen die Menschen leiden, und die alle Formen des Gebrauchsdesigns von der Kunst unterscheiden. Schönheit beginnt dort, wo es keine mechanischen Abläufe und stereotype Muster gibt, sondern wo sich das Fließen des Einmaligen in noch nie dagewesener Form zeigt. Mit der Schönheit gelangen wir ganz in den gegenwärtigen Moment, in den uns jeder bewusste Atemzug führt. Damit sind wir frei von den Konditionierungen und Abhängigkeiten, die unsere Freiheit einschränkten.

Künstlerische Kreativität


Die Kreativität ist die Domäne der Kunst. In ihr drückt sich die schöpferische Fantasie der Künstler in immer wieder neuen Formen aus. Kunst versteht sich als Nachschöpfung der Natur, in der die unendliche Vielfalt und Wandlungsfähigkeit des Lebens als Vorbild des kreativen Fließens auftritt.
Auch als Atmende und Atembegleitende sind wir kreativ Schaffende. Wir lassen das Fließen, das sich durch das freie Atmen öffnet, in neue Bereiche unserer Seele strömen und vertrauen uns dieser Schaffenskraft an, die entsteht, wenn sich die Blockierungen aus unseren festgefügten Gewohnheiten lösen. Als Prozessbegleiter gehen wir mit diesem kreativen Prozess mit und fügen unsere Impulse, die wieder aus einem inneren Fließen kommen, zum Geschehen hinzu.

Jede Atemsitzung ist eine Co-Kreation, ein gemeinsam erschaffenes Werk, das der Welt ein Stück Schönheit schenkt, ein Stück der Wandlung in die Richtung auf mehr Menschlichkeit und Freiheit. Das innere Erleben, das zum inneren Reichtum beiträgt, findet immer auch seinen Niederschlag im Äußeren, alles, was in uns zu einem besseren Fließen gelangen kann, erleichtert auch das Leben in der Welt, mit den Menschen um uns herum. Wir können die Gaben, die uns durch das Atemerlebnis geschenkt werden, nicht nicht teilen; sie teilen sich von selbst an das große Ganze in und um uns mit, von dem sie, wie jede Form der schöpferischen Gestaltung, ursprünglich herstammen.


Hier zu meinem Interview: Die geheime Macht des Atmens (mit Matthias Wittfoth)
Zweiter Link: https://soundcloud.com/matthias-wittfoth

Mittwoch, 21. September 2016

Geschlossene Systeme und der inhärente Hass

Ein Text des islamischen Staates (IS, Daesh), in diesem Sommer veröffentlicht, beschreibt das Weltbild der “Gotteskämpfer” in sechs Punkten und bietet ein deutliches Bild für ein geschlossenes System.

Die Ausgangsfrage des Textes ist: Warum wir euch hassen? Mit "wir" sind die jihadistischen Kämpfer oder die nach ihrer Ansicht idealen Moslems gemeint, mit „euch“ alle Nicht-Muslime. Die Menschheit ist also in zwei Teile geteilt, jene, die dem muslimischen Glauben jihadistischer Interpretation anhängen und den anderen Ungläubigen, etwas Drittes gibt es nicht. Es wird also eine Welt von Weiß und Schwarz konstruiert, in der es nur diese zwei polaren Seiten gibt, und da liegt dann der Gedanke nicht fern, dass diese zwei Seiten sich nur hassen können und deshalb gegeneinander kämpfen müssen.

Tatsächlich ist ja nichts klar – es gibt nicht einmal den geschlossenen Block von Muslimen, von dem der Text ausgeht. Die weitaus überwiegende Zahl von Muslimen distanziert sich von den IS-Ideologen und jihadistischen Koran-Auslegungen, und viele gläubige Moslems erkennen, welchen Schaden die Radikalen dem Islam durch ihren Extremismus und ihre Gewaltbereitschaft zufügen. Doch führt gerade die Nicht-Geschlossenheit des Islams dazu, dass es keine klare, eindeutige und einstimmige theologische Verurteilung des IS gibt, die ihm jede Grundlage, für den Islam zu sprechen, entzöge.

Die IS-Ideologie ist, wie das bei allen populistischen Ideologien der Fall ist, eine Funktion ihrer Propaganda. Sie will gerade dadurch beeindrucken und Anhänger rekrutieren, dass sie ihr einfaches Bild präsentiert: Hier die Guten, die an die wahre Lehre glauben und deshalb richtig handeln, dort alle Bösen, die vernichtet werden müssen. Wer sich nicht der Mühe der Differenzierung, der Faktenklärung und der Reflexion unterzieht, kann dieser Propaganda schnell auf den Leim gehen. 


Der Hasstext


Hier nun der Text des IS-Hass-Manifests:
 

Warum wir euch hassen?
1. Weil ihr Ungläubige seid

"Wir hassen euch, zuallererst und am allermeisten, weil ihr Ungläubige seid. Ihr leugnet die Einzigartigkeit Allahs, ihr lästert gegen ihn, behauptet, dass er einen Sohn habe, fabriziert Lügen über seine Propheten und Boten, und ihr versündigt euch in jeder Weise mit teuflischen Praktiken."

2. Weil ihr liberal seid

"Wir hassen euch, weil ihr säkular seid. Liberale Gesellschaften erlauben genau jene Dinge, die Allah verboten hat, und verbieten viele Dinge, die Er erlaubt hat, etwas, was euch nicht kümmert, weil euer christlicher Unglaube und euer Heidentum Religion und Staat unterscheiden und somit euren Launen und Wünschen die überlegene Autorität vermittels der Gesetzgeber git, die ihr in die Macht wählt."

3. Weil einige von euch Atheisten sind
"Im Fall der atheistischen Randgruppe hassen wir euch und führen Krieg gegen euch, weil ihr nicht in die Existenz eures Herrn und Schöpfers glaubt."

4. Für eure Verbrechen gegen den Islam
"Wir hassen euch für eure Verbrechen gegen den Islam und führen Krieg gegen euch, um euch für das Vorgehen gegen unsere Religion zu strafen."

5. Für eure Verbrechen gegen Muslime
"Wir hassen euch für eure Verbrechen gegen Muslime; eure Drohnen und Fliegerbomben, die unsere Menschen auf der ganzen Welt töten und maim, und eure Marionetten, die in den besetzten Ländern der Muslime unterdrücken, folternKrieg gegen jeden führen, der der Wahrheit folgt."

6. Für den Einfall in unsere Ländern
"Wir hassen euch für den Einfall in unsere Länder und kämpfen gegen euch und vertreiben euch. So lange als ein Zentimeter des Territoriums überbleibt, den wir beanspruchen, wird der Jihad eine persönliche Verpflichtung für jeden einzelnen Muslim bleiben."


Die Selbstwidersprüchlichkeit des Hassens


Auf Hass begründete Ideologien haben kein Zukunftspotenzial. Auf Hass lässt sich keine Gesellschaft aufbauen, weil Hass ein antisoziales Gefühl darstellt. Insofern brauchen wir uns als Demokraten keine Sorgen machen, es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses „Kalifat“ unter seiner eigenen Ideologie zusammenbricht.
Hass ist das, was uns von anderen Menschen abtrennt und damit auch von uns selber. Hass erschafft eine Spaltung, und jede Spaltung lässt uns leiden. Im Hass verkriechen wir uns in uns selber, voll des Bemühens, uns selber als die Besseren und Alleinbesitzer der Wahrheit darzustellen, als die Einzigen, die die richtigen und guten Handlungen setzen. Begründen können wir diesen Anspruch nur dadurch, dass wir die anderen als die Schlechten darstellen, die die Unwahrheit verbreiten und Böses tun, also durch beständige Propaganda, die wir nach außen und nach innen verbreiten müssen.

Diese Maßstäbe für das Gute und das Böse haben keinen allgemein vertretbaren, verstehbaren und akzeptablen Angelpunkt, sie sind deshalb voll und ganz willkürlich und partikularistisch. Jeder kann solche oder ganz andere Maßstäbe frei nach Belieben definieren, die Frage ist nur, wieviele andere sich den eigenen Maßstäben anschließen, wieviele also bereit sind, die eigene Paranoia zu teilen.

Jede kollektive Paranoia vermittelt eine gewisse Sicherheit innerhalb ihrer engen Grenzen und kann die entsprechende Schlagkraft mobilisieren, sie führt aber nicht weiter im Sinn der Erkenntnis der Wahrheit oder des Guten, im Gegenteil: Die Folgen sind Verzerrungen der Wirklichkeit und brutale Gewalttätigkeiten im Handeln.

Geschlossene Systeme neigen von sich aus zur Verengung. Sie beruhen auf Ängsten und sie wollen Ängste weitergeben und ausbreiten. Wo noch keine Angst ist, soll Angst werden. Alle, die drin sind, fürchten sich schon, weil sie instinktiv wissen, dass ihr System keine Zukunft hat. Wenn sie sich selber schon fürchten, sollen sich auch alle andere fürchten, deshalb werden sie mit dem eigenen Hass bedroht.

Geschlossene Systeme nehmen alles andere, was sie nicht sind, auch als geschlossene Systeme wahr, weil eben im Rahmen der eigenen Paranoia kein Platz für offene Systeme ist und dafür auch kein Rahmen für ein Verstehen gegeben ist. Deshalb sehen sie die Kampfsituation, in die sie sich hineinmanövrieren, als gleichrangig und symmetrisch an: Wir kämpfen gegen die Bösen und müssen danach trachten, sie zu besiegen und auszurotten. Sie, die anderen, wollen das Gleiche uns antun. Es ist also eine Spiegelsituation, sie sehen das eigene Böse in den Taten der anderen, die Bomben werfen und Zerstörung anrichten. 


Toleranz für Intoleranz?


Gesellschaften, die sich über diese einfachen Niveaus des Denkens hinaus entwickelt haben, geraten in der Begegnung mit der Aggressivität der geschlossenen System in ein Dilemma: Toleranz für Intolerante? Gerechtigkeit für Ungerechte? Häufig wird der Schluss gezogen: Wir müssen auf das Niveau der Bösewichter zurückgehen und sie dort mit unserer Überlegenheit an Gewalttätigkeit vernichten, dann könnten wir wieder auf das Niveau einer toleranteren und friedliebenden Gesellschaft zurückkehren. Diese Strategie geht aber nicht auf. Jede Gewalttätigkeit, auch wenn sie in der Verteidigung der Menschlichkeit geführt wird, hat Folgen, die daran hindern, nach einem Krieg wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Es muss auch die eigene Gewalttätigkeit und ihre Opfer betrauert werden, sonst bleibt der Ruch der Gewalt im eigenen Land. Und zu einem derartigen Schritt waren gerade die Sieger in der Geschichte noch nie bereit.

Das heißt aber nicht, dass der Mantel der Gutherzigkeit über das Böse gebreitet werden sollte. Jeder, der Gewalt vom Zaum bricht und Hass schürt, muss in die Schranken gewiesen werden, allerdings mit einer Gewalt, die auf einem reflektierten Gerechtigkeitsbewusstsein beruht, die also nicht auf Hass, sondern auf Verantwortung für die Befreiung von Hass und Gewalt beruht und sich immer wieder darauf rückbezieht.


Die Feigheit der Gewalttäter


Das Paradoxe daran ist, dass die, die ihr eigenes Leben für ihre Paranoia aufs Spiel setzen, feiger sind als jene, die sich ihren Ängsten stellen, um mehr Offenheit und Freiheit zu gewinnen. Es erfordert mehr Mut, den Weg nach Innen zu gehen als den, das eigene Böse im Außen mit dem Risiko des eigenen Todes zu bekämpfen. Es erfordert mehr Mut, die eigenen Überzeugungen zu überprüfen und zu revidieren, wenn sie in der Praxis und gegenüber der Wirklichkeit nicht taugen, als blind den Parolen zu folgen, die andere vorgekaut haben. Es erfordert mehr Mut, dem Andersdenkenden zu begegnen und sich ehrlich mit ihm auseinanderzusetzen als ihm den Kopf abzuschlagen.


Aus Hass lernen?


Was können wir damit anfangen? Wir können in uns nachfragen, ob wir geschlossen oder offen leben wollen. Es bedeutet auch, ob wir uns weiterentwickeln oder so bleiben wollen, wie wir gerade sind. Wollen wir die Ängste, an denen wir leiden, so belassen, wollen wir die Probleme, auf die wir im Leben stoßen, weiter mit uns herumtragen, wollen wir das, was wir schon zwanzig Jahre denken, die nächsten zwanzig Jahre genauso denken?

Wir sind frei, unsere Geschlossenheiten so zu belassen, wie sie sind. Wir sollten uns allerdings überlegen, welchen Preis wir selber dafür zahlen und welchen wir unseren Mitmenschen zumuten, ohne sie dafür um Erlaubnis zu fragen.

Wir sind aber auch frei, die Offenheit zu suchen, um unsere Freiheit zu erweitern. Das Ausmaß an Geschlossenheit, das wir in uns tragen, ist abhängig von unserem Sicherheitsbedürfnis, das das Ausmaß unserer inneren Ängste wiedergibt. Es zeigt sich in unseren Neigungen, geschlossene Weltbilder, Ideengebäude und Gefühlskomplexe zu übernehmen. Immer dort aber, wo wir uns von solchen Einengungen verabschieden, verabschieden wir uns auch von den damit verbundenen Ängsten und werden ein Stück lebendiger. Ebenso schenken wir der Gesellschaft, in der wir leben, mehr Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten.