Freitag, 31. August 2018

Armut ist ein Ärgernis – dem kann abgeholfen werden

Armut ist ein Ärgernis. Die Betroffenen leiden und die Bessergestellten bekommen ein ungutes Gefühl, wenn sie mit Armut konfrontiert sind. Wir wissen, dass wir alle Menschen sind und deshalb eine annähernd gleiche Lebenssituation verdienen. Armut macht uns auf einen Missstand aufmerksam, für den wir in gewisser Weise alle zuständig sind.


Ideologien der Schuldzuweisung


Es gibt verschiedene Strategien, mit dieser Diskrepanz umzugehen. Eine besteht darin, Armut mit individueller Schuld zu verknüpfen. Sowohl Neoliberale wie auch Konservative sind sich in diesem Punkt einig: Wer arm ist, ist selber schuld. Konservative christlicher Prägung sehen es allerdings als Verpflichtung aus dem Gebot der Nächstenliebe und nach der Predigt von Jesus, für Arme zu sorgen; Neoliberale erwarten sich dagegen nur vom möglichst unbehinderten wirtschaftlichen Fortschritt die langfristige Beseitigung der Armut. Je mehr wirtschaftliche Freiheit, desto mehr Jobs, desto weniger Armut, so geht das neoliberale Kalkül. Und weiter: Wer wirklich arbeiten will, wird auch was finden; wer nichts findet, strengt sich zu wenig an und ist selber schuld, wenn er verarmt. Und wer sich nicht anstrengt, verdient auch kein Mitgefühl.

Der Geist des protestantischen Reformers Jean Calvin und zugleich das Credo rechtskonservativer Millionäre weht also noch immer durch solche Debatten: Reichtum ist Resultat von harter Arbeit, Armut der „Lohn“ für Faulheit. Wir wissen freilich längst, dass die These nicht stimmt. Reich wird man vor allem durch reiche Eltern. Es gibt Menschen, die reich sind und hart arbeiten, während andere ihren Reichtum verfaulenzen. Es gibt arme Menschen, die „es schaffen“ und sich einen beträchtlichen Reichtum erarbeiten. Es gibt viele, viele arme Menschen, die hart arbeiten und es nicht zu Reichtum bringen („working poor“). 

Das Leben erschafft alle möglichen unterschiedlichen Schicksale und Lebensbahnen, und die calvinistische Ideologie verkürzt sie auf zwei Beispiele, um daraus eine Ideologie zu zimmern. Deren Zweck ist klar: den eigenen Reichtum zu rechtfertigen und gegen („linkslinke“ – nach rechtspopulistischer Diktion) politische Umverteilungsideen abzusichern. Das Problem der Armut wird der alleinigen Verantwortung der Betroffenen überlassen, womit alle sozialen oder karitativen Programme obsolet und gefährlich, weil leistungsfeindlich, gebrandmarkt werden können. 

Was man genau unter Armut verstehen soll, ist unter Experten umstritten. Viele unterschiedliche Faktoren spielen zusammen. Die Wurzeln von Armut sind komplex, und mit Ideologien, die mit Schuldzuweisungen arbeiten, kommen wir nicht weiter, wenn es darum geht, die Armut zu verringern. Das sollte eigentlich das Anliegen aller Menschen sein, die an einer menschenwürdigen Gesellschaft interessiert sind. Denn Armut, die mit ständiger Überlebensangst verbunden ist, ist nicht menschenwürdig.

Manchmal scheint Armut selbstverschuldet sein: Jemand kriegt sein Leben nicht auf die Reihe, stürzt ab wegen Alkohol, Kriminalität oder Drogen usw. Wir sagen dann, ja, da ist jemand mit zu wenig Charakter gescheitert, die Person hätte mehr Willenskraft und Motivation aufbringen müssen. Aber wenn wir genauer hinschauen, merken wir, dass wir einer Vereinfachung aufsitzen. Weshalb ist jemand leichter motiviert als andere, hat mehr Ideen, Durchsetzungskraft oder Anpassungsfähigkeit? Denn die Gründe für Charaktermängel und Schwächen und damit die Adressaten für die Schuldfrage  liegen genauso und unentwirrbar in der Gesellschaft wie im Individuum, ebenso wie bei denen, die stromlinienförmig ins kapitalistische Anforderungsprofil passen und folglich die Reichtümer scheffeln, manchmal mit vergleichsweise geringer Anstrengung. Wer und was ist dann wirklich schuld an Charakterschwäche 1 (beim gescheiterten Sandler) und an Charakterschwäche 2 (beim skrupellosen Unternehmenssanierer)?

Die Schuldfrage in Bezug auf die Armut hängt also vom Standpunkt des Betrachters und von seinen Voreinstellungen und Interessen ab. Sie erweist sich als völlig nutzlos, außer zur Rechtfertigung asozialer Ignoranz und zur Verachtung der Betroffenen. Manche machen die Einzelpersonen für ihr Schicksal verantwortlich, andere die Gesellschaft; im Grund eine unsinnige Alternative, weil es keine Individuen ohne Gesellschaft und keine Gesellschaft ohne Individuen gibt. 


Armut verdummt


Wenn wir den Zusammenhang zwischen Armut und Intelligenz betrachten, sehen wir rasch, wie haltlos und inhaltsleer die Schuldfrage in Bezug auf die Armut ist. Die Sozialforschung hat dazu Interessantes herausgefunden: Es werden die Menschen nicht arm, weil sie weniger intelligent sind, sondern sie werden weniger intelligent, wenn sie arm sind. Ein Leben, das am Rand der Gesellschaft geführt werden muss und fortwährend vom Zusammenbruch bedroht ist, schränkt die Denkfähigkeiten ein und macht dumm. Wir wissen, dass wir unter Stress und infolge von Traumatisierungen weniger leistungsfähig sind: Kognitiv, emotional und kommunikativ. Menschen, die ihr Leben und Überleben von einem Tag auf den anderen fristen, stehen unter Dauerstress. Ihr Gehirn ist nur mehr beschränkt einsatzfähig, weil es sich auf das Vermeiden und Hinauszögern des Verhungerns konzentrieren muss.

Während Reichtum ein hohes Maß an Sicherheit bewirkt, ist Armut eng mit Angst verbunden. Reichtum erweitert die Möglichkeiten, Armut engt sie ein. Mit jeder beschränkten Einzelexistenz ist auch die ganze Gesellschaft ärmer. Alle ungenutzten konstruktiven und kreativen Potenziale reduzieren die gesamtgesellschaftlichen Möglichkeiten, flexibel auf Herausforderungen zu reagieren und neue Initiativen zu entwickeln. Wenn ein schriftstellerisches Talent unter einer Brücke endet, ohne ein Werk zu schaffen, fehlt ein sinnstiftender Beitrag, der andere Menschen und damit die Gesellschaft hätte verändern können. 


Soziale Absicherung dient allen


Was ist die Lösung? Sollen wir Menschen, die arm sind, eben dumm sterben lassen? Statistisch gesehen, ist klar: Armut verkürzt die Lebenserwartung. Oder sorgen wir dafür, dass sich der Stress reduzieren kann und dadurch mehr Menschen in den Genuss eines menschenwürdigen Lebens kommen können? Eine Untersuchung bei indischen Maisbauern, die von einer Ernte im Jahr leben, hat gezeigt, dass ihr IQ vor der Ernte um 14% niedriger ist als nachher. Klarer Befund: Die Angst, bevor die Ernte beginnt, es könnte nicht fürs Jahr reichen, macht so viel Stress, dass die Intelligenz schwächer wird als sie eigentlich ist.

Wenn wir also eine Gesellschaft mit Menschen wollen, die ihre Intelligenz nutzen können – für sich und für die Gesellschaft –, dann müssen wir dafür sorgen, dass der Grundstress sinkt. Das geht nur, wenn das Überleben und das Leben aller in einem guten, wenn auch bescheidenen Rahmen gesichert wird, unabhängig von einer Leistung, die von dauernd wechselnden Anforderungen des kapitalistischen Arbeitsmarkts definiert ist. Der Armut abzuhelfen, bringt allen Nutzen, ob sie zu den Ärmeren oder den Reicheren zählen. Wir müssen folglich für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintreten. 

Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet nicht, dass der Staat Geschenke oder Almosen an Bedürftige gibt, wie es in früheren Zeiten der Herrscher nach seinem Gutdünken verteilte, sondern dass jedes Mitglied einer Gesellschaft einen verbindlichen Rechtsanspruch auf die Sicherung seiner Existenz hat. Es genügt also nicht, dass der Staat eine Mindestsicherung festsetzt, die dann nach Belieben der jeweiligen Regierung hinauf- oder hinabgesetzt wird, womit den Betroffenen signalisiert wird, dass ihre Absicherung von der Gnade der gerade Mächtigen abhängt. 

Auch wenn – hypothetisch – irgendwann alle notwendigen Güter von Maschinen produziert, vermarktet und verkauft werden, braucht es Menschen, die die Gesellschaft bilden, die miteinander reden, spazieren gehen, spielen, lachen usw. All die Menschen brauchen ein menschenwertes Leben, sonst können sie keine funktionierenden Gemeinschaften bilden, sondern müssen danach trachten, auf Kosten anderer das eigene Leben zu sichern – wie es zu einem nicht unbeträchtlichen Teil das Leben im Kapitalismus prägt. Menschen brauchen entspannte Zeiten miteinander, um sich in erster Linie als Menschen wahrzunehmen und um sich in zweiter Linie wohlzufühlen, und dazu müssen sie von den Existenzsorgen der Überlebenssicherung befreit sein.

Ein deftiges Zitat zum Thema: Wenn Scheiße etwas wert wäre, hätten die Armen keinen Arsch. (Brasilianisches Sprichwort)

Zum Weiterlesen:

Freitag, 24. August 2018

Gründe für ein Grundeinkommen

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens stellt eine Herausforderung für unsere Gesellschaft und unseren Staat dar. Vor allem aus drei Gründen scheint mir die Beschäftigung mit diesem Konzept unumgänglich: Zum einen konfrontiert uns die rasante Entwicklung computergesteuerter Technologien vor allem im Bereich der künstlichen Intelligenz mit der Aufgabe, mit dem massiven Verlust an Arbeitsplätzen zurecht zu kommen. Zum anderen ist das Phänomen der Armut ein soziales Übel, das in reichen Volkswirtschaften überwunden werden müsste. Zum dritten geht es darum, dass das soziale System durch viele Tätigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich aufrecht erhalten wird, ohne dass diese Tätigkeiten grundsätzlich entlohnt werden. Für all diese Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten bietet das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens eine sinnvolle Lösungsmöglichkeit.


Der gesellschaftliche Profit durch das Grundeinkommen


Bei Projekten mit dem Grundeinkommen, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, hat sich gezeigt, dass nicht nur die betroffenen Personen besser gestellt wurden, sondern auch, dass die Gesellschaft davon profitiert hat: Höhere Gesundheit, bessere Schulnoten, weniger Kriminalität bewirken eine Entlastung öffentlicher Ausgaben und eine Verbesserung der Sicherheit, die allen zugute kommt. Die Kosten der Armut – von Arbeitslosenprogrammen bis Zuckerkrankheit – belaufen sich ungefähr auf den Wert der Kosten für ein bedingungsloses Grundeinkommen; die Gesellschaft steigt also vermutlich pari aus, wenn sie sich zu diesem Schritt entschließt. Der soziale Gewinn ist kolossal: Die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft könnten ein menschenwürdigeres Leben führen. (Hier zur Quelle)

Alles, was die Gesellschaft aufgeben muss, ist die Ideologie der individuellen Leistung. Sie besagt: Die einzelnen Menschen erhalten mehr von der Gesellschaft, wenn sie mehr leisten. „Wer nicht arbeitet, kriegt nichts zum Essen“, war die Devise im Sowjetkommunismus; im Kapitalismus westlicher Prägung war und ist sie die Grundlage für den Gesellschaftsvertrag: Menschen werden nach dem Ausmaß ihrer Leistung mit Lebenschancen belohnt oder eben nicht. Allerdings ist das, was unter Leistung verstanden wird, auf bestimmte Tätigkeiten reduziert, die im kapitalistischen System unmittelbar Gewinn bringen, z.B. die Erzeugung eines Gutes, das am Markt erfolgreich verkauft werden kann. Von den be- und entlohnungswürdigen Arbeiten ausgenommen sind z.B. die Hausarbeit, die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder die Suche nach einer Arbeit, geschweige denn das Drehen einer Leier, das Musizieren auf der Straße oder das Betteln (selbst diese verachtete Tätigkeit bedient einen sozialen Zweck: Sie macht darauf aufmerksam, dass es Armut gibt und dass etwas dagegen unternommen werden muss). 

Viele Tätigkeiten der sozialen Fürsorge und Absicherung sind aus dem, was als Leistung im Sinn des Kapitalismus definiert ist, ausgegliedert. Sie sollen zwar stattfinden, weil auch der Kapitalismus Menschen braucht, die emotional stabil und intelligent sind und in verschiedenen Positionen Ertrag bringende Wirtschaftsleistungen beisteuern können. Aber die Aufwandsentschädigung für die Bildung und Aufrechterhaltung dieser kognitiven und emotionalen Kompetenzen (z.B. in Form eines liebevollen und angstfreien Umsorgens und Förderns von Kindern durch Eltern) wird den Betroffenen zugemutet, und die Allgemeinheit, die den Gewinn in Form von sozialer Sicherheit bekommt, putzt sich ab. Denn ohne wachsende Standards an sozialer Sicherheit, die von intelligenten und emotional kompetenten Menschen gewährleistet wird, und damit ohne sozialen Ausgleich gibt es auch kein Wachstum des Kapitalismus. Vielmehr drohen gesellschaftliche Spannungen, Asozialität, Segregation, bis zum Bürgerkrieg und zu anderen Formen der zerstörerischen Gewalt, die schließlich jedes produktive Wirtschaften unmöglich machen. Ein Blick auf einen „failed state“, wie Libyen, Syrien, Somalia oder Afghanistan zeigt augenscheinlich, welchen Wert eine intakte Zivilgesellschaft, die interne Spannungen abpuffern kann, ausmacht – und dafür muss ein Grundmaß an sozialer Gerechtigkeit erfüllt sein.

Also: Ohne soziale Sicherheit, die bisher weitgehend als freiwillige und unbezahlte Leistung bereitgestellt wird, fehlen dem Kapitalismus die Rahmenbedingungen für sein Funktionieren sowie die Akteure, motivierte und intelligente Arbeitskräfte, Menschen, die gerne arbeiten. Soziale Sicherheit und Arbeitsfreude sind zwei untrennbare Seiten einer Medaille. Das Grundeinkommen bedenkt auch die unsichtbaren Leistungen für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt.


Sind Menschen von Grund auf faul?


In der Diskussion um das Grundeinkommen spielen vor allem drei Argumente gegen das Grundeinkommen die zentralen Rollen. Das erste Argument ist alt und geht davon aus, dass Menschen von Grund auf faul sind. Sie nehmen jede Gelegenheit wahr, in der jemand anderer für sie sorgt, um sich auf die faule Haut zu legen. Das Grundeinkommen würde also nur zur Leistungsflucht führen, und ein paar wenige Fleißige müssten die vielen Tachinierer auf der sozialen Hängematte am Leben erhalten, was das gesellschaftliche Gleichgewicht aus dem Lot bringen könnte.

Dagegen haben die Experimente mit dem Grundeinkommen in einigen Ländern (z.B. Kanada, Finnland) festgestellt, dass es die meisten Betroffenen zur Arbeitssuche motiviert hat. Sie hatten zwar weniger Druck und Stress, aber das hat geholfen, sich eine Arbeit zu suchen, die mehr den individuellen Fähigkeiten entspricht. Die Leute nehmen also nicht aus Angst die erstbeste Arbeit an, die dann oft schnell wieder aufgegeben wird. 

Die anthropologische Grundannahme, die in dem ersten Gegenargument steckt, dass der Mensch von Natur aus Anstrengung vermeiden will, stimmt offenbar nicht. Sie ist ein weitgehend ungeprüftes Grundaxiom vieler konservativer und neoliberaler Ideologien und wird gerne genutzt, um Stimmung gegen ein Grundeinkommen zu machen. Doch die These von der angeborenen Faulheit der Menschen beruht auf einer dürftigen Beweislage. Vermutlich wird sie besonders von zur Selbstausbeutung neigenden „Leistungsträgern“ gepflegt, die sich ihre eigene Sehnsucht nach Nichtstun nicht eingestehen und deshalb auf alle anderen projiziert werden, die sich nicht Tag und Nacht dem Arbeitsstress unterordnen.

Betrachten wir doch die Erfahrungen, die wir selber mit uns machen. Wenn alles soweit in Ordnung ist, wollen wir etwas tun und schaffen. Wenn wir lange genug im Bett waren, wollen wir aufstehen und Dinge in Bewegung bringen, sei es die Blumen gießen oder Geschäfte abschließen. Menschen, die sich mit sich selber wohlfühlen und nicht unter einer Krankheit leiden, haben einen verlässlichen Drang nach Aktivität, gepaart mit dem Bedürfnis nach entsprechender Entspannung und Regeneration. Wir halten das Faulsein eine Weile aus, dann wollen wir wieder etwas tun, auch wenn es mit Anstrengung verbunden ist. Nur wenn wir krank sind – dazu zählen auch seelische Krankheiten wie Depressionen oder Angstzustände –, können wir uns nicht zum aktiven Tun aufraffen, sondern fühlen uns gehemmt, antriebslos und schlaff. Menschen mit solchen Problemen gibt es unabhängig von einem Grundeinkommen, und sie müssen ohnehin durch das Sozial- und Gesundheitssystem versorgt werden. 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Annahme, dass ein Grundeinkommen die Leistungsbereitschaft verringern würde, nicht stimmt, im Gegenteil sagen uns die Befunde: Die Leistungsmotivation steigt an, wenn sich Menschen sicherer fühlen. 


Industrie 4.0


Das eigentliche Problem, auf das wir zusteuern (Stichwort: Industrie 4.0), ist nicht die unterstellte notorische Grundfaulheit der Menschen, sondern der zunehmende Mangel an Tätigkeiten, die eine direkte Leistung für die Wirtschaft erbringen. Viele Berufe werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren verschwinden, weil deren Arbeit von Maschinen übernommen werden wird. So wie der Beruf des Schriftsetzers seit den 1980er Jahren der Vergangenheit angehört, wird es bald kaum mehr Chauffeure geben, außer in den Limousinen der Oberschicht. Früher fuhr in jedem Straßen- und Schnellbahnzug ein Schaffner mit, bald werden die Züge ohne menschliches Personal fahren. Auch in scheinbar zukunftssicheren Berufssparten wie Rechtsberatung und ärztliche Diagnostik sind die Leistungen der Computer mit ihrer künstlichen Intelligenz den Menschen bereits überlegen. Schon jetzt führen Roboter Operationen mit Erfolg durch. Alle Tätigkeiten, die mit Routine verbunden sind, werden über kurz oder lang von Maschinen übernommen. Unsere Fantasie reicht kaum, uns vorzustellen, wie unsere Arbeitswelt in Zukunft beschaffen sein wird, so schnell verläuft die Entwicklung der entsprechenden Technologien. (Hier zu einem Video mit Richard David Precht zu dem Thema)

Nach der Einschätzung der meisten Experten ist die Idee der Vollbeschäftigung nicht in die Zukunft hinein zu retten. Möglicherweise werden im nächsten oder übernächsten Jahrzehnt die arbeitenden Menschen die Minderheit bilden – Arbeit als Privileg, das nur durch eine neue Form der sozialen Auslese gerecht verteilt werden kann. Jene, die leer ausgehen, sind zum Nichtstun (im Sinn wirtschaftlich verwertbarer Tätigkeit) verdammt, einfach weil es nichts Entsprechendes zu tun gibt. Man könnte auch sagen, die Faulheit wird der Mehrheit verordnet, und sie können sich dann selber aussuchen, womit sie ihre Zeit verbringen können.


Hatte Karl Marx doch recht?


Möglicherweise entsteht auf eher unerwartete Weise, was Karl Marx in seinen Frühschriften zu "klassenlosen Gesellschaft" des Kommunismus prophezeit hat: Sie werde den "totalen Menschen" schaffen und die gesellschaftliche Arbeit durch "freie Tätigkeit" ersetzen. Sie werde jedem einzelnen ermöglichen, "heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden." (Karl Marx, Die deutsche Ideologie, 1845-46) Es gibt also in dieser Utopie keine fixen Berufe mehr, sondern die Menschen tun, wonach ihnen gerade ist, wozu sie gerade Lust haben. Was das Jagen, Fischen und Viehzüchten anbetrifft, werden wir auch in Zukunft Spezialisten brauchen, die jene Bereiche abdecken, die nicht von Robotern erledigt werden können. Außerdem, und das ist ein anderes, aber mit diesem Szenario verflochtenes Thema, können wir uns fragen, wie lange es überhaupt noch Objekte des Jagens und Fischens geben wird, also frei lebende Tiere, und was die Viehzucht anbetrifft, haben wir hier schon ein Ausmaß an Ressourcenverschwendung erreicht, das nur mit einer drastischen Reduktion des Fleischkonsums und damit einer radikalen Beschränkung der Viehzucht korrigiert werden kann.

Davon abgesehen, gibt es harmlosere und feinere Tätigkeiten, denen die Menschen nachgehen können, für die es keine Arbeit mehr gibt: Vom Chorsingen bis zum Unterhalten und Pflegen von Kindern und altersschwachen Menschen, vom Gedichte schreiben, Sport betreiben, Spiele spielen, Sozialprojekte initiieren bis zum „Kritisieren“ herrscht kein Mangel an kreativen und sinnvollen Tätigkeiten für alle, deren Arbeitsleistung nach Maßgabe des Kapitalismus (also für die Gewinnmaximierung) nicht mehr gefragt ist.


Finanzierbarkeit des Grundeinkommens


Das zweite Argument gegen das Grundeinkommen bezieht sich auf die Finanzierbarkeit. Hierzu der Schweizer Unternehmer Daniel Häni: „Volkswirtschaftlich würde etwa ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts zu bedingungslosem Einkommen werden, in Deutschland rund eine Billion Euro im Jahr. Der größte Teil davon wären, wie angedeutet, die bestehenden Erwerbseinkommen im Umfang von rund 550 Milliarden Euro. Der zweitgrößte Teil wären die staatlichen Sozialleistungen, die in der Höhe des Grundeinkommens bedingungslos würden (etwa 300 Mil¬liar¬den Euro). Genauso verhielte es sich bei den bestehenden privaten Transferzahlungen, zum Beispiel innerhalb der Familie (in der Summe sind das geschätzte 150 Milliarden Euro).“ (Hier zur Quelle)

Vor der Einführung der allgemeinen Sozialversicherungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts (Kranken-, Unfalls- und Altersversicherung) in einigen europäischen Ländern zweifelten viele an der Leistbarkeit. Die Geschichte hat die Zweifler eines Besseren belehrt. 

Viele Fragen sind in diesem Bereich noch offen und verschiedene Modelle werden diskutiert, aber die meisten Experten gehen davon aus, dass ein Grundeinkommen in unseren reichen Volkswirtschaften leistbar ist. Es braucht nur den gesellschaftlichen Willen, die notwendigen Veränderungen umzusetzen, die möglicherweise die Reicheren etwas weniger reich und die Ärmeren etwas weniger arm machen. 


Grundeinkommen und Migration


Schließlich zum dritten Argument, das vom allgegenwärtigen Thema Migration stammt: Die Länder mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würden automatisch zu Magneten für die Wanderbewegungen aus Ländern mit bitterer Armut und fehlenden Zukunftschancen werden. Dieser Befürchtung kann allerdings relativ einfach gegengesteuert werden: Das Grundeinkommen wird so lange auf die eigenen Staatsbürger beschränkt und kommt nur ihnen zugute, solange es nicht von anderen Ländern angewendet wird. Erst in dem Maß, in dem diese staatliche Leistung zwischen den Staaten vergleichbar wird, können auch andere Menschen in das System aufgenommen werden. 

Sollten dann irgendwann, irgendwann alle Länder der Erde ein Grundeinkommen anbieten, würde sich das Problem der Migration von selber erledigen. Die Menschen, die dann noch umsiedeln, tun dies ohne Existenznöte.


Zusammenfassung: Pro Grundeinkommen


Einige Punkte wurden oben schon angeführt. Alles, was den Menschen Angst nimmt, macht sie menschlicher, kreativer, produktiver, selbstbestimmter. Der Schweizer Grundeinkommensverfechter Daniel Häni fügt noch hinzu, dass Menschen dadurch nicht mehr Geld, aber mehr Macht bekommen. Wer existentiell abgesichert ist, kann schwerer manipuliert werden. Außerdem steigert es die Motivation der Menschen und damit die ökonomische und soziale Kreativität. Die Gesellschaft der Zukunft ist auf jede Form von menschlicher Kreativität angewiesen, um noch eine menschliche Gesellschaft bleiben zu können. 

Eine der großen Utopien der Menschheit könnte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen seiner Verwirklichung näher kommen: Das Ende von Armut und die Schaffung von menschenwürdigen Lebensgrundlagen für alle. Beginnen können diese Entwicklung vermutlich nur die reichen Staaten, und wenn das einmal gelungen ist, wird es spannend zu beobachten, wie sich diese sozialen Errungenschaften auf die eigene Gesellschaft und auf andere Länder auswirken.


Ein langer Weg?


Auch wenn wir eingesehen haben, dass über kurz oder lang kein Weg um ein Grundeinkommen herumführt, wird es viel politischen Muts und visionärer Kraft bedürfen, um den Übergang vom primitiven Kapitalismus, in dem wir (sozial betrachtet) noch immer leben, zu einer Menschengesellschaft mit echter Gleichheit bei der Grundsicherung schaffen. Je eher wir beginnen, unsere Mentalitäten auf eine „Nacherwerbsgesellschaft“ einzustellen, desto leichter wird es uns fallen, den Weg in diese Richtung weiterzugehen. Wir können auch davon ausgehen, dass dort, wo zuerst dieser Schritt gewagt wird, die meisten Anpassungsprobleme auftauchen werden, aber auch umso früher die Gewinne eingebracht werden können.

Zum Weiterlesen:
Armut ist ein Ärgernis
Reich und arm, Demut und Würde
Die Begnadeten und die Benachteiligten

Freitag, 17. August 2018

Stickstoff als Umweltgefahr und die Rolle des Fleischkonsums

Die Lebensmittelproduktion hat einen massiven Einfluss auf die natürlichen Zusammenhänge unseres Planeten. Eine wenig bekannte Einflussgröße ist der Stickstoffkreislauf. Mit Stickstoff kann die Fruchtbarkeit von Feldern erhöht werden, was die Menschen schon lange erkannt haben und deshalb den Böden Natur- oder Kunstdünger beimengen. Inzwischen haben die menschlichen Eingriffe in die komplexen Stickstoffkreisläufe zu einer Verdoppelung der Stickstoffproduktion geführt. Stickstoffdünger sind notwendig, um die Weltbevölkerung zu ernähren, allerdings wird er im Überfluss und unökonomisch angewendet: Weniger als die Hälfte wird von Pflanzen aufgenommen, die damit ihr Wachstum steigern können. Der größere Teil verursacht Nebenwirkungen wie Algenwachstum und Übersäuerung der Böden. Außerdem entsteht Lachgas, das als drittwichtigstes Treibhausgas schuld am Klimawandel ist. Stickstoffverbindungen haben auch als Luftschadstoffe  (Feinstaub) unangenehme und schädliche Auswirkungen. Das Stickstoffproblem ist jetzt schon jenseits der Nachhaltigkeit gelandet, d.h. die Belastungen werden vom Ökosystem nicht mehr ausgeglichen.

Es gibt vor allem zwei Strategien, um diesem Problem gegenzusteuern: Technische Änderungen wie den effizienteren Einsatz von Düngemitteln können helfen, und der andere Ansatz liegt in der Veränderung von Konsumgewohnheiten. Dieselfahrzeuge produzieren Stickoxide und tragen viel zur Überbelastung bei, und den Rückgang von Emissionen können wir durch eine Reduktion des Fleischkonsums erreichen, denn die tierische Eiweißproduktion stellt wesentlich mehr Stickstoff her als die von pflanzlichen Proteinen. Also: Ein weiterer Beitrag zur ökologischen Wirkungen des Verzichts auf Fleisch. Vegetarier und Vegane sind damit die Pioniere zum Schutz des Planeten. Wer das nicht will, trägt eine Mitverantwortung am Kippen unseres Ökosystems mit unvorhersehbaren Folgen.

Deshalb ermutige ich alle Leser und Leserinnen, die Informationen weiterzuverbreiten und selber die eigenen Essgewohnheiten zu überdenken, falls da noch der Fleischkonsum im Vordergrund steht.

Donnerstag, 9. August 2018

Klimaabgabe für mehr Umweltverantwortung

Ich bin kein Wirtschaftsexperte und verfüge über eine nur periphere Ahnung von der Komplexität der ökonomischen Zusammenhänge. Ich bin besorgt über die vielfältigen Bedrohungen der Natur auf unserem Planeten und sehe die Klimaveränderungen als zentrales Problem an. Deshalb möchte ich auf dieser Seite eine Idee weiterempfehlen, von der ich glaube, dass sie Wirtschaft und Klimafrage besser verbinden kann und damit einen Prozess in Gang setzen kann, der die Umweltzerstörung reduzieren und zugleich die Wirtschaftsentwicklung fördern kann. 

Es handelt sich dabei um das Festsetzen von Klimaabgaben, die im Fachjargon um "Border Carbon Adjustment" (BCA) – Grenzkohlenanpassung genannt werden. Viele Experten treten für solche Klimaabgaben ein, um langfristige Perspektiven mit kurzfristigen gegenzurechnen. Eine Schwachstelle im System des Welthandels besteht nämlich darin, dass im Preis der Produkte die Umweltkosten nur mangelhaft enthalten sind. Entsteht ein Produkt in einem Land mit niedrigen Umweltstandards, so kann es am Markt erfolgreich sein, weil die Produktionskosten wegen der geringeren Umweltanstrengungen niedriger sind. Firmen, die nicht in Umweltmaßnahmen investieren müssen, können ihre Produkte umweltschädlich herstellen und billiger verkaufen. Das trifft auf viele Schwellenländer zu und, wenn die Politik der Trump-Regierung in dieser Hinsicht weitergeht, auch bald auf die USA. 

Der Vorschlag besteht darin, dass jedes Produkt seinen ökologischen Fußabdruck erhält, der dann in den Preis eingerechnet wird. Preise sollen folglich nicht nur die Produktionskosten (Rohstoffe und Arbeitskosten sowie Transport- und Handelskosten) enthalten, sondern auch die langfristigen Schädigungen der Umwelt. Wer sonst sollte dafür bezahlen als die Konsumenten der Produkte, deren Nachfrage ja die Billigproduktion ankurbelt? 

Die ökologische Verantwortungsübernahme würde mit dieser Maßnahme wieder zurechtgerückt. Wünschenswert wäre es, wenn dann ein Vermerk auf jedem Produkt wiedergibt, wieviel der Konsument mit seinem Kauf zu den Umweltbelastungen beisteuert.

Ländern, in denen die Umweltstandards höher sind, wie beispielsweise in der EU, müssten Produkte, die unter schwachen Standards billiger produziert wurden, für die eigenen Märkte durch entsprechende Auflagen verteuern. Damit wird die Konkurrenz mit heimischen Produkten auf eine fairere Basis gestellt und zugleich wird die ökologische Perspektive stärker in der Ökonomie verankert. Den Konsumenten wird verdeutlicht, dass ihr Konsum kurzfristige wie langfristige Auswirkungen hat und dass sie dafür auch eine Verantwortung tragen.

Bisher ist es so, dass Industrien dazu verleitet werden, ihre Produktion in Staaten mit niedrigeren Energiekosten zu verlagern und die erzeugten Güter dann in die Länder mit strengeren Standards zu exportieren. Damit wird der weltweite Klimaschutz ad absurdum geführt. Unternehmen reagieren nicht auf moralische Appelle oder ethische Überlegungen, sondern auf Kosten und Absatzchancen. Und diese können nur von politischen Institutionen geregelt und vorgeschrieben werden. 

Nach der Meinung von Experten kann durch die Einpreisung von Umweltkosten Druck auf Produzenten und Regierungen ausgeübt werden und ein faireres Handelssystem entstehen. Wir können auch auf die Beispielwirkung hoffen: Wenn wir an jedem Kauf ersehen können, wie sehr wir unseren ökologischen Fußabdruck verstärken, verankern wir mehr in uns selbst, dass wir nicht Opfer einer Klimakatastrophe sind, die über uns hinwegrollt, sondern dass wir aktiv, mit jeder Kaufentscheidung, daran mitwirken können, dass uns das Desaster erspart bleibt. Bewusstere Konsumenten üben einen starken Einfluss auf die Wirtschaft und die Politik aus, sodass die Frage nach der Zukunft dieses Planetens einen zentralen Stellenwert in den Planungen der Politik und in den Visionen der Gesellschaft erhalten kann.

Zur Quelle

Zum Weiterlesen:
Die großen Sorgen und die Verantwortung