Liebe und Akzeptanz
In der Liebe geht es uns nicht ums Akzeptieren – das wäre
ein viel zu schwaches Wort für das, was wir empfinden und wollen. Die Liebe
nimmt den anderen nicht nur, wie er oder sie ist, sondern sie will auch das
Beste für diese Person: Glück, Erfüllung, Wachstum, Reichtum usw. Die Liebe
will mehren, was schon ist.
Doch sind es gerade die Liebesbeziehungen, die vor besondere
Herausforderungen stellen, was die Akzeptanz anbetrifft. Denn nach den ersten
Überschwängen des Verliebtseins stellen sich oft Zweifel und Unzufriedenheiten
ein. Unmerklich verschiebt sich der Pol der Liebe von der anderen Person auf
das eigene Selbst und dessen Bedürfnisse: Werden sie genügend gestillt, kriegen
wir ausreichend von dem, was wir meinen, unbedingt zu brauchen? Unmerklich
melden sich die inneren Mängel und die unbewusst gesteuerten Erwartungen und
Forderungen, der Partner müsse sie erfüllen. Unmerklich mischt sich die eigene
Kindheit mit ihren Mangelerfahrungen in die Erwachsenenbeziehung ein.
Langsam schleichen sich auf diese Weise Stränge des Nicht-Akzeptierens
in die Liebe ein und führen zu Streitereien und Konflikten. Bei ihnen geht es hintergründig
darum, die Partnerin dafür in Dienst zu nehmen, um für die Kompensationen der
eigenen Kindheitsschäden zu sorgen und die Erfüllung der damals entstandenen Mangelhaftigkeit
einzumahnen. Mit jedem Stück der Selbstbezogenheit verringert sich die
Liebeskraft und die Verbundenheit. Mit jeder Ablehnung, die dem Verhalten des
Partners entgegengebracht wird, wird das verbindende Band geschwächt.
Anklagen, Vorwürfe und Bewertungen fließen ein, und das
Akzeptieren der anderen Person in ihrem So-Sein wird schwieriger. Sie sollte
doch anders sein als sie ist, damit wir kriegen, was uns nach unserer eigenen,
ins Unbewusste eingeschriebenen Agenda zusteht. Es entstehen Macht- und
Manipulationsbestrebungen, die den Partner nach den eigenen Wunschfantasien zurechtbiegen
wollen. Hinter diesen Fantasien rumort das verzweifelte innere Kind, das sich
nach bedingungsloser Liebe sehnt und den erwachsenen Persönlichkeitsanteil
drängt, endlich bereitzustellen, was den Mangel nachträglich auffüllt.
Illusionäre Wünsche und Erwartungen
Doch ist es eine Illusion, von einem Liebespartner die
Nachnahrung für den kindlichen Gefühlshunger zu erwarten. Der Beziehungspartner
ist weder Vater noch Mutter, und die Zeit der Kindheit ist lange vorbei.
Erwachsensein besteht darin, die Verantwortung für die Stillung der eigenen
Bedürfnisse selbst zu tragen und nicht an andere Personen auszulagern, schon
gar nicht an den Beziehungspartner, obwohl dieses Muster in den intimen
Beziehungen besonders häufig vorkommt.
Die zweite Illusion, die sich dazu gesellt, ist der Glaube
an die vollkommene, die wahre Liebe, eine Beziehung, in der alle Bedürfnisse
abgedeckt sind und alle Wünsche ihre Erfüllung finden. Wohl gibt es Momente und
Zeiten der innigen Verbindung bis hin zu Erfahrungen des Einsseins unter den
Fittichen der Liebe, aber diese Erfahrungen sind genau so flüchtig wie alles
andere im Leben. Gerade der Verlust der Innigkeit wird häufig zur Quelle von
Zerwürfnissen, weil auf beiden Seiten
der Beziehung Trennungstraumen aktiviert werden und der andere als Täter identifiziert
wird. Jedenfalls bewirkt jedes Auseinanderdriften nach dem Verlust des
Verbundenseins Gefühle der Unzufriedenheit.
Wenn solche Gefühle auftauchen, geht es üblicherweise nicht
um den Ursprung des Gefühls in einem selbst, sondern um den Mangel in der Beziehung.
Solange die Beziehung nicht vollkommen ist, muss die Partnerin zum Besserwerden
gebracht werden. Denn wie soll die Beziehung vollkommen werden, wenn die
Partnerin solche Schwachstellen hat? Allerdings: Der Glaube scheint vermessen,
weil es nur unvollkommene Menschen gibt und weil deshalb in jeder Beziehung
unvollkommene Personen aufeinander treffen. Wie sollten unvollkommene Menschen
vollkommene Beziehungen erschaffen und die wahre Liebe leben?
Der Weg aus dem Land der Projektionen zurück in die Liebe erfordert das Durchschauen dieser Illusion. Ist sie einmal erkannt, so entsteht auch der Wunsch, sie zu verabschieden. Wir alle wollen im vollen Sinn erwachsen werden. Abschied geht allerdings nicht ohne Schmerz, und dieser Schmerz muss durchgespürt und durcherlebt werden. Es werden sich auch Schamgefühle melden wegen all den Irrwegen, die durch die illusionären Erwartungen an Partnerschaften viel Energie verschlungen und Leid erzeugt haben.
Das ist der Königsweg, der zurück zur eigenen
Verantwortung für die unerfüllten Bereiche der Seelenlandschaft führt. Er führt
wieder über das Akzeptieren: Es geht darum, das eigene Lebensschicksal und die
eigene Lebensgeschichte anzunehmen, alles so, wie es war, mit dem Guten und dem
Schlechten, mit dem Schönen und dem Schrecklichen. Alle Gefühle, die damit zusammenhängen und aus der Vergangenheit hängen geblieben sind, wollen ihren
Platz bekommen und angenommen werden.
Mit jedem Stück Selbstannahme und Selbstakzeptanz wächst auch
die Außenakzeptanz und die Toleranz für die Mängel anderer Menschen, vor allem
der Beziehungspartner. Im Verständnis, aufgrund der eigenen Lebenserfahrungen
und Traumatisierung selber kein vollkommener Mensch zu sein und Dellen und
Löcher in der eigenen Liebesfähigkeit aufzuweisen, entsteht mehr Bereitschaft
und Offenheit, mit unvollkommenen Mitmenschen zusammen zu sein und sich
auszutauschen. Die eigene Leidensgeschichte kann draußen bleiben, und die
Leidensgeschichte der Partnerin bekommt Mitgefühl und Verständnis, aber nicht
die Projektionen und illusionären Erwartungen, die daraus abgeleitet sind und aus
der Liebe aufs Glatteis sich verhakender Muster abgleiten.
Beziehungen als Lernfelder
Der Austausch und das Zusammensein mit anderen Menschen beinhalten
immer das Lernen der Akzeptanz für die eigenen Unvollkommenheiten und jene der
Partner. In Zweierbeziehungen ist diese Lernchance besonders hoch, weil die Kommunikation
sehr dicht ist und viele Bereiche und Details des Lebens umfasst. Also werden
gerade dort besonders viele Unvollkommenheiten sichtbar und wollen mit liebevollen
Augen wahrgenommen werden und nicht mit abwertenden und kritischen.
Lernen in Beziehungen beinhaltet aber nicht nur die
Bewusstheit über das Akzeptieren, sondern auch das gegenseitige Herausfordern
zu noch mehr Bewusstheit. Diese Form des Lernens, die auch kritische
Rückmeldungen, Änderungserwartungen und Veränderungswünsche enthält, trägt dann
zum aneinander und miteinander Wachsen bei, wenn sie in einer akzeptierenden
und Freiheit gewährenden Weise angewendet wird. Alle Machtthemen müssen mit der
Illusion verabschiedet werden und der Akzeptanz Platz machen, mit der die Liebe
wieder ins Blickfeld gerät.
Denn die Selbstmitteilungen, mit denen dem Beziehungspartner
die eigenen Bedürfnisse und Verletzungen verständlich gemacht werden, fallen
nur dann auf fruchtbaren Boden, wenn sie von Akzeptanz begleitet sind. Wo sich Machtaspekte
und Elemente der Gewaltsprache in die Mitteilungen einmischen, gerät der
Partner unter Druck und wird mit passivem Widerstand oder Gegendruck reagieren.
Es ist also für die gelingende Kommunikation in der
Zweierbeziehung erforderlich, dass beide Partner einen verlässlichen Zugang zur
Akzeptanz des So-Seins des anderen haben. Auf diese Weise kann der Weg zu
diesem Tor leicht gefunden werden, wenn er einmal in der Hitze eines Gefechts
verloren gegangen ist. Die Akzeptanz wiederum bildet die Brücke zur Liebe und
Verbundenheit. Wie schon erwähnt, kommt es mit jeder Nichtakzeptanz zu einer Trennung
von der Wirklichkeit, in dem Fall von der Beziehungsperson. Das Bewusstsein
kreist im eigenen Bereich der unerfüllten Bedürfnisse und gräbt sich dort ein.
Es sieht die andere Person als Belastung, Störung oder Bedrohung.
Mit der Erkenntnis, dass solche Sichtweisen aus sehr frühen
Erfahrungen gespeist sind und dass es nichts bringt, den Partner nach den
eigenen Vorstellungen zu ändern, also dem eigenen Modell anzugleichen, erwacht
die Bereitschaft, besser zu erkennen und wahr-zunehmen, wer die andere Person
ist. Wo es gelingt, die eigenen Bewertungen und Erwartungen wegzulassen, wird
es möglich, einen realen Kontakt mit der Beziehungsperson herzustellen, frei
von den eigenen Angst- und Wunschprojektionen. In diesem Kontakt wächst und
entfaltet sich die Liebe aufs Neue.
Liebe jenseits von Narzissmus
Die reife Liebe (die den Narzissmus überwunden hat) unterscheidet
sich von einem einfacheren Mögen dadurch, dass sie gerade das schätzt, was
anders ist als das Eigene. Sie erkennt das Unterschiedene und Gegensätzliche
als das eigentlich Bewunderswerte und Schätzenswerte, und nicht das
Wiedererkennen des Eigenen im Anderen. Die Welt der Wunder, zu der die Liebe den
Zugang eröffnet, enthält das Überraschende, das immer wieder aus der Andersheit
des Liebespartners entspringt. Beziehungen bleiben nicht durch Angleichung und
Anpassung an die jeweiligen Erwartungen lebendig, sondern durch die kreative
Spannung, die sich aus der Verschiedenheit immer wieder auflädt.
Die Herzbeziehung
Das Geheimnis der Liebe liegt in der Beziehung zweier
Herzen. Damit ist einerseits eine Metapher angesprochen, die darauf hinweist,
dass die Liebe kein Verstandes- oder Denkphänomen ist, sondern auf einer
anderen Ebene lokalisiert ist. Sie entzieht sich also der Kontrolle und dem
Verständnisrahmen des Mentalen. Andererseits wissen wir, dass das Herz über
eigene Nervenzellen und damit über eine eigene Intelligenzform verfügt.
Drittens gibt es noch die Lehre von den Chakren, bei der das vierte Chakra (Anahata)
dem Herzen zugeordnet ist und mit Liebe und Mitgefühl assoziiert wird. Und
schließlich ist das Herz das „Zentralorgan“ der romantischen Liebe und als
solches eine prominente Metapher für die verschiedenen künstlerischen
Auseinandersetzungen mit dieser Spielart der Liebe.
Für unseren Zusammenhang bedeutet der Zugang zur Liebe über
das Herz, dass sie das Akzeptieren voraussetzt, also das Anerkennen und
neutrale Wahrnehmen der Andersheit des Beziehungspartners. Sie geht einen
wichtigen Schritt weiter, indem sie gerade diese Andersheit wertschätzt, sich
an ihr erfreut und sie genießt. Ohne die Lust auf die Andersheit gibt es keinen
sexuellen Austausch.
Die Weisheit und die Liebeskraft des Herzens sind die
Qualitäten, die eine Liebesbeziehung tragen, fördern und lebendig erhalten. Dort,
wo diese Qualitäten verloren gehen, weil sich die Ängste der Egos in den
Vordergrund drängen, führt der Weg über das Akzeptieren, das oft über das
Gespräch, also über das Abgleichen der Unterschiedlichkeiten gefunden werden
kann, zurück zur Herzebene.
Zum Weiterlesen:
Akzeptieren, was ist (Teil 1)
Akzeptieren, was ist (Teil 2)
Akzeptieren, was ist (Teil 3)
Akzeptieren, was ist (Teil 5)
Akzeptieren, was ist (Teil 6)
Akzeptieren, was ist (Teil 7)
Akzeptieren, was ist (Teil 8)
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