Montag, 23. Dezember 2013

Die Erleuchtungsfalle

Ich habe eine Reihe von Personen erlebt, die von sich sagen, dass sie „erleuchtet“ oder „erwacht“ sind. Sie geben Satsangs, in unterschiedlichen Formaten, aber immer so, dass sie selber draußen sitzen, und alle Besucher mit bestimmtem Abstand vor ihnen. Manche von ihnen reden viel, manche wenige oder gar nichts, manche unterschiedlich. Manche lassen Fragen stellen und geben darauf Antwort oder auch nicht, bei manchen finden Gespräche und Austausch statt. Alle, die ich getroffen habe, haben eine freundliche und akzeptierende Ausstrahlung und vermitteln eine besondere Qualität von Stille und Gelassenheit.

Was ich bei all diesen Menschen auch beobachten und mit ihnen erfahren konnte, ist, dass sie, so reif sie in ihrer spirituellen Erfahrung erscheinen, in Bereichen des zwischenmenschlichen Lebens ihre Schwächen und Unklarheiten zeigten. Daran ist auch nichts Schlimmes, es zeigt, dass niemand vollkommen ist und dass die Fehlerhaftigkeit und Unfertigkeit etwas Menschliches ist. Wie ginge es uns auch mit jemandem, der immer alles richtig, stimmig und perfekt macht, bei dem jeder Satz makellos und jede Handlung von höchster ethischer Reinheit ist?

Das Problem jedoch, das diese Menschen aufwerfen, liegt in folgendem Dilemma: Sie verfügen offenbar über einen inneren Zustand, der sie dem emotionalen Leiden an den Problemen des Lebens enthebt. Sie leiden nicht an verlorenen Geldbörsen und zerbrochenen Beziehungen, sondern sehen in allem, was geschieht, das Stimmige und Richtige. Deshalb sind sie auch ihren eigenen Fehlern gegenüber blind, es ist ja alles in Ordnung so, wie es ist. Es braucht nichts geändert zu werden. Wenn sie jemand darauf aufmerksam macht, dass sie etwas an sich, an den eigenen Einstellungen und Überzeugungen, an Verhaltensgewohnheiten ändern könnten, um es ihrer Umwelt leichter zu machen, reagieren sie verwundert, ignorant oder aggressiv. Sie sind blind für ihre eigenen ungelösten Traumatisierungen und blind für das Leiden, das sie anderen Menschen antun.

Bei solchen Gelegenheiten wird es offensichtlich, dass solche Menschen als Menschen weiter lernen müssten. Da sie aber in ihrem Leben einen so hohen Grad an Zufriedenheit gefunden haben, verstehen sie nicht mehr, wie dieses Lernen geschieht – durch das beständige Feedback in Beziehungen und durch tiefergreifende Selbsterforschung dort, wo sich Leiden erzeugende Gewohnheiten nicht durch bewusstes Wollen verändern lassen. Erleuchtete Menschen haben meistens keine Menschen um sich, die ihnen ein ehrliches und offenes Feedback geben, bzw. von denen sie ein solches annehmen können. Meist sind sie von Menschen umgeben, die solchen „voll“ realisierten Personen bedingungslose Verehrung entgegenbringen, und das festigt dann in diesen Personen die Überzeugung, dass sie nur solches verdienen. Sie scharen also, wie die Potentaten einer Diktatur, einen Kreis von Ja-Sagern und Bestätigern um sich. Es ist kein Wunder, dass sich dann schnell sektenartige Zirkel bilden, deren Angehörige möglichst viel Zeit bei der angebeteten Person verbringen wollen, anfangen, so zu denken und zu reden wie diese Person, und andere abwerten, die davon abweichen.

Damit kommt es zu einer sich selbst bestätigenden Gemeinde von Gleichgesinnten und Gleichgeschalteten. Kritik und Auseinandersetzung ist nicht erwünscht; es geht ja darum, sich vom Denken zu befreien und „den Kopf auszuschalten“. Allerdings ist unser Kopf auch dazu da, Zusammenhänge zu erkennen und damit die Bewusstheit weiter zu verbessern. Dieses Potenzial bleibt in den spirituellen Sanghas ungenützt, weil es von der Zentralfigur monopolisiert ist.

Manchmal kommen die persönlichen Schwächen der Meister an die Öffentlichkeit, wie z.B. die sexuellen Missbrauchsfälle, die Baba Muktananda angelastet werden, oder die Verbrechen, die in der Umgebung von Bhagwan Shree Rayneesh (Osho) in Oregon zum Zusammenbruch der dortigen Gemeinschaft mit Tausenden von Betroffenen geführt haben. Manchmal fallen sie nur auf, wenn sich die kritische Beobachtungsgabe nicht durch die überwältigenden Gefühle und erhebenden Erfahrungen blenden lässt. Dann rückt sich wieder etwas zurecht: Wo Menschen sind, menschelt es. Und das ist gut so, und das entlastet von dem Druck, die eigene Unvollkommenheit endlich loswerden zu müssen.


Therapie und Meditation


Doch auch hier zeigt sich eine Falle in der gesamten Erleuchtungsbewegung unserer Tage. Menschen strömen zu den Satsangs und Retreats der Lehrer und Lehrerinnen, weil sie dort die Stille und Versenkung erfahren wollen – und: Weil ihnen dort jemand sagt: Du brauchst nichts mehr an dir zu ändern, du bist schon vollkommen, du bist schon erleuchtet, erkenne es doch nur. Da sagt etwas ganz begeistert Ja im Inneren, etwas freut sich, endlich bedingungslos angenommen zu werden. Und die Meisterin erklärt weiter, dass Therapie völlig nutzlos ist, sie habe ihre Weisheit durch keine Therapie erlernt, sondern dadurch, dass sie sich der Weisheit gegenüber geöffnet hat. Und alles, was jemand machen muss, ist, in ihrer Gegenwart zu sein, so viel wie möglich, dann wird sich auch die Tür zur Weisheit eines Tages ganz von selber öffnen.

Was für eine Erleichterung: Ich muss keine Therapie mehr machen. Ich muss mich nicht mühsam meinen Ängsten stellen und Schicht um Schicht von meinen Traumatisierungen lösen. Ich brauche nur mein ganzes Leben an dem Meister ausrichten, möglichst viel Zeit mit ihm verbringen und dazwischen seinen Übungen und Anweisungen folgen und mit seinem Bild meditieren, dann werde ich eines Tages so sein wie er, dann ist endlich Friede und unermessliches Glück.

Das ist allerdings eine Illusion, denn Themen, die in die Tiefen unserer Seele versenkt sind und dennoch unser Lebensgefühl, unsere Kommunikationsfähigkeit und unser Selbstverhältnis einschränken, lassen sich nur mittels therapeutischer Erforschung lösen. Wir können alle möglichen Glückserfahrungen und Befreiungserlebnisse sammeln; diese werden solange oberflächlich bleiben, solange wir nicht die tiefen Fundamente unserer Persönlichkeit und Lebensgeschichte gereinigt haben. Diese Arbeit erfordert Einsatz, Mühe und die Konfrontation mit unangenehmen Gefühlen. Meditationen und Stilleerfahrungen können dabei helfen, können aber diese Arbeit nicht ersetzen. Und jeder Lehrer, der das behauptet, handelt unverantwortlich, weil er seine Schüler an der effektiven Befreiung von ihrem Leiden hindert und sie an sich und seinen Weg bindet, der die Schüler auf einer oberflächlichen Befreiungserfahrung festhält und das Wachstum, das in die Tiefe der eigenen Lebensgeschichte zurückführt, nicht fördert, sondern im Gegenteil für unnötig erklärt.

Damit ist nicht gemeint, dass spirituelle Lehrer und Lehrerin vorsätzlich Menschen in die Irre führen. Im Gegenteil glaube ich, dass sie alle, soweit ich sie kennen gelernt habe, von den besten Motiven beseelt sind, dass sie Menschen auf ihrem Weg weiterhelfen wollen. Aber klar wurde mir auch, dass sie eine spezielle Art des Schattens kultivieren, der sie in ihren eigenen Absichten behindert und einschränkt. Und dass das soziale Umfeld, das in solchen Kreisen entsteht, zusätzlich zur Stabilisierung dieses Schattens beiträgt. Das schmälert nicht den Wert dessen, was spirituelle Meister weitergeben, zeigt aber auch die großen und unverzichtbaren Vorzüge der Therapie.


Vgl.: Gute LehrerInnen,
Benennungen auf dem Weg

Österreich hat eine neue (?) Regierung

Die neue österreichische Bundesregierung wurde vor einer Woche angelobt. Sie hat wenig Begeisterung geerntet und musste unter verschiedenen Protesten ihre Arbeit aufnehmen.

Wenn Regierungen ein Ausdruck ihrer Bevölkerung sind, die sie in die Ämter gewählt hat, was sagt das dann über die Österreicher und Österreicherinnen? Manche halten der neuen Regierung zugute, dass sie nicht wesentlich anders ist als die alte. Kontinuität möge sich bewähren in krisengeschüttelten Zeiten. Andere kritisieren gerade dieses. Allem Anschein nach setzen nicht nur die Personen, sondern auch die Programme der neuen Regierung gemächlich und bieder fort, was bisher schon im Gange war. Alle Kommentatoren sind sich einig, dass große Reformschritte und neue bahnbrechende Ideen fehlen.

Das entspricht einer Schiene, die wir alle im Gehirn haben: Was sich bewährt hat, verfolgen wir weiter – bis wir Schiffbruch erleiden, und oft noch darüber hinaus. Es entspringt einem Bedürfnis nach Sicherheit, nach Kontrolle der Zukunft. Wenn die Schritte bescheiden und immer in die gleiche Richtung erfolgen, kann nicht viel passieren, nicht viel Gefährliches und nicht viel Neues.

Es gibt auch eine andere Schiene, die statt der kleinen Schritte Sprünge macht. Sprünge führen auf ein neues Territorium, sie bringen uns schneller an Orte, die wir noch nicht kennen. Das Risiko ist größer, und die Chancen auch. Diese Schiene ist offenbar bei uns schwächer ausgeprägt als die andere, bei den Staatsbürgern als auch bei den Regierungsverantwortlichen.

Viele meinen wohl, dass im Zuge der großen Zockerkrise der letzten Jahre keine Abenteuer eingegangen werden sollten – warum aber nicht? Viele meinen wohl, dass Österreich gut dasteht, mit dem zweithöchsten Prokopfeinkommen in der EU und einer der niedrigsten Arbeitslosenraten und dass deshalb so weiter gewirtschaftet und gewurstelt werden sollte wie bisher – warum nicht anders? Freilich, woher sollte dieser Mut kommen, wenn bei jedem Wort, das ein Politiker spricht, bei jeder Entscheidung, die dann getroffen wird, starr auf die Wähler bei der nächsten Wahl und auf die Interessensgruppen der eigenen Partei gestarrt wird? Wird eine unkonventionelle oder sogar unpopuläre Entscheidung getroffen, sind Verluste zu befürchten: Verluste an Sympathien und Wählerstimmen. Wer will das schon, vor allem hierzulande?

So bleibt alles beim Alten, niemand ist glücklich (bei einer aktuellen Befragung wollen 78% neue Schwerpunkte) und niemand muss sich allzu sehr fürchten. Für jede Angst gibt es ein Beruhigungspflaster – die einen schützen die Pensionisten, die anderen die Millionäre und Milliardäre. Die einen verteidigen die Positionen der Lehrer und der Bauern, die anderen jene des Sozialsystems. So soll die Republik im gleichen Gleichgewicht gehalten werden, das es jetzt schon gibt.

Wir leben in einer Zeit der schnellen Veränderungen, die wir am deutlichsten im Bereich der Technologie bemerken. Alle anderen Bereiche sind im Bann der gleichen Veränderungsgeschwindigkeit, auch wenn sie da und dort unterschiedlich abläuft. Doch scheint sich das noch nicht auf die Art und Weise, wie dieses Land gelenkt und geleitet wird, herumgesprochen zu haben. Auch deshalb ist es für viele unverständlich, dass gerade das Wissenschaftsministerium abgesägt und dem Wirtschaftsminister zugeschlagen wurde, wo besonders in den Wissenschaften der Fortschritt am signifikantesten gefördert wird (neben der Kunst und Kultur, aber die ist ja nur ein Nischenbereich der Politik und notorisch in ihrer Bedeutung für die Gesellschaftsentwicklung unterschätzt).

Auch die Wirtschaft ist ein Bereich schnell wechselnder Neuentwicklungen und Trends. Doch sind diese im Wesentlichen unabhängig von der Politik, die sich vor allem um die Folgewirkung von Entwicklungen in der Wirtschaft kümmern muss, die gegen die Interessen der meisten Menschen gehen. So schurlt die Politik hinter der Wirtschaft her, die in ihrer Eigendynamik ein Desaster nach dem anderen produziert, und kaum haben sich alle vom Schock erholt und fangen an, die riesigen Finanzlöcher zu stopfen, die sich aufgetan haben, kommt schon die nächste Katastrophe. Was ist von einem solchen Wirtschaftssystem zu lernen, außer, dass es so nicht geht? Dennoch erhoffen sich die Parteien, die ja alle die Arbeitsplätze sichern und mehren wollen, von dieser Wirtschaft die Erlösung.

Was wäre zu tun und wird wieder einmal nicht getan? Die Reform des Bildungssystems, das in seinen Grundstrukturen noch fest im 19. Jahrhundert verankert ist, wird weit ins 21. Jahrhundert vertagt. Das Pensionssystem bleibt auf ein paar Jahre hinaus gesichert, also bis zur nächsten Wahl, dann tun sich, wenn man den Experten glauben darf, die großen und rapide wachsenden Fehlbestände auf. Das Steuersystem, das fleißig auf die Einkommen der Mittelschicht zugreift, die Spitzenverdiener weiterhin hätschelt und die Vermögenden neidlos ignoriert, wird solange Geld in die Staatskassen spülen, solange es diese Mittelschicht noch gibt. Da es an deren Ausdünnung arbeitet, arbeitet es auch an der Verwirklichung eines Szenario, das für manche Sozialtheoretiker schon am Horizont auftaucht: Der Zerfall der Gesellschaft in eine immer dünner werdenden Schicht von Superreichen, die die Vermögenswerte und die politischen Entscheidungen kontrollieren, und der großen Masse der immer weiter abrutschenden Unterschichten.

Währenddessen und im Zuge dessen geht der Raubbau weiter, der Raubbau an den Ressourcen der Umwelt und der Menschen. Die Ausbeutung der Menschen durch die Menschen wurde ergänzt durch die Ausbeutung der Natur durch die Menschen und durch die Ausbeutung der Menschen durch sie selbst. Das Gegensteuern, das die Änderung von mächtigen Gewohnheiten und fest zementierten gesellschaftlichen Strukturen erfordern würde, bräuchte Energien und Mittel, die im Sinn des Weitertuns des bisher Üblichen restlos verbraucht werden.

Aufgewendet werden diese Energien und Mittel auch für die Absicherung des Bestehenden in der Abschottung gegen außen. Mit den Befestigungswerken, mit denen wir unsere Staaten wie riesige mittelalterliche Burgen umgeben, werden die Ausbeutungsstrukturen aufrecht gehalten, und die Impulse, die aus der Begegnung mit dem Fremden und Andersartigen entstehen, bleiben ungenutzt. Integriert wird nur, was schon integriert ist.

Was also in der politischen und öffentlichen Landschaft der Republik fehlt und was nicht einmal in Ansätzen sichtbar ist, ist die kreative Fantasie, die Bereitschaft zum Aufbruch, die Leidenschaft für Erneuerung und die bewusste Begegnung mit den kollektiven Ängsten, die all das behindern. So können wir nur selber daran arbeiten, unsere Leben mit diesen Energien zu beleben und wachsen zu lassen, und dieses Wachstum an der Bewusstheit, das immer auch ein Wachstum an Kreativität beinhaltet, wird immer größere Kreise ziehen, bis es Einzug hält in die Entscheidungszirkel und Machtgremien. Dann werden, wie es schon Platon gefordert hat, die Philosophen zu den Staatslenkern und die Staatslenker zu Philosophen, die mit emotionaler und intellektueller Redlichkeit und Integrität ihren Dienst an der Allgemeinheit verrichten.

Mit Nelson Mandela wurde dieser Tage einer betrauert, der uns gezeigt hat, dass wir dieses Potenzial alle in uns tragen. Lassen wir also immer mehr von unserem inneren Nelson-Mandela-Potenzial zur Wirkung kommen!

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Außerkörperliche Erfahrungen und die Leib-Seele-Dualität



Außerkörperliche Erfahrungen (OBE = Out of Body Experience) sind oftmals dokumentiert. Viele Menschen, die die Erfahrung gemacht haben, aus ihrem Körper herauszutreten und z.B. oberhalb schwebend ihren am Boden liegenden Körper zu betrachten, haben von einem ganz besonderen und herausragenden Gefühl berichtet, als etwas, das sie ihr ganzes Leben nicht mehr vergessen würden.

Aus: Metzinger S. 124
Solche Zustände treten nach Unfällen, epileptischen Anfällen, Operationen oder auch beim Aufwachen in der Nacht oder bei Tagträumen auf. Aber auch Drogen oder Meditationen können zu außerkörperlichen Zuständen führen. Manchmal kommen uns außerkörperliche Erfahrungen beim Einschlafen unter. Untersuchungen haben ergeben, dass zehn Prozent der Menschen (und 25 % der Studenten; bei Cannabiskonsumenten bis zu 50%) im Lauf ihres Lebens solche Erfahrungen machen. 42% der Schizophrenen kennen solche Erfahrungen. Allerdings kommen auch viele OB-Zustände bei gesunden Personen in Alltagssituationen vor.

In Wikipedia ist zu lesen, dass in den meisten von 50 untersuchten Kulturkreisen „die Vorstellung existiert, der Geist oder die Seele könne den Körper verlassen. Auch die Struktur von außerkörperlichen Erfahrungen ähnelt sich weltweit. Allerdings ist die Interpretation dieser Erfahrungen wesentlich vom jeweiligen religiösen Umfeld abhängig.“     

Jeder Mensch kann aber auch ganz einfach die Möglichkeit von außerkörperlichen Erfahrungen nachempfinden. Wir brauchen nur an ein vergangenes Erlebnis denken, z.B. wie wir irgendwann einmal eine Wanderung unternommen haben. In den meisten Fällen wird die Erinnerung so auftreten, dass wir uns von außen, meist leicht von oberhalb wahrnehmen, wie wir da irgendwo dahinspazieren. Wir befinden uns also an einem außerhalb des Körpers gelegenem Beobachtungspunkt und betrachten von dort aus unseren Körper in Bewegung.

Zum Unterschied von einer echten außerkörperlichen Erfahrung haben wir dabei allerdings bei solchen Alltagsszenen das deutliche Bewusstsein, dass es sich um eine Erinnerung handelt und dass wir im gegenwärtigen Moment ganz im Körper sind. Bei echten OB-Erfahrungen ist der Realitätscharakter sehr stark, es besteht also der ganz klare Eindruck, dass es sich nicht um eine Vorstellung oder Erinnerung handelt, sondern um eine reale Erfahrung in der Gegenwart.

Außerkörperliche Erfahrungen und die Seele


Vielen gelten solche Erfahrungen als Beweis für den Dualismus zwischen Leib und Seele. Offensichtlich ist es so, dass Menschen über die Möglichkeit verfügen, dass ihre Seele den Körper verlässt und ihn von außen betrachtet. Also muss diese Seele über eine eigenständige Existenzform verfügen, die ihr ein vom Körper unabhängiges Dasein gestattet. Damit wäre klar, dass sie nach dem körperlichen Tod weiter existieren kann, bzw. vor der Empfängnis an einem anderen Ort gewesen sein kann, von wo aus sie dann z.B. in die befruchtete Eizelle „schlüpft“.

Die menschliche Existenz zwischen Empfängnis und Geburt wäre dann eine duale: Zwei Wesenheiten finden zu einer zusammen, die eine „geistig“ und die andere „materiell“, wobei die geistige von längerer oder ewiger Zeitdauer und die materielle eben auf die Lebenszeit begrenzt wäre. Solche Vorstellungen einer unsterblichen Seele sind auch in den meisten Religionen sowie in esoterischen Kreisen in der einen oder anderen Form maßgeblich.

Wissenschaftliche Forschungen


Inzwischen gibt es umfangreiche Forschungen zum Phänomen der außerkörperlichen Erfahrungen. Eine der für den Zusammenhang mit dem Leib-Seele-Dualismus wichtigsten Erkenntnis hat sich zufällig ergeben: Bei der Suche nach dem Herd von epileptischen Störungen wurden bei einem Patienten durch die Reizung einer bestimmten Gehirnregion außerkörperliche Erfahrungen ausgelöst.

Es konnten in der Folge bestimmte Gehirnareale lokalisiert werden, die für die Auslösung dieser Zustände maßgeblich sind. Eine jüngere Hypothese aus der Forschung geht dahin, dass zwei Störungen zusammenkommen müssen, um einen außerkörperlichen Erfahrungszustand zu erzeugen: Zwei verschiedene pathologische Bedingungen müssen zusammenkommen, damit ein OBE ausgelöst wird: „Zum einen eine Desintegration auf der Ebene des Selbstmodells, die dadurch entsteht, dass Informationen über den eigenen Körper, die aus dem Tast- und Gesichtssinn sowie aus der propriozeptiven Eigenwahrnehmung stammen, nicht mehr zu einer Ganzheit verbunden werden können. Zum anderen ein Konflikt zwischen dem äußeren, visuellen Raum und dem inneren Bezugsrahmen, der durch vestibuläre Information erzeugt wird.“ (Metzinger, Ego-Tunnel 143) (vestibulär = den Gleichgewichtssinn betreffend)

Die besonderen Glücksgefühle, die bei OBEs auftreten können, werden von der Wissenschaft mit der Ausschüttung von Endorphinen und anderen Botenstoffen erklärt, die in extremen Stresssituationen z.B. bei Unfällen oder Operationen vorkommen.

Wenn wir diese wissenschaftlichen Befunde ernst nehmen, folgt daraus, dass es bei außerkörperlichen Erfahrungen nicht um eine Spaltung zwischen Geist und Körper geht, sondern dass ein Koordinationsproblem innerhalb des Gehirns vorliegt. Solche Erfahrungen sind also (wie alle unsere Erfahrungen) Produktionen des Nervensystems. Das Gehirn ist in der Lage, in sich selbst die Spaltung herbeizuführen, die zu einer Doppelung im Bewusstsein führt - das Ich-Bewusstsein bewegt sich mit dem außerkörperlichen Körper aus dem Körper heraus, während der ursprüngliche Körper als Objekt wahrgenommen wird. Es handelt sich also um eine seltsame und selten auftauchende Erfahrung innerhalb des Gehirns, das in solchen Fällen die als total real erfahrene Illusion erzeugt, als wäre der Körper und damit auch das Bewusstsein außerhalb seiner selbst.

Die Nähe und Verwandtschaft mit traumabedingten dissoziativen Zuständen wurde ebenso dokumentiert. Auch wenn es Unterschiede zwischen verschiedenen Formen der Dissoziation gibt, scheint es doch möglich, dass das Gehirn einen Vorgang bereithält, der in Situationen extremer Bedrohung einen außerkörperlichen Zustand erzeugen kann.

Vermutlich liegt der evolutionäre Sinn solcher Zustände darin, das Bewusstsein von überwältigenden Schmerzerfahrungen abzutrennen und damit zum Überleben unter lebensbedrohlichen Umständen beizutragen. Möglicherweise werden während dieser Abspaltung Ressourcen mobilisiert, die dazu beitragen, dass die Erfahrung anschließend besser bewältigt werden kann. Wenn nun OBEs in Situationen ohne offensichtliche Bedrohung auftreten, kann das entweder ein Wiederbeleben einer früheren traumatischen Situation sein, oder die Reaktion wird durch eine andere Umstände, wie z.B. bei der Epilepsie durch Änderungen im Hirnstrombild, ausgelöst.


Die Tatsache, dass außerkörperliche Erfahrungen in Wirklichkeit Erfahrungen innerhalb des Körpers, also innerhalb des Gehirns sind, das in der Lage ist, eine sehr überzeugende Illusion herzustellen, entzieht den Schlussfolgerungen der Leib-Seele-Dualisten den Boden unter ihren Argumenten.

Umgekehrt ist die Vermutung naheliegend, dass solche Erfahrungen, über die Menschen immer wieder im Lauf der Geschichte berichtet haben, schon in frühester Zeit dazu geführt haben, dass der Glaube an eine vom Körper unabhängige Seele überhaupt entstanden ist und sich bis heute gehalten hat. Da Menschen erlebt haben, dass sie sich mit ihrer „Seele“ aus ihrem Körper herausbewegen können, und überzeugend davon berichtet haben, wurde dieser „Seele“ eine Art dinglicher Existenz unabhängig vom Körper zugesprochen. Nun jedoch, mit dem Vorliegen wissenschaftlicher Befunde, die uns klar vor Augen führen, dass unser Gehirn selber in der Lage ist, solche Vorstellungen mit ihrer ganzen Überzeugungskraft hervorzubringen, müssen wir diese Form des Glaubens aufgeben, wie jene an die so augenfällige „Tatsache“, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Wieder müssen wir ein Stück Entzauberung der Welt hinnehmen.

Was wir mit dem Begriff der „Seele“ machen, steht auf einem anderen Blatt. Wir werden ihn weiter verwenden, weil er uns hilft, vieles verständlich zu machen, was in uns und in anderen abläuft. Außerdem hat er so vielfältige Bedeutungen, dass wir schwerlich auf ihn verzichten können. Stattdessen von  neuronaler Selbstorganisation oder innerem Informationsfluss zu reden, mag für wissenschaftlich denkende Menschen befriedigend sein. Lyrischer angehauchte Gemüter werden sich aller wissenschaftlicher Terminologie zum Trotz immer wieder auf die Schwingungen ihrer „Seele“ und ihres „Gemüts“ einlassen.

Die Verfechter des Leib-Seele-Dualismus müssen sich wohl andere Gründe einfallen lassen, um ihre These zu stützen. Auf phänomenologische Erfahrungen können sie dabei leider nicht mehr zurückgreifen, denn diese sind immer „innerhalb“, also Teile des von unserem Gehirn beständig erzeugten Selbstmodells. Es läuft also immer ein materieller Vorgang ab (Nervenzellen, die aktiv sind), wenn eine solche geistigen Erfahrung gemacht wird, gleich, was ihr erlebter Inhalt ist. Wenn wir also noch so fest davon überzeugt sind, in einer anderen Galaxie unterwegs zu sein, turnen wir in Wirklichkeit nur in einer Ecke unseres Innenbewusstseins herum, das von einer riesigen Menge von feuernden Neuronen hergestellt wird.

Wir können uns weiterhin auch an den Wundern dieser Welt der Selbstmodelle freuen, selbst wenn der Begriff der „Seele“ seine Unschuld verloren hat. Sollte uns der Verlust der Sicherheit, die wir durch den „Besitz“ einer unsterblichen Seele hatten, zu mehr Bescheidenheit und zu mehr Wissen des Nichtwissens verleiten, sollte das nicht unbedingt zu unserem Schaden sein. Was wir wissen können, macht uns reicher und bringt uns in mehr Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, was wir nicht wissen, wird uns immer neugierig machen; was wir nicht wissen können, hilft uns, die Begrenztheit unserer Erkenntnisfähigkeit zu akzeptieren. Bloße Meinungen, Phantasien und Glaubensinhalte, die wir mit Wissen verwechseln, entfernen uns von der Wirklichkeit und von uns selbst.

Literatur:
Thomas Metzinger, Der Ego Tunnel. Berlin: Bloomsbury 2009‎

Samstag, 7. Dezember 2013

Die Arbeit im Modell der Bewusstseinsevolution

Die Menschen sind die einzigen Lebewesen auf dem Planeten, die arbeiten. Was "Arbeit" ist und bedeutet, liegt nicht von Anfang der Menschheit fest, oder in einem "Wesen" der Arbeit begründet, sondern kann als eine Funktion der jeweiligen Bewusstseinsstufe verstanden werden. Was also die Menschen unter Arbeit unter den jeweiligen inneren und äußeren Umständen verstehen, unterscheidet sich deutlich und wirkt auf die Lebensqualität und Lebenseinstellung der Menschen zurück.

Tribale Stufe


Die Menschen, die auf dieser Bewusstseinsstufe leben, brauchen keinen Begriff der Arbeit, der sie von anderen Tätigkeiten unterscheidet. Alle Aktivitäten spielen eine prinzipiell gleichartige Rolle im umgrenzten Sinnzusammenhang des Stammes. Die Überschaubarkeit in der kleinen Gruppe beinhaltet eine beständige und selbstverständliche soziale Kontrolle. 


Wer was macht oder nicht macht, wird von allen bemerkt und anerkannt. So können auch kleinere Abweichung von den Normen, die im Stamm gelten, unmittelbar korrigiert werden.
Jede Person leistet den Beitrag zum Ganzen des Stammes, wie er von einer tradierten Rollenverteilung definiert wird. Ab einem bestimmten Alter gehen die jungen Männer auf die Jagd, ab einem bestimmten Alter fertigen die jungen Frauen bestimmte Gebrauchsgegenstände. Es gibt keine Möglichkeit, sich von diesen Aufgaben abzumelden oder sich ihnen zu entziehen.
 

Die über Generationen überlieferten Regeln sorgen dafür, dass ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten und Pflichten besteht, in dem sie alle Mitglieder des Stammes wohlfühlen können. Es wird auf individuelle Unterschiede ebenso eingegangen wie auf

Emanzipatorische Stufe


Mit der Einführung neuer Lebensweisen durch die jungsteinzeitliche Revolution kommt es zu einem grundlegenden Wandel im Auseinanderbrechen der Stammeskulturen. Die soziale Differenzierung in Stände wird eingeführt. Je nach Stand werden unterschiedliche Normen in der Arbeitsleistung eingeführt, die auch mit unterschiedlichem sozialem Prestige verknüpft werden. Die obersten Stände werden von manueller Arbeit freigestellt. Damit erhält die Handarbeit zum Unterschied von der Kopfarbeit ein vermindertes Sozialprestige. Zugleich erhöht sich das Ausmaß an Leistung, das erbracht werden muss, denn die manuellen Arbeiter müssen nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen, die selber keine Handarbeit leisten, versorgen.

In diesem Zusammenhang entsteht die Assoziation von Arbeit und Mühsal: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen, heißt der biblische Fluch. Unter Arbeit werden Tätigkeiten verstanden, die geschehen müssen, die also einem Zwang unterliegen. Dieser Zwang gilt unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten, ein jeder muss zu jeder Zeit die geforderte Leistung erbringen. Tut er es nicht, gibt es harte Bestrafungen, die ihn letztlich dazu zwingen.

Die Unterschiede der Stände sind auch durch den Zugang zu arbeitsfreier Zeit gekennzeichnet, der von oben nach unten drastisch abnimmt. Freizeit ist ein Privileg der obersten sozialen Schichten, von allen anderen wird erwartet, dass sie ihre Lebenszeit zum größten Teil der Arbeit widmen.

Im Zusammenhang mit dem Entstehen von Kriegen, also gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Großgruppen von spezialisierten Kämpfern, wird das System der Sklaverei eingeführt. Menschen aus einer besiegten Gegengruppe werden zur Arbeit für die eigenen Zwecke unter Aberkennung ihrer persönlichen Rechte gezwungen. Damit wird es möglich, Menschen als Sachen zu definieren und zu behandeln. In diesem Zusammenhang wir die Arbeit ein dinglicher Begriff, ähnlich wie ihn später die Physik definiert, und die Menschen werden zu Arbeitskräften.

Hierarchische Stufe


Die soziale Differenzierung geht weiter, die soziale Stellung definiert die Arbeit und umgekehrt. Wer am meisten zu arbeiten hat, kommt auch im sozialen Prestige am schlechtesten weg. Je härter die Arbeit, desto größer die Verachtung.

Zwischen den Stufen der Hierarchie gibt es wenig bis gar keine Bewegungsmöglichkeiten. Die Geburt legt den Rahmen für das künftige Lebensschicksal fest, bestimmt das Ausmaß und die Art der Arbeit, die zu erbringen ist, und begrenzt damit die Chancen auf Erfolg und Glück. Der Grad an Zwang, dem eine Person ausgesetzt ist, wird durch die Position in der Hierarchie festgelegt.

Der Großteil der Menschen arbeitet für den Wohlstand einer dünnen Schicht anderer Menschen, ohne selber mehr zu bekommen als das Fristen des Überlebens und ohne Aussicht auf Besserung. (Das ist bis heute außerhalb der Luxusinseln des Reichtums so: Die Näherin in einer Bruchbude in Bangla Desh, die unsere billigen T-Shirts näht, wird für den Rest ihres Lebens nichts anderes mehr machen und froh sein, dass sie wenigstens auf diese Weise ihr Überleben sichern kann).

Die Arbeitshaltung wird verinnerlicht: Es ist die Pflicht eines jeden Menschen, zu arbeiten, wer sie nicht erfüllt oder erfüllen kann, muss sich schämen. Die Arbeitsscheu gilt als moralischer Makel. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Und wer nicht arbeitet, soll sich zusätzlich selber dafür geißeln.

Die freie Verfügung über freie Zeit bleibt eine der Privilegien des Adelsstandes und wird oft in geradezu frivoler Weise zur Schau gestellt. Die Lustgärten der Barockschlösser zeugen noch heute davon. Der Snobismus, wie er insbesondere in der Oberschicht der englischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts zelebriert wurde, kann als besonders skurrile späte Blüte dieser Einstellung gesehen werden, wo es z.B. als nobel gegolten hatte, sich mit Aktivitäten die Zeit zu vertreiben, die möglichst unproduktiv waren. Die Haute Couture produziert aufwändigste Kleider zum Einmal-Getragenwerden.

Materialistische Stufe


Mit der Erfindung der Maschinen und der Betriebsorganisation im Zug des Kapitalismus wird die Verbindung der Stellung in der Hierarchie mit der Arbeitsleistung aufgelöst. Tendenziell entsteht eine einheitliche Klasse von Arbeitern, die die gleiche, vor allem in Zeit gemessene Leistung erbringen sollen. Die Arbeitskräfte werden austauschbar.

Die verinnerlichte Arbeitshaltung, also die Selbstverständlichkeit der Arbeit unter Zwang und Mühe, wird nun zusätzlich vom Rhythmus der Maschinen bestimmt. Deren Unermüdlichkeit gilt nun als Vorbild für die Arbeitskräfte. Sie müssen schauen, es ihnen gleich zu machen, sonst werden sie von ihnen überrollt. Die Ausbeutung durch die Produktionszwänge geht einher mit einer Perfektionierung der Selbstausbeutung. Die Menschen benutzen ihre Körper wie eine Maschine. Es entsteht die Spaltung und Entfremdung zwischen Körper und Geist.

Die Freizeit, die als Ausgleich gewährt wird, steht unter der Notwendigkeit zur Reproduktion der eigenen Arbeitskraft. Eine arbeitsfreie Zeit muss eingeführt werden, weil die Optimierung der Ausbeutung in der Arbeit (an deren Vervollkommnung bis heute fleißig gearbeitet wird) danach strebt, die Energiereserven der arbeitenden Menschen maximal zu konsumieren. Die Menschen sollen in der Arbeit alles hergeben, was sie haben. Sie werden dafür entlohnt und dürfen sich in der Freizeit wieder erholen, indem sie die Produkte konsumieren, die unter den Rahmenbedingungen der entfesselten Wirtschaft immer billiger hergestellt werden.

Die personalistische Stufe


Was in der hierarchischen Stufe noch das Vorrecht einer dünnen Oberschicht war, nämlich die freie Verfügung über freie Zeit, wird in der Zeit des Personalismus zur Forderung für alle. Die Arbeit wird zum Beruf, und es entsteht der Ruf nach der Berufung. Das Arbeiten soll nicht mehr nur dem Überlebenszwang dienen, sondern einen inneren Sinn bekommen. Sie soll die Gaben der eigenen Individualität zum Ausdruck bringen und damit zur Bereicherung des Lebens beitragen. Der Anspruch auf Selbstverwirklichung gilt auch für den Bereich der Arbeit: Im Produkt der Arbeit soll sich ein Aspekt des Selbst darstellen. Die Entfremdung, die in der industriellen Produktion zwischen dem Arbeiter und der hergestellten Sache entsteht, wird kritisiert. An die Stelle der Mechanik sollen Kreativität und Freude am Arbeiten treten. Es kommt zu einer Weideraufwertung der Handarbeit, wenn auch häufig in einem romantischen Kontext. Die Schaffenskraft wird in vielen Bereichen mit der Ästhetik verbunden.

Die Bedürfnisse des Körpers gewinnen an Bedeutung und sollen mit den Arbeitserfordernissen koordiniert werden. Parallel dazu entsteht die Entwicklung, den Körper als eigentlichen Leistungsträger zu formen. Dazu dient der Sport als Freizeitaktivität wie als Beruf.

Die systemische Stufe


Diese Stufe bringt eine Tendenz zur Gleichbewertung von Arbeiten. Soziale Bewertungen und Einstufungen werden abgeschwächt. Von jedem Mitglied der Gesellschaft wird ein Beitrag zu ihr erwartet, wobei zunehmend darauf geachtet wird, dass Menschen ihren Fähigkeiten und Begabungen entsprechende passende Arbeitsbedingungen vorfinden und ausfüllen können. Die Förderung dieser Begabungen beginnt schon früh und zieht sich durch das gesamte Bildungssystem. Damit erhält die Gesellschaft einen konstanten Zufluss an Kreativität.

Neue Formen der Arbeitsorganisation werden entwickelt, um den unterschiedlichen Bedürfnissen einzelner Lebensphasen und Lebensumständen gerechter zu werden. Es gibt im Arbeitsleben flexible Möglichkeiten für Eltern mit Kindern, für jüngere und für ältere Personen, für Kranke und Behinderte.

Die Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie die Unternehmensführungen orientieren die Ziele an verschiedenen übergreifenden Bereichen, z.B. ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, fairer Handel usw. Die Implementierung solcher Orientierungen wird mit wirtschaftlichen Vorteilen belohnt.

Hierarchien werden von Netzwerken abgelöst. Die Flexibilisierung der Arbeitskraft stellt neue Anforderungen an die Menschen.

Die Menschen verinnerlichen zunehmend eine Haltung des Dienens, die die Vorstellung der Arbeit als Zwang oder Mühsal ablöst. Sie sehen in der eigenen Arbeitsleistung einen unverzichtbaren Beitrag zu einem größeren Ganzen. Das eigene Tun wird an seiner Bedeutung für das soziale Umfeld sowie für die Weltgemeinschaft bemessen, von den kleinen Dingen wie der Mülltrennung bis zur Reflexion der ökologischen und sozialethischen Verträglichkeit des Berufs.

Der zentrale Aspekt der Nachhaltigkeit stellt das individuelle und kollektive Arbeiten in den Zusammenhang mit globalem Fortschritt. Neue Formen des Ausgleichs und neue Normen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit werden gesucht und zunehmend institutionalisiert.

Die holistische Stufe


Jede Tätigkeit ist sinnerfüllend, es gibt keine Wertungsunterschiede mehr zwischen blue- oder white-collars, zwischen Hand und Kopfarbeit. In jedem Tun, ob es für jemand anderen wichtig oder unwichtig erscheint, gilt es, Freude und Erfüllung zu finden. Arbeit dient dazu, das Wohlbefinden zu steigern, das eigene und das der anderen. Mühsal gibt es nur für einen Körper, dessen Kraft sich erschöpfen kann und der seine Zeit für die Rekreation braucht, nicht für den Geist, der in jeder Erfahrung etwas findet, was ihn bereichert und erfüllt.

Die Würde des Menschen ist das Zentrum der Wirtschaft. Die Arbeitsverhältnisse werden an diesen Maßstäben gemessen, sodass alle Formen der Ausbeutung abgeschafft werden müssen. Not, Hunger und Armut werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eingedämmt.

Soweit angstbestimmte Gefühle wie Gier, Neid und Konkurrenz als Triebkräfte der Wirtschaft verschwinden, wird die Verteilungsgerechtigkeit und Fairness, an der alle Menschen „guten Willens“ interessiert sind, einen globalen Ausgleich zwischen arm und reich bewirken. Dann wird es möglich, weltweit vergleichbare Maßstäbe für Leistung und Kompensation einzuführen. Die Leistung der Näherin in Bangla Desh wird also nach den gleichen Normen entlohnt wie die Leistung einer Schneiderin in New York.

Vermutlich werden die Unterschiede im Einkommen nie verschwinden, und das ist auch nicht notwendig. Es werden sich aber die Abstände zwischen den Spitzenverdienern und den Habenichtsen drastisch verringern.

Für ein menschenwürdiges Leben zu sorgen, wird zum Anliegen von allen Menschen. Da das Bewusstsein der Einen Menschheit in jedem Menschen immer tiefer verankert wird, weil die Angstgefühle, die uns davon abhalten, aufgelöst werden, fällt es immer mehr Menschen leichter, aus ihrem Überfluss zu teilen. Schließlich wird diese Haltung des Gebens von dem, was in der Fülle da ist, zur Selbstverständlichkeit.