Akzeptiere alles so, wie es ist. Das ist ein bekannter spiritueller Vorschlag, den viele Lehrer in diesem Bereich einbringen. Wir sparen uns Konflikte mit der Wirklichkeit, wenn wir ihm folgen. Wir nutzen diesen Zugang, um eins mit dem Ganzen zu werden. Denn jedes Nicht-Akzeptieren schafft eine Kluft zwischen mir und dem Ganzen, und für jede Auseinandersetzung zwischen meinem mickrigen Ich und all dem, was sonst noch ist, stehen meine Karten nicht wirklich günstig. Und jede Kluft belastet uns mit Gefühlen der Unzufriedenheit und des Mangels. Sie erzeugt Stressgefühle und schneidet uns auch von den Mitmenschen ab.
Es gibt allerdings eine Reihe von Missverständnissen um
dieses spirituelle Lehrstück herum, die ich im Folgenden näher beleuchten
möchte.
Viele nehmen an, dass Akzeptieren so viel bedeute, wie etwas
gutzuheißen, zu bejahen, zu unterstützen. Das ist in diesem Zusammenhang nicht
gemeint. Vielmehr heißt Akzeptanz hier, die Existenz von etwas oder jemanden in
dessen Existenz, also in seinem Sein anzuerkennen, also einen Teil der
Wirklichkeit als wirklich zu bestätigen. Es werden dabei keine Bewertungsmaßstäbe
angewendet. Das Gegenteil wäre es, einen Aspekt oder einen Bereich der
Wirklichkeit abzulehnen im Sinn von: Ich will nicht, dass dies oder jenes
existiert. Der Politiker X soll weg, weil er nur Unheil anrichtet. Das
Corona-Virus soll verschwinden, weil es uns so viele Probleme beschert. Die
Menschen sollen aufhören Fleisch zu essen, Auto zu fahren, Flugreisen zu
machen, gegen die Erderwärmung zu demonstrieren, rechtsgerichtete oder
linksgerichtete, konservative oder liberale Parteien zu wählen. So berechtigt
diese Anliegen sein mögen, so wenig ändert sich durch das Ablehnen. Der
Politiker bleibt im Amt, das Virus befällt weiterhin Menschen, es wird weiter
Fleisch gegessen, autogefahren, geflogen, demonstriert, die falsche Wahlentscheidung
getroffen.
Im Fall des Akzeptierens tritt der eigene Wille zurück
hinter das Zulassen dessen, was ist. In der Ablehnung möchte der Wille das, was
einem nicht passt, zurechtrücken oder verschwinden lassen. Im ersten Fall
lassen wir das Ganze in seinem So-Sein gelten, im zweiten Fall stellen wir uns
mit unserem eigenen Bestreben und Wollen in Opposition zu ihm.
Es geht bei dieser
Form des Akzeptierens um ein An-Nehmen, ein Nehmen im Sinn von Wahr-Nehmen oder
zur Kenntnis nehmen. Wir empfangen, was die Wirklichkeit uns bietet. Es geht um ein bloßes Feststellen und Konstatieren, ohne
zu berücksichtigen, ob das, was ist, angenehm oder unangenehm, sympathisch oder
unsympathisch für uns ist, ob wir es wollen oder nicht. Gemeint ist also, die
Wirklichkeit ohne subjektive Bewertung und ohne eigene Intentionen und
Interessen zu erleben.
Die Wut im Nichtakzeptieren
Hat das Nichtakzeptieren Nebenwirkungen?
Unter den vielen Nebenwirkungen (die alle unter dem Titel: "Wie machen wir uns unglücklich?" Platz finden könnten) gibt es einen selten beleuchteten
Aspekt der Nichtakzeptanz: Er besteht darin, dass die Trennung einer Verbindung
etwas Gewaltsames beinhaltet. Das Ablehnen enthält eine Beimischung von
Aggression: Etwas, das da ist, das wir aber in seiner Existenz nicht wollen,
soll verschwinden.
Es ist die Zielrichtung des Hasses, die die Ablehnung der Wirklichkeit hervorbringt. Was einem nicht passt, wird aus der Wirklichkeit getilgt, zumindest in der subjektiven Fantasie. Der Hass will sein Objekt vernichten. Er verkörpert die Energie der Nichtakzeptanz. Hass ist nur dort möglich, wo die Verbundenheit von Ich und Welt zerbrochen ist. Er will diesen Spalt gewalttätig durch das Zerstören des ungewollten Anderen aufheben – ein hoffnungsloses Unterfangen, weil die andere Seite die existente Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit ist. Hassgetriebenes Handeln kann zwar einzelne Teile der Wirklichkeit vernichten, aber es zerstört dabei gleichzeitig immer auch einzelne Teile der eigenen inneren Wirklichkeit. Das große Ganze der Wirklichkeit verändert sich dadurch in bestimmten Aspekten, ohne jemals unterzugehen.
Hass ist immer auch Selbsthass. Die konsequenteste
Handlung des Hasses ist deshalb der Selbstmord, ein Ausweg, den viele wählen,
die mit dem Weg des Hasses zeitweilig erfolgreich waren, bis sie, in sich
selber zerstört, an der Übermacht der Realität scheiterten.
Ein bekanntes Klavierrondo von Ludwig van Beethoven trägt
den Untertitel: „Die Wut über den verlorenen Groschen“ (op. 129), und das Stück
kann als künstlerische Verarbeitung eines Frustrationserlebnisses verstanden
werden, als Beispiel für eine Frustrations-Aggressionsschleife. Der Groschen
ist verloren, Ärger entsteht, die Selbstanklage über die eigene
Unachtsamkeit folgt, und das Innere ist mit sich selbst beschäftigt – außer der
kreative Impuls meldet sich, die missliche Erfahrung in ein virtuoses
Klavierstück umzumünzen. Damit ist die Verbindung zum Ganzen wieder
hergestellt.
Akzeptanz und Ego-Abstinenz
Die nicht einfache Aufgabe beim Akzeptieren liegt darin, das Eigene beiseite zu lassen. Die Anforderung ist, sich nicht einzumischen, den eigenen Senf in der Tube zu lassen. Liebe Wirklichkeit, du bist, wie du bist, ob es uns passt oder nicht. Wir nehmen dich in deinem So-Sein – genau so, wie du bist.
Was ist, war immer schon vorher
da, vor unseren Meinungen und Vorbehalten, Bewertungen und Einschätzungen. Unser
Erleben zeigt uns, was ist, und dann erst meldet sich unsere Bewertungsmaschine,
um es in Kategorien einzuschlichten. Sofort sind wir weg vom Erleben und bei
unseren Gedanken über das Erlebte. Sofort nehmen wir die Interpretationen
wichtiger, weil wir glauben, dass wir sie brauchen, um unsere Überlebenschancen
einzuschätzen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es ums Überleben geht. Oft ist
es aber nur unser besorgtes Denken, das uns eine Lebensgefahr suggeriert, ohne
dass das wirklich der Fall ist. Fast immer, wenn wir mit der Wirklichkeit
auseinanderfallen, haben wir es mit einer Überreaktion zu tun, die von unserem
Angstdenken angestiftet ist und nichts mit dem zu tun hat, was gerade Sache ist.
Bewusstheit
Wie bringen wir es also zuwege, dass sich das Denken nicht
zwischen uns und die Wirklichkeit drängt?
Es geht nicht anders als mit Bewusstheit. Unsere inneren
Bewertungsmechanismen arbeiten blitzschnell und wir merken es gar nicht, dass
wir schon in einer wirklichkeitsverneinenden Schleife hängen und unsere Einschätzung
über das stellen, was wir erleben.
Sobald wir aber merken, auf welchem Kanal wir sind (innen
oder außen), haben wir die Chance, unsere Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit zurückzulenken
und zu klären, was zur aktuellen Situation gehört und was nicht. Dann können
wir die reale Situation abschätzen und überprüfen, ob sie wirklich so
bedrohlich ist, wie uns das Denken einreden will. Unsere Angst ist immer unsere
Angst und wurde nur durch irgendeinen Aspekt der Wirklichkeit ausgelöst, den
wir in bestimmter Weise interpretiert haben. Mit Bewusstheit klären wir, ob
diese Interpretation zur aktuellen Situation passt oder aus früheren
Erfahrungen, die in die Gegenwart projiziert wurden, stammt und dorthin
zurückgegeben werden kann.
Im Erkennen dieser Zusammenhänge finden wir zurück zur Akzeptanz, zur Einstimmung mit dem Ganzen der Wirklichkeit, ohne das Zutun unserer Interpretationen und Bewertungen. Wir bemerken diese Übereinkunft daran, dass sich alles friedlich in uns anfühlt.
Zum Weiterlesen:
Sag Ja zum Moment
Das Ja zum Selbst
Die eigene Wahrheit und die Verbundenheit mit anderen
Akzeptieren, was ist (Teil 2)
Akzeptieren, was ist (Teil 3)
Akzeptieren, was ist (Teil 4)
Akzeptieren, was ist (Teil 5)
Akzeptieren, was ist (Teil 6)
Akzeptieren, was ist (Teil 7)
Akzeptieren, was ist (Teil 8)
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