Sonntag, 30. Oktober 2016

Was tut gut an der Wut?

(In diesem Artikel werden die Begriffe Wut, Zorn und Aggression synonym verwendet.)

Wut ist eine schwierige Emotion, weil sie zerstörerisch wirken kann, wenn sie keine Grenzen kennt, und die Lebenskraft einschränkt, wenn sie beschnitten ist. Jedes heranwachsende Kind stellt um das zweite Lebensjahr herum seine Eltern vor die Aufgabe, mit seiner Wut zurechtzukommen. Es erlebt seinen Willen und die Einschränkungen, die ihm auferlegt werden. Daran entzündet sich der Zorn.

Zorn in der Kindererziehung


Die Eltern können mit diesem Zorn in dem Maß umgehen, wie sie mit ihrem eigenen Zorn zurechtkommen. Und diese Kompetenz hat sich maßgeblich in der eigenen Kindheit ausgeprägt. Haben sie in ihrer Kindheit gelernt, dass das eigene Wütendsein zu Liebesverlust und Abwertung führt, so besteht die Kompetenz nur darin, Angst vor der eigenen Wut zu erleben. Die Kraft der Wut ist dann in einer Angst eingekapselt. Oder sie haben gelernt, dass es für die Wut keine klaren Grenzen gibt, sodass sie, für sich selber uneinsichtig, in manchen Situationen übermäßig wütend werden und in anderen sich zuviel gefallen lassen. Die Wut schießt einmal massiv nach außen und zerstört unnötig viel und steht ein andermal nicht zur Verfügung, wo sie gebraucht würde.

Der wirklich kompetente Umgang mit der eigenen Aggressivität wird dann erworben, wenn die Eltern keine Angst vor der Wut ihrer Kinder haben. Dazu müssen sie die eigene Wut kennen und handhaben können. Sie können spüren, wenn sie zornig sind, müssen das aber nicht in jeder Situation ausleben. Sie haben ein wertschätzendes Verhältnis zu diesem Gefühl, ohne es zu verherrlichen. Sie wissen um die Wichtigkeit, einen guten Zugang zur eigenen Lebenskraft und Selbstbestimmtheit zu haben, und um die Notwendigkeit, die Äußerung von Zorn dosieren und situationsadäquat anpassen zu können. 

Mit dieser inneren Sicherheit und Stärke können sie die Kinder gut durch die Zeit der Entdeckung des Zorns führen. Sie werden ihre Kinder nicht für ihren Zorn abwerten, missachten oder sogar bestrafen, sondern verstehen, dass das Gefühl eine Bedeutung und einen Sinn hat, auch wenn dieser nicht immer verstanden werden kann. Zugleich werden sie dem Kind mit ihrer eigenen aggressiven Kraft Grenzen setzen. Diese Kraft kommt im besten Fall aus der Macht des Herzens, also aus einer Liebe, die Grenzen setzen kann, ohne zu verletzen und herabzusetzen. 

Mit solchen Erfahrungen lernt das Kind mit der Zeit, ein Verhältnis zur eigenen Emotionalität zu entwickeln, das beiden Seiten gerecht wird. Einerseits wird die Wut als Quelle der Kraft, der Durchsetzung eigener Interessen, des Ausdrucks von Bedürfnissen und der Wahrung von wichtigen Grenzen wertgeschätzt. Andererseits wird ihr zerstörerisches Überborden verhindert, indem die Wut nie die Alleinherrschaft im Bewusstsein erlangen kann, sondern ihr immer noch eine Instanz vorgelagert ist, die den emotionalen Ausbruch eindämmt und umfängt. Das ist der Riegel, der verhindert, dass sich die Wut in Gewalttätigkeit verwandelt, die keinen Respekt für die Würde anderer Menschen und für den Wert von Dingen kennt und sich in sinnloser Zerstörung selbst vernichtet.

Die Unterdrückung der Wut und die Folgen


Die unterdrückte Wut sucht sich andere Kanäle. Eine Vermutung besteht darin, dass die Menschheit immer wieder Kriege untereinander beginnt, weil damit dem Zorn ein legaler Weg eröffnet wird. Die aggressiven Strebungen werden für ein Ziel eingesetzt, das einem höheren Zweck dienen soll. Jeder Krieg stellt eine enorme Entfesselung der Wut und zugleich deren weitere Unterdrückung dar. Die ganze Aggression muss nach außen gerichtet werden, auf die Vernichtung des äußeren Bösen, das im Feind kristallisiert ist, während das Innere der Gesellschaft frei von Zorn bleiben muss. Jede falsche Orientierung der Wut wird strengstens bestraft.

Deshalb wirken Kriege nie als Therapeutikum, nicht einmal in Hinblick auf die Ökologie der Wut. Die Gewinner wie die Verlierer eines Krieges schleppen ein verunsichertes Missverhältnis zu diesem Gefühlskomplex weiter und übergeben es der nachfolgenden Generation, die wiederum kein ausgeglichenes Verhältnis dazu entwickeln kann.

Bedenkenswert ist auch der Raum für die Wut in der digitalen postmodernen Welt. Wir benötigen immer mehr Feinsteuerung im Umgang mit den komplexen digitalen Geräten, und das verträgt sich nicht mit der Grobheit dieses Gefühls. Wenn wir wütend sind, vertippen wir uns und finden nichts im Dschungel der Apparate. Ein Wutschwall kann die Arbeit eines halben Tages vernichten. 

Deshalb braucht diese Welt ein hohes Maß an Wutkontrolle und -unterdrückung. Sie fordert Personen, die wie Maschinen fehlerfrei und daueraktiv funktionieren. Die Wut, die eine solche Forderung naturgemäß in den Menschen hervorruft, muss auf besondere Weise unten gehalten werden, weil sie die Existenzberechtigung in der digitalen Gesellschaft untergräbt. Die Naturferne im digitalen Raum ist auch eine Gefühls- und insbesondere eine Wutferne.

Deshalb muss sich die Wut heutzutage kreative Nischen suchen, z.B. im Sport, der vielen dazu dient, die Spannungen, die sich im Körper unter den Anforderungen der funktionalen Berufswelt aufbauen, wieder loszuwerden. Wo kein kreativer Weg gegangen wird, gerät die Wut in ungesunde Kanäle, sei es als Aggression und Hass gegen Andersdenkende oder Randgruppen, sei es als Selbstaggression in Süchten und Abhängigkeiten bis zu Autoimmunerkrankungen.

Bevor es dazu kommt, ist es ratsam, sich von innen her mit die verschiedenen Facetten der Wut zu beschäftigen, um sie kennenzulernen und mit ihnen kreativ und konstruktiv umgehen zu können.

Zum Weiterlesen:
Der Bösewicht in uns
Die Wut - das herausforderndste Gefühl
Die passive Aggressivität

Montag, 17. Oktober 2016

Weiches besiegt das Harte

Auf der ganzen Welt gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser,
und doch, in der Art, wie es dem Harten zusetzt, kommt nichts ihm gleich.
Es kann durch nichts verändert werden.
Dass Schwaches das Harte besiegt und Weiches das Harte besiegt,
weiß jedermann auf Erden,  aber niemand vermag danach zu handeln.
Schmiegsam und geschmeidig ist der Mensch, wenn er geboren wird, starr, störrisch und steif, wenn er stirbt.
Biegsam, weich und zart sind die Kräuter und die Bäume im Wachstum, dürr, hart und stark im Entwerden.
Darum gehören Starre und Stärke dem Tode, Weichheit und Zartheit dem Leben.
(LaoTzu)


Gerne stehen wir bei fließendem Wasser und betrachten es. Wir genießen die Leichtigkeit, mit der sich das Wasser an seine äußeren Gegebenheiten anpasst und beständig seine Bewegungen verändert und dennoch bei seiner Flussrichtung bleibt. Nichts kann es aufhalten, weil es so wandelbar ist, obwohl es dabei immer das bleibt, was es ist, Wasser.

Beim Betrachten nehmen wir uns ein Beispiel: So könnten wir auch leben. Doch was bedeutet das? Wir sind mit dem Leben im Einklang, wenn wir mit ihm fließen. Wir passen uns dem an, was uns das Leben gerade anbietet und stellen ihm keinen unnötigen Widerstand entgegen. Diese Anpassung ist aber keine Selbstverleugnung, sondern eine Fähigkeit, die wir mehr und mehr entwickeln können. Denn das Leben verlangt keine Unterordnung von uns, keinen blinden Gehorsam und keine schmerzhaften Verrenkungen. Es fordert uns zum Spiel heraus, in das wir genau das einbringen können, was wir in unserer Einzigartigkeit sind. Wenn wir also mit dem Leben fließen, bringen wir das Eigene mit dem Äußeren in Kontakt und Austausch, unser Wesen mit der Wirklichkeit um uns herum.

Damit tragen wir zum Wachstum bei, von uns selbst und von der Welt um uns herum. Die Wirklichkeit regt uns an, dass wir uns verändern, und in dieser Veränderung entfaltet sich die Kreativität, die der Welt Neues hinzufügt. Auf diese Weise hat sich die Vielfalt der Natur und der Kultur entwickelt, und in dieser Vielfalt können wir die unendlichen Gestalten der Schönheit entdecken.


Gesundheit und Flexibilität


Wir sind gesund in unserem Körper, wenn auch in uns selber dieses Fließgleichgewicht besteht. Alle Systeme kommunizieren miteinander und regen sich gegenseitig an, stimmen sich aufeinander ab und geben dem Raum, was gerade mehr Raum braucht.

Ist im Körper jedoch etwas ohne Notwendigkeit angespannt, so kann es nicht mehr frei kommunizieren, sondern meldet sich mit einem Schmerz, der die sofortige Aufmerksamkeit auf sich zieht. Alles andere soll zurücktreten, damit wir unsere gesamte Energie dafür einsetzen können, die Quelle des Ungleichgewichts zu beheben.

Alles Starre und Harte ist also Anzeichen einer Störung und schränkt das Leben ein, das ja in der permanenten Veränderbarkeit besteht. Es gibt keinen Stillstand, sondern nur Ruhephasen, in denen die Veränderungen in reduziertem Ausmaß stattfinden. Körperliche Verfestigungen sind nicht im Sinn des Lebens und deshalb ungesund. Alles Starre erinnert an den Tod, nicht an das Leben.

Wir können den Tendenzen zur Verfestigung, die vermutlich aus unbewussten angstgesteuerten Verhaltensgewohnheiten stammen, entgegenwirken, indem wir bewusst unsere Beweglichkeit steigern, in jeder Form, die uns liegt: Tanzen, Sport, Yoga, Tai Chi, etc. oder einfach dadurch, dass wir ein wenig anders gehen, sitzen, aufstehen, liegen, als wir es gewohnt sind.


Beweglicher Geist


Auch im Denken brauchen wir die Beweglichkeit. Häufig glauben wir, dass wir uns nach den Erwartungen richten müssen, die andere an uns haben. Oder wir meinen, dass uns andere im Weg stehen, uns in unserer Weise entfalten zu können. Als Kinder haben wir gelernt, dass wir uns nur so verändern dürfen, wie es von außen gewünscht ist, und das überträgt sich auch auf unsere Weise des Denkens. Wir wollen berechenbar bleiben, um keine Erwartungen enttäuschen zu müssen. Und wir wollen, dass die anderen Menschen und die Welt insgesamt berechenbar bleibt, denn alles, was sich zu schnell oder zu abrupt verändert, macht uns Angst.

Die Starrheit im Geist ist so schädlich wie die Starrheit im Körper. Wenn wir nicht mehr bereit sind, unsere Meinungen, Annahmen, Theorien und Einstellungen zu überdenken, zu reflektieren und, wenn es sinnvoll ist, zu verändern, bezahlen wir unsere Unbeweglichkeit darin, dass wir zunehmend an der Welt anecken. Erich Kästner meinte: „Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen.“

Aus geistiger Starrheit kommen viele unangenehme und sozial schädliche Einstellungen von der Rechthaberei bis zum Hass auf „Andersdenkende“ (allein die Existenz dieses Wortes weist darauf hin, dass es nicht als selbstverständlich gilt, dass Menschen unterschiedlich denken). Viel Unheil und Leid ist durch solche Haltungen bewirkt worden. Es sind dies immer wieder Versuche, die anderen Menschen den eigenen beschränkten Vorstellungen anzugleichen, so als sollte die ganze Wirklichkeit so krank werden wie man selber ist und als würde das alle inneren Probleme lösen.

Die Welt lässt sich jedoch nicht vereinnahmen, schon gar nicht von Eroberern, die von ihrem Wesen am weitesten entfernt sind. Sie ist geschmeidig und weich in ihren Konturen, und Klobiges und Klotziges wird so lange herumgebeutelt, bis es sich abrundet wie die Kieselsteine im Bach. Das Starre hat nur diese Chance: Sich vom Weichen belehren zu lassen; die Alternative ist das Zerbrechen, das Zersplittern. Solange so viel Sturheit in der Welt ist, muss auch so viel auf gewaltsame Weise zugrunde gehen. Solange sich das Verfestigte gegen die Verflüssigung sträubt, wiederholt sich das immer wieder gleiche Drama.

Erst wenn wir erkennen, dass jede Anspannung, auch wenn sie geistig ist, eine Selbsteinschränkung, also ein selbstauferlegter Freiheitsentzug ist, dass wir uns also mit unserem Festhalten selbst schaden, beginnen wir nach neuen Wegen zu suchen, wie das Wasser, das auf ein Hindernis stößt. Damit kommen wir ins Fließen, und damit bleiben wir lebendig. Wir wissen aber auch aus der Natur, dass es Zeit braucht. Allzu schnelle Lösungen vergehen auch allzu schnell wieder. Die menschliche Natur braucht lange, um sich abzuschleifen und die Weisheit des Lao Tzu zu verstehen:

„Biegsamkeit und Nachgiebigkeit sind die Verwalter des Lebens,
Härte und Stärke sind die Soldaten des Todes.“


Vgl. Über den Nutzen von Flexibilität
Die Verdinglichungstendenz
Widerstand und Verwandlung

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Angst und Liebe

Ängste sind ein Grundbestandteil unseres Gefühlslebens. Wir biegen um die Ecke und stoßen auf eine Person, wir erschrecken kurz und entspannen uns, sobald wir sehen, dass keine Gefahr droht. Wir denken an einen wichtigen Termin am nächsten Tag, und schon beginnt der Magen zu flattern. Es fällt uns ein, dass wir den Geburtstag eines uns wichtigen Menschen vergessen haben, es steigt heiß in uns hoch.

Vielfältige Anlässe haben wir, um in Angst zu geraten, und wir haben in unserem Arsenal die unterschiedlichsten Auslöser gespeichert. Manche Ängste teilen die meisten Menschen, manche sind ganz individuell, manche bilden Familien, z.B. die spezifischen Angststörungen wie Klaustrophobie oder Agoraphobie. Allein in dem Feld der Phobien gibt es nahezu unendlich viele Möglichkeiten, und es können immer wieder neue dazukommen.

So ist es nicht verwunderlich, dass wir annehmen, dass die Angst allgegenwärtig ist. Der deutsche Philosoph Heidegger hat die Angst zu einem Existenzial des Menschen erklärt, einer Grundbefindlichkeit, und viele andere Denker haben alle Ängste auf die Angst vor dem Tod zurückgeführt: Letztlich steckt in jeder noch so winzigen Angst die vor dem eigenen Ende. Die Angstreaktion mobilisiert den Überlebensmodus.

Die Wartezimmer von Psychiatern und Psychotherapeuten sind gefüllt von Menschen, die in der einen oder anderen Form unter Ängsten leiden. Jedes Thema, das innerlich belastet oder stört, und klarerweise jedes Trauma hat eine zentrale Angstkomponente, sodass die Hauptaufgabe im Bereich der seelischen Heilung im Lindern von Angstzuständen besteht.

Die Angstreaktion ist keine sinnlose Bürde, die mit dem Menschsein verbunden ist. Ängste machen uns auf Gefahren aufmerksam, die unser Leben bedrohen. Ohne Ängste würden wir blind durch die Welt stolpern und auf jeden Bösewicht hereinfallen. Wir würden bei Gewittern nicht Schutz suchen und sorglos am Abgrund spazieren gehen.

Allerdings sind die meisten unserer Ängste grundlos und situationsunangemessen. Das hat seinen Grund darin, dass unser Gehirn so strukturiert ist, dass es Angstreizen den Vorzug gibt und dass diese mit keinem Zeitmarker versehen sind. Sobald ein Reiz auftritt, der einer früheren Bedrohungsszene gleicht, wird die innere Alarmreaktion ausgelöst, mit der gleichen Intensität wie in der früheren Situation, die schon lange vorbei ist und viel gefährlicher war. Außerdem ist die Speicherung tief in den unbewussten Arealen unseres Gehirns gelagert, damit wir sie nicht willentlich außer Kraft setzen können. Die Reaktion auf Angstreize soll automatisiert ablaufen, nach dem Kampf-Flucht-Mechanismus, den alle höheren Lebewesen einprogrammiert haben. Automatisch heißt: ohne Einmischung des Denkens.

Dieses Phänomen ist besonders auffällig bei der posttraumatischen Belastungsstörungen, bei der z.B. eine Farbe, ähnlich der des Autos, das jemanden fast überfahren hätte, die Panikreaktion auslösen kann. Wir laufen also mit einem riesigen Museum voll von Ängsten herum, die wir aus all den Gefahrenerlebnissen unseres Lebens abgespeichert haben, begonnen von ganz früh an, lange vor der Entwicklung unseres bewussten Erinnerungsvermögens.

In Summe erzeugen diese Ängste einen Grundstress, eine chronische innere Anspannung, unter der viele Menschen leiden und die einen maßgeblichen Beitrag zur Entstehung und Aufrechterhaltung vieler, wenn nicht aller nicht genetisch determinierten Erkrankungen darstellt. Denn chronischer Stress bringt das Nervensystem aus der Balance, und dieses Ungleichgewicht hat Auswirkungen auf alle Regelkreise und Systeme im Körper, die dadurch ins Ungleichgewicht geraten und Fehlreaktionen erzeugen, bis der Körper in seinen Buffer- und Kompensationsmöglichkeiten erschöpft ist und eine Krankheit ausbricht.

Chronischer Stress schadet nicht nur unserem Körper, sondern belastet auch das Zusammenleben. Unter Stress kommunizieren wir schlecht, bei Angstzuständen vergessen wir auf jede Rücksicht für andere. Angst macht egoistisch; wie schon in anderen Zusammenhängen erörtert, sind Ängste die Grundlage für die Entstehung dessen, was in vielen spirituellen Traditionen als Ego oder neurotischer Verstand (mind) bezeichnet wird.

Angst und Liebe - eine Polarität?


Wir neigen dazu, zwei Begriffe wie Angst und Liebe in eine Polarität einzuspannen. Zwar ist es so, dass dort, wo Angst ist, keine Liebe sein kann: Angst engt ein, Liebe weitet, Angst verspannt, Liebe fließt. Auch wo Liebe ist, kann keine Angst sein. Doch verhalten sich Liebe und Angst nicht wie Tag und Nacht. Die Gegebenheiten des Kosmos erzeugen diese Unterschiede, ohne die es kein Leben auf dem Planeten geben würde. Leben entsteht unter Sonnenlicht und dessen periodischer Abwesenheit.

Ängste kennzeichnen Ausnahmezustände unseres Organismus. Wir sind einer Gefahr ausgesetzt, die unser Körper mit der Mobilisierung aller verfügbarer Ressourcen beantwortet. Besteht die Situation weiter, wird es immer schwieriger, den Spannungszustand aufrecht zu erhalten, und irgendwann bricht der Körper zusammen. Der Angstzustand hat seine Grenze, weil in ihm keine Reserven gebildet werden können, und wenn die zur Verfügung stehenden Ressourcen aufgebraucht sind, folgt der Kollaps.

Vom Zustand der Liebe dagegen können wir nicht genug kriegen. Da gibt es keine Erschöpfung, sondern eine zunehmende Vermehrung und Verstärkung im Inneren wie im Äußeren. Liebe lässt uns anderen Menschen gegenüber offen begegnen, diese reagieren mit Aufmerksamkeit und Zuwendung, die uns wieder nährt. Wir wollen uns mehr von diesem Zustand und weniger von Ängsten und können auch mehr davon in unserem Leben erschaffen. Dann sind wir im Zustand der Liebe, und erst, wenn sich etwas Bedrohliches zeigt, verlieren wir ihn.

Wie schon gesagt, sind viele dieser Bedrohungen, die wir erleben, irreal oder übertrieben: Wir sehen Gefahren, wo gar keine sind, oder halten an Angstreaktionen fest, die aus minimalen Anlässen entstehen. Sicher kann es uns ängstigen, wenn uns ein Teller am Boden zerschellt, und wir erschrecken. Aber wir brauchen diesen Schreck nicht über den Moment hinaus ausdehnen, sondern können zur inneren Ruhe zurückkehren und die Scherben zusammenkehren und uns selbst, statt uns zu kritisieren, liebevoll in unserer Fehlerhaftigkeit annehmen.

Denn wenn wir das Missgeschick, das uns passiert ist, dazu nutzen, uns selbst abzuwerten und zu kritisieren, schließen wir an die erste Angsterfahrung im Schreck, dass der Teller zerschellt ist, die zweite an, dass wir ungeschickt, unzuverlässig oder vertrauensunwürdig sind, Gefühle also, in denen die Angst vor sozialer Ächtung enthalten ist. So bewegen wir uns in eine Kette von Ängsten, die aus organismischer Sicht völlig unnötig sind: Der Schreck entsteht, weil ein plötzlicher Lärm auftritt, der eine mögliche Bedrohung signalisiert. Sobald wir erkennen, dass keine Gefahr vorliegt, können wir den Stress abschütteln und uns entspannen. Wenn wir aber weitere Ängste zulassen, die sich an die Schreckreaktion anschließen, bewegen wir uns in den Bereich von irrealen Ängsten, aus denen wir viel schwerer wieder herausfinden. Aus solchen Erfahrungen bilden sich chronifizierte Ängste, Angstgewohnheiten bis hin zur Angstsucht. Wenn sich nämlich die Synapsen unserer Nervenzellen auf das Übermaß an Kortisol einstellen und ihre Rezeptoren so umgestalten, dass sie diesen Botenstoff besonders leicht aufnehmen, werden Mangelerfahrungen spürbar, wenn einmal keine Gefahr im Raum steht. Und die Suche nach etwas, das den Angstpegel wieder erhöhen könnte, wird eingesetzt.

Deshalb ist es von großer Wichtigkeit, dass wir an unseren Ängsten arbeiten, den bewussten und den unbewussten. Wir brauchen die Angst kaum in unserem Leben, wir brauchen aber mehr Liebe und Offenheit. Mit jeder bearbeiteten und erlösten Angst öffnet sich von selber der Raum der Liebe.

Es geht dabei nicht nur um die Liebe zu denen, die uns lieb sind, sondern auch um das, was ich hier als die große Liebe beschrieben habe. Wenn wir tief in uns nachspüren, ist das etwas vom Wichtigsten, was wir uns für uns selber und für die Welt wünschen: ein liebevoller, von Achtung, Wertschätzung und Mitgefühl getragener Umgang mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und mit der Natur. Ohne diese weite Form der Liebe wird es kaum möglich sein, die Probleme dieser Welt und der Menschen miteinander zu lösen.

Solche Sätze klingen für manche esoterisch. Wir können auch andere Worte wählen, doch bezieht sich die Grundaussage auf die Grundlage unseres Lebens, und diese können wir nicht ignorieren oder in ein kauziges Eck rücken. Aus Liebe des Lebens zum Leben sind wir geboren, und den Raum für diese Liebe zu weiten, können wir als unsere Grundaufgabe und Grundleidenschaft sehen.


Vgl.: Liebe und Hass
Die große und kleine Liebe
Die Liebe und ihre Bedingungen

Kanadas Völkermord und die Folgen

Die Kanadierin Amy Bombay, Psychiatrieprofessorin an der Dalhousie-Universität hatte erst als Erwachsene herausgefunden, dass ihre Großeltern ein Missbrauchssystem überlebt hatten - ein von der Regierung bezahltes Programm an religiösen Schulen, das dazu diente, tausende indigene Kinder der euro-kanadischen Kultur anzupassen. Bombay sagte, sie war entstellt vom Schmerz der Vergangenheit aus dem dunklen Vermächtnis kanadischer Internate. „Viele Eltern redeten nur über diese Schulen, wenn wie betrunken waren, und dann haben sie geweint. Das war die einzige Gelegenheit, darüber etwas zu hören.“

Zwischen den späten 50er und den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde ungefähr ein Drittel (über 150 000) der indigenen Kinder ihren Eltern weggenommen und unter unterdrückenden Bedingungen, Zwangsarbeit und Isolation eingesperrt. Viele Überlebende berichten von sexuellem und körperlichem Missbrauch. Mindestens 4 000 Kinder starben. Das Programm sollte die Identität der indigenen Bevölkerung auslöschen und wird heute weitgehend als Völkermord eingestuft. Die Überlebenden dieser Schulen tragen noch immer die Wunden in sich, die zu posttraumatischen Störungen, Drogenmissbrauch und Gewalt führen, und es kann Generationen dauern, bis sie geheilt werden.

Aus jüngeren Studien wissen wir, dass Traumen zwischen den Generationen weitergegeben werden können. Ein Beispiel sind Holocaust-Überlebende und ihre Kinder und Enkelkinder. Die Theorie des epigenetischen Erbes besagt, dass Außenbedingungen die Gene künftiger Generationen verändern können. Chemische Anhängsel heften sich wie Post-its an die DNA und bewirken, dass Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Ein Forschungsteam des Mount Sinai Hospital in New York unter Leitung von Rachel Yehuda, einer führenden Expertin für posttraumatischen Stress und Epigenetik, konnte nachweisen, dass solche Anhängsel über die Generationen weitergegeben werden können. Bei Forschungen mit schwangeren Müttern im World Trade Center während des 9/11 konnte sie entdecken, dass die traumatischen Erfahrungen die ungeborenen Kinder genetisch beeinflussten.

Es gibt aber auch eine positive Seite. Die epigenetischen Veränderungen, die die Plastizität unserer Gene unter Beweis stellen, können auch im Sinn des Aufbaus von Resilienz genutzt werden. Allerdings sind diese Zusammenhänge noch wenig erforscht.

Unsere genetische Ausstattung ist nicht statisch, sondern dynamisch. Deshalb ist die Art und Weise, wie wir leben, nicht nur für uns selber bedeutsam, sondern beeinflusst auf recht direkte Weise unsere Nachkommen. Und wenn wir die ererbten Belastungen aufarbeiten, kommt das auch allen nachfolgenden Generationen zugute.

Hier zur Quelle für diesen Artikel.

Vgl. Epigenetische Weitergabe von Stress 
Kindliche Traumatisierung verändert die Gene 
Materialien zur Epigenetik

Samstag, 8. Oktober 2016

Der Rechts-Trend

Viele Ereignisse auf dieser Welt spotten scheinbar der Auffassung Hohn, dass sich die Welt zum Besseren weiterentwickelt, wie es die Theorie der Bewusstseinsevolution vorgibt. Schon Voltaire sah das große Erdbeben von Lissabon als Beweis dafür, dass die Welt in keine gute Richtung steuere. Kriege und Konflikte, Flüchtlingsbewegungen, Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen, Erfolge rechtspopulistischer Bewegungen usw. – all das weist darauf hin, dass sich die Entwicklung nach rückwärts orientiert, zurück zu Ängsten und Werthaltungen, die schon überwunden schienen.

Ich möchte hier das letztere Phänomen aus der Sicht der Stufen des Bewusstseins beleuchten. Viele Zeichen deuten darauf hin, dass sich die Gesellschaften „nach rechts“ orientieren, zumindest diejenigen, die in unserem Fokus stehen: In Deutschland treibt die AfD die konservative Partei vor sich her, in Österreich erreicht der FPÖ-Kandidat fast 50% der Stimmen der Präsidentenwahl, in Ungarn und anderen osteuropäischen Ländern wird ganz offen die nationalistische Karte als unangefochtener Trumpf ausgespielt, Frankreich könnte bald eine nationalistische Präsidentin haben, die Engländer ziehen sich auf ihre Insel zurück und wollen sich gegen die europäische Personenfreizügigkeit abschotten, in den USA hat ein unberechenbarer aggressiver und nationalistischer Egomane reelle Chancen auf das Präsidentenamt etc.

Der Rechts-Ruck


Was hat es also mit dem Rechts-Trend auf sich? Ist das eine Rückentwicklung in eine mittelalterliche Bunkermentalität, sind Zeiten für die Zusammenschlüsse zu großen Netzwerken und politischen Kooperationen vorbei und will jedes Land nur mehr das eigene Süppchen kochen, weil es ja doch am besten wie von Mama schmeckt? Weit und breit ist nichts von Fortschritt zu mehr Menschlichkeit und Toleranz, zum Teilen von Lasten und Chancen, zum Ausgleich zwischen oben und unten, reich und arm zu sehen. Stattdessen haben die Prediger von Ängsten und Irrationalismen mehr Zulauf denn je, und der berüchtigte „Ruf nach dem starken Mann“ wird immer populärer.

Ängste machen uns kleiner, körperlich ziehen wir uns zusammen, wenn wir uns schrecken, und in unserer Denk- und Urteilsfähigkeit schrumpfen wir. Unsere Handlungsfähigkeit reduziert sich auf einfache Alternativen: Kämpfen oder Flüchten in verschiedenen Varianten. Verängstigte Menschen hören auf Menschen, die ihre Ängste teilen und verstärken. Soweit ist die Epidemie der Ängstlichkeit nachvollziehbar.

Aber schwerwiegender sind die verborgenen Ängste. Denn sie stehen dem Ausbau des Vertrauens und der konstruktiven Weiterentwicklung im Weg. Sie äußern sich in den vielfältigen Formen der Skepsis vor dem Neuen und im Mangel an Selbstwert. Ängste, die offen artikuliert werden, treten in den Diskurs ein und mobilisieren Gegenkräfte, in den Individuen wie in der Gesellschaft. Es ist klar, dass solche tiefe Schichten auch viel Hass an die Oberfläche bringen, wenn sie einmal angezapft sind.

Es ist wichtig, dass alle Ängste, die irgendwo gespeichert sind, zum Ausdruck kommen. Im öffentlichen Diskurs muss dann klargestellt werden, wie sie in einer liberalen Demokratie Berücksichtigung finden können und wie sie von Hassäußerungen unterschieden werden können. Die Gesellschaft muss also einerseits jede Form von Hass in der öffentlichen Auseinandersetzung unterbinden, denn Hass steht an der Schwelle zur Gewalttätigkeit und rüttelt damit direkt an den Grundstrukturen jeder Gesellschaftsordnung. Andererseits geht es um ein Eingehen und Verstehen der Ängste, damit der Unterschied zwischen rationalen und irrationalen Anteilen herausgearbeitet werden kann.

Die Ängste der Menschen wollen gesehen werden und Widerhall und Beachtung finden. Auch deshalb kann es in der Sicht der Bewusstseinsevolution einen weiterreichenden Sinn haben, dass rechte Parteien öffentliche Erfolge feiern. Das beruhigt manche der Ängstlichen und entzaubert zugleich die Fähigkeiten der Populisten. Denn diese Ängste verschwinden nicht dadurch, dass sie für „archaisch“ oder „primitiv“ erklärt werden. Sie sind Teil unseres Kollektivs. Deshalb brauchen sie auch Sprachrohre, mit deren Hilfe sie sich artikulieren. Es braucht aber auch selbstbewusste Gegenstimmen, damit deutlich wird, dass die Ängste nicht das letzte Wort haben können, sondern überwunden werden sollten, damit die Zukunft als Zukunft gestaltet und nicht als Imitat der Vergangenheit museal inszeniert wird.

Der lange Atem der Evolution


Der Atem der Bewusstseinsevolution ist lang, sehr lang. Sie rechnet in größeren Zeiträumen als unsere individuellen kurzfristigen Perspektiven, die uns von unseren Problemhorizonten vorgegeben werden: Wie bewältigen wir die Integration von zehntausenden Menschen, die als Flüchtlinge gekommen sind? Wer zahlt das alles, und wie betrifft das unseren Lebensstandard und unsere Lebensqualität? Auf diese Fragen wollen viele Menschen schnelle Antworten und finden diese vor allem bei den rechten Populisten.

Die langfristigen Trends berechnen Ökonomen und Bevölkerungsstatistiker, die davon ausgehen, dass es sich „rechnet“, Flüchtlinge auch in größerer Zahl aufzunehmen. Das wird die Zukunft weisen und kümmert die noch längerfristig wirksamen Trends der Bewusstseinsevolution nur am Rande. Damit die Entwicklung weitergehen kann, ist es wichtig, die Untergründe der Angstszenarien zu verstehen. Erst auf dieser Grundlage können dann die Kräfte erwachen, die die Bewältigung der Aufgaben erfordern.

Ängste und Schuldgefühle


Die westlichen Gesellschaften, um die es hier geht (viele außereuropäische Kulturen gehen durch Phasen eines rapiden Fortschritts mit sinkenden Armutszahlen und der Ausbreitung materialistischer Lebensformen, sie kämpfen mit anderen Problemen), sind in ihrer Inhomogenität von einer Gemengelage aus Bewusstseinsschichten geprägt. Es gibt viele Menschen in unseren Ländern, die für Ängste aus frühen Evolutionsstufen empfänglich sind, und viele andere, bei denen diese Ängste erst durch die neuen Entwicklungen, mit denen wir seit kurzem konfrontiert sind, wachgerufen und aktualisiert werden, vor allem solche, die sich in ihrem wachsenden Wohlstand wie selbstverständlich zuhause fühlen und jetzt spüren, dass dieser bedroht sein könnte.

Es sind die Ängste vor dem Fremden, vor dem Neuen, vor dem Verlust von Sicherheiten und Zukunftschancen usw. Und es sind unbewusste Schuldgefühle, die mit diesen Ängsten verbunden sind: Der Wohlstand, der in Gefahr gerät, gründet zum Teil auf der Armut der Menschen, die jetzt vor der Tür stehen und anklopfen. Oder es sind Waffen, die in unseren Fabriken Arbeitsplätze schaffen und Steuereinnahmen lukrieren, die die Wohnungen dieser Menschen zerstört und ihre Angehörigen umgebracht haben. Sie wollen wieder ein Dach über dem Kopf und eine Gesellschaft, an der sie mitwirken können.

Wir haben an der Armut und an den Kriegen Geld verdient. Wir tragen unseren Teil an der Schuld des Elends auf dieser Welt, und fürchten uns davor, daran erinnert zu werden. Deshalb sollte alles möglichst weit von uns geschoben sein, was uns darauf aufmerksam machen könnte. Das Bedrohliche sind also letztlich nicht die fremden Menschen, sondern die eigene Schuld.

Als Menschenfamilie sind wir involviert in das Elend und Leid, das in vielen Gebieten dieser Erde grassiert. Das heißt nicht, dass wir dafür allein verantwortlich sind und alle diese Probleme lösen müssten, es heißt aber auch nicht, dass wir uns davon abschotten können, in der Meinung, wir hätten damit überhaupt nichts zu tun. Vielmehr führen uns die Flucht- und Wanderbewegungen dieser Tage direkt vor Augen, dass es massive globale Probleme gibt, die wir als Menschheit gemeinsam lösen müssen, und, wenn diese Gemeinsamkeit erschaffen werden kann, auch lösen können.

Das ist ein Fortschritt im Bewusstsein, ob wir ihn angenehm und förderlich finden oder nicht, spielt für die evolutionäre Bewegung keine Rolle. Die Globalität der Krisen und die räumliche und emotionale Nähe der Betroffenen macht das Ausweichen und Ausreden schwerer.

Das macht vielen Menschen Angst, die bisher für die Angstparolen der Rechtsparteien immun waren. Niemand weiß, wie diese globalen Spannungen und Ungleichheiten gelöst werden können, und deshalb erscheint es vielen einfacher, gleich gar nicht damit anzufangen, sondern statt dessen die Zäune und die eigenen Scheuklappen hochzufahren und den Politikern nachzulaufen, die versprechen, dass sich nichts ändern wird an den Ungleichheits- und Ausbeutungsstrukturen, die unsere ohnehin recht prallen Säckel mit schmutzigem Geld füllen.

Rechte Politik löst keine Probleme


Doch diese Verstrickung kann erst sichtbar werden, wenn sie spürbar wird und zumindest in Verzerrungen und ideologischen Ummantelungen zum Ausdruck kommt. Das Versteckte und Verdrängte hat mehr Macht als das offen zur Schau Getragene und zu Gehör Gebrachte. Die Menschen müssen reagieren, und wenn sie dazu rechten Propagandisten nachlaufen, bringt ihnen das eine kurzfristige Erleichterung, aber die Enttäuschung ist nur eine Frage der Zeit. Denn aus logischen Gründen sind die rechten Parteien nicht in der Lage, Probleme zu lösen, sondern können sie durch Scheinlösungen nur verschlimmern.

Evolutionstheoretisch betrachtet, heißt das, dass umfassendere und tiefer verborgene Schichten der Angst an die Oberfläche kommen, und das dient dem Bewusstseinsfortschritt. Kurzfristig kann es sein, dass da und dort die Rechtspopulisten an politische Machtpositionen kommen, doch zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass sie diese nicht lange halten können, weil sie in ihrer Verhaftung an der Erhaltung des status quo oder an der Herstellung früherer Zustände über keine Kompetenzen zur Problemlösung verfügen. Probleme von heute können nicht mit Werthaltungen von vorgestern gelöst werden.

Das Verschieben oder Aufschieben von Problemen beschäftigt dann die nachfolgenden Jahre und Jahrzehnte, wie z.B. die von der Bush-Regierung angezettelten Kriege sowohl das weltweite Finanzsystem in Turbulenzen gebracht haben also auch bis heute ganze Regionen destabilisiert haben, was massive monetäre und menschliche Verluste bedeutet. Im kleineren österreichischen Rahmen braucht man nur an die Regierungsbeteiligung von FPÖ/BZÖ denken, die zwischen 2000 und 2006 vor allem durch Skandale und Korruption auffiel und nicht durch inhaltliche Neuorientierungen und zukunftsweisende Reformen. Die Gerichte sind bis heute (10 Jahre danach) mit der juridischen Aufarbeitung dieser Verbrechen und Verfehlungen befasst.

Freilich kann die Geschichte die Aufgaben, die wir als Menschheit zu bewältigen haben, nicht durch ein imaginäres Zurückschrauben der Zeit oder durch Verleugnung vergessen. Die Geschichte präsentiert sie so lange, bis sie mit Einsatz und Verantwortung angegangen werden. Die scheinbar durch inkompetente und eigensüchtige Politiker für den Fortschritt verlorenen Jahre schärfen schließlich das Bewusstsein für das, was getan werden muss.

Vertrauenstest


Der Rechtstrend ist ein Symptom der Verunsicherung, die er aber selber gar nicht beheben kann, weil sein Potenzial nur darin liegt, das, was er beseitigen will, zu verstärken. In der Verunsicherung fehlt das Vertrauen. Jede Krise können wir nutzen, um dieses Vertrauen zu stärken, in uns und um uns herum. Damit bauen wir aktiv an der Zukunft mit, ohne von den Ängsten, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit haben, gelähmt zu sein, aber auch ohne sie verleugnen oder ignorieren zu müssen.