Der zwischenmenschliche Bereich bietet ein breites Übungsfeld für das Akzeptieren. Wir brauchen nur unseren Weg durch eine Stadt nehmen und unsere Reaktionen auf die verschiedenen Menschen beobachten. Da gibt es welche, die uns gefallen, andere, die uns nicht gefallen, andere, die uns auf die Nerven gehen, andere, die etwas machen, was wir nicht gut finden, und wieder andere, die wir beneiden usw. Vieles gibt es, was uns an anderen Menschen aufregt und stört und was wir glauben, nicht akzeptieren zu können.
Der soziale Bereich, der zur äußeren Wirklichkeit gehört, stellt
eine besondere Herausforderung für unser Streben nach Glück dar. Denn er ist
ganz eng mit vielen Quellen für unser Unglück verantwortlich. Viel Unbill haben
wir im Lauf unseres Lebens von unseren Mitmenschen erlitten, und unsere Psyche
neigt stark dazu, diese Erfahrungen auch auf andere Menschen zu übertragen, die
mit unserer Leidensgeschichte gar nichts zu tun haben. Es ist die Neigung zur
Projektion, die so schnell in uns abläuft, dass wir meistens nicht mitkriegen,
wenn wir ihr unterliegen. Schon kriegt jemand ein Etikett umgehängt, ein
Bewertungsmaßstab wird ihm aufgenötigt, und ein Abgrund klafft zwischen uns und
dieser Person. Gefühle der Abneigung sind immer mit Ängsten verbunden, die uns
meist nicht bewusst sein. Unsere Abwertung will uns schützen vor möglichen
Gefahren, die von der Person ausgehen könnten. Ängste verursachen innere
Spannungen, und wir befinden uns in einem Alarmzustand, der vielleicht gar
nicht notwendig ist.
Projektionen und Fantasien
Solche Prozesse laufen ständig in uns ab, und wir können sie
nur mit Bewusstheit beenden: Stimmt es überhaupt, dass von dieser Person eine
Gefahr ausgeht, ist es berechtigt und notwendig, dass wir uns bedroht fühlen?
Sind die Urteile, die wir über eine Person fällen, berechtigt? Befinden wir uns
auf dem Boden der Wirklichkeit oder sind wir in Fantasien, Projektionen oder
Illusionen gefangen? Indem wir die Realität prüfen, gewinnen wir die Kontrolle über jene Gefühle
zurück, die hinter unserer Abneigung stecken. Wir gewinnen die Chance, die
Anfangs- und Hintergründe dieser Gefühle zu erforschen, also zu erkennen,
welche unerledigten und ungeheilten Wunden aus unserer Kindheit Regie bei
unseren Vorlieben oder Abneigungen gegenüber unseren Mitmenschen führen.
Es handelt sich um ein Stück Reflexionsarbeit, wenn wir aus
dem Dickicht unserer Projektionen herausfinden wollen. Der Lohn dafür liegt im
Glück, das uns zuteil wird, sobald wir erkennen, dass unsere Mitmenschen nicht
so gefährlich oder böse sind, wie wir vermeinten. Wir können uns entspannen und
uns in der Gegenwart anderer sicherer fühlen. Unser Vertrauen in die Menschen wächst,
und damit auch das Vertrauen in uns selbst.
Die Einsicht, dass jeder Mensch in jeder Situation das ihm
in dieser Situation zur Verfügung stehende Beste macht und einbringt, versöhnt
uns mit der Wirklichkeit und hilft uns, überhebliche Wertungen und überzogene
Erwartungen zurückzunehmen. Die Mitmenschen als Menschen wie wir selber
anzunehmen oder, wie es manchmal ausgedrückt wird, als Kinder Gottes, d.h. als
gleichwertige Geschwister in der Menschheitsfamilie wahrzunehmen, verhilft uns
zu innerem Frieden.
Mitfühlende Akzeptanz
Das Akzeptieren der Unterschiedlichkeit der Menschen einschließlich
ihrer Motive und Unachtsamkeiten öffnet uns die Türen zum Mitgefühl. Die Übung
besteht darin, alles, was uns an unseren Mitmenschen nicht gefällt und was wir
deshalb ablehnen, als Quelle für Mitgefühl zu nutzen. Damit ist gemeint, dass Menschen
unachtsam oder gemein sind, weil sie ein inneres Leiden in sich tragen, ein unaufgearbeitetes
Thema oder Trauma, eine Krankheit im Körper, einen Schatten in der Seele. Statt
zu urteilen, um sich selber überlegen zu fühlen, haben wir die Wahl, die Brille
des Mitgefühls aufzusetzen, die uns die menschlichen Schwächen weichzeichnet.
Sie bettet sie ein in den Kontext der Leidensgeschichte, die jedes
Menschenleben enthält. Weichzeichnen bedeutet nicht verharmlosen oder
bagatellisieren. Vielmehr geht es darum, die Härte des Abwertens und Verachtens
abzulegen und statt dessen unsere eigene Begrenztheit in den Unvollkommenheiten
der Mitmenschen zu erkennen.
Mit dem Mitgefühl stellen wir uns auf eine Stufe mit denen
um uns herum, denen wir begegnen. Wir sind nichts Besseres und nichts
Schlechteres. Wir sind alle Menschen, die versuchen, bestmöglich ein
menschliches Leben zu führen, mit den unterschiedlichsten Mitteln. Manche davon
finden wir toll, andere stoßen uns ab. Die Menschen sind nicht das, was sie tun
oder nicht tun, sondern verletzte und fähige Seelen, die nach dem Glück
streben. Dort, wo sie unzulänglich sind oder scheitern, stellen wir unser
Mitgefühl zur Verfügung, ohne Bedingungen oder Erwartungen von Gegenleistungen.
Das Mitgefühl ist also keine überhebliche Geste, die von
einer Position der Besserstellung oder des Besserwissens kommt. Es geht auf das
Leiden und die Schwächen der Menschen ein, im Bewusstsein, selber zu leiden und
Schwächen zu haben. Es kippt nicht ins Mitleid, das beide, den Adressaten und
den Sender, schwächt. Es hat nicht vergessen, dass jedes Menschenleben reich an
Möglichkeiten und Kräften zur Überwindung des Leidens ist. Es kann gut
abschätzen, wann es hilfreich und stärkend ist, unterstützend einzugreifen, und
wann es angebracht und ausreichend ist, mit bewertungsfreier, präsenter und
liebevoller Zuwendung Mut und Selbstvertrauen zu vermitteln.
Das Staunen über die Verschiedenartigkeit
Erst die Akzeptanz unserer Mitmenschen in ihrem So-Sein
führt uns zur Wahrnehmung und Wertschätzung der Vielfalt menschlicher
Erscheinungsweisen. Obwohl wir mit manchen Exemplaren der Menschheit besser
können als mit anderen, weil sie uns ähnlich sind oder weil wir leicht eine
„gemeinsame Wellenlänge“ finden, hilft es uns für unsere innere Weitung, das
Besondere in jedem Menschen zu erkennen und zu bewundern.
Ja, wir bewundern in unseren Mitmenschen die Vielfalt
dessen, was das Leben hervorbringt, wir stehen da staunend vor einem Wunder,
das jeder Mensch repräsentiert. Es gibt natürlich viele Eigenschaften, Verhaltensweisen
und Ausdrucksformen, die uns wider den Strich gehen oder irritieren und die wir
deshalb überhaupt nicht bewundern. Da sind wir in der Welt unserer ästhetischen
und ethischen Maßstäbe, die ihre Wichtigkeit und Bedeutung haben. Wir müssen keine
Menschen dafür bewundern, böse Taten zu begehen oder in ihrem Leben nichts
weiterzubringen. Aber jenseits von diesen in sich auch wichtigen
Bewertungsbereichen gibt es in jedem Menschen das Menschliche, das ihn zu einem
Unikat macht, zur unvergleichlichen Individualität. Der Weg der Akzeptanz führt
uns genau dorthin und zeigt uns, dass es jenseits der Deformationen und
Verbiegungen, die wir alle erlitten haben, einen unversehrten und unschätzbar
wertvollen Kern in jedem Menschen gibt, dem weisesten und dem dümmsten, dem
integersten und dem korruptesten, dem schönsten und dem hässlichsten.
Es ist ein Reichtum, in dem wir unseren Geist baden, wenn sich
diese Welt über das Akzeptieren des So-Seins unserer Mitmenschen öffnet. Wir
lassen unseren Blick unbelastet von Wertungen und Projektionen über die vielen
Gesichter und Gestalten der Mitmenschen schweifen wie über einen Haufen funkelnder
und glitzernder Edelsteine.
Mit dieser Einstellung bewegen wir uns elegant und geschmeidig durch die Menschenwelt, uns des Reichtums bewusst, den wir einander genau dadurch schenken, dass wir so sind, wie wir sind. Unser Herz öffnet sich und unsere Sinne weiten sich im Licht eines liebevoll annehmenden Geistes.
Zum Weiterlesen:
Akzeptieren, was ist (Teil 1)
Akzeptieren, was ist (Teil 2)
Akzeptieren, was ist (Teil 4)
Akzeptieren, was ist (Teil 5)
Akzeptieren, was ist (Teil 6)
Akzeptieren, was ist (Teil 7)
Akzeptieren, was ist (Teil 8)
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