Mittwoch, 27. Mai 2015

Kommt der Geist in die Materie?

Quelle
Pfingsten ist das Fest, bei dem die „Ausgießung“ des Geistes über die Apostel am fünfzigsten Tag nach der Auferstehung gefeiert wird. In der Apostelgeschichte heißt es: „Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist.“ (apg 2, 3-4)
Abgesehen von der starken Metaphorik dieser Bibelstelle sowie die ähnlich lautenden Zitate nach Joel im folgenden Text (apg 2, 17-21) stellt sich für mich die Frage, wie wir heute, also nach der Aufklärung, das Zusammenwirken von Geist und Materie verstehen können.

Wie kommt also der Geist in die Materie? – Wie kommen wir überhaupt auf diese Frage? Sie setzt ja voraus, dass der Geist von der Materie unabhängig existiert, und die Materie unabhängig von ihm. Stammt diese Frage aus dem Verstand oder handelt es sich um eine Grundfrage des Seins?


Gibt es ein geheimnisvolles Drittes?


Um die Fragwürdigkeit der Fragestellung zu verstehen, können wir sie mit dem folgenden Szenario vergleichen: Zwei Menschen schauen einander in die Augen. Und dann käme da etwas Drittes von außen dazu, die Beziehung zwischen den beiden Menschen: z.B. der Grad an Anziehung/Abstoßung, Sympathie/Antipathie, Nähe/Distanz, Wohlfühlen/Stress usw. Zuerst wären da zwei Menschen, und dann, im Lauf der Begegnung, kommt der Geist der Begegnung, der Geist ihrer Beziehung dazu.

Von wo soll dieses Dritte dazu kommen? Gibt es da irgendwo ein Reservoir, das solche Beziehungsgeister ausschüttet, wenn danach Bedarf ist? Offenbar ist ja das Geistige immateriell, sonst wäre es ja Materie. Also kann es an keinem Ort sein. Also kann es auch von keinem und an keinen anderen Ort kommen. Es kann sich ja im Raum nicht bewegen, weil es unräumlich ist. Es kann demnach auch nicht von einem Außen in ein Innen gelangen, weil eine solche Bewegung ja Räumlichkeit voraussetzt.

Vielmehr können wir die Wirklichkeit so verstehen: Es treffen zwei Körper-Geist-Wesen zusammen, wodurch ein Kontakt, eine Beziehung entsteht. Diese hat wiederum Körper-Geist-Komponenten und ist solange aktiv, solange dieses Zusammentreffen dauert. Danach verschwindet auch der Kontakt und wird durch andere Kontakte ersetzt, die neu entstehen. Da kommt nichts von "außen" dazu, noch von "innen", weil schon alles da ist. Nur in der Zeitreihe treten neue Phänomene auf, z.B. eine Begegnung, und andere Phänomene verschwinden wieder.


Wie soll der Geist in die Materie kommen?


Was sollte sich es abspielen, dass der Geist in die Materie kommt, die vorher geistlos existierte? Die Materie wird dabei "durchgeistigt", sie kriegt also eine zusätzliche Qualität. Wie sollte die Materie diese Qualität aufnehmen? Welche Rezeptoren würde sie benötigen, damit das Geistige einfließen kann? Und wie macht es das Geistige, dass es sich mit dem Materiellen verbindet, wo doch beide aus getrennten Sphären kommen. Wie soll sich also etwas, das nicht im Raum ausgedehnt ist, mit etwas verbinden, das im Raum ist? Wenn sich zwei Wesen die Hand reichen, um sich zu verbinden, sind sie beide in der gleichen räumlichen Sphäre; einem nichträumlichen Wesen kann man keine Hand reichen und so kann man mit ihm auch keine Verbindung aufnehmen.

Aber: Es könnte sich ja um eine kommunikative Verbindung handeln, die also immateriell abläuft. Schließlich haben die Bedeutungen dessen, was geredet wird, keine materielle Form. Information ist immateriell. Also kommuniziert das Geistige mit dem Materiellen. Doch Vorsicht: Wenn das Geistige der kommunikative Gehalt ist, also das Immaterielle an dem, was geredet wird (und nicht die Schallschwingungen, die auf Trommelfelle und Gehörknöchelchen treffen), braucht es Materielles, um gesendet und um empfangen zu werden. Dann müsste das Geistige, das mit dem Materiellen kommunizieren will, materiell werden, damit es etwas aussenden kann, was vom Materiellen auch empfangen werden kann. Es müsste sich also in Materie verwandeln und dazu noch für die Übertragung Materie nutzen. Dann kann der Empfänger die Nachricht aufnehmen und verarbeiten.


Es gibt gar keine Trennung


Es zeigt sich, dass das Geistige nicht darum herumkommt, materiell zu werden, wenn es in die Materie kommen will. Da sehen wir, wie sich das Denken selbst austrickst. Ausgehend von der Idee, dass Geist und Materie getrennt sind, muss es sich verbiegen, um wieder zusammenzubringen, was es vorher getrennt hat.

Gehen wir dagegen davon aus, dass es die Trennung gar nicht gibt, dass also Materie geistig und Geist materiell ist, sparen wir uns diese Ungereimtheiten – und wir können sogar verstehen, wie es zu diesen Selbstverwirrungen des Verstandes kommt.

Also kann es kein Außen geben, kein unabhängiges Drittes, das "dazu" kommt. Es gibt nur, wie im obigen Beispiel, die zwei Menschen, die in der Beziehung sind, miteinander verbunden, gleichzeitig, in einem, eines nicht ohne das andere. Sobald sie miteinander Kontakt aufnehmen, ist dieser Kontakt schon da, und damit das Neue, das gerade entsteht, die zwei Menschen und das, was sie verbindet. Sobald der Kontakt aufgelöst wird, verschwindet auch das Verbindende.

Übertragen auf das Materie/Geist-Problem heißt es, dass Materie nicht ohne Geist sein kann und umgekehrt. Es kann also nicht eins ins andere kommen, weil es das eine ohne das andere gar nicht geben kann. Materie kann Materie sein, weil sie Geist ist, und Geist kann Geist sein, weil er Materie ist.

Was dann die oben zitierte Bibelstelle zum Pfingstwunder aussagen kann, ist, dass die Apostel in dem wundersamen Moment erkannt haben, dass Geist und Materie eins sind, und diese Einsicht war so universell und grundlegend, dass sie „in allen Sprachen“ sprechen konnten. Absolute Wahrheiten kann man nämlich in allen, weil in keiner Sprache ausdrücken.


Esoterischer Materialismus


Woher kommt nun die Idee der ursprünglichen Trennung, die ein Wudner benötigt, um wieder aufgehoben zu werden?

Paradoxerweise kommt die Fragestellung („Wie kommt der Geist in die Materie“) etwa im Zusammenhang mit der Empfängnis meist aus esoterischer oder pseudospiritueller Richtung, die aber bei genauerer Betrachtung auf reduktionistisch-materialistischen Annahmen beruht. (Ein materialistischer Reduktionismus behauptet, dass es nur Materie gibt und dass das Geistige aus der Materie abgeleitet ist.) Denn nur eine materialistisch reduzierte Wahrnehmung kann auf die Idee der Getrenntheit kommen, wie sie im "Hinzukommen" des Geistes zur vorher leb- und geistlosen Materie gedacht wird.

Deshalb führt die Fragestellung in eine spirituelle Sackgasse, indem sie einem Etikettenschwindel unterliegt. Sie nennt sich zwar spirituell, obwohl sie in Wirklichkeit durch und durch materialistisch denkt: Der Geist wird wie eine Sache behandelt. Er wird verräumlicht und verdinglicht. Nur Dinge können in andere hineinkommen, wie eine Katze in Schrödingers Schachtel oder Luft in einen Ballon.

Scheinbar handelt es sich um Denkfehler, Bequemlichkeit in der Begrifflichkeit oder Nachlässigkeit in der Reflexion. Tatsächlich können wir hinter dem versteckten Materialismus der Esoteriker einen psychischen Mechanismus vermuten, der mit der Entstehung des Verstandesdenkens aus der Dissoziation zusammenhängt. Wie andernorts beschrieben, kann der Verstand als Derivat der Traumaverarbeitung erklärt werden, vor allem dort, wo er dual operiert, also wo er Spaltungen und Trennungen beinhaltet.

Da sich bei der Traumaerfahrung das Bewusstsein von der Wirklichkeit abspaltet, um sich vor der überwältigenden Massivität der Erfahrung zu schützen, wird dieser Vorgang zur grundlegenden Sichtweise des dabei gebildeten Verstandesdenkens. Es ist dafür geeignet, mit traumatischen Situationen umzugehen, aber nicht dazu, die Wirklichkeit zu verstehen. Denn diese liegt vor dem Trauma, und sie kennt keine Abspaltungen, weil ihre Natur das Fließen ist.

Die Wirklichkeit muss sich nicht mit sich selbst zusammenbringen, um wirklich zu werden. Sie ist schon immer wirklich, unabhängig davon, was jemand über sie denkt. Das Denken jedoch, das von der Angst vor der Wirklichkeit geprägt ist, sucht einen Weg, um sich wieder mit dieser Wirklichkeit verbinden zu können. Das führt dann zu Vorstellungen, wie der Geist in die Materie kommt. Übersetzt heißt das: Der Verstand verbindet sich wieder mit der Wirklichkeit, von der er sich in der Traumabewältigung abgespalten hat. Doch geht das nicht mit dem Denken, sondern damit, dass die Angst aufgelöst wird, die der Spaltung zugrunde liegt. Es geht also nur über die Auseinandersetzung mit den Körpererinnerungen.

In der Vorstellung, dass der Geist in die Materie kommt, z.B. dass bei der Empfängnis die Seele "in den Körper schlüpft", schöpft also der Verstand die Hoffnung, mit der Wirklichkeit wieder eins zu werden, ohne sich mit dem angstauslösenden Trauma befassen zu müssen. Er suggeriert dem Bewusstsein, dass die Abspaltung nicht stattgefunden hat, der Geist ist ja in die Materie gekommen. Wenn er hineingekommen ist, kann er auch jederzeit wieder herausgehen, wenn es also gefährlich wird, steht der Verstand als Retter bereit, um in die sichere Welt der Dissoziation zu flüchten. Als letzte Fluchtmöglichkeit schließlich bietet er eine Form des Jenseits nach dem Tod an, in der die Qualitäten der Sphäre der Dissoziation auf ewig genossen werden können.

Das sind die Mittel, die der Verstand zur Bannung der Angst anbietet. Sie dienen, die traumabedingten Gefühle in der Abspaltung zu halten, um sich nicht mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Sie verhindern damit die Heilung und Entspannung und liefern die Energie für den Widerstand gegen eine therapeutische Auflösung der imaginativen Bedrohungen.

Es steht also jede Philosophie, die von einer Trennung von Materie und Geist ausgeht, im Dienst der Abwehr der inneren abgetrennten und verdrängten Themen und verhindert das Zurückfinden zum Fließen des Lebens, das in sich eins ist von Anfang bis zum Ende.



Vgl. Die Idee der Inkarnation und die allgemeine Vernunft
Das Ego und die Dualität 
Das Ego und die Idee der Unsterblichkeit

Dienstag, 26. Mai 2015

Der Verlust des Väterlichen im Patriarchalismus und pränatale Korrekturen

Die Geschichte des Patriarchats hat nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer beschädigt. Hier geht es um die Vaterrolle und die väterliche Emotionalität und
ihre Deformation durch den Patriachalismus. Ich fasse mich kurz, was die allgemeine Geschichte anbetrifft, weil es dazu genügend Literatur gibt. Interessant finde ich darüber hinausgehend die Einsichten, die wir aus der pränatalen Psychologie und Therapie zu diesem Thema finden können.

Der Patriachalismus hat meiner Auffassung nach mit dem Auftreten des emanzipatorischen Bewusstseins, also zu Beginn der Jungsteinzeit begonnen. Die tribalen Stammesformen hatten unterschiedliche, aber prinzipiell ausgeglichene Verhältnisse zwischen Männern und Frauen. Die größeren Organisationsformen, die mit der Einführung der Agrarwirtschaft nötig wurden, sowie die damit verbundenen kriegerischen Machtapparate führten zur gesellschaftlichen Dominanz der Männer. Daraus entwickelte sich die institutionalisierte Geschlechterteilung – Männer beherrschen die Öffentlichkeit und Frauen die Privatheit in den Familien. Wiederum unterschiedlich, aber durchgängig prägte sich die öffentliche Entwertung und Unterdrückung der Frauen aus (z.B. heute noch ungleiche Bezahlung in Mitteleuropa, Autofahrverbot in Saudi-Arabien usw.).

Die Reaktion der Frauen, die Kompensation und Rache für ihre Verbannung aus der Öffentlichkeit, ist strukturell bedingt, also nicht eigentlich persönlich, auch wenn sie sich im da und dort ausbrechenden Männerhass ausdrückt. Sie wirkt jedenfalls großteils unbewusst und entstand daraus, dass die Mütter insbesondere ihre Söhne an sich banden. Sie übernahmen dabei die patriarchale Asymmetrie: Da Männer mehr wert waren als Frauen, waren auch Jungen mehr wert als Mädchen. Vor allem die Mütter gaben das ihren Söhnen und ihren Töchtern zu verstehen und verstärkten damit die eigene Unsicherheit, die ihre Absicherung nur von den Söhnen erwarten konnte. Damit prägte sich von klein auf der Patriarchalismus bei beiden Geschlechtern ein, sodass bis heute viele seiner Züge wie eine natürliche Selbstverständlichkeit gelten. Also, in einer Kurzformel: Entwertete Mütter verwirklichen sich in aufgewerteten Söhnen, entwertete Töchter machen es mit ihren Söhnen genauso. Damit stabilisiert sich das System selbst.

Emotionale Abhängigkeit


Die Kehrseite, in der sich die unbewusste Rache der Mütter durchsetzt, ist die emotionale Abhängigkeit der Söhne von ihren Müttern, bedingt durch die Abwesenheit der Väter. Da die Väter im Intimraum der Familie kaum auftreten, fehlen sie, was die Emotionen anbetrifft, als Identifikations- und Reflexionsposition. Nährende Emotionen kommen nur von der weiblichen Seite.

Und hier öffnet sich die Zwickmühle für den erwachsenwerdenden Jungen: Will der Sohn Mann werden, müsste er sich aus der emotionalen Abhängigkeit von der Mutter lösen. Er würde damit aber den Bezug zur nährenden mütterlichen Emotionalität verlieren. Zwar kann er sich in Frauen verlieben, die ihm ersatzweise mütterliche Emotionen anbieten, verliert diese aber wieder, sobald nach der Heirat die Kinder kommen, vor allem die heißersehnten Söhne.
Unbewusst bleiben deshalb die Männer an die Mutter gebunden, und ihr ganzes Tun und Schaffen, Kämpfen und Rennen dient dem Zweck, sich von dieser Abhängigkeit befreien, obwohl das ganze Agieren genau diese Bindung verstärkt. Denn es ist auf einer Ebene das Programm der Mutter, das die Söhne in ihrer rastlosen Aktivität ausführen, wenngleich Väter diese Intention auch bewusster und expliziter unterstützen. Die Aussichtslosigkeit des Entrinnens aus dem Teufelskreis der Abhängigkeiten bildet die Männerseite des Geschlechterhasses: Projiziert auf die Welt wird in dieser das Lebendige stellvertretend für die emotional allmächtige Mutter bekriegt und tendenziell zerstört.


Die Emanzipation der Männer und die der Frauen


Deshalb blieb, nebenbei erwähnt, die Emanzipation bis ins 19. Jahrhundert ausschließlich eine männliche Angelegenheit. All die Eingriffe, die die Männer in die Geschichte einbrachten, die Kriege, Erfindungen und Eroberungen, die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Un- und Großtaten, können psychodynamisch als Ausbruchsversuche aus der emotionalen Mutterbindung verstanden werden, wobei eben alle diese Ausbrüche wiederum nur die unbewussten Größenfantasien der machtlosen Mütter in die Wirklichkeit umsetzten. Erst mit dem bewussten Kampf um Gleichberechtigung durch die Frauenbewegung konnten sich die Verhältnisse auf der emotionalen Ebene ändern.

All die Unsicherheiten mit der Emanzipation der Frauen, die bei den Männern auftreten, entstehen deshalb, weil die Männer so viel an emotionaler Kompetenz verloren haben. Mannsein im Patriarchalismus war mit der Abwehr von Emotionen und nüchterner Weltbewährung verknüpft. Deshalb müssen die Männer erst wieder die Sicherheit gewinnen, ihre eigene männliche Emotionalität zu entfalten, und an die Seite der weiblichen Emotionalität zu stellen, wenn es um die Kinder geht, sowie auf die gleichrangige Beziehungsebene, wenn es um die Begegnung der Liebesbeziehung geht.


Unsinniger Schuldbegriff


Viele Schuldzuweisungen wurzeln in diesen Zusammenhängen. So könnte man die Mütter beschuldigen, dass sie ihre Söhne ins Unglück treiben, indem diese sich auf den Schlachtfeldern und den Höllen der kapitalistischen Ausbeutungsmaschinen ausbluten, ja, dass sie damit zusätzlich ihre eigene Machtlosigkeit zementieren, also an ihrer eigenen Unterdrückung schuld sind. Klarerweise hat die Schuldfrage hier nichts verloren. Auch die Männer, die ja scheinbar die Nutznießer des Systems sind, weil sie im klassischen Sinn über alles verfügen, was von Bedeutung ist: Geld, Macht, Status, Einfluss, Freiheit usw., sind persönlich nicht schuld. Sie haben in diesem System gerade das schon ganz früh verloren, wonach sie dann ihr ganzes Leben jagen - emotionale Nahrung. Davon mussten sie sich ausschließen, weil sie sonst keine Chance gehabt hätten, Männer zu werden. Mannsein im Patriachalismus heißt: Ohne emotionale Nahrung auskommen zu müssen und sich in der Sehnsucht danach zu verzehren. Die Frustration drückt sich dann in den aggressiven männlichen Veranstaltungen aus: Krieg, Konkurrenz, Ausbeutung, Naturzerstörung. Erfolgreich sind die Männer vor allem darin, die Grundlagen ihrer Sehnsüchte nachhaltig zu zerstören.

So absurd das patriarchalistische System in dieser Betrachtungsweise wirkt, so stabil konnte es sich über die Jahrtausende retten. Abgesichert über die Generationenkette, gab es praktisch keinen Ausweg aus dem Teufelskreis von emotionaler Erpressung und emotionaler Distanzierung. Schuldzuweisungen sicherten das Weiterbestehen des Systems noch zusätzlich ab.

Der Patriarchalismus begann erst am Höhepunkt der Kapitalismus zu kippen, weil durch die Eingliederung der Frauen in die Lohnarbeit die Entemotionalisierung so weit getrieben war, dass der soziale Zusammenhalt vor dem Ende stand. Dadurch entwickelte sich die Bewusstseinserweiterung ins Persönliche hinein und die Idee der Gleichstellung der Geschlechter fand den Weg zur sozialen Verwirklichung. Folglich wurde die Macht des Patriarchalismus nur dort gebrochen, wo die Aufklärung nachhaltigen Widerhall fand. Wo sie weiterbesteht, haben sich auch Aufklärung und moderner Rationalismus noch nicht voll durchgesetzt. Jedoch wirken auch unterhalb der aufgeklärten Moderne und Postmoderne noch überall Züge dieses Systems unterschwellig weiter. 


Einsichten aus der pränatalen Welt


Wir sind jedenfalls heute, in der nachaufklärerischen Gesellschaft, in einer besseren Position. Wir können die destruktiven Mechanismen, mit denen sich solche selbstausbeuterische Systeme selber unterminieren, klarer erkennen. Wir üben uns darin, Vorurteile und Projektionen zu durchbrechen und unbewusste Triebkräfte ans Licht zu bringen. Auf diesem Weg können wir uns mehr und mehr dem Bann des Patriarchalismus entziehen und seine Spuren aus den Seelen sowohl der Männer wie der Frauen tilgen. Dazu dient der Blick zurück an unsere individuellen Anfänge, wie er durch die relativ neue Disziplin der Pränatalforschung intern und extern, also subjektiv und objektiv möglich wird.

Denn wir lernen: Von uns selber in der Rückschau und von jedem neuen Menschenwesen, das in diese Welt tritt. Dabei stoßen wir auf ein tiefes Wissen darüber, was gesehen werden muss, damit der Patriarchalismus nachhaltig und durchgängig überwunden werden kann.

Jeder von uns trägt das Ur-Männliche durch die Samenzelle und das Ur-Weibliche durch die Eizelle in sich. Beides ist individuell gefärbt und geprägt durch die Geschichte des Vaters und der Mutter und damit auch patriarchalistisch infiziert. Beides zusammen macht das neue Menschenwesen aus, das immer Vater und Mutter in sich trägt und von da her die aktive Beziehung zu beiden sucht. Je nachdem, wie diese Beziehung gelebt werden kann - während der Schwangerschaft und dann in der Kindheit, entwickelt sich das innere Bild des Männlichen und des Weiblichen, Animus und Anima. Ist ein Elternteil wenig verfügbar, wird sich das entsprechende innere Bild mit Fantasien und Wunschprojektionen aufladen, aber auch mit ambivalenten Gefühlen. Besteht ausreichende Gelegenheit zum kommunikativen Austausch, wird das Bild konkreter und realitätsnäher, bereichernd und nährend für die kreative Lebensgestaltung sowie für die Vertiefung zwischenmenschlicher Beziehungen. Darüber hinaus hängt der Aufbau der inneren Repräsentanz des Männlichen wie des Weiblichen auch von der Qualität des Austausches ab, vom Ausmaß an Authentizität und Kongruenz, das die Eltern den Kindern gegenüber einbringen können.

Gleich, wie die inneren Bilder in der individuellen Entwicklung inhaltlich ausgeformt werden - das Vaterbild ist genauso wichtig wie das Mutterbild. Selbst wenn die Väter infolge des Patriarchalismus in vielen Fällen nur verzerrt oder am Rand der kommunikativen Welt der Kinder aufscheinen, nehmen sie die Hälfte der Innenwelt der Kinder ein. Das zu sehen ist für Väter und auch für Mütter wichtig - für Väter: den Platz, der ihnen von den Kindern eingeräumt wird, einzunehmen, für Mütter, ihn zu gewähren. Denn die biologische Intimität, die Mütter durch das Heranwachsen des neuen Lebens in ihrem Bauch natürlicherweise entwickeln, können die Väter durch nichts ersetzen. Auf allen anderen Ebenen spielen sie jedoch eine wichtige Rolle, die solange nur Fantasie in den Köpfen der Kinder bleibt, als sie von den Vätern nicht ausgefüllt wird.

Es ist die biologische Strömung, aus der neues Leben entsteht, die ganz ursprünglich den Ton angibt und die Melodie bestimmt. Hier ist beides gleichermaßen notwendig: Das Männliche und das Weibliche. Die Eizelle, die sich mit der Samenzelle vereinigt hat, ist keine Eizelle mehr, sondern ein neues Lebewesen, egalitär aus väterlichem und mütterlichem Informationsmaterial zusammengesetzt und mit dieser Kombination allein lebensfähig. Auch wenn dieser Prozess in der Mutter stattfindet (oder in der Petrischale, was die Geschichte schwer verwirrt), ist das Väterliche ebenso mächtig vertreten. 


Patriarchalische Brille


Unsere patriarchalisch geprägten Augen konnten das nicht wahrnehmen: Dass die Väter von Anfang an für dieses werdende Leben und in ihm von gleicher Bedeutung und zentraler Wichtigkeit sind wie die Mütter. Patriarchalisch betrachtet, zeugen die Väter zwar das Kind (und damit wird es "ihres", wird also potenzieller Fortsetzer und Mehrer des väterlichen Reichtums), aber alles weitere findet in der und durch die Mutter statt. Alles weitere wird auch an die Mutter abgegeben, der Vater hat da nichts zu suchen.

Darum waren ganz klar die Mütter schuld, wenn aus den Kindern "nichts geworden ist", wenn sie also nicht die väterlichen Erwartungen in die gesellschaftliche Karriere erfüllen konnten. Dass sich tatsächlich Mütter bis heute so leicht schuldig fühlen, ist keine Schuld der Männer, die selbst nichts zur Erziehung beitragen und dann die Mängel im Resultat den Frauen zuschieben, sondern ein Resultat der Blindheit für die patriarchale Dynamik, von der Männer wie Frauen unterschiedlich und gleich gravierend betroffen sind.

Für ein Baby, das im Mutterleib heranwächst, sind, wie gesagt, auf der emotional-psychischen Ebene Vater und Mutter gleich wichtig. Das ist auch unabhängig davon, ob der Vater da ist oder nicht (abwesende Väter sind genauso Opfer des Patriarchalismus wie die Mütter und die Kinder, weil Männer gehen, wenn sie sich aus dem Intimbereich vertrieben fühlen). Es ist wirkt deshalb auf das Baby existentiell bedrohend, wenn der Vater es nicht will, ebenso wie die mütterliche Ablehnung. Zwar ist infolge der biologischen Intimität die Gefahr für das werdende Baby akuter und direkter, wenn etwa die Mutter an Abtreibung denkt, aber es nimmt genauso die Einstellung wahr, die der Vater zu seinem Leben einnimmt.


Vatersein jenseits des patriarchalischen Gespenstes


Durch den Patriarchalismus schien ein unbewusstes Arrangement zwischen Vätern und Müttern geschmiedet zu sein, das besagt, dass die Schwangerschaft und das Kinderkriegen eine Sache der Frauen ist. Oberflächlich betrachtet, ist das offensichtlich, weil von der Natur so vorgegeben. Auf allen anderen Ebenen ist es anders, da sind beide Eltern gleichermaßen wichtig. Aber das Arrangement hat bewirkt, dass sich Väter oft vorschnell zurückziehen, wenn Mütter ihren Anspruch auf die Kinder geltend machen. Häufig kommt es z.B. vor, dass eine schwangere Frau einen Abbruch überlegt und der Mann, der vielleicht das Kind möchte, der Frau "den Vortritt lässt", sie soll doch die letzte Entscheidung treffen, weil es ja "ihr Bauch" ist, usw.

Es braucht deshalb die Einsichten in die Uranfänge individuellen Lebens, wie sie aus der pränatalen Psychologie und Therapie gewonnen werden können, dass wir zu verstehen beginnen, was Vatersein gegen Ende des patriarchalischen Gespenstes sein kann: Ein neues Verständnis von Verantwortung und Zugehörigkeit und ein neues Verständnis für die besondere Rolle der väterlichen Emotionalität. Damit bestimmt sich auch ein neues Verständnis von Muttersein, vor allem auf der Ebene der Entschuldung. Und es gibt die Basis für eine neue Beziehungsstruktur zwischen Vätern und Müttern, die wiederum für heranwachsende Kinder zweifach sichere Bindungen ermöglicht.

Je mehr Männer als Väter die emotionalen Räume betreten, die sich im Entstehen und Entwickeln neuen Lebens in besonderer Intensität und Dichte ausbilden, desto mehr können sie ihre tief verwurzelten Sehnsüchte dort befriedigen, woher sie stammen –  aus den eigenen Frühzeiten. So können sie in Hinblick auf die Welt und die Aufgaben, die dort warten, entspannen, weil sie keine von Frustrationen angetriebene Aggressivität mehr dafür brauchen. Vielmehr können sie die Breite ihrer Emotionalität entwickeln, die alle Gefühle in männlicher Färbung umfasst. Die Kinder können dann aus dem Angebot von männlichem oder weiblichem Schmerz, Zorn und Wohlgefühl wählen.

Wo die Männer mehr ins emotionsgeladene Babygeschäft einsteigen, werden die Frauen freier, das Maß an gesellschaftlicher Verantwortung, das sie übernehmen wollen, zu bestimmen. Sie wissen, dass sie den Männern "ihre" Kinder anvertrauen können, wenn sie in die Öffentlichkeit gehen. Das entlastet wiederum die Männer, die im nachpatriarchalischen Übergangsfeld häufig zwischen den Pflichten des Vaterseins, der Partnerschaft und der Unterhaltsvorsorge zerrieben werden.

Die Kinder bauen auf der Grundlage des gleichwertigen Gegenübers von männlicher und weiblicher Emotionalität die Strukturen ihrer eigenen Innenwelt vollständiger und freier auf. Die Söhne müssen sich dann nicht mehr allein von der mütterlichen Emotionalität abgrenzen, wenn es ums Erwachsenwerden geht, sondern  nehmen von beiden Eltern mit, was sie brauchen können, und lassen bei ihnen, was nicht zu ihnen passt. Ebenso wählen die Töchter aus beiden Töpfen, um ihre eigene Identität als Frau zu gestalten.

Jedes neue Menschenwesen verfügt trotz aller übernommenen Einflüsse über einen neuen Blick, vom Leben selbst mit uraltem "Wissen" ausgestattet. Schon die befruchtete Zelle weiß, dass sie von einem Vater und von einer Mutter kommt und dass es diese zwei Personen sind, die sein Leben ermöglicht haben. Sie weiß auch, dass beide es auf tiefster Ebene gewollt haben, und dass sie die Kraft des Lebens dabei unterstützt hat.

Dieses ursprüngliche Wissen macht keinen Unterschied zwischen Vater und Mutter, was die Bedeutung anbetrifft. Denn dieses Leben kann nicht mehr oder weniger weitergegeben werden, sondern nur als Ganzes, und es muss von beiden und von ihrem Zusammenwirken kommen. Das Leben kann auch nicht halbherzig weitergegeben werden, auch wenn sich die Beteiligten als Personen so fühlen mögen, gerüttelt von der Ambivalenz ihrer Egos. Solche Ambivalenzen verletzen dann auch das Ego des Kindes, das sich sehr bald entwickelt.

Aber unterhalb dieser Schutzschicht gibt es eine elementare Dankbarkeit, die dem Zyklus von Geben und Nehmen, der das Leben ausmacht, innewohnt. Diese Dankbarkeit gilt beiden gleichermaßen, Mutter und Vater. Die Liebe, die darin fließt, ist nicht zum einen kleiner und zur anderen größer, sondern hat kein Maß, keine Beschränktheit, die dann eine Aufteilung notwendig machen würde. Sie misst auch nicht an den realen Leistungen; diese werden erst auf einer Ebene wichtig, auf der sich schon das Ego eingeschaltet hat.

Der Weg zur Ur-Ebene des Lebens, die vor allem in der pränatalen Selbsterforschung erschlossen werden kann, ist für die Männer wichtig, um ihre Emotionalität aus einer tieferen Quelle öffnen zu können, als sie die Mütter bieten können. Sie gewinnen damit die Unabhängigkeit von mütterlichem Vorbild und können ihre genuine Gefühlswelt entwickeln und an ihre eigenen Kinder weitergeben.

Zu diesem vorpatriarchalen Wissen vorzudringen, hilft uns allen, die destruktive Macht des Patriarchalismus auf unsere Seelen bewusst zu machen und zu transformieren. Denn die Kraft, die im Geschlechter- und Elternkampf gebunden war, brauchen wir dafür, den Nachwachsenden die Liebe und Unterstützung zu geben, die sie für ihr Leben brauchen, mit mütterlicher wie väterlicher Emotionalität.

In therapeutisch geführter Regression können wir die Spuren, die der Patriarchalismus über Generationen hinweg in Männern wie in Frauen hinterlassen hat, im inneren Erleben der präkonzeptionellen Entwicklungsphasen erforschen und die damit verbundenen traumatischen Ereignisse auflösen. Die Männer können auf diesem Weg den Zug zu ihrer genuinen Emotionalität tiefer öffnen und so an Selbstbewusstsein und Authentizität gewinnen. Auf dieser Grundlage kann das Vatersein in der nachpatriarchalen Phase ganz neue Bedeutungen erlangen.


Vgl. Animus und Anima im 21. Jahrhundert

Donnerstag, 21. Mai 2015

Fluss und Trauma

Ein Modell zum Verständnis von Leben,
Spiritualität und Therapie

Der Inn bei Schärding

Das Leben als Fluss erscheint mir als sehr taugliche Metapher. Leben ist Veränderung in einem variablen, jedoch insgesamt stabilen Rahmen. Es hat eine vorwärts drängende Richtung und beinhaltet Kraft und Vertrauen. Flüsse wachsen im Fließen. Sie bewahren eine Einheit in der Vielheit.

Deshalb können wir sagen, dass das Leben fließt. Es fließt von einer Form in die andere und von einer Generation in die nächste, es fließt in neue Strukturen und Gestalten. Es fließt weiter unterhalb der Probleme und Katastrophen, denen wir ausgesetzt sind,.

Dieser Fluss wird dort unterbrochen, wo die Metapher ihre Kraft verliert, weil etwas passiert, das in ihr keinen Platz hat. Wenn ein Ereignis, das mit dem Fluss daherkommt, so mächtig ist, dass es jede Bewältigungsmöglichkeit überfordert und überwältigt, dann geht die Beziehung zum Fließen des Lebens verloren. Das subjektive Bewusstsein koppelt sich ab davon und katapultiert sich in einen imaginären Raum, in den Raum der Dissoziation.

Plötzlich gibt es zwei Welten: Eine, die verloren wurde, nämlich die des Fließens, und eine neu erschaffene, die als Zuflucht dient. Die Einheit und Verbindung von allem mit allem, wie sie im Fließen kennzeichnend ist, ist verschwunden. Das verängstigte Subjekt hat sich vom bedrohlichen Objekt getrennt und beäugt es misstrauisch. Damit ist das Ego entstanden, das es als seine Aufgabe sieht, die Spaltung aufrecht zu erhalten, weil es meint, in der Trennung, in der Dissoziation Sicherheit zu finden. Alles, was einfach nur fließt, ist ihm verdächtig. Denn einst hat dieses Fließen eine Katastrophe mit sich geführt, die so gefährlich war, dass das Überleben massiv bedroht war. Das könnte immer wieder kommen, die Drohung besteht permanent.

Die Unterbrechung hat sich nur auf der subjektiven Ebene abgespielt, im inneren Erleben der traumatisierten Person; objektiv geht das Leben weiter, wie die Pflanzen nach einem Erdbeben weiterwachsen, während die Menschen ängstlich hadern und verzweifeln. Das Leben verzweifelt nicht, es wächst einfach anders weiter, wenn irgendwo unüberwindliche Hindernisse auftauchen. Die Menschen hingegen können von Katastrophen so nachhaltig betroffen sein, dass sie den Weg zurück zu Fließen nicht mehr finden können oder nie mehr finden wollen. Anzumerken ist hier, dass es weniger die Katastrophen in der nichtmenschlichen Welt sind, die Menschen intensiv und dauerhaft traumatisieren, sondern vor allem Katastrophen, die von Menschen selbst verursacht werden, die also mit dem Beziehungsnetz der Menschen zu tun haben.

Traumatisierungen können sich schwerstens auf das Lebensvertrauen von Menschen auswirken und die innere Selbstbeziehung ebenso wie die Beziehung zu anderen Menschen schwächen. Dennoch geht das ganz ursprüngliche Wissen um das Fließen nie verloren. Dies Ahnung danach nährt die spirituelle Sehnsucht der Menschen, und motiviert zur Suche nach Sinn und nach Einheit.

Lange Zeit haben die Religionen die Wege zurück zur Ganzheit verwaltet (religio=Rückbindung). Sie waren allerdings als Institutionen selber zu stark mit traumatisierenden Erfahrungen verbunden (und haben viele davon verursacht), dass sie die Befreiung untrennbar mit neuen Abhängigkeiten verknüpften, z.B. im alten katholischen Spruch, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt (nulla salus extra ecclesiam). Die mystischen Richtungen, die sich im Lauf der Geschichte der traditionell etablierten Religionen entwickelten (z.B. der Sufismus im Rahmen des Islam), vertraten die Radikalität, die notwendig ist, um diesen Weg zurück zum Fließen gehen zu können, ohne vorher in neuen Wirrnissen hängenzubleiben. Das muss ein Weg sein, der frei von Dogmen und vorgefertigten Regeln ist, weil er für jeden Menschen anders ausschaut.

Das Geschäft der Therapie ähnelt in gewisser Weise den mystischen Strömungen, und viele Mystiker waren und sind auch Therapeuten, und viele Therapeuten fühlen sich zu mystischer Spiritualität hingezogen. Die Therapie zielt darauf, die Unterbrechungen, die im Fließen im Lauf eines Menschenlebens aufgetreten sind, wieder zusammenzubringen, sodass dort, wo sich das Subjekt vom Fließen abgetrennt hat, die Rückkehr ins Fließen wieder möglich wird. Oder, wie in anderem Zusammenhang erläutert, der narrative Duktus, die eigene Lebens-Geschichte, die an einer Stelle durch ein Trauma unterbrochen wurde, sodass dort ein weißer Fleck entstanden ist, wird wiederhergestellt; das verloren gegangene Stück Geschichte in die Erzählung wird herein geholt, sodass diese vervollständigt werden kann. Damit ist die Ganzheit der Vergangenheit dort wiederhergestellt, wo sie vorher auseinander gerissen und fragmentiert war.

Vergangenheit, die in ihren Zusammenhang eingesetzt wurde, kann aus der Gegenwart verabschiedet werden. Die Gegenwart, der Moment, ist die Erfahrung des Fließens. Wenn unsere Aufmerksamkeit nicht mehr ängstlich an die Vergangenheit geheftet ist, weil dort weiße Flecken mit Katastrophen drohen, können wir ganz im Hier und Jetzt sein, mit dem Fließen verbunden oder vielmehr eins mit ihm.

Das Ego, das sich in der Traumaerfahrung als Schutz vor erneuter Traumatisierung gebildet hat, wird mit jeder therapeutischen Traumalösung schwächer. Im gleichen Maß wird die Erfahrung des Fließens wieder zugänglich und als eigentliche Lebenswirklichkeit erkannt. Die illusionäre Welt der Dissoziation, die Welt der angstgesteuerten Gedankenkonstrukte und Gefühlskomplexe wird nicht mehr benötigt. An die Stelle von automatisierten Handlungen im Sinn des abgespaltenen Funktionsmodus tritt das freie Fließen der Kreativität.


Zum Begriff des Fließens (flow) vgl. Mihaly Csikszentmihalyi, Flow: Das Geheimnis des Glücks (Klett-Cotta).

Vgl. Funktions- und Flussmodus
Unterbrochenes unterbrechen
Die erzählte Geschichte und der Moment 
Narrative Rekonstruktion und Traumaverarbeitung 

Montag, 18. Mai 2015

Die Innenperspektive, notwendig für Individuen und Gesellschaft

Wir leben in einer Gesellschaft, die die Ablenkung auf Dauerfeuer gestellt hat: die mobile Nutzung des Smartphones geht nahtlos über zu Fernsehen und Computerverwendung. Öffentliche Plätze sind mit Werbeanreizen vollgestopft, mediale Botschaften sind allgegenwärtig. Die Ablenker tragen wir mit uns herum, damit wir ja nie alleine und ohne Reizfütterung sind.

Bei dem, was wir gerne Ablenkung nennen, handelt es sich eher um eingelernte und von außen geschickt verstärkte Gewohnheiten, die einen gravierenden Verlerneffekt beinhalten: Wir verlernen dabei, uns selber zu spüren, also unser Inneres wahrzunehmen. Denn die sogenannte Ablenkung wird von äußeren Instanzen gesteuert, sodass unsere Aufmerksamkeit von den Reizen gefesselt wird, die auf uns – nahezu ohne unsere Kontrolle – einprasseln.

Wir wollen wissen, was sich da gerade verändert und was da neu auftaucht, wenn wir auf einen Bildschirm oder ein Display starren. Dabei vergessen wir, darauf zu achten, wie unser Inneres auf die Reizfülle reagiert, wie es mit dem Datensturm zurechtkommt, was wirklich wichtig und was banal und nebensächlich ist. Wir unterstützen es nicht bei der Integration all der Abenteuer, die über unsere Augen und Ohren nach innen überfluten. So werden all die Facebook- und WhatsApp-Nachrichten in einem ungeordneten Haufen von Fragmenten, zusammenhangslos in der Rumpelkammer unseres Bewusstseins abgelegt, während die Aufmerksamkeit schon wieder woanders angebunden ist. Die Reize erschöpfen sich schnell und fordern beständige Nachfütterung. Unweigerlich entwickeln sich selbstverstärkende Suchtmuster.

Dabei verkümmert der innere Sinn. Eine Gesellschaft ohne Innenperspektive wird zu einer Gesellschaft ohne Integrationskapazität und Orientierung. Es gibt allerdings eine, wie ich hoffe, wachsende Minderheit von Menschen, die sich dem hemmungslosen Medienkonsum und der suchtartigen Außenbezogenheit bewusst entziehen. Die Hoffnung tut not, weil möglicherweise das Schicksal der Menschheit daran liegt, das verloren gegangene Gleichgewicht zwischen Außen und Innen wiederherzustellen.

Plakativ gesagt, beobachten wir allerdings das Auseinanderdriften zwischen wachstumsbereiten und konsumorientierten Menschen, zwischen den primär Außengeleiteten und denen, die immer wieder auch nach innen schauen. Ein Blick auf die Bewusstseinsevolution zeigt uns, wo es hingeht, wo wir die Vorreiter des Ausgleichs finden können: Dort, wo die Innenperspektive gepflegt und entwickelt wird. Nachhaltigkeit gibt es nur, wo der innere Weg, der Weg zu sich selbst, gleich stark neben der Außenorientierung steht.

Was wäre erforderlich, was würde sich ändern, wenn das Auseinandergedriftete wieder zueinander fände?

Ein paar Beispiele:


Geburt: Es gibt den Trend, dass weder Mütter noch Väter, weder Geburtshelfer noch Medizinplaner spüren, was es für diesen so wichtigen Schritt eines Menschenlebens braucht. Was tut gut und was stimmt, wenn ein neues Leben das Licht der Welt erblickt, damit es gut in dieser Welt leben kann? Wir müssen danach vor allem im Innen suchen. Fehlt die Fürsorge für das Innenleben von Anfang an, so bringen Eltern, die die werdenden Babys nicht spüren können, Babys zur Welt, die sich nicht spüren können.

Kollektiv wird verständlicherweise das Nichtspüren als Hilfe und Schutz vor Schmerz zur massivsten Bemühung der Gesellschaft, implementiert mittels raffinierter Ablenkungsmanöver. Für Extremfälle stehen die Schmerzmittel, englisch pain killers, zur Verfügung – der Schmerz muss gewaltsam umgebracht werden.

Die Integration der Innenperspektive würde das Gebären umkrempeln, etwas nach niederländischem Vorbild, wo 30 % der Kinder zuhause geboren werden, in einer natürlichen Umgebung, frei vom Stress eines Spitals. Geburten sind komplizierte Vorgänge, und sie brauchen alle Ressourcen, die wir haben, primär die des inneren Spürens. Erst langsam nehmen wir zur Kenntnis, dass Babys als sehr fein und genau spürende Wesen zur Welt kommen, alles registrierend, was im Innen wie im Außen vorgeht. Sie brauchen Eltern, die das Innere genauso wie das Äußere registrieren können. Therapeuten, die mit Eltern und Babys arbeiten, berichten, dass sich Schreibabys beruhigen, wenn die Eltern ihre eigenen Gefühle spüren und ausdrücken.

Wissenschaft:
Durch die Dominanz der Außenperspektive zerfallen die Wissenschaften in zwei Kategorien: Diejenigen mit den harten Fakten und die anderen mit den weichen Befunden. Die ersteren, die mittels objektivierender Methoden möglichst subjektfreie Erkenntnisse liefern wollen, liefern die Grundlagen für Entscheidungen z.B. im Gesundheitsbereich. Gelder fließen dorthin, wo es harte Fakten gibt.

In einer zukünftigen Gesellschaft, die den Wert des inneren Sinnes wieder in sein Recht gesetzt hat, müsste sich diese Dominanz ändern. Die Erkenntnisse des inneren Sinnes, wie sie in einer Wissenschaft der Ersten Person erbracht werden, stehen dort gleichberechtigt und wechselseitig ergänzend neben den traditionellen Wissenschaften der Dritten Person. Die Befunde aus der Innenforschung fließen gleichermaßen in die Prozesse der gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsfindung und Planung ein wie die Erkenntnisse der objektivierenden Wissenschaften. Das bedeutet z.B. für das Gesundheitssystem, dass dessen Subjekte, die Kranken und deren Innenkompetenz eine zentrale Position bei Diagnose und Therapie bekommen, und die traditionellen Fachleute, Krankenschwestern und Ärzte, eine beratende und unterstützende Rolle übernehmen.

Schule:
Im Fächerkanon der Bildungsinstitutionen finden sich überwiegend „Gegenstände“ (sind damit eigentlich Dinge gemeint??), die die rationale objektivierende Sichtweise der Wirklichkeit stärken und keinen Platz für Introspektion lassen. Deshalb müssten schätzungsweise ein Drittel bis die Hälfte der Zeit und der Inhalte umgeschichtet werden, damit die Innenperspektive einen gleichrangigen Platz erhält. Methoden wie Meditation oder Achtsamkeitstraining hätten dann nicht nur einen gleichrangigen Zeitrahmen wie Mathematik oder Sprachfächer zur Verfügung, sondern auch die gleiche Wichtigkeit und Wertschätzung bei Lern- wie bei Lehrpersonen.

Gesellschaft:
Personen, die sich auf den Weg der Innenaufarbeitung begeben, werden von der Gesellschaft nicht nur dadurch unterstützt, dass z.B. psychotherapeutische Behandlungen oder der Besuch von Entspannungs- und Meditationskursen von den Krankenkassen bezahlt werden, weil erkannt wird, dass sich die Investitionen in die Innenerforschung mehrfach amortisieren. Noch weitergehend müssten Personen, die unter besonders starken inneren Prozessen leiden, vom Arbeitsleben freigestellt werden, bis sie wieder einsteigen können, ausgestattet mit neuen Kräften und mehr Menschlichkeit. Denn wer ein schweres inneres Schicksal aufarbeiten muss, würde nicht mehr als Schwächling, Drückeberger oder Simulant denunziert, sondern als jemand angesehen, dem viel angetan und zugefügt wurde und der sich diesen Themen stellt und an ihnen arbeitet, statt sie unbewusst an seine Umgebung und Nachkommen weiterzugeben.

Wir müssen über die Zynismen der Postmoderne hinwegkommen. Sie spiegelt nämlich die Reizüberfütterung und suchtartige Außenfixierung wider, indem sie dekretiert, dass  es keine allgemeingültige Perspektive mehr geben kann. Darin zeigt sich der Verlust der Allgemeinheit in einer hemmungslosen Konsumgesellschaft, die Fragmentierung der individuellen Reizverarbeitung, die sich dadurch verselbständigenden inneren Teilaspekte, die kein Zentrum und keine Zusammengehörigkeit mehr finden können.

Denn ein solches Zentrum gibt es nur im Inneren, und es ist über genau einen Sinn zugänglich, durch den inneren, das ist der Sinn der Sammlung: Es sammeln sich die aufgesplitterten Teile des Selbst, wenn die Aufmerksamkeit vom Äußeren ins Innere geht und dort solange verweilt, dass das Innere das Äußere überwiegt, sprich dass sich der Verstand, der die Summierung der äußeren Reize verkörpert, zurückzieht und dem Raum des Spürens den Vortritt lässt.

Wir kommen also nur weiter, als Individuen wie als Gesellschaft, wenn der innere Sinn, die Perspektive der Ersten Person, gleichberechtigt neben die Perspektiven der äußeren Sinne einrückt, und entsprechend geachtet und gefördert wird. Unsere Kultur ist noch weit weg davon ist, und wir haben noch gar keine Ahnung davon hat, was eine Öffnung in diese Richtung bedeuten würde. Denn es würde zu einer Umorientierung in allen Bereichen der Gesellschaft kommen.

Gesellschaften entwickeln sich nicht sprunghaft, sondern wachsen in Wellenbewegungen, die stetig voranschreiten, trotz viel Vorwärts-, Rückwärts, und Seitwärtsbewegungen. Im großen Bogen betrachtet, können wir auf ein Bewusstsein vertrauen, das von sich aus wachsen will. Wir können uns dieser Kraft anschließen und an ihr partizipieren. Die Richtung ist klar, was dagegen steht, ist die Fixierung auf das materialistische Bewusstsein. Nach meinem Modell der Bewusstseinsevolution handelt es sich dabei um eine Stufe der Entwicklung, die erst die Halbzeit dessen, was der Menschheit möglich ist, erreicht hat. Gehen wir also mutig, vertrauensvoll und geduldig in die Richtung weiter, die unser Inneres vorgibt, wenn wir es belauschen.


Vgl. auch: Die Erste-Person-Perspektive und Das innere Wissen und eine neue Methodologie

Sonntag, 17. Mai 2015

Die Weisheit in der Wellenform

Herzschlag bei Wertschätzung (oben)
und bei Frustration/Ärger (unten)
Ich habe mich immer wieder gefragt, warum wir einfache Wellenformen angenehm und gezackte unangenehm finden. Theoretisch könnte es ja auch umgekehrt sein. Und warum ergeben physikalische Messungen bei angenehmen Gefühlszuständen einfache und bei unangenehmen unregelmäßig gezackte Kurven?

Wellenformen sind aus Messungen abgeleitet, die die Verläufe von Schwingungen aufzeichnen. Die Daten werden digitalisiert und dann in einer grafischen Form dargestellt. Dabei ergeben sich die Abbildungen, die wir gerne sehen, in Bezug auf  harmonische Verläufe in der Natur. Was sagt das über die Wirklichkeit und die Beziehung, die wir zu ihr herstellen, aus?

Wenn wir die Beziehungsstruktur, die in unserer Wahrnehmung enthalten ist, tiefer betrachten, wird  uns deutlich: Es ist unsere Wahrnehmungsform, also die Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit erkennen, die sich in uns als Menschen entwickelt hat, gemäß den Anforderungen, die die Umwelt an uns richtet, bzw. wie wir am besten mit ihr kommunizieren können.

Wir nehmen bekanntlich die Wirklichkeit so auf, wie es unsere Wahrnehmungsorgane erlauben. Dabei steht uns nur ein begrenztes Spektrum an elektromagnetischen Schwingungen zur Verfügung, um unser visuelles Bild der Außenwelt zu formen, in der Art, wie wir es brauchen, sodass wir uns in dieser Welt orientieren können. Andere Bereiche des Spektrums können wir visuell nicht wahrnehmen, etwa im Infrarot- oder Ultraviolettbereich. Die Bezeichnungen geben genau das wieder: Unterhalb oder oberhalb unserer optischen Wahrnehmungsschwellen. Wirklichkeit ist also immer das, was durch diese Organe geliefert wird, was unser Körper an unser Vorstellungsvermögen liefert. Und daraus konstruieren wir die Wirklichkeit. Was hat das nun mit den Wellenformen zu tun?

In der Wirklichkeit gibt es dieses Wellenmuster, es ist die Art und Weise, wie die Wirklichkeit selber Information verarbeitet und wie sie kommuniziert - schon auf der physikalischen Ebene, und darum lässt sie sich auch physikalisch so darstellen. Und darum entspricht diese Darstellung einem emotionalen Wert, der wiederum dem entspricht, was da abgebildet wird.

Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit geben einen anderen Wirklichkeitstonus wieder als chaotische Muster und unterbrochene Formen, und das liegt nicht an den Formen selbst, sondern daran, dass die Formen tief in unserer Wirklichkeitswahrnehmung verankert sind.

Die Sinuskurve, ein Abbild des in sich harmonischen Fließens, einer Wellenbewegung, wie sie in vielen organischen Abläufen aufscheint, ist Abbild und Sinnbild zugleich von dem, wie Natur grundsätzlich beschaffen ist und sich entwickelt: Rhythmisch, variabel, kreativ, analog, narrativ, vom Einfacheren zum Komplexeren, neue Organisationsformen emergierend.

Die Verwobenheit von Wirklichkeit und Wirklichkeitskonstruktion, wie sie die Natur hervorgebracht hat, wird an dem Beispiel der Sinusform "augenfällig" deutlich. Wir bauen in uns eine Wirklichkeit auf, aus den Elementen, die uns unsere Wahrnehmung liefert, die selber ein Produkt dieser Wirklichkeit ist. Ein Prinzip dieser Verwandtschaft stellt die Analogie der Formen dar: Die sich leicht variierende Regelmäßigkeit eines Auf und Ab, die wir von der Erforschung einer optimalen Atmung und einer optimalen Herzschlagtätigkeit kennen, stellen den Grundrhythmus des Lebens dar. Dieser zeigt sich in den verschiedensten Manifestationen, z.B. im Wechsel von Licht und Dunkelheit und zugleich in den Aktivierungsniveaus der Lebewesen im Lauf des Tages, und als Bild dafür nehmen wir ebenfalls ein Naturphänomen mit variierender Regelmäßigkeit, die Welle auf einer Wasserfläche. Es ist also die Wirklichkeit selber, die Sinuskurven oder sinuskurvenähnliche Formen und Abläufe hervorbringt, in wesensähnlichen Erscheinungen, also in Analogiebildungen.

Noch ein Aspekt ist wichtig: die Unschärfe. Sie bedeutet, dass die Regelmäßigkeiten in der Natur keine Exaktheit kennen, also keine mathematische Vollkommenheit. Die Natur kennt das Konzept der Perfektion nicht. Aber sie kennt Zustände des optimalen Fließens und der Blockierung dieses Fließens. Die Unregelmäßigkeiten innerhalb der Regelmäßigkeiten haben mit der Flexibilität zu tun, welche die Natur braucht, um das Fließgleichgewicht der mannigfaltigen Ausprägungen immer wieder herzustellen. Die Natur entwickelt sich zu immer mehr Komplexität, und dieses Wachstum funktioniert nur, wenn ein Ausgleich zwischen Struktur und Variabilität gegeben ist. Starrheit ist das Gegenteil von Anpassungsfähigkeit.

Nebenbei: Deshalb mögen wir einen Life-Trommler, der seinen Rhythmus nie mit mathematischer Präzision hält, sondern in leichten Variationen, "grooves", lieber als einen von einer Drum-Machine erzeugten auf die Tausendstelsekunde exakt auf die Zählzeiten ratterndes Trommelstakkato. Wir "spüren", wo und wie das Optimum zu finden ist, d.h. wo und wie die Natur gesund sein oder werden kann.

Nebenbei 2: Wir werden Mozart, Bach und viele andere Komponisten für immer als schön hören (unabhängig davon, ob uns die Musik "gefällt"),  und Arnold Schönbergs Streichquartette als "schwierig" wahrnehmen, auch wenn manchen diese Musik gefallen wird. Dort, wo Kunst dekonstruktiv auftritt, was sie in vielfacher Weise seit dem 20. Jahrhundert tun muss, geht der an der Natur des Erlebens orientierte Schönheitsbegriff verloren, die Ästhetik wird mentaler und digitaler, auch deshalb, weil die Kunst nicht mehr die Harmonie und das Heile und Gesunde wiedergeben will, sondern das Gestörte und Verwirrte. Das Unverständnis und die Abwertung des Kunstausdrucks z.B. für die abstrakte Kunst, die mancherorts sogar aggressiv geäußert wird, zeugt nicht von intimer Naturverbundenheit, sondern von der Abwehr des vielfach zerbrochenen Verhältnisses zur Natur, wie sie im materialistischen Bewusstsein zur alles durchdringenden Realität geworden ist.

Doch kann die Distanzierung der Natur nie zur Gänze gelingen. Sie zeigt sich immer noch in den rudimentären Strukturen unseres Wahrnehmungsapparates und in die Vorgängen der inneren Wahrnehmungsverarbeitung.

In der Wirklichkeit liegt dieses Wellenmuster, es ist die Art und Weise, wie die Wirklichkeit Information verarbeitet und wie sie kommuniziert wird - schon auf der physikalischen Ebene, und darum lässt sie sich auch physikalisch so darstellen. Und darum entspricht diese Darstellung einem emotionalen Wert, der wiederum dem entspricht, was da abgebildet wird.

Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit geben einen anderen Wirklichkeitstonus wieder als chaotische Muster und unterbrochene Formen. Es ist der Tonus des gelingenden Lebens, das chaotische Muster ist das der Reduktion, Verstörung und Vernichtung des Lebens.

Noch anders ausgedrückt: Wir finden uns im Abgebildeten in einem bestimmten emotional gefärbten inneren Zustand wieder, ein Zustand, der seine objektiven Entsprechungen in den verschiedensten Gestalten im Universum hat, von einfachen elektromagnetischen Wellen bis zu hochkomplexen Lebewesen, darstellbar in abstrakter Form und dennoch in Analogie wiederfindbar.

So finden wir uns im Betrachter der einfachen Wellenform in einer innigen Weise mit der Wirklichkeit verbunden, so weit, dass wir uns eins mit ihr erleben können. Das ist dann der Fall, wenn wir uns nicht als Subjekt von einem Objekt distanzieren, sondern erleben, wie wir selber Natur sind, die Natur erfährt.