Die Menschen sind nicht gegen die Natur, sondern gegeneinander. Sie handeln unbewusst und achtlos der Natur gegenüber, weil sie damit beschäftigt sind, ihre zwischenmenschlichen Probleme zu lösen. Und das ist der Grund, warum wir vorrangig daran arbeiten müssen, als Menschheit miteinander besser zurechtzukommen.
Menschen sind Natur, durch und durch, jede Zelle stammt aus
den Milliarden der kosmischen Geschichte und ihrer erstaunlichen Entwicklung. Selbst
jeder Gedanke und jede Idee, die je in einem Menschengehirn aufgetaucht ist, ist
ein Spross dieser Entwicklung, die neben vielen anderen Errungenschaften die
Nervenzellen hervorgebracht hat.
Wie kommt es nun zu diesen Konflikten zwischen den Menschen
und dem anderen Rest der Natur, die die aktuelle Situation prägen und die ein
Ende der Menschheit auf diesem Planeten heraufbeschwören könnten?
Womit die Menschen am wenigsten zurecht kommen, sind die
eigenen Artgenossen. Sicher leiden wir unter Unwetterkatastrophen, Seuchen und Vulkanausbrüchen.
In früheren Zeiten gab es Raubtiere, die das menschliche Überleben bedrohten. Aber
am stärksten leiden wir an dem, was wir uns gegenseitig antun. Aus der
Traumaforschung wissen wir, dass menschenverursachte Traumatisierungen
wesentlich schwerer wiegen als nicht durch Menschen hervorgerufene
Traumatisierungen. Bei schweren Vorfällen, bei denen Naturgewalten ins
menschliche Leben eingreifen, helfen und trösten sich die Menschen gegenseitig.
Oft tragen solche Ereignisse dazu bei, dass sich die Bande unter den
Betroffenen stärken und die Solidarität und das Vertrauen wächst.
Daran ersehen wir die Ambivalenz der Kulturentwicklung. Sie
hat im Lauf der Menschheitsgeschichte zu einer zunehmenden Entsolidarisierung
geführt, in dem Maß, in dem die Naturgewalten unter menschliche Kontrolle
gebracht wurden. Raubtiere wurden ausgerottet und man findet sie fast nur mehr
in Reservaten und Zoos. Dämme wurden gebaut, um Hochwässer zu verhindern. Erdbebensichere
Gebäude wurden errichtet. Seuchen verloren durch Hygiene, Medikamente und
Impfungen ihren Schrecken. Versicherungen sichern gegen jede erdenkliche Störung
unseres Komforts. Wir leben heute in den hochentwickelten Ländern auf einem
Niveau an Sicherheit, das es in der Geschichte nie zuvor gegeben hat.
Entsprechend ist die Notwendigkeit zur nachbarschaftlichen
Hilfe zurückgegangen. Jeder sorgt selber für seine Sicherheit, Solidarität
brauchen wir nur mehr im äußersten Krisenfall, so zumindest die Ansicht der neoliberalen
Ideologen und die praktische Konsequenz, die die meisten Leute in ihrem Alltag
ziehen.
Allerdings geht bei diesem Trend auch die gesellschaftliche Solidarität
verloren, die wir vor allem dafür brauchen, um gesellschaftliche Ungleichheiten
auszutarieren oder zumindest abzupuffern. Eine ungleiche Gesellschaft bringt
Konflikte hervor, und soziale Konflikte schüren die Überlebensängste. Solange die
Armut und der Hunger unter den Menschen verbreitet ist, kann es keinen Frieden
geben und keine „geschwisterliche“ Beziehung zur Natur. Der Umwelt- und
Naturschutz ist ein Privileg der Reichen und Wohlhabenden. Wer von Tag zu Tag schauen
muss, eine karge Mahlzeit für sich und für die eigene Familie zustande zu
bringen, wer bei Krankheit keine medizinische Unterstützung hat und im Alter
befürchten muss, völlig zu verarmen und auf Almosen angewiesen zu sein, wird
nicht viel an die umweltgerechte Entsorgung von Plastiksackerln und Getränkeflaschen
zu denken.
Es ist klar, dass die krass unausgewogene Gesellschaftsstruktur,
die alle Volkswirtschaften in unterschiedlichem Ausmaß und die globale
Situation insgesamt prägt, das Haupthindernis für eine von der gesamten
Menschheit getragenen nachhaltigen Lebensweise darstellt. Jeder
zwischenmenschliche Konflikt, von Ehestreitigkeiten bis zu zwischenstaatlichen
Reibereien, verbraucht Ressourcen und Energien, die für die Rettung des
Ökosystems fehlen. Es wird niemandem in den Sinn kommen zu verlangen, dass die
Menschen in einem syrischen Kriegsgebiet ihren Müll ordentlich sortieren. Wo
das unmittelbare Überleben bedroht ist, gibt es keine Perspektive für die
Nachhaltigkeit. Wir haben den Luxus, in Dekaden planen und organisieren zu
können, was Klimaziele anbetrifft. Andere Menschen können aufgrund der
Umstände, in denen sie zu leben gezwungen sind, nur in Stunden oder Tagen
planen und organisieren.
Natürlich macht es keinen Sinn zu warten, bis die Menschen
endlich ihre strukturellen Konflikte bereinigt haben. Es muss auch jetzt getan
werden, was möglich ist, um einen katastrophalen Zusammenbruch des Ökosystems
zu verhindern. Aber wir müssen uns mit der gleichen Energie und
Entschlossenheit für den gesellschaftlichen Ausgleich einsetzen wie für den
Ausstieg aus dem Verbrauch fossiler Brennstoffe. Es ist ein Armutszeugnis für
die Menschheit, dass sie es 75 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg noch immer
nicht geschafft hat, soziale und politische Konflikte gewaltfrei zu regeln. Jeder
Krieg bringt unermessliche Zerstörungen mit sich, materielle, soziale und
emotionale.
Es ist dazu noch bedauerlich, dass es allzu viele Menschen
auf unserer reichen Erde gibt, die an bitterer Armut leiden müssen, und dass der
Hungertod noch immer nicht verschwunden ist. Wir dürfen nicht aufhören, uns
immer wieder daran zu erinnern, auch wenn wir dabei mit einem Schamgefühl
konfrontiert sind: Denn es ist eine Schande, dass wir trotz unserer
herausragenden Intelligenz und unserer Empathiefähigkeit noch immer in einer
Steinzeit leben, was die Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen auf einer
globalen und strukturellen Ebene anbetrifft.
Wir sollten nicht vergessen, dass wir dieses systemische Denken,
die systemische Vernunft und eine systemische Ethik brauchen, um die
Herausforderungen, die sich der Menschenwelt stellen, zu meistern. Wir müssen
aufhören, nur auf den eigenen Säckel und die eigenen Kleinbedürfnisse fixiert
zu sein. Wir sollten jeden Tag ein Stück unseres Egoismus mehr überwinden und uns
auf größere Zusammenhänge beziehen. Wir können unsere Energien darauf
ausrichten, Frieden zu stiften, wo es nur geht, zwischen den Menschen und
zwischen Mensch und Natur. Wir können daran arbeiten, dass immer mehr Menschen
ein sicheres und freies Leben mit ausreichenden Ressourcen führen können.
Zum Weiterlesen:
Die Schwachen und die NächstenliebeDie Solidaritätsschranke
Gleichheit und soziale Sicherheit
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