Sonntag, 31. Juli 2016

Wenn Fiktion zum Faktum wird

Unter renommierten Kommentatoren der aktuellen politischen Vorgänge macht ein Stichwort die Runde, das ich hier näher betrachten möchte: die Post-Faktualität. Damit sind Positionen in der politischen Debatte gemeint, die keinen Unterschied zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion machen. Statt dessen wird die emotionale Wirkung zum Maßstab für Wahrheit: Was jemandem gefällt, weil es mit den eigenen Vorurteilsstrukturen zusammenpasst, ist wahr, was nicht, ist erlogen.

Deshalb wird von jenen, die keinen Wert auf die Überprüfung der eigenen Meinungen legen, besonders gerne von der "Lügenpresse" gesprochen und damit jener (immer kleiner werdende) Teil der Presselandschaft gemeint, der mit besonderer Sorgfalt in der Recherche die Faktizität zu den in der Öffentlichkeit diskutierten Fiktionen liefern will. Wird z.B. die Fiktion in die Diskussion eingebracht, dass asylwerbende Flüchtlinge Supermärkte überfielen, dann gelten die Presseorgane, die eine solche Nachricht ungeprüft weiter verbreiten und womöglich mit Kommentaren voll von Entsetzen verstärken, als Wahrheitspresse. Andere Zeitungen dagegen, die sich die Mühe machen und bei den Supermarktketten nachfragen und dann die Auskunft bekommen, dass solche Überfälle nicht stattgefunden haben, die also danach trachten, Faktizität und Fiktion zu unterscheiden, werden als Lügner beschimpft. Wer die Wahrheit sagt, lügt, wer lügt, sagt die Wahrheit.

Handelt es sich um einen neuen Namen für ein Phänomen, das so alt ist wie die Politik unter Menschen, oder haben wir es mit einer Gattung der Verblendung zu tun, die bisher noch nicht in dieser Form und in diesem Ausmaß aufgetreten ist?

Emotionale Korruption


Dass ein fahrlässiger Umgang mit der Wahrheit in der Politik zum täglichen Geschäft gehört, sollte nicht wundern; die Unverfrorenheit, mit der in diesen Monaten Politiker mit Wahrheitsverdrehung, Auftischen von Fantasien als Tatsachen, von Verschwörungsängsten als politischer Theorien erinnert grausam an frühere, längst überwunden geglaubte Zeiten, in denen es für Propaganda, also für die Erzeugung von Fiktion ohne Faktenbasis, ein eigenes Ministerium gab. Es scheint jedoch, dass in unseren Tagen eine neue Dimension zu diesem Phänomen zugewachsen ist.

Politik hat seit jeher ein Doppelgesicht und eine Doppelmoral: Der Einsatz für die Menschen und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen wird von vielen Politikern mit der versteckten Bedienung eigener Bedürfnisse kompensiert, vor allem materieller Wünsche (dann spricht man von Korruption) und weniger offensichtlich emotionaler Mängel (das möchte ich emotionale Korruption nennen). Die Welt zum Besseren verändern vermochten Menschen, die frei von materieller und emotionaler Korruption Politik gestalten konnten wie Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi.

Die materielle Seite der Korruption lehnen wir alle ab; sich selbst aus öffentlichen Geldern zu bereichern, wird als schäbig und unehrenhaft betrachtet, und Politiker, die solcher Handlungen überführt werden, werden in unseren Breiten geächtet. Weniger sensibel sind wir dort, wo es um emotionale Korruption geht.

Um welche emotionalen Mängel geht es dabei? Wenn wir die narzisstischen Charakterzüge betrachten, die alle populistische Politiker gemeinsam haben, erkennen wir die Gier nach Macht und Ruhm, nach Selbstdarstellung und Anerkennung durch die Massen. Wir finden massive Ängste und Traumatisierungen am Werk, die den Hass speisen, der den Hauptgehalt ihrer Botschaften ausmacht. Oder kennen Sie einen populistischen Politiker, der Ruhe und Gelassenheit, Besonnenheit und Umsicht ausstrahlt?

Diese defekte Emotionalität kann deshalb als Korruption bezeichnet werden, weil sie eigene Charaktermängel aus einem öffentlichen Amt ausgleichen will. Es wird also die Bevölkerung mittels raffinierter Täuschung ausgenutzt, indem ihr weisgemacht wird, selber zu profitieren, wenn sie einem Hasspolitiker folgen, da ja dieser die Feinde des eigenen Wohlbefindens und Wohlstandes namhaft machen und vernichten kann.

Ein eindrucksvolles Beispiel für dieses Phänomen lieferte die Brexit-Bewegung in England. Der Führer der britischen Unabhängigkeitspartei, Nigel Farage, verkündete landauf landab, dass bei einem EU-Austritt wöchentlich 350 Millionen Pfund ins Sozialsystem statt in die Brüsseler Schlünde fließen würde. Da freut sich jeder, schließlich will jeder mehr vom Sozialsystem, wer arbeitet, braucht weniger einzuzahlen, wer krank ist, kriegt mehr Leistung, wer Pension hat, mehr Pension etc. Der Feind sitzt im Ausland, der muss beseitigt werden, und schon bricht der Wohlstand aus. Ehrlichere Politiker und an Fakten interessierte Medien versuchten, die Fiktionalität der Zahlg und die Haltlosigkeit solcher Versprechen nachzuweisen; offensichtlich mit geringem Erfolg. Nach dem Referendum verkündete Mr. Farage ohne besonderen Genierer, diese Versprechungen wären ein Fehler gewesen, nach dem Motto, jeder kann sich ja mal ein bisschen irren.

Der US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump ist mehrfach der Lüge überführt worden, ohne dass das irgendwelche Auswirkungen auf sein Verhalten noch auf das seiner Anhänger gehabt hätte (vgl. Anne Applebaum in der Washington Post vom 19. Mai 2016)

Aber der Zweck heiligt die Mittel, so denkt ein Politiker mit dieser Schlagseite: Alles, was mir hilft an die Macht zu kommen, ist billig, denn einmal an der Macht bin ich dann der große Wohltäter, den alle bewundern und lieben werden. Ich brauche jetzt keine Ahnung zu haben, wie ich das einmal bewerkstelligen werde, es genügt ja, dass ich erkenne, was die anderen falsch machen. Ich brauche nur deren katastrophe Fehler zu vermeiden.

Das Verwerfliche an solchen Einstellungen ist, dass sie die Täuschung zum Prinzip und den Hass zum Motor der Politik machen. Damit werden emotionale Energien vieler unbedarfter Menschen für die eigenen Zwecke kanalisiert, und das Erwachen kommt erst dann, wenn es zu spät ist.

Mit dem vermehrten Auftreten solcher Figuren in der Politik verschiebt sich das Schwergewicht der Debatte von der Abwägung unterschiedlicher Strategien (wir haben eine zu hohe Arbeitslosigkeit, ein Faktum, und haben verschiedene Möglichkeiten, mehr Arbeitsplätze zu schaffen) zur Frage der Faktizität: Was ist überhaupt wirklich: Das, was man gerne so hätte oder das, was der Fall ist?

Die Folge ist, dass zunehmend mehr Leute glauben, dass es Fakten gar nicht gibt, sondern dass alles ein "Narrativ" ist, also auf Wienerisch, dass Politik nichts anderes als G'schichtln-Druckn ist, und dann wählen sie diejenigen, die das am besten beherrschen: Märchen so zu erzählen, dass sie wie wahr klingen, wie es auch sein könnte oder sich abgespielt haben könnte, knapp dran an dem, was wirklich ist, aber eben raffiniert verfärbt, damit es die Zwecke des Erzählers bedient.

Postfaktische Irrationalität


Haben wir es zu tun mit postmodernen Konstruktivisten oder mit vormodernen Irrationalisten, einer Mischung aus beiden oder einer ganz neue Spezies, die sich nach Jahrzehnten der Fernsehsucht herausmutiert hat und in der handysüchtigen Generation den Bezug zum Faktischen zunehmend verliert und damit den Begriff des Faktischen systematisch desavouiert, weil die Überfülle an verfügbarer Information keine Wertung nach richtig/falsch, wirklich/erfunden zulässt?

Erschreckend an dem Begriff des Post-Faktischen ist, dass er suggeriert, dass die Epoche des Faktischen am Vergehen und drauf und dran ist, durch eine neue abgelöst zu werden, wie die Moderne durch die Postmoderne, ohne Chance, dass sich eine solche Fehlentwicklung wieder zurückkorrigieren könnte. Statt dessen hätten wir zu lernen uns zu adaptieren, indem wir werte- und verantwortungslos im postfaktischen Relativismus herumirren und Erkenntnis durch Gefühl ersetzen. Das wäre das Ende der Aufklärung, des Rationalismus, der verbindlichen Sinn- und Entscheidungsfindung im transparenten politischen Prozess, also der Errungenschaften des westlichen Modells der von Menschen- und Bürgerrechten getragenen Demokratie.

Die Fantasie an die Macht? Ja, aber nicht die neurotische.


Manchen mag es gefallen: Die Fantasie triumphiert über die Realität,  Realität, der Möglichkeitsmensch über den Wirklichkeitsmenschen. Aber wenn wir über keine Kriterien mehr verfügen, die eine neurotische, angstgenerierte von einer kreativen Fantasie unterscheiden können, treten wir in ein Zeitalter des kollektiven Wahnsinns ein, und das nicht in einem emphatisch deklamatorischen Sinn von pessimistischen Zivilisationskritikern, sondern im ganz "faktischen" Sinn: Wahnsinn im Sinn einer Geisteskrankheit, die zur Norm erhoben wird, womit die gemeinsame Konstruktion von Sinn von Zufälligkeiten und Sympathien geleitet von seelischen Leidenszuständen abhängt, ohne jede Verankerung in einer äußeren Realität, ohne Rückkoppelung mit den Abläufen in der Wirklichkeit.

Faktizität in sozialen Medien


Soziale Medien entwickeln ihren eigenen Begriff von Faktizität: Wahr im Sinn der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist, was möglichst oft geliked und geteilt wird. Deshalb eignen sich die sozialen Medien so hervorragend für postfaktische Wirklichkeitserzeugung: Es erscheint eine Nachricht, die im Sinn der Faktizität falsch ist (z.B. wird behauptet, ein politischer Mitbewerber leide an Demenz), die Nachricht pflanzt sich blitzschnell weiter und wird zur Realität in vielen Köpfen. Bevor der solchermaßen verleumdetete Politiker mit rechtlichen Schritten einschreiten kann, wird die Nachricht gelöscht - war ja nicht so gemeint. Aber sie hat sich vom Urheber schon verselbständigt und lebt eigenmächtig fort: Ich habe da irgendwo gehört, dass xy dement ist, da muss ja was dran sein.

Verlust der Realität, Verlust der Verantwortung


Überflüssig wird nach der Realität als nächstes die Verantwortung: Ich behaupte etwas, und wenn mir das dann vorgehalten wird, habe ich es so nicht gemeint. Und böse und hinterhältig sind die, die mir das vorhalten. Wer den österreichischen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer bei der letzten TV-Konfrontation sehen konnte, hat ein schönes Beispiel für diese Taktik: Einer Lüge, Halbwahrheit, Täuschung, Übertreibung - wie auch immer es bezeichnet werden kann, in einer verwirrten jüdischen Frau eine um sich schießende palästinensische Terroristin zu sehen - überführt, stellt sich der Täter sofort als Opfer dar, der verfolgt wird von den bösen Medien und politischen Gegnern - vermutlich wohl wissend, wie stark die gestandenen und anständigen Österreicher auf Opfermythen abfahren. (Zum Nachschauen)

Solche und ähnliche rhetorische Tricks sind im Zunehmen, und die Gerichte, die sich noch auf den veraltenden Begriff der Verantwortung beziehen, haben immer das Nachsehen, weil sie im besten Fall nach lang verstrichener Zeit den Behaupter zur Verantwortung ziehen, also verurteilen und bestrafen. Der Schaden ist aber längst schon angerichtet und kann nicht mehr gutgemacht werden. Und der Schaden ist nachhaltiger: Wenn die persönliche Verantwortung durchlöchert wird, wird der gesellschaftliche Zusammenhalt durchlöchert. Wer soll da noch Verantwortung übernehmen für die Probleme, mit denen die Welt konfrontiert ist? Das World Economic Forum (WEF) hat vor kurzem zehn globale Herausforderungen namhaft gemacht, die nur in Zusammenarbeit der Länder dieser Welt gelöst werden können. Neben bekannten Themen wie Nahrungssicherung, Beschäftigung, Klimawandel und globalen Finanzen findet sich an führender Stelle die "massive digitale Fehlinformation" (Quelle).

Zum Weiterlesen:
Faktizität und Bullshit
Wird die Demokratie manipuliert?
Torheit ist nicht zu loben

Mittwoch, 27. Juli 2016

Warum ich mich im Bundespräsidenten-Wahlkampf engagiere


Wird Alexander van der Bellen österreichischer Bundespräsident, so wäre das m.W. der erste hohe Amtsträger, der aus einer ökologisch-nachhaltig orientierten Partei kommt. Das wäre ein wichtiges Zeichen für Europa und die Welt: Die langfristige Zukunft des Lebens auf dem Planeten ist nicht nur ein Punkt auf den Tagesordnungen der politischen Konferenzen, sondern ein vordringliches, und wir Österreicher bekennen uns dazu. Damit setzen wir ein Zeichen wie 1978, als wir in einer Volksabstimmung die zivile Nutzung der Atomenergie ablehnten.


Wird dagegen VdB’s Konkurrent im zweiten Durchgang doch noch gewählt, sehe ich das Zeichen für Österreich und für die Welt als äußerst problematisch und rückschrittlich. Norbert Hofer hat sich in seinen Wortmeldungen als strammer rechter Politiker dargestellt, der zwar im Ton moderat auftritt, aber in der Sache keine Kompromisse sucht. Mit dieser Person stellt sich Österreich in seiner Staatsspitze als populistisches Land dar, für das die Ängste der Bevölkerung vor dem Neuen und Fremden das wichtigste sind und Visionen über die Zukunft nicht vorkommen. Wir reihen uns ein in die Strömung, die von der Orban-Bewegung in Ungarn, von den Nationalisten Le Pens in Frankreich und von der AfD in Deutschland vertreten wird.

Alexander van der Bellen steht klar für eine pro-europäische Orientierung, Norbert Hofer für die EU-Skepsis und –Ablehnung. Er würde vermutlich einen Öxit unterstützen. Wir sind Teil von Europa und haben viele gemeinsame Themen. Auch wenn es immer wieder mühsam erscheint, bringt es viele Vorteile, mit dabei zu sein und die eigenen Stimmen einzubringen, als von draußen zu unken und das eigene kleine Süppchen zu kochen.

Keine Wahlfälschung und ein unverhältnismäßigen Höchstgerichtsurteil


Van der Bellen hat die erste Stichwahl eindeutig für sich entschieden. Die höchstgerichtliche Untersuchung der Wahlanfechtung durch die FPÖ hat keinerlei Anzeichen einer Wahlfälschung nachweisen können. Es wurden zwar Nachlässigkeiten und Schlampigkeiten der Wahlbehörden festgestellt, doch ist es so unwahrscheinlich, dass Stimmzetteln gefälscht wurden, wie die Annahme von manchen FPÖ-Anhängern, dass die Gegenpartei über magische Manipulationsmechanismen verfüge, die von vornherein den eigenen Sieg sicherstellen würden –  also die Generalverdächtigung aller österreichischen Auszählungsbehörden wurde widerlegt. 

Mir scheint, dass der Verfassungsgerichtshof aus Angst, selber in den politischen Strudel gezogen zu werden, eine formal unanfechtbare, aber real überzogene und unnötig klägerfreundliche Position eingenommen hat. Zu massiv waren die Drohungen aus FPÖ-Kreisen vor dem Hearing der Verfassungsrichter, dass die obersten Richter der Parteilichkeit beschuldigt würden und damit die Grundlagen der Verfassung dem Vertrauen größerer Bevölkerungskreise, vor allem jener, die der FPÖ blinden Glauben schenken, zu entziehen. 

So hat der Verfassungsgerichtshof zwar die Kurve gekratzt, aber andererseits ein gültiges Wahlergebnis mit klarem, wenn auch knappem Ergebnis außer Kraft gesetzt. Ich möchte meines dazu beitragen, dass bei der Wiederholung der Wahl absolut deutlich wird, dass das erste Ergebnis bereits das gültige war. Dann kann das einzig Sinnvolle an der Wahlwiederholung darin liegen, dass die Verschwörungstheorien der Unterlegenen, die in jedem Fall wieder ausgestreut werden würden, damit noch absurder und grundloser erscheinen. Gewinnt jedoch der andere Kandidat die Wahl, dann wird das zu allem Schaden, den die Reputation Österreichs als liberales, fortschrittliches und weltoffenes Land erleiden würde, noch das Misstrauen der sowieso schon Misstrauischen und zur Paranoia neigenden FPÖ-Anhänger in die Demokratie steigern. Und wer wünscht sich schon ein Szenarium, in dem jede Wahl, die nicht von der FPÖ gewonnen wird, angefochten wird und eventuell wiederholt wird, u.U. bis das richtige Resultat rauskommt?

Am 2. Oktober zur Wahl gehen!


Also hoffe ich, dass alle VdB-Wähler und  Wählerinnen auch beim zweiten Mal zur Wahl gehen und dass es gelingt, vielleicht inzwischen noch andere in ihrem Kreis überzeugen können, dass Alexander van der Bellen der bessere Kandidat ist, für die Menschen, das Land und für das Ansehen Österreichs in Europa und in der Welt. Setzen wir gemeinsam ein Signal gegen den Rechtstrend und gegen jede populistisch angeheizte Radikalisierung und für ein weltoffenes, tolerantes und menschliches Österreich!

Wer selber mitmachen will, kann sich hier anmelden. Es ist schon ein Beitrag, die fb-Seite von VdB oder den twitter-Account zu abonnieren oder einen kleinen Betrag zu spenden.

Sonntag, 24. Juli 2016

Pilanesberg – Erfahrungen von einer Safari

Bei diesem Tierpark handelt es sich um ein 55.000 Hektar großes Areal im nordöstlichen Südafrika, das durch einen eingesunkenen vulkanischen Krater gekennzeichnet ist. Nach Umsiedlung der dort lebenden Bevölkerung wurde 1979 das Wildreservat eröffnet. Mit viel freiwilliger Hilfe wurden die Gebäude der früheren Siedler und Bauern abgetragen und alle nicht einheimischen Pflanzen, vor allem Bäume, beseitigt. Denn es sollten die "ursprünglichen" Vegetationsbedingungen wiederhergestellt werden. Im größten Tierumsiedelungsprogramm der Welt wurden 6000 Tiere in den Park gebracht. Heute werden im Park über 10 000 Tiere gezählt, darunter die big five, die als die für den Menschen gefährlichsten Tiere gelten: Löwe, Leopard, Büffel, Elefant und Nashorn.

Eine Art darunter ist weniger gefährlich als vielmehr hoch gefährdet: Das Rhinozeros.
Da sein Horn, als Pulver vermalen, bei den Chinesen als begehrtes Heilmittel gilt, ist es vom Aussterben bedroht. Im Pilanesberg-Reservat schätzt man, dass es noch fünf Jahre lang freilebende Nashörner zu sehen gibt. In der  Traditionellen Chinesischen Medizin wird Nashornpulver als Medikament gegen Fieber und Schmerzen geschätzt. Die Schwarzmarktpreise für ein Kilo des Pulvers betragen bis zu 30 000 Dollar. Damit ist die Wilderei so lukrativ, dass die Parkbehörde ihre Tiere kaum mehr zureichend schützen kann; die Kosten für die Bekämpfung der Wilderei betragen mittlerweile schon 35% des Budgets, und dennoch werden laufend Tiere erlegt oder verstümmelt, pro Jahr ca. 800 im gesamten südlichen Afrika. Jedes erlegte Nashorn steigert den Preis der noch lebenden nach dem Gesetz der Knappheit.

Die heikle und widersprüchliche Aufgabe, die Naturbelassenheit des Parks künstlich zu

sichern, zeigt sich z.B. daran, dass die Bedingungen für die Elefanten so günstig sind, dass sie ihren Bestand über die Kapazität des Raumes hinaus vermehren. Das führt zwangsläufig dazu, dass die Vegetation in dem zwar riesigen, aber doch begrenzten Gebiet leidet, weil nicht genug nachwächst, um den Tagesbedarf von bis zu 300 Kilo Grünzeug für einen erwachsenen Elefanten zu erzeugen. Deshalb soll der nördliche Teil des größten südafrikanischen Tierparks, des Krüger-Parks, schon abgefressen sein. Es gibt jedoch keine sinnvollen Möglichkeiten, diesem Problem zu begegnen. Elefanten sterben daran, dass ihre Zähne untauglich werden, sie verhungern also buchstäblich nach 40 bis 50 Jahren.

Auch bei der Löwenbevölkerung des Parks wird sich bald diese Frage stellen, nachdem jetzt

schon mehr Löwen dort leben (ca. 2 Dutzend) als für die Fläche tragbar ist. Die eindrucksvollste Erfahrung, die wir von den Rundfahrten im Park (mit einem ausgezeichneten südafrikanischen Führer) mitnehmen, ist die „Begegnung“ mit dem mächtigen Herrn der Tiere, der bei seinem morgendlichen Rundgang um sein Territorium auf den Weg, der befahren werden darf, zukam, eine Zeitlang in 10 Metern Abstand parallel zum Weg gemessenen und zielstrebigen Schritts weiterwanderte, bis er dann auf die Straße wechselte und dort unbeeindruckt von den Beobachtern seinen Weg fortsetzte. Die Fluchttiere, die oberhalb in respektabler Entfernung aufmerksam und gebannt ihren Feind beobachteten, waren noch lange völlig erstarrt, nachdem der Löwe sich entfernt hatte. (Hier zum Video)

Beim Beobachten dieser Vorgänge wurde uns deutlich, wie sich Vorgänge in der Natur selbst

regeln, unbeeinflusst von den menschlichen Wertvorstellungen und Sympathien. Raubtiere sichern ihr Überleben, indem sie anderes Leben, z.B. grazile Impalas töten. Wir sind es, die dieses Zusammenspiel, das seit Jahrmillionen abläuft, als grausam bezeichnen.

Wir konnten aber auch verstehen, dass dieses Ökosystem völlig von menschlichen Zielsetzungen abhängig ist und damit ein Kunstprodukt darstellt. Es kann sich als Ganzes nicht selber erhalten. Eingegrenzt durch einen rundum laufenden Zaun und in allen Belangen ständig von den Wildhütern überwacht, können die Tiere ihre eingezäunte Freiheit genießen, um den Preis, dass sich auf den Wegen Autos mit fotografierenden Touristen kreuz und quer durch den Park bewegen. Sollten die Menschen eines Tages beschließen, das Naturreservat in einen Zoo umzuwandeln, hätten die Tiere und Pflanzen keine Möglichkeit der Mitsprache oder des Protests.

Samstag, 23. Juli 2016

Schönheit wird die Welt retten

 

Die Relativität der Schönheit


Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Wir merken häufig, dass Schönheit vom individuellen Geschmack abhängt und dass sich über Geschmack nicht produktiv streiten lässt. Es gibt tausende verschiedene Musikrichtungen, und alle von ihnen haben ihre Anhänger und Fans und andere, die gerade diese Form der Musik nicht aushalten oder abscheulich finden. Es gibt Romane, die von vielen Menschen verschlungen und heiß geliebt werden, obwohl sie von den Kritikern in der Luft zerrissen werden und umgekehrt. Es gibt Bilder, die nach ihrer Fertigstellung keine Interessenten gefunden haben und Jahrzehnte später Millionen wert sind.

Die Vielfalt der Stilrichtungen und Ausdrucksformen ist ein Merkmal der postmodernen Kultur. Der Begriff des Schönen ist demokratisiert und parzelliert. Alles, was noch nicht oder nicht in genau dieser Form da war, wird ausprobiert. Das Schöne ist das Überraschende, provokant oder geschmeidig. Nachdem die Moderne die klassischen Schönheitsbegriffe und Geschmackskonzepte demontiert und dekonstruiert hatte, wachsen die unterschiedlichsten Pflanzen auf der kahlgeschlagenen Lichtung, die von den alten ehrwürdigen Schätzen der Kulturgeschichte umstanden ist.

Weil wir in der Metaphorik schon in der Natur gelandet sind, verfolgen wir die Überlegung weiter in den Bereich des Schönen in der Natur. Offensichtlich ist  die Divergenz der Auffassungen und Meinungen hier geringer als im Bereich der Kultur, die so unermesslich in die Breite gewachsen ist, während die Natur auch in ihrem Wandel gleich bleibt, außer dort, wo sie von der Kultur und Zivilisation zurückgedrängt und eingeengt wird. Selten werden wir auf Menschen treffen, die einen Sonnenuntergang am Meer oder den Anblick eines erhabenen schneebedeckten Berggipfels als unschön erleben, einen blühenden Rosenbusch oder ein putziges Eichhörnchen als hässlich bezeichnen würden. Aber es sind nur wir Menschen, die diese Empfindungen teilen und diese Wertschätzung erleben. Wir wissen nicht und können auch kaum davon ausgehen, dass sich der Rosenbusch selber "schön" findet und im Verblühen "hässlich" oder dass sich das Eichhörnchen bewusst ist, um wieviel schöner es ist als die Nacktschnecke, die gerade vorbei kriecht. Und dem Luchs, der dem Eichhörnchen nachstellt, sind mit Sicherheit ästhetische Kriterien bei seinem Tun fremd. 


Das Schöne in der Natur


Wir haben recht einheitliche Schönheitsbegriffe, was die Natur anbetrifft und nehmen deshalb an, dass es die Natur selber oder deren Schöpfer ist, der diese Schönheit hervorbringt, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass in ihr selber, von uns abgesehen, eine völlige Leere herrscht, was die Frage der Schönheit anbetrifft. Deshalb kann ich dem österreichischen Philosophieprofessor Konrad P. Liessmann nicht zustimmen, der meint, die Relativität des Schönheitsbegriffes mit Hilfe des Naturschönen aushebeln zu können: "Wäre Schönheit ein Konstrukt, würde sie uns in der Natur nicht begegnen können. Aber sie begegnet uns dort. Sie ist dort unsere allererste Erfahrung." (Radiokolleg am 21. Juli 2016, vgl. Konrad Paul Liessmann: Schönheit. Wien: Facultas 2016)

Wir sehen auch, dass wir in diesem Bereich lernfähig sind: Wenn wir uns genauer mit bestimmten Bereichen der Natur beschäftigen, z.B. die Pflanzen des Regenwaldes studieren, können wir unseren diesbezüglichen Schönheitsbegriff erweitern und verfeinern. Vermutlich wird ein Wurmforscher ein anderes Schönheitsempfinden in Bezug auf diese Tiere entwickeln als jemand, der seinen Blick gewohnheitsmäßigen von diesen "ekeligen" Würmern abwendet. Vielleicht empfinden wir nur das an der Natur als hässlich, womit wir uns nicht näher beschäftigt haben, sodass wir rein auf unsere instinkthaften Reflexe angewiesen sind, die uns alles sympathisch machen, was dem Kindchenschema ähnelt und z.B. Fischarten, deren Mundwinkel nach unten gehen, als grießgrämig und unattraktiv erleben lassen.


Also müssen wir uns wohl mit der relativen Fassung des Schönen zufriedengeben. Unsere unterschiedlichen Wahrnehmungsorgane und Verarbeitungsprozesse im Gehirn sowie unsere lebensgeschichtlichen Prägungen - die Werte und Urteile der Menschen, mit denen wir aufgewachsen sind und mit denen wir in unseren Ausbildungen zu tun hatten - bewirken, dass sich in jedem Menschen unterschiedliche Präferenzen ausbilden, die sich im individuellen Schönheitsbegriff ausdrücken. Schön ist das, was unseren Sinnen wohlgefällt, was uns interessiert und zugleich entspannt. Und das ist in hohem Maß interindividuell variabel und verändert sich zudem im Lauf des jeweiligen Lebens, abhängig von den Erfahrungen, die wir im Bereich des Ästhetischen machen.

Schönheit ist ein Kontext, mit dem wir Erfahrungen einordnen und bewerten. Es ist also keine Eigenschaft, die den Dingen selbst anhaftet und von ihnen nur abgelesen werden müsste. Wir machen Schönheit, indem wir Erfahrungen auf einer Skala von schön bis hässlich lokalisieren, gemäß unserer inneren Empfindungsresonanz zwischen angenehm und unangenehm.


Schönheit in der Begegnung


Soweit können wir der konstruktivistischen Idee der Schönheit folgen. Es gibt dazu allerdings noch eine weitere Dimension, die die Frage nach dem Absoluten in der Schönheit, also nach dem Unbedingten und Verbindlichen im Schönen nicht als hoffnungslos überholt und überflüssig erscheinen lässt.

Wir haben am Beispiel der Naturerfahrung festgestellt, dass die bewusste Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, also das aufmerksame Erfahren und Erkunden, das Schönheitserleben verändert. In diesem Vorgang schließen wir mehr des Äußeren in unseren Innenraum ein und erweitern unser Vertrauen in unsere Umgebung. Wo Unbekanntes und Fremdes war, wird jetzt Bewusstes, Bekanntes und Vertrautes. Und Vertrautes erscheint uns leichter als schön als Fremdes, noch dazu, wenn dieses als gefährlich oder bedrohlich erlebt wird.

Der Weg des bewussten Wahrnehmens ist der Weg, mit mehr und mehr von dem, was uns die Wirklichkeit anbietet, Freundschaft zu schließen und dabei das Fremde in das Vertraute zu verwandeln. In jeder Erfahrung, die wir unter diesen Vorzeichen machen können, verschiebt sich der Fokus der Schönheitserfahrung vom Objekt auf die Beziehung: Die Erfahrung des Schönen ist eine schöne Erfahrung. Ähnlich wie wir den Austausch mit einem Menschen, der vielleicht nach gängigem Schönheitsideal als hässlich einstufen, als wunderschön erleben können, lösen wir den ausschließlichen Blick auf die Äußerlichkeit des Äußeren und verbinden ihn mit dem Blick auf die Innerlichkeit des Äußeren. In diesem Akt des Vertiefens ist es der Austausch selbst, der die Qualität des Schönen bekommt.

Ein neuer Begriff des Schönen taucht an dieser Stelle auf: Schönheit liegt im Vollzug der Wirklichkeit, im Prozess der Entwicklung und Veränderung, im Miteinander-Erschaffen (Ko-Kreativität) von Realität. Schönheit ist ein Geschehen und keine Eigenschaft, ist beweglich und nicht statisch, ist interaktiv und monologisch.
Auf diese Erfahrungsqualität bezieht sich Rilke mit der berühmten Zeile aus einem Sonett: "da ist keine Stelle, die dich nicht sieht." Es ist also das Kunstwerk, das den Betrachter in Bann zieht und im Blick fixiert. Und das hat Folgen für diesen, deshalb setzt Rilke mit Pathos fort: "Du musst dein Leben ändern." Genauer besehen, hat sich das Leben in diesem Moment schon geändert.

Es geht also nicht um ein Taxieren eines Objekts, wie bei einem Kunstmakler, der den Marktwert und die Kapitalchancen eines Kunstwerks abschätzt, sondern ein in die Tiefe gehendes Begegnen mit dem, was gerade da ist. Das Kunstwerk steckt im Erleben des Moments. Wir schließen dabei Frieden mit der Wirklichkeit, und das ist die eigentliche Schönheitserfahrung, die in jeder Suche nach dem Schönen steckt: Was ist, darf so sein, wie es ist, und darf sich so verändern, wie es sich verändert. Dann verschwindet der Unterschied zwischen Erlebendem und Erlebten, wir fallen gewissermaßen ins Dazwischen, und in die Erfahrung einer unbegrenzten und unbedingten Schönheit.

Hier haben wir den Bereich des Relativen verlassen. Wir sind im Lebensvollzug als solchem, in dem das Bedingte und Eingeschränkte, das Definierte und Bewertete, keine Rolle mehr spielt. Alles, was wir in seiner ihm eigenen Intensität und Tiefe erleben können, ist unermesslich schön, weil wir ihm in unserer eigenen unermesslichen Schönheit begegnen. Die absolute Schönheit entsteht in diesem Zusammentreffen, das sich im Moment des Aufeinander-Einlassens vollzieht und ist im nächsten Moment, in dem wir uns in unsere abgekapselte Ichhaftigkeit zurückziehen, schon wieder verschwunden.

Die absolute Schönheit kann also, wie alles andere, was wir als absolut erleben, nicht festgehalten werden. Wir können ihrer nicht habhaft und in ihr nicht sesshaft werden. Allein dadurch, dass wir unser Heim mit schönen Gegenständen und Kunstwerken vollräumen, wird unser Leben nicht schöner, außer wir nutzen die Objekte, um unser Inneres mit ihnen zu teilen, dann sind wir im Paradies der Schönheit. Und dafür braucht es nicht einmal die besonderen und herausragenden Kulturgüter oder die erlesenen und abgelegenen Naturschönheiten. Dieses Paradies können wir in jeder noch so winzigen und unscheinbaren Begegnungserfahrung mit der Wirklichkeit machen: Mit dem Wunder eines Wurms, der sich im Erdreich verkrümelt, oder eines Windhauches, der an der Nase vorbeistreicht, eines Lächelns, das uns geschenkt wird und einer Stimmung, die uns mit uns selbst verbindet.

Das heißt nicht, dass wir der Kunst in ihrer ausgeprägten Form keine Bedeutung geben müssten; vielmehr bietet sie in ihren verschiedenen Formen einen vorzüglichen Zugang zu der oben beschriebenen Erfahrungsqualität. Die Künstler konfrontieren uns konzentriert und kompromisslos mit dieser Auseinandersetzung, sie fordern uns heraus, unsere Widerstände und Gewohnheiten aufzugeben und neu und leer zu werden. Für viele Menschen ist die Kunst die einzige ihnen mögliche Zugangsart zum Absoluten. Wollen wir jedoch die Erfahrung des Absoluten tiefer und weiter in unserem Leben verankern, so nutzen wir die Kunsterfahrung und das Kunsterleben, um es auf die großen und kleinen Dinge unseres Lebens zu übertragen.


Schönheit als Hoffnung


Dostojewski hat einmal geschrieben: "Schönheit wird die Welt retten." Vielleicht dienen die oben dargestellten Gedanken dazu, dieses Zitat besser zu verstehen: Die Erfahrung der absoluten Schönheit immunisiert uns gegen alle Bestrebungen des Bösen: der Gewalt und der Zerstörung. Das Böse ist in diesem Verständnis nichts als die verzweifelte Suche nach dem Schönen, das aus Angst am falschen Ort gesucht wird, wie der Attentäter, der ein besseres Leben schaffen will, indem er andere und das eigene auslöscht.

Vgl. Aus Unterschieden lernen 
Der menschliche Körper und die Bewusstseinsevolution