Sonntag, 7. Mai 2023

Atemresilienz angesichts der Krise

Die Klimakrise findet statt, wie wir täglich bemerken, wenn wir uns die Wetterphänomene bei uns und anderswo anschauen. Was Tausende von Wissenschaftlern erforscht und prognostiziert haben, tritt ein, fraglich ist nur die Geschwindigkeit, mit der Katastrophen eintreten, und deren volles Ausmaß ist noch nicht gewiss. Es ist also offen, wann der befürchtete Kipppunkt eintritt, der viele Systeme zum Zusammenbruch führen wird. Es ist, wie es so schön heißt, nur eine Frage der Zeit. Ungewiss ist auch, was die Folgen des Kipppunktes sein werden, d.h. wie die Menschen, die Gesellschaften und die Staaten darauf reagieren werden. 

Das Außergewöhnliche an dieser Krise ist, dass es in der Menschheitsgeschichte nichts Vergleichbares gegeben hat. Sie betrifft die gesamte Menschheit, die Tierwelt und die Natur, also alles Leben auf diesem Planeten. Sie entwickelt sich schleichend und fast unmerklich, sodass sie solange ignoriert oder verleugnet werden kann, bis irgendwo das Wasser zum Hals steht. Dazu kommt noch, dass wir seit Jahrzehnten wissen, was auf uns zukommt und dass die meisten, und vor allem die politischen Verantwortungsträger, trotz des Wissens so getan haben und bis heute so tun, als wäre alles nicht so schlimm und als würde irgendein technologisches Wunder in letzter Minute Abhilfe verschaffen. Diese verantwortungslose Naivität ist eine der Ursachen, warum es versäumt wurde, der in die Katastrophe führenden Entwicklung rechtzeitig gegenzusteuern. 

Doch das Zeitfenster, in dem effektive breitflächige Maßnahmen ohne allzu hohe Kosten die Emissionen reduzieren hätten können, hat sich schon geschlossen. Stattdessen haben die Politiker mit Zustimmung der Bevölkerungen den gegenteiligen, schon gewohnten Kurs gewählt: Die stetige Steigerung des Ausstoßes der Treibhausgase, die stetige Steigerung des Wohlstandes, der Industrieproduktion und des Konsums und damit die stetige Steigerung von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre. 

Vertrauensverlust

Die Pandemie-Krise hatte eine Ähnlichkeit mit der alles umfassenden Klimakrise, dass sie global war und keine vergleichbaren Vorläufer hatte. Es gab also keine Erfahrungen für das Management einer solchen Krise in komplexen Gesellschaften, deshalb wurde in vielen Staaten aus einer Gesundheitskrise eine gesellschaftliche Krise mit viel Verunsicherung und Verwirrung. Die politischen Verantwortlichen verloren durch die Fehler im Pandemiemanagement bei vielen Bürgern an Vertrauen, und damit wurden auch die politischen Systeme, die sie repräsentierten, in Zweifel gezogen. Der Zuwachs an antidemokratischen Strömungen ist eine Folge der Infragestellung der Demokratie und stellt eine zusätzliche Belastung für das Management der Klimakrise und der daraus resultierenden Katastrophen dar. Denn ähnliche Kritikpunkte, mit denen populistisches Kleingeld gesammelt werden kann,  zeichnen sich schon jetzt ab. Wenn erst handfeste Probleme mit Überhitzung, Austrocknung, Meeresspiegelanstieg usw. in der engeren Umwelt auftauchen, scheint eine gesellschaftliche Radikalisierung unvermeidlich. Doch können keine politischen Proteste oder krude Verschwörungstheorien den Klimawandel aufhalten, vielmehr ist ihm eine zerstrittene Gesellschaft noch viel wehrloser ausgeliefert als eine homogene, die mit geeintem Willen und mit dem Augenmerk auf soziale Gerechtigkeit und ökologische Verträglichkeit mit den Krisenfolgen umgeht.

Die vergleichsweise harmlose Corona-Welle hat zu enorm vielen Ängsten und daraus stammenden Verschwörungstheorien geführt und für einen Zulauf zu rechten und rechtsextremen Gruppen und Parteien gesorgt. So ist damit zu rechnen, dass bei noch massiveren Krisenerscheinungen noch mehr gesellschaftliche Polarisierungen auftreten werden. Je stärker die Betroffenheit ist, desto mehr Ängste entstehen, und desto mehr irrationale Reaktionen werden auftreten. Die Frontlinien, die dann die Gesellschaft auseinanderreißen können, sind von cleveren Parteimanagern schon markiert, die Schützengräben werden fleißig ausgehoben.

Zwanghaftes Wachstum

Wir müssen aus der Zwangsfixierung auf materielles Wachstum heraus, je früher, desto besser. Sie führte uns direkt in die Klimakatastrophe und verschärft sie kontinuierlich. Sie hat keine Zukunft, denn der Planet verfügt nur über begrenzte Ressourcen, und wenn die Wirtschaft weiterläuft wie bisher, wird irgendwann das Wachstumssystem kollabieren. Es verspricht uns kurzfristig eine scheinbare Atempause, während es in Wirklichkeit die Entwicklung beschleunigt. Es sägt zunehmend und zuverlässig den Ast ab, auf dem wir sitzen und auf dem auch zukünftige Generationen einigermaßen bequem sitzen möchten. 

„Der Kapitalismus kann ebenso wenig überredet werden, das Wachstum zu begrenzen, wie ein Mensch überredet werden könnte, mit dem Atmen aufzuhören.“ (Murray Bookchin)

Der ideologische Treibsatz hinter dem kapitalistisch-neoliberalen Wirtschaftssystem hat eigentlich schon lange ausgedient, denn er hat inzwischen genug angerichtet.  Er ist dennoch fix in unseren Gehirnen in ihren Belohnungs- und Bestrafungszentren verankert. Er wird tagtäglich durch die Selbstbetätigungen verstärkt, die wie rundum laufende Mantren in der Leistungs- und Stressgesellschaft, im Bildungssystem und in den Medien bis hin zur Unterhaltungsindustrie eingepflanzt sind und uns als Ohrwürmer plagen: „Leiste mehr, besser, schneller, dann kriegst du deine Belohnung.“

Mit dem Mitspielen aufhören

Es liegt an uns, ob wir der Wachstumsideologie noch länger dienen und uns ihr und ihren Zwängen wider besseres Wissen unterwerfen. Wir haben die Wahl, uns immer wieder aus den diversen Hamsterrädern auszuklinken, indem wir uns auf das besinnen, was uns wirklich wichtig ist, und da werden wir kaum darauf stoßen, dass uns die Anhäufung von noch mehr Gütern ein Hauptanliegen ist. Wir brauchen also die Kraft unserer Bewusstheit, die uns darauf aufmerksam macht, wann wir uns im Bann des Wachstumswahns befinden. Sie ist es, die uns zu uns selber zurückführt. Der Atem ist eine wichtige Unterstützung für die Bewusstheit, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Er befreit uns vom Stress und bringt uns zum inneren Gleichmut. Er gibt uns die Gewissheit, dass wir unsere Selbstachtung behalten können, wie auch immer sich die Lebensumstände ändern werden.

Wir sollten darauf achten, unsere Energien nicht zur Bewältigung von Stress zu verbrauchen, den wir uns infolge der Anstiftung des wahnhaften Leistungssystems selber machen. Entledigen wir uns des Getriebenseins, der Ruhelosigkeit und suchen wir den Frieden in uns, mit der Hilfe einer entspannten Ausatmung und mit der Bewusstheit auf die Ressourcen, die uns das Leben geschenkt hat, im Inneren wie im Außen. Wir brauchen alle unsere Kräfte, um das zu tun, was notwendig und richtig ist. Hören wir auf, mitzuspielen in einer Stressmaschine, die uns ausbeutet und abhängig machen will. Hören wir auf, uns Gier und Menschenverachtung einprägen zu lassen durch eine Lebensweise, mit der wir weit über unsere globalen Möglichkeiten hinaus konsumieren und unsere Nachfahren mit den Folgen belasten. Weiten wir unseren Horizont, indem wir die Welt als Ganze im Blick behalten und in unserem Handeln nach dem streben, was das Beste für dieses Ganze ist und in unseren Möglichkeiten liegt. 

Dieser Artikel ist inspiriert von Thomas Metzinger: Bewusstseinskultur (Berlin-Verlag 2023)

Zum Weiterlesen:
Krisen und Krisenresilienz
Brauchen wir Krisen, um die globalen Probleme zu lösen?
Ausstieg aus dem Funktionsmodus
Funktions- und Flussmodus
Funktional und fließend wahrnehmen
Geschehenlassen und Funktionieren
Tun und Geschehenlassen


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