Donnerstag, 11. Mai 2023

Die Wissenschaftsskepsis und das Versagen der Klimapolitik

25 % der deutschen Bevölkerung glauben, dass Wissenschaftler:innen beim Klimawandel übertreiben, um mehr Geld und Anerkennung zu bekommen. Das hat eine repräsentative Umfrage im Jahr 2022 ergeben. Die Zahlen dürften für Österreich und die Schweiz ähnlich liegen. Denn es ist schon länger bekannt, dass die skeptische Einstellung gegenüber den Wissenschaften vor allem in den deutschsprechenden Ländern besonders stark ausgeprägt ist. Die Leerstelle, die durch die Ablehnung der Wissenschaften entsteht, wird vor allem durch Verschwörungstheorien und esoterische Glaubensformen gefüllt. Die Corona-Zeit hat dem Misstrauen gegenüber den Wissenschaften einen zusätzlichen Aufschwung beschert, vor allem dadurch, dass polemische Wissenschaftskritiker ein großes Publikum über soziale Medien und kommerzielle Fernsehsender erreichen konnten, ohne selber auf wissenschaftliche Standards Rücksicht nehmen zu müssen. 

Ist der Ruf der Wissenschaft nun mal in einem Bereich ramponiert, kann das Misstrauen leicht auf andere Forschungsbereiche übergreifen: Vielleicht wird uns die Klimakrise nur eingeredet, von den Mainstream-Medien, die ja nur die Interessen von Regierungen und Konzernen vertreten und nur Wissenschaftler zu Wort kommen lassen, die diesen Interessen gehorchen.

Vom Nutzen der Wissenschaftsskepsis für die eigene Bequemlichkeit  

Was bringt die Wissenschaftsskepsis? Die Wissenschaft bietet abgesicherte Informationen nach dem jeweils aktuell besten Stand der Erkenntnis und außerdem ein kritisches Korrektiv für jede Form von Wissen, einschließlich des wissenschaftlichen Wissens. Wir verfügen über kein besseres Wissen über die Realität als das, das durch die Wissenschaften erzeugt wird. Wir wissen überhaupt nur aus diesen Quellen, dass es überhaupt eine Klimakrise gibt. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben Wissenschaftler das Ozonloch entdeckt und die Verursacher, die Flourkohlenwasserstoffverbindungen identifiziert, die daraufhin verboten wurden. Ohne Wissenschaften wären viele Menschen an Hautkrebs verstorben, ohne dass die Ursachen gefunden worden wären. Damals hat es übrigens keinen Zweifel gegenüber diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen gegeben.

Auch was die Klimakrise anbetrifft, geht alles, was wir darüber wissen, auf die Wissenschaften zurück. Niemand von uns hat je den CO2-Gehalt der Atmosphäre gesehen, gerochen oder sonst wie erfahren. Allenfalls nehmen wir abnorme Wetterphänomene wahr, aber ohne wissenschaftliche Daten könnten wir nur raten oder fantasieren, was die Ursache dafür sein könnte. 

Was aber diese Daten zeigen, was eben von Tausenden von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt erforscht, dokumentiert und berechnet wurde, ist in hohem Maß beängstigend. Es geht nicht mehr darum, ob es zu einer Klimakatastrophe kommt, sondern nur darum, wann, wo und in welchem Ausmaß sie eintritt. Das Szenario ist düster, nur die Schattierung und der Dunkelheitsgrad sind offen und hängen davon ab, welches der Wahrscheinlichkeitsmodelle über Temperaturanstiege man für realistisch hält. Wir wissen, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern und dass das, was wir dagegen tun, viel zu wenig und viel zu zaghaft ist. Die Klimaziele, also die Reduktion der Treibhausgasemissionen, sind im Vertrag von Paris 2015 nach langen und schwierigen Verhandlungen festgelegt worden. Die Erderwärmung sollte auf unter 2 Grad begrenzt werden – eine aus wissenschaftlicher Sicht minimale Übereinkunft, da selbst bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad zu unabsehbaren Folgen mit wahrscheinlich irreversiblen Kipppunkten führen wird. In Bezug auf die Klimaziele der EU (die Reduktion der CO2-Emissionen auf 55% der Werte von 1990 bis 2030 und das Erreichen der Treibhausgasneutralität bis 2050) wissen wir jetzt schon, dass sie z.B. Österreich bis 2030 nicht erreichen wird. 

Skepsis und das politische Geschäft

Ein gewichtiger Faktor bei der Verzögerung der Maßnahmen zum Schutz vor einer Klimakatastrophe liegt bei der verbreiteten Wissenschaftsskepsis, die sich auch durch die politische Landschaft zieht und von vielen Politikern geteilt wird. Regierungen zaudern auch deshalb mit dem Beschluss von Maßnahmen, weil sie der Bevölkerung keine einschränkenden Änderungen der Lebensweise vorschreiben wollen, was ihre Wähler vergraulen würde. Sie nutzen die Ambivalenz in der Haltung der Bevölkerung, die durch das Misstrauen in die Wissenschaften verschärft wird, um sich zurückzulehnen und auf irgendwelche Zaubermittel zu warten.

Wenn die Politiker aber die Wissenschaften und zugleich die eigene Verantwortung als maßgebliche Entscheidungsträger ernst nähmen, hätten sie schon längst einschneidende Maßnahmen beschlossen und umgesetzt. Bei der Pandemie ist das relativ rasch gelungen, weil die Menschen schnell gespürt haben, dass es um Leben und Tod geht. Bei der Klimakrise muss niemand akut um sein Leben fürchten, und die mittel- oder langfristig wirkenden Schäden kennen wir in ihrer Massivität nur aus den Szenarien der Wissenschaftler. 

Da setzt ein Beschwichtigungsmechanismus ein, der besagt, dass alles nicht so schlimm werden wird. Wir wollen uns lieber selbst täuschen und in die eigene Tasche lügen als uns mit dem Bedrohungsszenarien auseinandersetzen, die die Wissenschaften vor unseren Augen ausbreiten. Und was wir – die Bevölkerung – als Wirklichkeitsverzerrung nutzen, kommt ebenso den Politikern zu pass, die sich da vor unangenehmen und unpopulären Maßnahmen schrauben können. Sie geben ihre Verantwortung ab und können sich darauf ausreden, dass  ja der Wille zu Veränderungen in der Bevölkerung nur schwach ausgeprägt ist und für die meisten andere Themen wichtiger sind.

Immer wieder erscheinen Umfragen mit dem Ergebnis, dass sich die Menschen große Sorgen wegen des Klimas machen (die Informationen aus den Wissenschaften sind angekommen) und dass sie ihr Verhalten nur minimal ändern wollen (die Verantwortung wird nicht übernommen). Diese Diskrepanz entsteht auch dadurch, dass die Ergebnisse der Wissenschaften verharmlost und abgeschwächt und mit der eigenen Bequemlichkeit gegengerechnet werden. Genau darum geht es bei den Sonntagsreden der Politiker, die gravitätisch ihre Sorgen ausdrücken und zugleich betonen, dass schon genug geschehen ist und dass eine Einschränkung des Wohlstandes und der luxuriösen Lebensweise nicht notwendig sein wird.

Anerkennen des Versagens

Wir müssen anerkennen, dass wir es als Menschheit viel zu weit haben kommen lassen. Wir haben versagt, die Katastrophe rechtzeitig abzuwenden, obwohl wir seit Jahrzehnten wissen, dass sie eintreten wird, wenn wir keine energischen Gegenmaßnahmen setzen. Diesen Tatsachen in die Augen zu schauen, macht Angst und beschämt. Ein einfacher Ausweg aus diesen unangenehmen Gefühlen ist es, die Überbringer der Unheilsnachricht  in Verruf zu bringen: Wir stellen sie als Übertreiber oder gar als Lügner hin, unterstellen ihnen selbstsüchtige Interessen oder werten sie emotional ab: Solche Hysteriker! Verantwortlich sind nicht wir aufgrund unserer Versäumnisse, sondern die, die uns darauf aufmerksam machen. 

Das Ernstnehmen der Schlussfolgerungen der Wissenschaften würde bedeuten, den eigenen Lebensstil radikal zu überdenken und neu aufzustellen. Angesichts der erdrückenden Faktenlage bliebe keine Wahl, für sich selbst die nachhaltigste Form des Lebens zu übernehmen, die nur irgendwie möglich ist. Es hieße, sich einzugestehen, selber am Elend kommender Generationen eine Mitschuld zu tragen. Denn all die Ressourcen, die man selber verbraucht hat, stehen nicht mehr zur Verfügung, stattdessen müssen unsere Nachfahren noch dazu an den klimatischen Folgen des eigenen Überkonsums leiden. 

So aber, wenn es gelingt, den Wissenschaftstreibenden unlautere selbstsüchtige Interessen oder Wichtigtuerei zu unterstellen, werden die düsteren Zukunftsaussichten in ein neutraleres Licht getaucht: Diese Leute sind ja wie alle anderen Menschen auch käuflich und korrupt. Was sie an scheinbaren Fakten verbreiten, hat nichts mit der Realität zu tun. Die Realität ist eben nur das, was man selber direkt erlebt – sonnige und regnerische Tage, heiß war es schon immer im Sommer, was soll da das Problem sein? Die Überschwemmungen, Wirbelstürme und Trockenheitsperioden sind schlimm, aber solange sie einen selber nicht betreffen, genügt ein kurzes Bedauern der leidenden Menschen. Der Anstieg des Meerwasserspiegels findet vielleicht irgendwo statt, auf 500 Metern Meereshöhe wird einem schon nichts passieren. 

Und im Übrigen kommt die nächste Eiszeit bestimmt. Oder ein Komet macht dem Planeten den schnellen Garaus. Die Welt steht auf kan‘ Fall mehr lang, hat schon Nestroy als Knieriem 1834 gesungen, und sie steht noch immer. Also alles nur Angstmache von mieselsüchtigen Schlechtmachern.

Sobald die Wissenschaft in bestimmten Kreisen delegitimiert ist, also ihrer Deutungsmacht entkleidet wird, lässt es sich so weiterleben und weiterkonsumieren wie bisher. Der mehr oder weniger luxuriöse Lebensstil kann beibehalten werden, das Gewissen ist beruhigt. Ändern sollen sich allenfalls die anderen, die noch viel mehr als man selbst verbrauchen, wie auf dem Cartoon, wo ein Mann von sich gibt, dass die Chinesen endlich ihren Treibgasausstoß reduzieren sollen und auf allen Gegenständen um ihn herum einschließlich seiner Kleidung steht „Made in China“.  Plumpe Ausreden zu finden, ist einfacher als die komplexen Modelle der Wissenschaften zu studieren. Sie dienen der trägen Anhänglichkeit an die gewohnten Lebensformen und ihre Vorzüge. 

Geschäftsinteressen und Wissenschaftsskepsis

Natürlich gibt es viele Profiteure der Wissenschaftsskepsis. All die Firmen und Konzerne, die ihre Geschäfte mit der Zerstörung des Lebens auf dem Planeten machen, haben ein vitales Interesse daran, dass möglichst viele Menschen nicht auf die Wissenschaft vertrauen, sondern deren Ergebnisse bezweifeln und relativieren. Wir wissen nicht genau, mit welchen Mitteln die Wissenschaftsskepsis von diesen Konzernen betrieben und gefördert wird; wir kennen allerdings aus der Vergangenheit die Bemühungen der Zuckerindustrie, mittels gekaufter Studien die Gefahren des Zuckerkonsums zu widerlegen, sowie ähnliche Bestrebungen der Tabakindustrie, die die Harmlosigkeit des Rauchens belegen sollten. Für viele Bereiche der Industrie, vor allem jene, die mit dem Vertrieb von fossilen Energieträgern leben, stellen die Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen der Klimaforschung eine Bedrohung dar. Für ihre Betreiber ist es nur logisch, dass sie alles tun, um den Glauben an die Wissenschaften zu unterminieren.

Das Streuen von Fake-Informationen hat immer den Seiteneffekt, dass Leute sagen, sie wissen nicht, wer Recht hat, und eine Haltung einnehmen, die sich nicht festlegt, sodass schließlich erfundene „Fakten“ gleichrangig neben erforschten Fakten stehen. Damit steht es im subjektiven Belieben, sich z.B. aus Bequemlichkeit oder zur Gewissensberuhigung einer wissenschaftsskeptischen Position anzuschließen.

Und jeder, der sich aus freien Stücken, aber ohne grundlegende Kenntnisse in der Wissenschaftstheorie, der Wissenschaftsskepsis anschließt, indem er z.B. ein Klimawandelleugner wird, sollte sich im Klaren sein, dass er diesen Geschäftsinteressen, die auf der Ausplünderung des Planeten beruhen, einen willkommenen Dienst erweist.

Zum Weiterlesen:
Atemresilienz angesichts der Krise
Impfen, Wissen und Wissenschaft
Zwischen Wissenschaft und Lügenproduktion
Die Eso-Hasser und das Skeptiker-Syndrom
Wenn Fiktion zum Faktum wird
Nachhaltigkeit in der Demokratie


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen