Donnerstag, 30. März 2017

Die Kommunikationsfähigkeiten der Ungeborenen

Sind wir ursprünglich Einzelgänger, auf das eigene Überleben programmiert, und gehen wir Beziehungen nur deshalb ein, weil wir uns Vorteile für dieses Überleben erwarten? Diese Auffassung ist prägend für viele Ansichten in der Philosophie, Anthropologie, in anderen Wissenschaften und Ideologien, bis hinein ins Alltagsbewusstsein. Sie hat aus meiner Ansicht ihre Wurzeln im materialistischen Bewusstsein, das dazu beigetragen hat, dass sich Solidargemeinschaften aufgelöst haben, bzw. dass es immer schwieriger wird, solche zu bilden. Wenn das stimmt, ist das Bild von Robinson Crusoe, der das Überleben auf einer einsamen Insel schafft und damit das Vorbild für die Einzelkämpfer-Existenz abgibt, ein Produkt der Neuzeit und ihrer Überlebensstrategie. 

Die andere Auffassung geht davon aus, dass wir von Anfang an als Individuen in Beziehungsnetzen miteinander verbunden sind. Was uns als Individuen ausmacht, ist u.a. die Art und Weise, wie wir mit Beziehungen umgehen und von ihnen geprägt werden. Nach dieser Auffassung gibt es ein beständiges Interaktionsgeschehen zwischen Individuen, das nicht erst erlernt wird, sondern von Anfang an besteht. Das auf das eigene Überleben programmierte Einzelwesen ist nach dieser Auffassung ein Abstraktum, etwas, das es in der Wirklichkeit nicht gibt. 

Die Wissenschaft hat einen interessanten Beleg für die zweite Auffassung präsentiert. Er ist unter dem Titel „Hallo Nachbar! Ungeborene Zwillinge ertasten einander im Mutterleib“ in der Public Library of Science erschienen. 

Hier der Bericht:
Dass Babys unmittelbar nach der Geburt mit ihren Mitmenschen Kontakt aufnehmen und beispielsweise deren Mimik imitieren, ist bekannt. Wie aber sieht es mit der Zeit davor aus? Wissenschaftler um Umberto Castiello von der Università degli Studi in Padua filmten per Ultraschall die Bewegungen von Zwillingen im Mutterleib und stellten fest: Die Föten beginnen schon ab der Mitte der Schwangerschaft, sich gezielt gegenseitig zu ertasten. Castiello und seine Kollegen hatten mitgezählt, wie oft die Zwillinge sich selbst, die Wand der Gebärmutter und das Geschwister in der Zeit zwischen der 14. und der 18. Schwangerschaftswoche berührten. Das Ergebnis: In diesem Zeitraum fassten die Kinder immer seltener sich selbst an, dafür aber häufiger den Uterusnachbarn. Bei den fünf untersuchten Zwillingspärchen habe sich außerdem gezeigt, dass die Föten die Geschwindigkeit der Bewegung an das jeweilige Ziel anpassten, berichten die Forscher. Nach Bruder oder Schwester holten die Kinder vorsichtiger aus, als wenn sie ihren eigenen Mund oder ihre Augen befühlten.& Für die Wissenschaftler ist damit klar, dass es sich um zielgerichtete Bewegungen handelte und nicht um unkoordinierte Reflexe. Aus den Ergebnissen geht nach Ansicht der Forscher hervor, dass das Miteinander beim Menschen instinktiv angelegt ist. Die nötigen Verschaltungen im Gehirn entstehen offenbar bereits während der Embryonalentwicklung.


Soweit der Bericht, der auf die erstaunlichen kommunikativen Fähigkeiten von ungeborenen Kindern hinweist. Sicher brauchen wir neuronale Schaltkreise im Gehirn, um diese Fähigkeiten steuern zu können. Doch könnte es sein, dass diese Fähigkeiten schon vor der Entstehung der entsprechenden Verschaltungen angelegt sind und über andere Kanäle funktionieren. 

Wenn diese Auffassung stimmt, haben wir es mit einem Universum zu tun, in dem jedes Element mit jedem anderen in irgendeiner Form der Kommunikation verbunden ist. Kommunikation ist nicht etwas, das wir irgendwann erlernen, sondern ist das Medium, in dem wir immer schon sind. Was wir lernen, sind bestimmte Techniken der Kommunikation, wie z.B. das Sprechen oder das Email-Schreiben. In Kommunikation wurden wir empfangen, in Kommunikation sind wir zu dem geworden, was wir sind, und durch Kommunikation entwickeln wir uns weiter und entfalten unsere Möglichkeiten und Potenziale, die wiederum dem großen Netz der Kommunikationen zugutekommen. 

Hier zur Quelle

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen