Die Wahrscheinlichkeit, an einem Unfall im eigenen Haushalt umzukommen, ist wesentlich höher als die Wahrscheinlichkeit Opfer eines Terroranschlags zu werden, überhaupt in unseren Breiten. Der letzte Terroranschlag in Österreich fand vor fast vierzig Jahren statt. Wir sollten also wesentlich weniger Angst vor Terroranschlägen als vor Autounfällen und Herzanfällen haben.
Allerdings geht es um Gefühlsreaktionen, nicht um logische Risikoberechnungen. Unsere Gefühlszentren funktionieren nicht nach statistischer Rationalität. Sie haben ihre eigene Logik, die definiert, was schrecklich ist.
Was ist das Schreckliche am Schrecklichen?
Wir sind entsetzt darüber, wie unmenschlich Menschen sein können, wie wenig Respekt und Achtung sie für das Leben anderer haben können, wie leichtfertig sie mit dem Leben anderer und dem eigenen umgehen, um irgendwelche ideologischen Ziele zu propagieren. Mit dem Entsetzen setzen wir uns auf die andere Seite: Wir sind die respektvollen, achtungsvollen Menschenfreunde, und die auf der anderen Seite sind die Menschenfeinde, die zu jeder Unmenschlichkeit bereit sind. Wir haben Angst vor den anderen und müssen alles tun, was in unserer Macht liegt, um sie zu bekämpfen und zu beseitigen. Wir müssen uns absichern, wie vor jeder Gefahr, aber besonders vor dieser, weil sie eben von Menschen ausgeht, die eigentlich menschlich sein sollten, aber sich unmenschlich verhalten.
Unmenschlichkeit bedroht unser eigenes Menschsein, nicht nur von außen, sondern auch von innen. Deshalb können wir, wenn wir tiefer blicken, entdecken, dass wir Angst vor dem Unmenschlichen in uns selber haben. Wir sind ja genauso Menschen wie die Terroristen und das heißt, dass wir alle in uns einen potenziellen Terroristen haben. Von unseren Möglichkeiten her sind wir zu den gleichen Gräueltaten fähig wie jeder Jihadist, nur verfügen wir über Kontrollmechanismen, soziale Hemmungen, tragfähige Beziehungen, abgesicherte Lebensverhältnisse usw., die uns daran hindern, solche Impulse auszuleben. Wir haben unsere Projektionen so weit im Griff, dass sie sich nicht in maßlos gewalttätigen Aktionen entladen müssen.
Wir haben sie allerdings so weit nicht im Griff, als wir mit Abspaltung reagieren. Denn wir spalten die Welt in Gut und Böse, damit wir uns mit den Drachen in uns selber nicht auseinandersetzen müssen. Allenfalls lassen wir ein paar Hasspostings los oder werten andere Leute in unserer Umgebung ab, damit beweisen wir uns, wie gezähmt wir doch mit unserer Aggressivität umgehen können. Die Abspaltung: Innen gut – außen böse wird stabilisiert.
Jede Abspaltung bindet Energien und Ressourcen und schwächt die Selbstverantwortung. Deshalb entsteht schnell ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit gegenüber der Terrorbedrohung, und viele wünschen sich aus diesem Grund einen starken Staat, am besten mit einem „starken Mann“ an der Spitze, der mit machtvoller Hand die Bedrohung mit einem Schlag vernichtet.
Diese Hilflosigkeit, die eine weit verbreitete Reaktion auf die Terrorgefahr darstellt, ist wiederum vor allem die Hilflosigkeit gegenüber den eigenen inneren Schattenseiten und spiegelt interessanterweise die Hilflosigkeit wider, die sich in den Taten der Terroristen ausdrückt: Mit einigen Morden die gehasste westliche Gesellschaft und Kultur zerstören oder der eigenen Religion zum Durchbruch verhelfen zu wollen. Hilflosigkeit gibt es nur dort, wo die Verantwortung nicht übernommen wird.
Sicherheit über Information
Warum wollen wir alles wissen, was sich im Zusammenhang mit einem Terroranschlag erfahren lässt? Wir glauben uns dadurch besser schützen zu können, wenn wir die Quelle der Bedrohung identifizieren können und über sie Bescheid wissen. Doch ist diese Schutzmaßnahme immer auch gegen uns selber gerichtet: Wir wollen mit den dunklen Seiten in uns selbst nicht in Kontakt kommen und nutzen dafür die Informationen über ein klares Bild, wer der Täter ist, wie die Tat vorbereitet und begangen wurde und warum sie verübt wurde. Dieses Bild versichert uns, dass wir die Situation zumindest ein wenig unter Kontrolle haben und dass mit diesem Wissen zukünftige Untaten verhindert werden können.
Intern dient das Sammeln und Abspeichern von Informationen dem Schutz vor unseren inneren Dämonen, der Abwehr vor den eigenen Schattenseiten. Je mehr wir über die Bösen wissen, desto besser hält die Teilung der Welt in die Guten und die Bösen. Je eindeutiger die Informationen sind, (z.B. wenn der Täter als Flüchtling ins Land gekommen ist), desto einfacher ist die Einteilung und Einordnung und desto simpler die Lösung (z.B. keine Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen). Der Hass überträgt sich auf alle Politiker, die solche Lösungen nicht mittragen. Sie sorgen nicht effektiv genug dafür, zu verhindern, dass wir selber nach innen schauen müssen, sobald wir Hass spüren.
Wie wir zur Friedfertigkeit kommen
In den inneren Frieden können wir erst kommen, wenn wir den Frieden mit unseren inneren Gewaltanteilen gefunden haben. Dann können wir den Hass, den wir – verständlicherweise, weil wir alle Menschen sind – auf die Täter empfinden, in ein neutrales und schließlich in ein verständnisvolles Gefühl umwandeln. Und das ist auch ein wichtiger, wenn vielleicht auch kleiner Teil für die Befriedung dieser Welt. Hass schürt Hass, Liebe vermehrt Liebe.
Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten, heißt es. Wer die eigene innere Gewaltbereitschaft annehmen kann, wird Friedfertigkeit säen und ernten.
Zum Weiterlesen:Der Terrorismus und unser Kopf
Ist der Terror islamisch?
Islamischer Terror und der Schaden für den Islam
Das Gute und das Böse
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