Donnerstag, 6. April 2017

Die Löschtaste im Gehirn und wie wir sie nutzen können

Bei den Neurowissenschaftlern gibt es den Spruch: „Neuronen, die zusammen feuern, schließen sich auch zusammen“ (“neurons that fire together wire together.”) Der andere Spruch lautet: „Verwende oder verliere es“ („use it or lose it“). Damit ist die leicht verständliche Tatsache gemeint, dass Prozesse, die wir häufig nutzen, gestärkt werden, während solche, die wir selten einsetzen, verloren gehen können. Ähnlich wie der Gewichtheber mehr Muskelmasse in seinen Oberarmen entwickelt, entsteht im Gehirn mehr Neuronenmasse in den Bereichen, die intensiv genutzt werden. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl der Nervenzellen, sondern vor allem um den Grad der Verdichtung der synaptischen Verbindungen zwischen diesen Zellen. Je mehr also einer der Schaltkreise im Gehirn genutzt wird, desto stärker wird er und desto häufiger meldet er sich. Deshalb sagt man auch: „Übung macht den Meister“. Je mehr wir Klavier, Sprachenlernen oder Jonglieren üben, desto stärker werden diese Schaltkreise und desto mehr drängen sie sich in den Vordergrund. Wer gut Jonglieren kann, greift gerne zu den Bällen, um zu spielen, und die Lust darauf kann sich auch melden, wenn ein paar Äpfel oder Orangen greifbar sind.

Wissenschaftler wissen das schon seit langem. Jedoch rückt jetzt ein anderer Zusammenhang ins Zentrum des Interesses: Wir müssen nicht nur gute Nervenverbindungen aufbauen, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass alte, nicht mehr genutzte Schaltkreise stillgelegt und entsorgt werden. Um gut lernen zu können, müssen wir gut verlernen können. Diesen Vorgang nennt man „synaptisches Stutzen” (“synaptic pruning”).

Wir können zum Verständnis dessen das Gehirn mit einem Garten vergleichen, in dem jedoch statt Blumen, Obst und Gemüse synaptische Verbindungen zwischen Nervenzellen angepflanzt werden. Neben diesen Neuronen gibt es noch die Gliazellen, die ähnlich wie die Gärtner des Gehirns auftreten: sie sorgen dafür, dass die Signale zwischen bestimmten Neuronen beschleunigt werden. Andere Gliazellen dienen als Müllabfuhr und Reinigungspersonal, sie finden den Abfall im Gehirn und beseitigen ihn. Dann gibt es noch Baumbeschneider im Hirn, die als Mikroglia-Zellen bezeichnet werden. Sie stutzen die synaptischen Verbindungen. Die Frage ist, woran sie erkennen, welche beschnitten gehören?

Die Forscher beginnen gerade, dieses Geheimnis zu lüften, aber bisher ist schon bekannt, dass weniger genutzte Verbindungen durch ein Protein C1q (sowie auch andere) markiert werden. Wenn die Mikroglia-Zellen diese Markierung entdecken, dann hängen sie sich an das Protein an und zerstören – oder stutzen – die Synapse. Auf diese Weise schafft das Gehirn den physischen Platz, in dem neue und stärkere Verbindungen gebaut werden können, damit wir mehr und neue Inhalte lernen können.

Die Bedeutung des Schlafes


Wir kennen das Gefühl, dass sich der Kopf vollgefüllt anfühlt. Das geschieht besonders dann, wenn wir intensiv etwas Neues lernen, z.B. in einem neuen Job oder Hobby. Dabei muss das Gehirn eine Menge neuer Verbindungen aufbauen, aber diese sind zunächst recht ineffiziente, ad hoc-Verbindungen. Das Gehirn muss eine Menge von ihnen beseitigen, um elegantere und effizientere Wege zu bahnen. Diese Umbauaktivitäten finden während des Schlafes statt.

Wenn wir schlafen, schrumpfen die Zellen um bis zu 60 %, um für die Glia-Zellen Platz zu machen, die kommen und den Abfall wegräumen. Währenddessen stutzen sie die Synapsen. Die Erfahrung, dass wir nach einem guten Nachtschlaf besonders klar und schnell denken können, hat darin ihren Grund. Das läuft so ähnlich, wie wenn wir am Computer die Defragmentierung ablaufen lassen.

Deshalb ist auch ein gepflegter Mittagsschlaf besonders förderlich für die kognitive Leistungsfähigkeit. Schon ein 10- oder 20-minütiges Schläfchen gibt den mikroglialen Gärtnern die Chance, hineinzukommen, einige der unnützen Verbindungen zu beseitigen und Platz für das Wachsen von neuen zu schaffen.

Die Löschtaste im Gehirn


Es sind diejenigen synaptischen Verbindungen, die wir nicht oder kaum verwenden, die für die Entsorgung markiert werden; diejenigen hingegen, die wir häufig und gern verwenden, werden gut mit Glukose und Sauerstoff versorgt. Also sollten wir darauf achten, womit wir unser Gehirn beschäftigen.

Wenn wir viel Zeit damit verbringen, uns Sorgen über Dinge zu machen, die wir nicht beeinflussen können, statt uns mit Projekten zu befassen, die wir verwirklichen wollen, ist klar, warum wir dabei schlecht weiterkommen, während wir uns nicht zu wundern brauchen, dass unsere Gedanken dauernd neue Sorgen produzieren.

Bestand hat das, worauf wir uns konzentrieren! Buchstäblich kräftigt sich der Geist durch die Wahl, die wir für unsere gedanklichen Tätigkeiten treffen. Die innere Aufmerksamkeit stärkt genau das, worauf sie sich richtet, und die Entscheidung, dich immer wieder darauf zu konzentrieren und Ablenkungen zu unterbinden, befördert diesen Prozess noch zusätzlich.

Natürlich können wir kaum kontrollieren, was uns von außen widerfährt. Aus irgendeinem Grund fällt der Strom aus, und wir müssen uns darauf konzentrieren, die Störung zu beheben, wenn wir gerade mit etwas anderem beschäftigt sind. Wir hören von einer Katastrophe irgendwo auf der Welt und sind entsetzt, unsere Aufmerksamkeit wird davon in Anspruch genommen. Wir können aber damit mitwirken, wie weit wir uns durch die äußeren Störeinflüsse von unserer Tätigkeit ablenken lassen, wie viel Macht wir der Außenwelt über unsere Innenwelt geben. Wir können zumindest dabei mitentscheiden, was uns betrifft, und auf diese Weise können wir unsere eigenen neuronalen Verbindungen konstruieren und die schon bestehenden stärken. In gewisser Weise und innerhalb bestimmter Grenzen bauen wir uns das Gehirn, das wir für unsere Zwecke brauchen.

Statt dass wir uns auf das fokussieren, was uns blockiert, können wir uns auf das fokussieren, was uns in unserer Weiterentwicklung hilft. Statt uns Szenarien vorzustellen, die höchstwahrscheinlich nie eintreten werden, ist es besser zu meditieren. Machen wir unseren Geist klar. Bringen wir das Denken ins Jetzt und nutzen wir die mentale Energie für Dinge, die uns guttun und fördern.

Wenn wir unseren Verstand intelligent nutzen, werden wir intelligenter. Der Verlockung durch Dinge, die uns nicht guttun, zu widerstehen, macht uns vifer. Wenn wir etwas löschen wollen, was wir nicht mehr brauchen oder was uns lästig ist, müssen wir aufhören, daran zu denken. Auch wenn wir durch etwas daran erinnert werden, können wir den Fokus und die Aufmerksamkeit auf etwas anderes verschieben. Früher oder später werden diese Inhalte zum Entsorgen markiert und machen damit Platz für Neues.

Bewusstes Atmen und Gehirnreinigung


Eine weitere Hilfe zur Gehirnreinigung und zum Entsorgen verbrauchter Gehirnsubstanz bildet das bewusste Atmen. Insbesondere vom kohärenten Atmen wissen wir, dass es die Gehirnflüssigkeit (cerebrospinale Flüssigkeit) in Bewegung hält. Die kohärente Welle, die beim rhythmischen langsamen Atmen zwischen Nervensystem, Herzschlag und Blutkreislauf entsteht, wirkt auch auf die Gehirnflüssigkeit, die ebenfalls in ein rhythmisches Fließen versetzt wird. Über diese Flüssigkeit werden die Abfallstoffe, die von den Gliazellen entsorgt wurden, aus dem Gehirn abtransportiert, und wir können auch annehmen, dass damit altersbedingten Gehirnkrankheiten (Alzheimer, Parkinson) vorgesorgt wird.

Zur Quelle

Vgl. Der Vagus-Nerv

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