Freitag, 23. August 2024

Dimensionen des Glücks

Wenn es um das Glück geht, wird häufig zwischen Hedonismus und Eudaimonismus unterschieden. Beide Begriffe gehen auf die griechische Philosophie zurück. Mit Hedonismus (griech. hedoné: Vergnügen, Lust, Begierde) wird ein Glückszustand verstanden, der kurzzeitig anhält und möglichst häufig erreicht werden soll. Der psychologische Hedonismus ist eine Theorie, dass alle menschlichen Handlungen auf die Vermehrung von Lust und die Verringerung von Schmerz ausgerichtet sind.

Der Eudaimonismus geht auf Aristoteles zurück, der das Glück mit dem ethisch rechten Handeln in Verbindung brachte. Wenn die Lebensführung dem Guten dient, werden nicht nur die eigenen Fähigkeiten optimal entfaltet, es stellt sich auch ein ausgeglichenes und gelassenes Gemüt ein. Gutes zu tun, trägt einen inneren Wert in sich und führt zur Übereinstimmung mit sich selbst, während böse oder schlechte Taten nicht nur Schaden anrichten, sondern auch zu einer inneren Spaltung und zum Unglück führen. 

Zwei US-amerikanische Psychologen haben eine Studie veröffentlicht, in der sie für eine dritte Dimension des Glücks plädieren. Sie berufen sich dabei auf Friedrich Nietzsche, der seinen Zarathustra im Kapitel „Der Wanderer“ sprechen lässt: „Gipfel und Abgrund – das ist jetzt in Eins beschlossen! Du gehst deinen Weg der Größe: Nun ist deine letzte Zuflucht worden, was bisher deine letzte Gefahr hieß!“ Shigehiro Oishi (Psychologieprofessor in Chicago) und Erin Westgate (Assistenzprofessorin an der Universität von Florida) sehen die Figur des Wanderers als Beispiel für ein „psychologisch reiches Leben“, das sich mit Hedonismus (Glück als Lustmaximierung) und Eudaimonismus (Glück als sinnerfülltes Tun des Guten) nicht zufrieden gibt.

Kognitive Komplexität

Nach den Studien von Oishi und Westgate geht es bei dieser Form des Glücks zunächst um „kognitive Komplexität“. Das mentale Erfassen der Vielgestaltigkeit der Phänomene, ihrer Ambivalenz und Bedeutungsvielfalt ist eine Qualität, die das Wechseln von Perspektiven und das Einnehmen unterschiedlicher Sichtweisen erleichtert. Damit wird die Wirklichkeit mehrdimensional wahrnehmbar und verständlich. Einseitige Standpunkte, monotone Gedankenschleifen oder wiederkehrende emotionale Muster  werden langweilig und überflüssig. Andere Menschen werden nicht mehr auf isolierte Bewertungen festgenagelt („Herr X. ist ein Schwachkopf“), sondern in ihrer Vielschichtigkeit („Herr X. hat mir einen schlechten Rat gegeben, aber sonst ist er ein netter Mensch.“) Das Tun der Menschen, auch wenn es nicht den eigenen Normen entspricht, wird erst aus einer Vielzahl von möglichen Motiven verständlich. 

Menschen, denen diese Form des Glücks vertraut ist, lassen sich gerne überraschen und entdecken mit Vorliebe neue Aspekte an dem, was sie erleben. Oft pflegen sie eine Vielfalt an Interessen. Sie sind in ihren politischen Ansichten offen und lernfähig. Es fällt ihnen leicht, Toleranz zu üben und unterschiedliche Lebensformen oder sexuelle Orientierungen zu akzeptieren. Durch die Flexibilität in ihrem Erleben gelingt es ihnen, aus Erfahrungen, die unangenehm oder irritierend sind, einen Wert zu ziehen und einen positiven Kontext zu finden. Dadurch wird das Ertragen von Belastungen und schlechten Erfahrungen erleichtert. Krisen können als Lernchancen begriffen und genutzt werden.

Diese Form des Glücks taucht auch bei allen Formen der Kreativität auf. Der schöpferische Prozess beinhaltet Momente der Überraschung und des Entdeckens von neuen Möglichkeiten. Er erweitert den Horizont und öffnet neue Perspektiven, für die Person, die das Werk in die Welt bringt, und für alle, die es erleben. Der Vorgang des Schaffens ist häufig von einem erhebenden und mitreißenden Flow-Zustand begleitet: Das kreative Tun wird zu einem Geschehen, das das ganze Innere ausfüllt, ohne irgendeine Kontrolle durch einen kritischen Verstand. 

Die Reise in die Tiefe

Der wandernde Zarathustra ist allerdings jener, der die Reise nach innen sucht und sich mit den Abgründen des Seelenlebens auseinandersetzt: „Tiefer hinab in den Schmerz, als ich jemals stieg, bis hinein in seine schwärzeste Flut! So will es mein Schicksal.“ In dieser Seelentiefe ist das Höchste zu finden: „Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen.“

Nach Nietzsche und auch nach den Lehren vieler spiritueller Meister und Mystiker kann das höchste Bewusstsein nur erreicht werden, wenn die inneren Dämonen konfrontiert werden. Es sind Schmerzen und Ängste, die in diesen Gestalten stecken. Sie müssen erfahren, durchlebt und entmachtet werden, um in die Tiefenschichten der Seele vorzustoßen und dort das höchste Potenzial freizulegen, über das Menschen verfügen. Dort findet sich eine Form des Glücks, das völlig frei ist von äußeren Bedingungen und aus einer tiefen Quelle des eigenen Seins fließt.

Oishi und Westgate haben ihre Studie mit amerikanischen Studenten gemacht. Sie ist deshalb nur beschränkt aussagekräftig, was die Motive und Glücksstrategien der Menschen anbetrifft. Auch scheint der Begriff des Eudaimonismus, den sie verwenden („Glück durch Sinn und Bedeutsamkeit“), wenig mit dem Glücksverständnis von Aristoteles zu tun zu haben. Und schließlich finde ich den Begriff des „psychologischen Reichtums“ als nicht sehr glücklich gewählt. Zwar ist es nachvollziehbar, dass Psychologen ihrer Wissenschaft die höchste Bedeutsamkeit zumessen, doch scheint das Phänomen, das sie untersucht haben, weit über die Psychologie und ihr Fachgebiet hinauszugehen. Außerdem sollte nicht der Eindruck erweckt werden, dass man ein Psychologiestudium für diese Form des inneren Reichtums braucht.

Geo-Artikel zu dem Thema

Zum Weiterlesen:
Das Geheimnis der Lebensfreude
Das individuelle Glück und die Ungeheuerlichkeit des Leids
Der Mythos vom verlorenen Glück


Mittwoch, 21. August 2024

Die politische Korrektheit

Im Hintergrund und Umkreis der erörterten Begriffe von wokeness, kultureller Aneignung und cancel culture steht die political correctness. Hier geht es vor allem darum, Diskriminierungen in der Sprache zu vermeiden. In vielen sprachlichen Ausdrücken schwingen negative Bewertungen mit, die bei den angesprochenen Gruppen Verletzungen auslösen und deshalb vermieden werden sollten. Die Idee besteht darin, durch die Änderung von Sprachgewohnheiten das Bewusstsein zu ändern, das dann zur Aufhebung von sozialen Benachteiligungen führen könnte. 

Wie bei ähnlichen Bestrebungen, die von liberalen oder linksgerichteten Intellektuellen initiiert wurden, entstanden auch beim Thema der politischen Korrektheit bald kulturpolitische Auseinandersetzungen, bei denen konservative und rechte Kreise sich dagegen zur Wehr setzten, Gewohnheiten zu verändern. Wie bei anderen verwandten Themen trat auch hier der Effekt auf, dass irgendwann der Ausdruck selber abgewertet oder lächerlich gemacht wurde. Wer sich politisch korrekt verhalten will, sei ein „Hypermoralist“, der/die nur die anderen zu kleinlichen, umständlichen oder absurden Formulierungen zwingen will. Diese Kreise sprechen sich in der Regel zwar nicht direkt für Diskriminierungen aus, lassen aber in ihrem Kampf gegen Sprachveränderungen jeden Respekt vor den benachteiligten Personen vermissen.

Das Gendern

Bekannt und weit verbreitet ist die Debatte um das Gendern, das den rechtsgerichteten Politiker*innen ein Dorn im Auge ist, sodass in den österreichischen Bundesländern, in denen die FPÖ mitregiert, ebenso wie in Bayern das Gendern im amtlichen Bereich verboten wurde. Auf die Zusammenhänge zwischen dem Kampf gegen das Gendern und für die Aufrechterhaltung des Patriarchalismus bin ich an anderer Stelle eingegangen. 

Benennungen und Status

Eine andere Kritik an der politischen Korrektheit weist darauf hin, dass die Veränderung des Sprachgebrauchs nichts an den Diskriminierungen ändert und höchstens verschleiert, dass es sie nach wie vor gibt. Es erweckt den Anschein, als wäre eine „Raumpflegerin“ sozial oder ökonomisch besser gestellt als eine „Putzfrau“ oder als hätten „Sexarbeiterinnen“ mehr Prestige als „Prostituierte“ oder gar „Huren“. Andererseits können solche Sprachveränderungen dazu führen, das Selbstgefühl der betroffenen Personen zu heben, indem sich z.B. ein „facility manager“ wertvoller und respektvoller behandelt fühlt als ein „Kloputzer“.

Manche politisch korrekte Bezeichnungen sind mittlerweile im Großen und Ganzen unbestritten, wie z.B. die Ächtung des Begriffs „Neger“, der im Duden mit einem besonderen Hinweis versehen ist, der auf den diskriminierenden Bedeutungsinhalt hinweist. Oft ist an solchen Stellen nur mehr vom N-Wort die Rede. Sinti und Roma werden nicht mehr als Zigeuner bezeichnet; die Eigenbenennung einer ethnischen Gruppe soll immer den Vorrang vor oft abwertend verwendeten Fremdbezeichnungen haben. Ähnliches gilt für die Inuit. Diese Beispiele zeigen Fortschritte in der Bewusstheit in der Achtung von Minderheitenrechten, die sich gegen konservative Widerstände durchgesetzt haben.

Politische Korrektheit in Hinblick auf die Vergangenheit

Ob allerdings der Gebrauch dieser inzwischen verpönten Ausdrücke auch auf die Vergangenheit übertragen werden sollte, wird heftig debattiert. In Österreich ging es z.B. um den Kinderbuch-Klassiker „Hatschi Bratschi Luftballon“ von Franz K. Ginzkey (erstmals 1904 erschienen), in dem Schwarze und Türken rassistisch abgewertet vorkommen. Soll das Buch deshalb nicht mehr verkauft werden? Es gibt jetzt abgewandelte und entschärfte Versionen, aber auch die ursprüngliche Fassung kann mit einem Begleitheft erworben werden, in dem auf die zeitbedingten ethnischen und rassistischen Blindheiten aufmerksam gemacht wird.

In Deutschland gab es vor zwei Jahren eine große Aufregung, weil die Winnetou-Filme angeblich nicht mehr im Fernsehen gezeigt werden sollten. Manche befürchteten einen Kahlschlag nationaler Kulturgüter im Namen der politischen Korrektheit und deckten sich rechtzeitig mit Karl-May-Ausgaben ein, sodass die Winnetou-Bände für einige Zeit an die Spitze der Bestsellerliste kamen. Von einem Politiker wurde sogar ein „Winnetou-Gipfel“ verlangt: Die Koalitionsparteien müssten damit den Häuptling „retten“ und der Kanzler dort „endlich Flagge zeigen“. Schließlich stellte sich heraus, dass die Filme weiterhin gezeigt und die Bücher ungehindert lieferbar sind, und die Debatte verlief im Sand.

Historische Bedingtheiten

Wer mit einigem historischen Verständnis ausgestattet ist, kann solchen Debatten wenig Sinnvolles abgewinnen. Die Vorurteile und Stereotypen, die in früheren Zeiten selbstverständlich waren,  haben sich überlebt, auch wenn das noch nicht allen aktuellen Zeitgenoss*innen bewusst geworden ist. Wir erkennen einen Fortschritt in der Achtung von anderen Kulturen und Traditionen, von Hautfarben und unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Dieser Fortschritt soll mit den Hinweisen auf politische Korrektheit weiter vorangetrieben werden. Historisch denken heißt, alle kulturellen Hervorbringungen als Ausdruck einer bestimmten historischen Epoche, eines Zeitgeistes mit all seinen Beschränkungen zu verstehen. Deshalb ist in solchen Fällen nur ein Mehr an geschichtlichem Reflektieren notwendig und nicht das Korrigieren von klassischen Texten. Es ist bekannt, dass Karl May ein guter Geschichtenschreiber war und spannende Romane verfassen konnte, aber nicht, dass er über ein toleranteres Weltbild verfügt hätte als der Durchschnitt seiner Zeitgenoss*innen. Die Bücher von Ginzkey sind eben auch Zeitdokumente und führen uns vor Augen, mit welchen Brillen unsere Vorfahren die Welt erlebt haben.

Sich sprachlich und auch sonst politisch korrekt zu verhalten, ist Ausdruck der Toleranz und des Respekts vor den Rechten von Randgruppen, Minderheiten und anderen benachteiligten Gruppen. Wie alles Menschliche hat auch die politische Korrektheit ihre Grenzen und stellt kein Allheilmittel gegen soziale Ungerechtigkeiten dar. Aber sie setzt Maßstäbe für die Verbesserung des ethischen Umgangs in der Gesellschaft, die wir beachten sollten, wenn wir unseren Mitmenschen achtungs- und würdevoll begegnen wollen. 

Zum Weiterlesen:
Gendern und die Wunden des Patriarchats
Woke - ein Beispiel für politische Aneignung
Das Reizthema LBTQ und der Patriachalismus
Das N-Wort und die politische Korrektheit


Freitag, 16. August 2024

Kulturelle Aneignungen im Kapitalismus und in der Kulturentwicklung

Im Reigen der neueren Begriffe in der kulturpolitischen Debatte fehlt jetzt noch jener der „kulturellen Aneignung“. Dieser Begriff ist eng mit der Kolonisationsgeschichte verbunden, geht aber auch darüber hinaus. Er kommt vom englischen Cultural Appropriation, und das heißt so viel wie widerrechtliche Aneignung oder Inbesitznahme, was soviel bedeutet wie kultureller Diebstahl. Die gebräuchliche Übersetzung ins Deutsche klingt harmloser und wird deshalb häufig missverstanden.

Die Sensibilisierung in den westlichen Gesellschaften für dieses Thema hat in den westlichen Gesellschaften vor ungefähr 40 Jahren im Kreis der Kultur- und Sozialwissenschaften begonnen und  ist nun in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Auch die Erkenntnisse in der Aufarbeitung der Kunsträubereien durch die Nationalsozialisten haben zur Bewusstheit für diese Thematik beigetragen und dazu geführt, dass entwendete Kulturgüter an die ursprünglichen Eigner zurückgegeben wurden. Probleme treten vor allem dort auf, wo Kulturgüter unter Ausnutzung von asymmetrischen Machtverhältnissen angeeignet werden und die Ursprungskultur verschwiegen oder verachtet wird. 

Das Thema kulturelle Aneignung kann viele Emotionen entfesseln, weil es bei Schwarzen, indigenen Menschen oder People of Color Erinnerungen an traumatisierende Erfahrungen mit rassistischen Abwertungen weckt. Diese Empfindlichkeit spiegelt die Lasten des Kolonialismus wider, der bis heute wirksam ist und dessen Ideologie besagte, dass die Weißen allen anderen Rassen überlegen sind. Die vor allem von Europa ausgehende koloniale Expansion zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert hat nicht nur mit der Sklaverei und der Ausplünderung von Bodenschätzen unendliches Leid hervorgebracht und viele Kriege angezettelt, sie hat auch eine große Zahl von indigenen Kulturen und Traditionen ausgerottet oder schwer beschädigt. Das, was den Weißen von den einheimischen Kulturgütern als interessant oder hübsch erschienen ist, haben sie einfach mitgenommen und stolz in unsere Museen gestellt.

Viele weiße Personen, die von den Gräueln des Kolonialismus nichts wissen oder wissen wollen, können die verletzten Gefühle der Vertreter indigener Völker oft nicht nachvollziehen und verstehen die Empfindlichkeiten nicht. Es fehlt an historischer Aufklärung über die Schneisen an Gewalt und Ausbeutung, die durch die Kolonialmächte quer durch die südlichen und östlichen Kontinente geschlagen wurden. Die Verachtung und Arroganz, mit welcher die Kolonialherrn alle nicht-weißen Menschen behandelt und misshandelt haben, wirken bis heute als kollektive Traumen nach und nähren die Scham- und Wutgefühle bei den betroffenen Menschen, die sich dann an jeder neuen Form der hochmütigen weißen Ignoranz aufs Neue entzünden. Der Respekt für jede Form von Kultur ist erst in letzter Zeit in den westlichen Ländern langsam gewachsen und schwächt den strukturellen Rassismus, den es nach wie vor in unseren Breiten und in Übersee gibt und der auf viele Normen und Sichtweisen hierzulande einen subtilen Einfluss ausübt.

Strittige Fälle der kulturellen Aneignung

Die UNESCO hat schon 1970 ein Abkommen verabschiedet, mit dem der Handel mit Kulturgütern unterbunden und das nationale Erbe des jeweiligen Landes geschützt werden soll. Dennoch gibt es immer wieder Fälle der kulturellen Aneignung, bei denen die Rechte der ursprünglichen Besitzer nicht geachtet werden. 

Ein Beispiel bilden die Dreadlocks. Sie stammen aus der Rastafari-Bewegung schwarzer Jamaikaner und wurden als Symbol der Unterdrückung und des Protestes dagegen getragen. Als sie zum Modegag für Leute wurden, die alle westlichen Freiheiten genießen und zu den Profiteuren des Kolonialismus zählen, reagierten viele mit antikolonialem Hass. 

Der Hip-Hop als Musikrichtung diente zunächst und ursprünglich der Wiedergabe der Lebenswelt schwarzer Menschen, die Texte waren vor allem gegen Diskriminierung und Benachteiligung gerichtet. Als auch Weiße mit diesem Musikstil Geld machten, fühlten sich die schwarzen Hip-Hopper bestohlen und ihres Protestmittels beraubt.

In Mexiko soll erstmals die kulturelle Aneignung unter Strafe gestellt werden. Der Anlass besteht darin, dass westliche Modelabels Webmuster der indigenen Bevölkerung  ungefragt und ohne Kompensation für ihren Profit verwendet haben. Diese Muster haben für die Bevölkerung eine hohe kulturelle und religiöse Bedeutung.

Kapitalismus und kulturelle Aneignung

Der Kapitalismus breitet sich ungehemmt aus, wenn er nicht durch staatliche Gesetze oder zwischenstaatliche Abkommen eingeschränkt wird. Er inhaliert auch alle kulturellen Güter, aus denen Profit geschlagen werden kann, wie z.B. eine verkitschte Mozartmelodie, die im Einkaufszentrum zu konsumieren anregen soll. Das mexikanische Beispiel schlägt in die gleiche Kerbe. Kulturgüter werden zu Waren und dienen der Ankurbelung der kapitalistischen Prozesse, bei denen an irgendeiner Stelle der Reichtum angehäuft wird und anderswo schrumpft.  Die Traditionen werden eingeebnet und gleichgeschaltet, sodass sich die mondänen Einkaufsstraßen in den Metropolen durch nichts mehr voneinander unterscheiden: Die Modeketten, die mit ihren Schaufenstern locken, sind überall auf der Welt die gleichen, ebenso wie die Melodien, die drinnen dudeln. 

Zwar gibt es immer wieder Kunstwerke, die der Vermarktung voraus sind, aber irgendwann werden sie eingeholt, außer sie sind so widerspenstig wie die Zwölf-Ton-Musik oder der Free-Jazz. Den Kulturtraditionen und indigenen Kulturen ergeht es nicht anders. Irgendwann werden ihre passablen Elemente entdeckt und in eine neue Modeströmung eingebaut, in der sie ihre ursprüngliche Aussagekraft verlieren. Sobald die nächste Welle kommt, werden sie wieder vergessen, und ein Stück Ursprünglichkeit ist für immer dahin. Die Profitkarawane zieht weiter und schert sich nicht darum, wer sich verletzt und wütend fühlt. Staatliche Gesetze können dieses Treiben da und dort eindämmen, aber alle Kulturgüter, die durch solche Maßnahmen aus dem Sog der Vermarktungsdynamik herausgehalten und eigens geschützt werden, verhalten sich zur Ursprungskultur wie Zootiere zu ihren wild lebenden Artgenossen. 

Keine Kultur ohne Aneignung

Es gibt keine Kulturentwicklung ohne die Übernahme von Kulturelementen aus anderen Traditionen. Kultur lebt vom Austausch und von gegenseitiger Befruchtung an den Grenzen der Kulturräume. Jeder Kulturschaffende gewinnt seine neuen kreativen Impulse aus dem, was andere bereits geschaffen haben. Allerdings ist es auch Teil der Kultur, denjenigen Respekt und Anerkennung zu zollen, denen man die eigenen Schöpfungen zu verdanken hat.  Dort, wo dieser Akt der Bescheidenheit und Dankbarkeit versäumt wird, kann man von ungerechtfertigter und unmoralischer Aneignung sprechen. 

Der antikoloniale Affekt ist verständlich, der in Bezug auf viele Kulturschöpfungen aus benachteiligten Kulturräumen und –traditionen ausbricht, wenn sie ungefragt kopiert und in entfremdende neue Kontexte eingebettet oder zu Profitzwecken vermarktet werden. Solche Wutgefühle genügen aber nicht dafür, die Kulturentwicklung insgesamt einzuschränken. Die Freiheit, die diese Entwicklung braucht, ist wesentlich für ihr Gedeihen, und ihr Gedeihen ist wesentlich für den Fortbestand der Gesellschaft und letztlich für das Wohlbefinden der Menschen. In dieser Entwicklung finden immer mehr Traditionen und Kulturräume ihren mitgestaltenden Platz, indem sie in ihrer Eigenart und ihrem Eigenwert anerkannt und zugleich zu einem kommunikativen Austauschprozess eingeladen werden. Auch indigene Kulturtraditionen haben nicht nur einen historischen Wert, der bewahrt werden sollte, sondern auch ein inneres Veränderungspotenzial als Reaktion auf die verändernden Rahmenbedingungen und auf die historischen Prozesse, in denen sich alle Traditionen befinden. 

Andererseits ist es ein wesentlicher Teil der Kulturentwicklung, die bewertungsfreie Anerkennung aller Kulturschöpfungen und kulturellen Traditionen zu fördern, die die Menschheit je hervorgebracht hat. Wir sind Teil einer Weltkultur, die aus allen Quellen der Kreativität der Menschen auf dieser Erde schöpft und in ihrer Gesamtheit Wirkungen auf alle Menschen entfaltet. Jede Abwertung irgendeiner kulturellen Tradition bedeutet einen Rückschritt in der Kulturentwicklung. Die Debatten um die kulturelle Aneignung machen auf diese Dimension aufmerksam und dienen deshalb selber als Teil dem kulturellen Fortschritt.


Sonntag, 11. August 2024

Cancel-Culture und künstlerische Freiheit

Ich gehe weiter in der Begriffserkundung neuerer Worte, die in der kultur-politischen Debatte benutzt werden und Kontroversen auslösen. Worum geht es bei Cancel-Culture? 

Wie Julian Nida-Rümelin, Philosoph und Autor schreibt, wurde das „canceln“ zunächst (2014) als spaßiger Ausdruck dafür gebräuchlich, dass man jemanden aus der Bekannten- oder Freundesliste streichen will, der abwegige Meinungen vertritt. Aus dem Film „New Jack City“ (1991) wurde ein Zitat übernommen: Selina: „You’re a murderer, Nino. I’ve seen you kill too many people, Nino.” Nino Brown: “Cancel that bitch. I’ll buy another one.” 

Das Wort wurde aber dann bald von Randgruppen aufgegriffen und benutzt, um gegen Diskriminierungen aufzutreten. Personen, die für Verletzungen von Menschenrechten und für menschenverachtende Ideologien verantwortlich gemacht werden, sollen geächtet und, soweit es sich um KünstlerInnen handelt, die öffentlichen Auftritte boykottiert oder verboten werden. Damit soll der Fortschritt in der Toleranz und gesellschaftlichen Offenheit gefördert werden. Die Debatte dreht sich vor allem um Fragen von Sexismus und Rassismus, ähnlich wie die Themen, die mit dem Woke-Begriff verbunden sind. Es sollen Menschen, die den Idealen der Emanzipation und sozialen Gerechtigkeit nicht folgen, durch öffentlichen Druck zum Umdenken gebracht werden. Dabei wird über den Anlassfall hinaus immer auch für eigene Anliegen Aufmerksamkeit erzeugt. Es geht also grundsätzlich um die Erweiterung und Sensibilisierung der Moral und des gegenseitigen Respekts, Grundlagen für jede freie Demokratie, Anliegen, die anhand von einzelnen Vorkommnissen thematisiert werden.

Inzwischen hat sich um diesen Begriff eine komplexe Debatte entwickelt. Auf der einen, der konservativen Seite, wird eine Überempfindlichkeit beklagt, mit der kleinste Kleinigkeiten oder missverstandene Äußerungen zum Aufschreien von Massen führen können. Die Folge bestünde dann darin, dass sich niemand mehr etwas zu sagen traue, aus Angst, sich einem shitstorm in den sozialen Medien auszusetzen. Es ginge in der Debatte nicht mehr um bessere Argumente, sondern um die richtige moralische Einstellung, und der rationale Diskurs bleibt auf der Strecke. Damit werde schließlich der Zensur Vorschub geleistet. Oft wird dann wehleidig gejammert: „Da darf man ja wohl gar nichts mehr sagen.“ Natürlich darf in einer freien Gesellschaft jeder alles sagen, nur muss man mit ablehnenden Reaktionen rechnen, wenn sich andere Menschen oder Menschengruppen durch eine Äußerung verletzt fühlen, oder wenn das, was gesagt wird, der Vernunft oder der Ethik widerspricht. Das ist das Wesen einer offenen Debatte. Die Nutzung des Rederechtes ist unter den Bedingungen der Meinungs- und Redefreiheit nur eine Frage der Zivilcourage.

Deshalb wird auf der anderen, der liberalen Seite darauf aufmerksam gemacht, dass es um einen Kampf in der Meinungsführerschaft geht, der mit der konservativen Kritik an einer Cancel-Culture angefeuert wird. Notwendige kritische Stimmen gegen Ungerechtigkeiten könnten mit dem Cancel-Vorwurf abgewehrt werden. Ähnlich wie beim Woke-Begriff ist auch die Cancel-Culture inzwischen zum fixen offensiven Bestandteil rechtsorientierter Propaganda geworden. Z.B. wird der Begriff im rechten US-Sender Fox News wesentlich öfter verwenden als auf den liberalen Sendern CNN oder MSNBC. 

Vertreter auf beiden Seiten des Debattenspektrums befürchten aus unterschiedlichen Gründen die Einschränkung des öffentlichen Diskurses und damit eine Gefährdung der bürgerlichen Freiheiten und der Demokratie. 

Cancel-Culture und Rache

Es gehört zu den menschlichen Schwächen, anderen, die einen auf die Nerven gehen oder durch ihr Reden und Tun verletzen, Schaden zufügen oder sie bestrafen zu wollen. Der Impuls zur Rache ist uns allen bekannt. Zugleich ist es wichtig, diesen Impuls einzudämmen, um nicht Böses mit Bösem oder noch Böserem zu vergelten, um also Konflikte nicht zu eskalieren, sondern mit gegenseitigem Respekt lösen. Vor allem ist es wichtig, dass Inhalte und Personen unterschieden werden. Wenn im Namen von mehr Gerechtigkeit und Toleranz Personen angegriffen werden, die offenbar oder nur scheinbar diese Ideale verraten, geht die Rache zu weit und erzeugt neues Unrecht und vermehrt die Intoleranz. Eine Künstlerin beispielsweise, die Bemerkungen machte, die als antisemitisch verstanden werden könnten, wird anderswo nicht mehr eingeladen, erleidet also einen geschäftlichen Schaden, ohne dass über die Stichhaltigkeit der Vorwürfe ausreichend diskutiert wird. Immer wieder wird im Namen der Cancel-Culture über das Ziel hinaus geschossen, was nicht zur Bewusstseinsbildung führt, sondern nur zur Vertiefung von kulturellen und politischen Frontenstellungen. Denn sobald es zu solchen Vorfällen kommt, melden sich die Vertreter der unterschiedlichen Richtungen zu Wort, mit dem Ziel, den Anlass für ihre eigenen Ziele im Meinungswettstreit zu nutzen.

Die Racheimpulse und das Bewusstsein über ihre Gefahren gibt es schon lange. Sie kommen überall im politischen Spektrum vor. Neu ist es, dass solche Entgleisungen als Cancel-Culture benannt werden. Mit dem neuen Begriff wird das Konfliktpotenzial aufgeladen. Konflikte erhalten eine neue Dimension, eine Meta-Ebene, bei der es nicht mehr um das ursprüngliche kontroversielle Thema geht, sondern um die Behauptung im Kampf um Positionen in der politischen und kulturellen Landschaft. 

Künstlerische Freiheit und Cancel-Culture

Es steht jedem Veranstalter frei, ein- oder auszuladen, wen er oder sie will. Es steht jedem Besucher frei, Veranstaltungen zu besuchen oder nicht; wenn aber im Sinn der Cancel-Culture Vorverurteilungen vorgenommen werden oder wenn auf Grund von öffentlicher Aufregung und nicht nach sorgsam abgeklärten Vorwürfen Kulturschaffende ausgeladen und damit zu Objekten politischer Debatten und Konflikte gemacht werden, dann werden genau die Grenzen überschritten, die durch die Cancel-Culture gewahrt werden sollten.

Mit dem Gaza-Krieg hat die Cancel-Culture neue Höhepunkte erreicht. Proisraelische Kulturinstitutionen oder solche, die nicht antiisraelisch wahrgenommen werden wollten, konnten nun keine Leute einladen, die sich nicht klar proisraelisch outeten und mussten mit Boykottaufrufen von propalästinensischen Kreisen rechnen, und vice versa. Statt die öffentliche Debatte mit verschiedenen differenzierten Sichtweisen zu beleben und aufzulockern, kam es zu einer bedauerlichen Verarmung der kulturellen Streitkultur. In solchen Vorgängen erhebt die politische Sphäre einen Machtanspruch über die kulturelle Sphäre und beraubt sie damit der Freiheiten, die sie für ihre Kreativität braucht. Kultur, die in ihrem Schaffen der Politik untergeordnet ist, verliert ihre künstlerische Potenz und provokative Aussagekraft, das kann am Beispiel jeder Diktatur belegt werden.

Politische Konflikte heizen also die Cancel-Culture jedes Mal wieder neu auf, seit sie thematisiert wurde. Der künstlerische und kulturelle Bereich verliert dadurch mehr und mehr an Chancen, gerade solche Konflikte aus ungewohnten Perspektiven zu beleuchten und andere Aspekte bewusst zu machen, die übersehen werden. Es wird zunehmend von Kunstschaffenden verlangt, dass sie sich klar politisch positionieren, und das stellt eine Bevormundung und eine Einschränkung der künstlerischen Freiheit dar.

Zum Weiterlesen:
Woke - ein Beispiel für politische Aneignung


Freitag, 2. August 2024

Woke - ein Beispiel für politische Aneignung

Ein Etikett geistert in den Debatten im kulturell-politischen Bereich herum, schillernd und wandelbar, in Verwendung für moralische Imperative und für pauschale Abwertungen. Es taucht als Selbstzuschreibung für eine tolerante und auf Ungerechtigkeiten sensibilisierte Werthaltung auf und wird zunehmend eher als verallgemeinerte Fremdzuschreibung für gegnerische politische Orientierungen gebraucht.

Es geht hier um das „Woke“-Sein. Der Duden definiert"woke" als: „in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung."

Der Begriff war ursprünglich gegen rassistische Diskriminierung gerichtet, als Aufruf an die Angehörigen von Minderheiten oder benachteiligten Gruppen, bezüglich der Verletzungen von Menschenrechten wachsam zu sein und sich für die Verbesserung der eigenen Situation zu engagieren. Der Begriff ist in den 19-dreißiger Jahren in afro-amerikanischen Kreisen entstanden und ist in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren zunehmend in den öffentlichen Diskurs gekommen. Dabei wurde die Begriffsverwendung ausgeweitet und auf jede Form von Diskriminierung (rassistisch, sexistisch, sozial) angewendet. Seitdem hat sich die Bedeutung des Begriffes in verschiedene Richtungen verändert. Als Tendenz kann beobachtet werden, dass sich immer weniger Menschen selbst als „woke“ bezeichnen, während der Begriff umso mehr als Fremdbezeichnung verwendet wird. Konservative oder rechtsorientierte Gruppierung nutzen ihn in einem abwertenden und abwehrenden Sinn, um Tendenzen zu bekämpfen, die ihnen nicht gefallen oder vor denen sie Angst haben. Die „wokeness“ bezeichnet inzwischen eher eine Grenzlinie im aktuellen Kulturkampf als eine klare politische Einstellung und Werthaltung.

Ein Aspekt in dieser Begriffsentwicklung scheint mir interessant und typisch für verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen zu sein. Ursprünglich als Aufforderung zum Erkämpfen und Wahren von Minderheitsrechten der Afroamerikaner geprägt, wurde das Wort verallgemeinert und immer detaillierter auf alle möglichen Aspekte von sozialer Benachteiligung angewendet. Der Katalog an Einstellungen, die notwendig waren, damit sich jemand als „woke“ bezeichnen konnte, wurde ständig erweitert. Damit verlor der Begriff an direkter Schlagkraft und wurde zu einer allgemeinen Bezeichnung für eine offene und inklusive Position im kulturellen und politischen Spektrum. Ab diesem Punkt hat er die Gegner solcher Entwicklungen auf den Plan gerufen, und sie hatten ein Schlagwort, unter das sie alles subsummieren können, was sie an den kulturellen Veränderungen verhindern wollen.

Der Begriff ist also als Abwehrwaffe gegen gesellschaftliche Veränderung in das Repertoire von rechtsgerichteten Politikern gelangt. Gewissermaßen ist dem Begriff eine koloniale Aneignung widerfahren, ein Prozess, der in solchen Zusammenhängen immer wieder aufscheint und kritisch registriert wird: Ein Wort mit emanzipativem Gehalt und Impuls wird seinem ursprünglichem Zusammenhang entnommen und auf andere Anliegen angewendet, um diesen mehr Gewicht zu verleihen. Durch die Erweiterung der Anwendung verliert der Begriff an Kraft. Zugleich wächst die Gegnerschaft, denn jedes neue Anliegen hat neue Gegner. Sie nehmen das Wort auf und nutzen es als Etikett für ihre Gegenaktionen. Es wird in der Folge zur Überschrift für alles, was nach der Meinung der Gegner in die falsche Richtung geht. Ein Wort, das ursprünglich als Ermutigung zur Befreiung aus Umständen mit Ungerechtigkeit und Unterdrückung gedient hat, hat sich in diesem Prozess in einen Begriff zur Abwehr dieser Befreiung und damit zur Aufrechterhaltung von Benachteiligung und Unterdrückung verwandelt.

Zum Beispiel wurde durch die Verallgemeinerung der „wokeness“ die Verwendung einer gendergerechten Sprache zu einem Zeichen für die Unterstützung emanzipativer Bestrebungen. Wer korrekt gendert, ist „woke“. Andererseits: Wer gegen die Verwendung der genderkonformen Sprache ist, und das sind konservative und rechte Kreise, lehnt nicht nur das Gendern ab, sondern, indem es als „woke“ abgewertet ist, zugleich die anderen in diesem Begriff zusammengefassten Befreiungsanliegen. Es lehnen also Leute, die gegen das Gendern sind, auch die anderen emanzipativen Anliegen ab, obwohl sie vielleicht explizit gar nicht gegen eine Aufhebung der Diskriminierung von schwarzen US-Bürgern sind. Aber weil der Begriff als negativ konnotiertes Codewort in den Diskurs eingebracht wird, werden implizit alle bestehenden Unterdrückungsbedingungen bekräftigt. Wer gegen das Gendern in Schrift und Rede auftritt, indem er es als „woke“ Spinnerei kritisiert, argumentiert nicht nur gegen bestimmte Sprechformen, sondern zugleich gegen alle anderen emanzipatorischen Bewegungen. Auf diese Weise ist die „wokeness“ eine begriffliche Waffe gegen die Weiterentwicklung von Freiheitsrechten geworden und wird fleißig in die diversen Propagandakanäle eingespeist.

Die vielfältigen emanzipativen Bewegungen haben ihren inneren Sinn und ihre Wichtigkeit, weil das Leiden von den betroffenen Gruppen verringert oder beseitigt werden muss. Für die Findung und Förderung von Wegen zur Befreiung hat der Begriff der „wokeness“ inzwischen jede Aussagekraft verloren. Die Konfliktlinie verläuft nach wie vor zwischen denen, die die bestehenden Privilegierungen verteidigen wollen, und jenen, die für die Erweiterung und Vertiefung von Freiheitsrechten eintreten. Die Konflikte müssen zu allen Anliegen, die von Gruppen aufgebracht werden, die sich benachteiligt fühlen, ausgestritten werden. Viele Unterdrückungsverhältnisse konnten im Lauf der Geschichte aufgehoben werden, viele warten noch darauf, und neue werden laufend benannt und angeklagt. Das ist der Prozess der gesellschaftlichen Emanzipation, der seit Beginn der Menschheit im Gang ist. Er wird aktuell da und dort zurückgefahren, auch unter Verwendung des angeeigneten Woke-Schlagwortes. Aber ist gibt überall immer wieder Menschen, die daran glauben und sich dafür einsetzen, dass allen Menschen die grundlegenden menschlichen Geburtsrechte zugestanden werden müssen.