Mittwoch, 21. August 2024

Die politische Korrektheit

Im Hintergrund und Umkreis der erörterten Begriffe von wokeness, kultureller Aneignung und cancel culture steht die political correctness. Hier geht es vor allem darum, Diskriminierungen in der Sprache zu vermeiden. In vielen sprachlichen Ausdrücken schwingen negative Bewertungen mit, die bei den angesprochenen Gruppen Verletzungen auslösen und deshalb vermieden werden sollten. Die Idee besteht darin, durch die Änderung von Sprachgewohnheiten das Bewusstsein zu ändern, das dann zur Aufhebung von sozialen Benachteiligungen führen könnte. 

Wie bei ähnlichen Bestrebungen, die von liberalen oder linksgerichteten Intellektuellen initiiert wurden, entstanden auch beim Thema der politischen Korrektheit bald kulturpolitische Auseinandersetzungen, bei denen konservative und rechte Kreise sich dagegen zur Wehr setzten, Gewohnheiten zu verändern. Wie bei anderen verwandten Themen trat auch hier der Effekt auf, dass irgendwann der Ausdruck selber abgewertet oder lächerlich gemacht wurde. Wer sich politisch korrekt verhalten will, sei ein „Hypermoralist“, der/die nur die anderen zu kleinlichen, umständlichen oder absurden Formulierungen zwingen will. Diese Kreise sprechen sich in der Regel zwar nicht direkt für Diskriminierungen aus, lassen aber in ihrem Kampf gegen Sprachveränderungen jeden Respekt vor den benachteiligten Personen vermissen.

Das Gendern

Bekannt und weit verbreitet ist die Debatte um das Gendern, das den rechtsgerichteten Politiker*innen ein Dorn im Auge ist, sodass in den österreichischen Bundesländern, in denen die FPÖ mitregiert, ebenso wie in Bayern das Gendern im amtlichen Bereich verboten wurde. Auf die Zusammenhänge zwischen dem Kampf gegen das Gendern und für die Aufrechterhaltung des Patriarchalismus bin ich an anderer Stelle eingegangen. 

Benennungen und Status

Eine andere Kritik an der politischen Korrektheit weist darauf hin, dass die Veränderung des Sprachgebrauchs nichts an den Diskriminierungen ändert und höchstens verschleiert, dass es sie nach wie vor gibt. Es erweckt den Anschein, als wäre eine „Raumpflegerin“ sozial oder ökonomisch besser gestellt als eine „Putzfrau“ oder als hätten „Sexarbeiterinnen“ mehr Prestige als „Prostituierte“ oder gar „Huren“. Andererseits können solche Sprachveränderungen dazu führen, das Selbstgefühl der betroffenen Personen zu heben, indem sich z.B. ein „facility manager“ wertvoller und respektvoller behandelt fühlt als ein „Kloputzer“.

Manche politisch korrekte Bezeichnungen sind mittlerweile im Großen und Ganzen unbestritten, wie z.B. die Ächtung des Begriffs „Neger“, der im Duden mit einem besonderen Hinweis versehen ist, der auf den diskriminierenden Bedeutungsinhalt hinweist. Oft ist an solchen Stellen nur mehr vom N-Wort die Rede. Sinti und Roma werden nicht mehr als Zigeuner bezeichnet; die Eigenbenennung einer ethnischen Gruppe soll immer den Vorrang vor oft abwertend verwendeten Fremdbezeichnungen haben. Ähnliches gilt für die Inuit. Diese Beispiele zeigen Fortschritte in der Bewusstheit in der Achtung von Minderheitenrechten, die sich gegen konservative Widerstände durchgesetzt haben.

Politische Korrektheit in Hinblick auf die Vergangenheit

Ob allerdings der Gebrauch dieser inzwischen verpönten Ausdrücke auch auf die Vergangenheit übertragen werden sollte, wird heftig debattiert. In Österreich ging es z.B. um den Kinderbuch-Klassiker „Hatschi Bratschi Luftballon“ von Franz K. Ginzkey (erstmals 1904 erschienen), in dem Schwarze und Türken rassistisch abgewertet vorkommen. Soll das Buch deshalb nicht mehr verkauft werden? Es gibt jetzt abgewandelte und entschärfte Versionen, aber auch die ursprüngliche Fassung kann mit einem Begleitheft erworben werden, in dem auf die zeitbedingten ethnischen und rassistischen Blindheiten aufmerksam gemacht wird.

In Deutschland gab es vor zwei Jahren eine große Aufregung, weil die Winnetou-Filme angeblich nicht mehr im Fernsehen gezeigt werden sollten. Manche befürchteten einen Kahlschlag nationaler Kulturgüter im Namen der politischen Korrektheit und deckten sich rechtzeitig mit Karl-May-Ausgaben ein, sodass die Winnetou-Bände für einige Zeit an die Spitze der Bestsellerliste kamen. Von einem Politiker wurde sogar ein „Winnetou-Gipfel“ verlangt: Die Koalitionsparteien müssten damit den Häuptling „retten“ und der Kanzler dort „endlich Flagge zeigen“. Schließlich stellte sich heraus, dass die Filme weiterhin gezeigt und die Bücher ungehindert lieferbar sind, und die Debatte verlief im Sand.

Historische Bedingtheiten

Wer mit einigem historischen Verständnis ausgestattet ist, kann solchen Debatten wenig Sinnvolles abgewinnen. Die Vorurteile und Stereotypen, die in früheren Zeiten selbstverständlich waren,  haben sich überlebt, auch wenn das noch nicht allen aktuellen Zeitgenoss*innen bewusst geworden ist. Wir erkennen einen Fortschritt in der Achtung von anderen Kulturen und Traditionen, von Hautfarben und unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Dieser Fortschritt soll mit den Hinweisen auf politische Korrektheit weiter vorangetrieben werden. Historisch denken heißt, alle kulturellen Hervorbringungen als Ausdruck einer bestimmten historischen Epoche, eines Zeitgeistes mit all seinen Beschränkungen zu verstehen. Deshalb ist in solchen Fällen nur ein Mehr an geschichtlichem Reflektieren notwendig und nicht das Korrigieren von klassischen Texten. Es ist bekannt, dass Karl May ein guter Geschichtenschreiber war und spannende Romane verfassen konnte, aber nicht, dass er über ein toleranteres Weltbild verfügt hätte als der Durchschnitt seiner Zeitgenoss*innen. Die Bücher von Ginzkey sind eben auch Zeitdokumente und führen uns vor Augen, mit welchen Brillen unsere Vorfahren die Welt erlebt haben.

Sich sprachlich und auch sonst politisch korrekt zu verhalten, ist Ausdruck der Toleranz und des Respekts vor den Rechten von Randgruppen, Minderheiten und anderen benachteiligten Gruppen. Wie alles Menschliche hat auch die politische Korrektheit ihre Grenzen und stellt kein Allheilmittel gegen soziale Ungerechtigkeiten dar. Aber sie setzt Maßstäbe für die Verbesserung des ethischen Umgangs in der Gesellschaft, die wir beachten sollten, wenn wir unseren Mitmenschen achtungs- und würdevoll begegnen wollen. 

Zum Weiterlesen:
Gendern und die Wunden des Patriarchats
Woke - ein Beispiel für politische Aneignung
Das Reizthema LBTQ und der Patriachalismus
Das N-Wort und die politische Korrektheit


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