Ein Stein des Anstoßes war ein Interview vom 27.3.2017, das Armin Wolf mit dem scheidenden NÖ-Landeshauptmann Erwin Pröll geführt hat, wo es darum gegangen ist, was mit einer großen Summe an öffentlichen Geldern, die in eine Stiftung unter seinem Namen geflossen ist, geschieht, also die einfache Frage, wofür öffentliches Vermögen in diesem Fall verwendet wird, bzw. wie dessen Verwendung gerechtfertigt wird. Der Landeshauptmann konnte trotz mehrmaligen Nachfragens dazu keine Antwort abgeben. Die Öffentlichkeit tappt also nach wie vor im Dunkeln darüber, wie dieses (Steuer)Geld in die Stiftung geraten ist und was es dort macht.
Daraufhin wurden Wolf von mehreren Seiten Verhörmethoden vorgeworfen und es entstand eine Debatte darüber, was Journalisten dürfen und was nicht, wenn sie mit den Mächtigen dieses Landes Interviews führen. Als Staatsbürger einer Republik fragt man sich dann, wer hier geschützt werden soll: die Mächtigen oder jene, die diese Macht kontrollieren wollen? Soll die Republik dem Macherhalt der politischen Eliten oder dem Gemeinwesen dienen?
Täter-Opfer-Umkehr
Wer das Interview gesehen hat, kann ohne besondere Anstrengung zu dem Eindruck kommen, dass die Mimose nicht der Interviewer, sondern der Politiker war. Ebenso entsteht der deutliche Eindruck, dass die Brutalität auf Seiten des Politikers sichtbar wurde, als er dem Journalisten offen mit einem Kronen-Zeitungsbericht gedroht hat, in dem sein Gehalt offengelegt werden sollte, nach dem Motto: Wenn du mich aufs Glatteis führen willst, zeige ich dir schneller, wer mehr Macht hat und wer den Kürzeren ziehen wird. Aus meiner Sicht hat es der Journalist in diesem Interview gut verstanden, die „brutale Mimose“ im Machtpolitiker aufzudecken, und das war der eigentliche Gewinn dieses Interviews: die Tiefenschichten des Politischen am Exempel eines Vertreters an die Oberfläche zu bringen.
Die Politikverdrossenheit
Peter Vitouch wendet in der Radiodiskussion sein Argument gegen insistenten Journalismus in die Richtung, dass das ohnehin schon schlechte Image der Politiker in der Öffentlichkeit noch weiter leidet, wenn sie in Interviews auf Ungereimtheiten oder Verschleierungen aufmerksam gemacht werden und dabei deutlich wird, dass sie vor allem eines gelernt haben, sich aalglatt herauszuwinden und die vermeintlichen Angriffe auf den Angreifer zurückzuwenden. Man solle also Politiker schonen, um die grassierende Politikverdrossenheit nicht weiter zu verschlimmern.
Allerdings könnte man auch die Meinung vertreten, dass sich viele Leute deshalb mit Ekel von der Politik abwenden, weil dort so viel verschleiert, gemogelt und gelogen wird – was ja überall im Leben vorkommen mag, aber dort, wo es um die öffentlichen Angelegenheiten geht, von besonderer Brisanz ist, weil es eigentlich jeden persönlich mitbetrifft. Die Gründe für die Abwendung vieler von der Politik liegen m.E. dort, wo Transparenz und persönliche Integrität fehlen und dieser Mangel systemimmanent kaschiert wird. Wir wenden uns im sozialen Leben auch von Menschen ab, denen wir zuerst vertrauen und die dann dieses Vertrauen für die eigenen Zwecke missbrauchen.
Ähnlich geht es uns mit Politikern, denen wir unsere Stimme geben, die sie gerne nehmen und dann für sich selber, d.h. für den eigenen Machterhalt als für die anderen verwenden. Sicher müssen wir Verallgemeinerungen vermeiden: Es gibt viele Politiker, die persönlich integer sind und die ihr engagiertes Bestreben in den Dienst der Verbesserung des Gemeinwohls stellen. Es gibt aber noch immer Selektionsmechanismen, die es erschweren, dass gerade solche Personen in die Führungspositionen gelangen. Dafür wiederum ist die eklatante Schwäche des systemischen Bewusstseins verantwortlich, das sich immer noch auf Randbereiche unserer politischen Kultur beschränkt, und, wie an diesen Beispielen sichtbar wird, schnell von hierarchischen Elementen überrollt wird.
Die absolutistische Prägung
An diesem Punkt schließt sich der Kreis. Die Debatte um das Pröll-Wolf-Interview zeigt die Züge einer noch immer nicht überwundenen absolutistischen, also vor-republikanischen Prägung, gemäß der Bemerkung von Kaiser Ferdinand, der angesichts der zu Beginn der Revolution von 1848 barrikadenbauenden Studenten und Bürger gemeint hat: „Ja dürfen’s denn des?“ Dürfen wir den mächtigen Obrigkeiten unangenehme Fragen über ihr politisches Geschäftsgebaren stellen, ist das nicht ungebührlich und anmaßend? Majestäten dürfen nicht beleidigt werden, so stand es im Gesetz, und noch immer wabert die Angst in uns, was denn passieren könnte, wenn das Imperium zurückschlägt, weil wir einmal zu frech waren.
In einer Demokratie sollte die kritische Kontrolle eine Selbstverständlichkeit sein – die öffentlichen Amtsträger, die vom „Volke“ mit ihrer Aufgabe betraut wurden, sind diesem Volk Rechenschaft schuldig, im Grund bis zum letzten Cent. Und dort, wo Intransparenz herrscht, muss diese benannt und veröffentlicht werden. Solange das keine Selbstverständlichkeit ist, solange sich kritische Journalisten rechtfertigen müssen und um ihre Position fürchten müssen, leben wir nicht in einer Demokratie, sondern in einem Obrigkeitsstaat. Und solange wir das gutheißen oder auch nur stillschweigend hinnehmen, beteiligen wir uns an der Aufrechterhaltung dieser obrigkeitsstaatlichen Strukturen, die sich durch unsere politische Kultur ziehen wie madiges Fett.
Ich weiß und bin auch dankbar dafür: Wir debattieren in Österreich auf einem anderen Niveau als etwa in Brasilien, wo es um riesige Summen an Korruptionsgeldern und verbreitete Netzwerke geht, oder als in der Türkei, wo der regimekritische Journalismus verfolgt und ausgerottet werden soll. Aber die Debatte ist auch bei uns dringend notwendig: Die Demokratie ist ein wertvolles System, und die Kräfte, die an ihren Wurzeln sägen, müssen ins Visier genommen und entmachtet werden.
Hier der Link zu dem Interview.
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