Es scheint, als würde es unsere Demokratie und damit unser öffentlich verfasstes Bewusstsein nicht auf die systemische Stufe der Bewusstseinsentwicklung schaffen. Gerade in diesen Tagen erleben wir in Österreich einen fast unheimlichen Rückfall in die personalistische Idolisierung und Instrumentalisierung der Demokratie. Die Person, und das heißt in diesem Zusammenhang in der griechischen Bedeutung für „Maske“, des politischen Mandatars zieht die Öffentlichkeit in ihren Bann. Ein Jungstar hat sich aus der zweiten Reihe nach vorne manövriert, nach allen Regeln der Machtkunst, wie ihm viele Beobachter bescheinigen. Er ist dynamisch, modern, fesch und gestylt, und hat sich eine ganze Partei unter den Nagel gerissen. Wenn man im Internet die Homepage der Partei aufruft, trifft man seit dem Coup auf nichts anderes mehr als den Star und die Möglichkeit, ihm die Gefolgschaft anzudienen oder nicht. Der einzige Link führt auf die private Homepage des Stars. Alles andere, was diese ehrwürdige Partei sonst ausmacht, ist ins Abseits verbannt worden. Es wird damit der Eindruck erweckt, dass etwas ganz Neues, noch nie Dagewesenes, die Bühne betreten hat, und damit die Geschicke des Landes und seiner Bewohner einer hoffnungsfrohen Zukunft zuführen wird. Alles Alte, das mit dem Parteinamen verbunden ist, gibt es nicht mehr und hat keine Wirkung mehr.
Geschichtslos tritt der Star auf, so als gäbe es keine Traditionen, die prägen, als wäre die konservative und wirtschaftsliberale Partei, aus der er stammt, nur mehr eine Gruppe von belanglosen Statisten und Handlangern. Er selber braucht keine Werte und keine Inhalte zu vertreten, es genügt zu sagen, dass er die Macht in der Partei in seiner Hand konzentriert hat, und schon fliegen ihm die Herzen zu. Er braucht nur in die Kameras zu strahlen, und die Partei, die jetzt nur mehr unter seinem Namen und unter seinen Direktiven läuft (und zu laufen hat), bekommt in den Umfragen plötzlich um 50% mehr Stimmen und schnellt damit von der dritt- zur erststärksten Partei hinauf.
Offenbar ist es nicht nur der Neuigkeitseffekt, der die Menschen fasziniert. Es ist auch die perfekte Inszenierung: Die Parteigremien tagen, die Journalisten sind gespannt, ob sich die „Granden“ der Partei den Bedingungen des neuen Helden fügen werden, und es wird scheinbar debattiert, und die Debatte endet genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die Österreicher ihre Fernsehgeräte einschalten: Genau zu Beginn der Hauptnachrichtensendung erscheint der neue starke Mann den Millionen Zusehern vor den Fahnen des Staates und der EU. Er hat damit den maximalen Aufmerksamkeitseffekt erzielt und ein unvergessliches Event erschaffen, das mit seiner Person verknüpft und von ihr erfüllt ist: Der Tag, an dem der Star zum Helden wurde.
Warum sollen Politiker nicht alle Strategien der Werbung und der medialen Beeinflussung nutzen? Schließlich müssen sie ja ihre Botschaften „unter die Leute“ bringen, und dazu müssen sie und ihre Aussagen wahrgenommen werden. Was allerdings bedenklich stimmt, ist die Rangordnung: Die Person kommt vor allen Inhalten, das Gesicht vor der Botschaft, das Auftreten vor den politischen Werten und Zielen. Der politische Diskurs wird auf das Betrachten und Liken von Personen reduziert. Die Politikshowkonsumenten werden auf ein Gesicht, eine Stimme, einen Habitus konditioniert, damit sie in der zweiten Phase, wenn dann Politik gemacht wird, nicht auf die Inhalte schauen, sondern wieder nur blind die Maske verehren.
Natürlich ist der Aufmerksamkeits- und Begeisterungseffekt nicht von Dauer. So schnell sich das Feuer in der medialen Landschaft entzündet, so schnell verlischt es wieder. Doch die Demokratie in den Zeiten sozialer Medien steht in Gefahr, auf eine Abfolge von medial vermarktbaren Effekten reduziert zu werden. Kurze einprägsame Wortfolgen, mit Überzeugung vorgetragen und NLP-mäßig abgefeilt, den Seitenblick auf die Umfragewerte, das ist die Rezeptur für die Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit der Meinungsmache. Wer die flotten Sprüche und den frechen Schmäh drauf hat, wirkt sympathisch, und wer Argumente bringt und reflektiert abwägt, ist langweilig.
So wie der amerikanische Präsident keinen Text mehr auffassen kann, der länger als eine Seite ist, so beschränkt in der Auffassungsgabe ist offenbar der durchschnittliche Medienkonsument von heute, der nicht mehr als die Schnellschüsse aus den diversen Bildschirmen braucht, die ihm den angenehmen Adrenalinstoß bewirken, auf den er schon längst süchtig ist. Deshalb wird dieses System der Aufregungsproduktion immer wieder ihre Protagonisten produzieren und wieder verschleißen.
Schade ist nur, dass dabei die Zeit vergeht, in der politische Gestaltung stattfinden könnte, also die Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens zu mehr Gleichheit, Freiheit und Solidarität. Doch die Reformen und Innovationen, die dafür notwendig sind, bedürfen der systemischen Abwägung, der Berücksichtigung von vielfältigen Voraussetzungen und Bedürfnislagen, um einen möglichst breiten Nutzen für die Allgemeinheit zu bewirken und nicht die lautstärksten oder finanzkräftigsten Partikularinteressen zu fördern. Für die Prozesse der ausgleichenden Vernunft braucht es keine im Scheinwerferlicht glänzenden, aber innerlich hohle Stars, sondern Menschen, die ihr Ego so weit im Zaum halten können, dass sie für andere denken können.
Erst mit dieser Kompetenz kann ein Staatswesen, das den Namen Demokratie verdient, verwirklicht werden. Personen, die sich selber mit ihrer medialen Ego-Performance in den Mittelpunkt stellen, um für ihre Eitelkeit bewundert zu werden, stehen der Demokratie, in der also das Volk und für das Volk Politik gestaltet wird, diametral gegenüber. Solche Personen nutzen die Demokratie für ihre eigenen Zwecke. Sie nutzen auch die Ego-Schwächen der Staatsbürger und Volksmitglieder, die sich aufgewertet fühlen, wenn sie das große Ego, das sich vor ihnen aufplustert, bewundern und verehren können.
Und, wie schon oft bemerkt wurde, jedes Land hat die Regierung, die seinem Bewusstseinsstand entsprechen. In diesem Sinn sind Wahlen immer von Interesse. Auch dafür, einen Beitrag zur Weiterentwicklung und nicht zur Verringerung dieses Bewusstseinsstandes zu leisten.
Zum Weiterlesen:
Wird die Demokratie gekidnappt?
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