Das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten ist nach vielen Berechnungen unter den Bedingungen des gegenwärtigen Ersten-Welt-Konsumniveaus, das die anderen Weltteile mit Recht zunehmend für sich beanspruchen, nicht mehr lange möglich. Wir wissen nur nicht, wann und auf welche Weise sich ein Kollaps abspielen wird (beim Klima, bei der Luftqualität, bei der Wassergüte oder in anderen Bereichen) und was seine Auswirkungen sein werden.
Neben gesetzlichen Regulierungen, die auf der politischen
Willensbildung beruhen, gibt es die Ebene der individuellen Verantwortung. Der
ökologische Engpass, auf den wir zusteuern, ist eine Folge von unzähligen
Einzelentscheidungen von Individuen, darunter wir selbst. Hier sind wir und
niemand anderer gefragt, zu ändern, was zu ändern ist.
Es steht also jedem von uns offen, den eigenen ökologischen
Fußabdruck zu verringern und damit den notwendigen und unverzichtbaren Beitrag
zu dieser persönlichen Verantwortung zu leisten. Dabei wird es nicht ohne Luxusverzicht
und Konsumeinschränkung gehen – auf einem ohnehin sehr hohen Niveau, auf dem
wir uns schon befinden. Um diese Verantwortung wahrnehmen zu können, brauchen wir
die klare Bereitschaft für eine Willensentscheidung, die von innen kommt und
bewusst getroffen werden muss. Sie bezieht sich auf das Einschränken und Zurücknehmen
von nicht nachhaltigen Verhaltensweisen und Lebensformen und auf die Änderung
der entsprechenden Gewohnheiten.
Die Selbstzurücknahme in der rechten Form zu vollziehen, erfordert
eine gute Kenntnis der Ego-Grenzen: Wo sind es die vielfältigen Muster eines
unersättlichen Egos, die das Mehr und das Weniger verlangen, die gierig
nachfassen, – und wo ist die Sättigung schon erreicht, wo ist es also in
Wirklichkeit schon mehr als genug – nach den Maßstäben des freien inneren
Fließens von organischen und geistigen Bedürfnissen und Befriedigungserlebnissen.
So oft schon haben wir die Grenzen, die unser Organismus genau kennt, durch
unsere unbewusst gesteuerten Zwänge überschritten, dass wir nur mehr über eine
vage Ahnung von ihnen verfügen. Ja, ja, ich sollte jetzt aufhören zu essen, ja,
ja, ich sollte jetzt nichts rauchen, ja, ja, ich sollte auf dieses Gläschen
verzichten, aber etwas in mir ist stärker als dieses Wissen. Unser
verzweifelter Körper hat schließlich keine andere Wahl, um sich gegen das zur
Wehr zu setzen, was wir ihm aufzwingen, als mit schmerzhaften Symptomen zu
reagieren. So wachen wir erst dann auf, wenn die Missachtung schon passiert ist
und uns die Folgen zu schaffen machen, indem z.B. unser Verdauungssystem nach
einem Überkonsum rebelliert oder unser Herz-Kreislaufsystem wegen der
beständigen Überlastung schlapp macht.
Konditionierungen haben sich von früh an in unseren
Gehirngängen verankert und geradezu unentwirrbar in die organische
Selbststeuerung eingewoben. Babys brauchen eine konkordante Form der
Bedürfnisbefriedigung, um die Integrität der körperlich-seelischen
Bedürfnisstruktur aufrechterhalten zu können. Mit Konkordanz ist gemeint, dass
die jeweiligen auftauchenden Mangelzustände von den Betreuungspersonen in
stimmiger Weise beantwortet werden, sodass ein aus dem Organismus aufsteigendes
Bedürfnis stimmig befriedigt wird, z.B. wenn Hunger auftritt, wird etwas
Essbares angeboten, wenn Durst gemeldet wird, gibt es etwas zum Trinken, wenn
Unterhaltung gewünscht ist, ist jemand zur Stelle, der gerade spielen will. Bei
der Konkordanz sind die Herzen aufeinander abgestimmt und die durch
Mangelerlebnisse auftretenden offenen Gestalten werden durch die passenden
Angebote wieder geschlossen. Zufriedenheit setzt ein. Durch dieses konkordante Pulsieren
von Wunsch und Erfüllung entwickelt und stabilisiert sich die organische
Weisheit als Grundlage für eine Persönlichkeit, die echte Bedürfnisse von
konditionierten Reaktionen unterscheiden kann.
Der Klassiker unter den früh geprägten Korruptionen der
organischen Weisheit ist der Ersatz von Liebesbedürfnissen durch Essbares. Das
Kind wünscht sich emotionale Aufmerksamkeit und Zuwendung und erhält statt
dessen Nahrung. Die Betreuungsperson interpretiert das Bedürfnis des Kindes
falsch und reagiert aufgrund dieser Interpretation mit der Überzeugung, das
Richtige zu tun. Das Kind ist enttäuscht, weil es nicht bekommt, was es
eigentlich braucht, aber auch erfreut, weil das Essen schmeckt. Die erwachsene
Person freut sich, weil scheinbar das Bedürfnis befriedigt ist, und diese
emotionale Bestätigung verstärkt die Konditionierung bei ihr wie beim Kind: Das
Bedürfnis nach Liebe kann durch Essen gestillt werden.
Auf diese Weise wird nicht nur eine Grundlage für spätere
Ess- und Suchtstörungen gelegt, sondern dazu noch das Vertrauen in die
organische Selbstregulation und in die Bedürfnisstrukturen des eigenen Körpers
geschwächt. Einfache organische Bedürfnisse werden in komplexe emotionale
Regelwerke übersetzt, aus denen sich Erwartungskoglomerate und Identitäten
ableiten. Wir können nicht mehr spüren, was uns guttut und was uns schadet. Wir
haben keinen inneren Sinn für die Grenzen, an denen wir ein bestimmtes Konsumverhalten
beenden sollten. Die Selbstentfremdung und innere Selbstverwirrung wird zum
Normalzustand, in den sich die Ansprüche und Angebote der Konsumwirtschaft ohne
Gegenwehr einnisten können, um die Illusion immer wieder zu bestätigen, dass
mit einem stetig ansteigenden Konsum alles immer besser wird. Schon längst
haben sich verschiedene Selbstaspekte in uns gebildet, Persönlichkeitssektionen,
die sich dafür verantwortlich erklärt haben, die die Körperempfindungen und Gefühle
an die vielfältigen äußeren Erwartungen anzupassen.
Solange wir uns in diesem Kontext befinden, kann eine
bewusste Selbstzurücknahme nur als Selbstaufopferung oder als
Selbstidealisierung verstanden werden. Beides ist mit starken inneren
Widerständen verbunden. Die Konditionierungen sind zu fixen Bestandteilen der
Ego-Struktur geworden, die sämtliche Abwehrmechanismen zu ihrer Verfügung hat.
Das Gespür dafür, wo irrationale Ängste, die hinter jeder Form von Gier und
Statussucht stecken, Bedürfnisse erzeugen – und wo das Leben in uns aufzeigt,
was es zu seinem Wachsen und Gedeihen braucht und was es dabei behindert und
schädigt, ist verloren gegangen. Denn der Kontakt zum Lebensprozess und seinen inneren
Zusammenhängen ist durch Störgeräusche überlagert, sodass die Botschaften nur
verzerrt übermittelt werden.
Jede Form von Selbstkasteiung, die die Grundbedürfnisse
übergeht, führt zum inneren Kampf und Krampf, wodurch wiederum nur Ego-Ängste
gegen den Organismus und seine Bedürfnisse angefacht werden. Die Beschränkung,
die einem Ideal entspringt, das in der Gruppe oder in der Gesellschaft
vorherrscht, wird bekämpft, bis dieses verkümmert. Diese Beschränktheit kann
sich im maßlosen manischen Konsum ebenso äußern wie in der militanten
Konsumverweigerung (die manchmal zusätzlich noch mit der moralischen Keule auch
von anderen Mitmenschen den gleichen Entbehrungsweg einfordert).
Doch bringen wir den Ausweg nur zustande, wenn wir an einer
der Grenzen eine klare Entscheidung fällen, die bereit ist, mit den Mustern zu
brechen und die Konsequenzen zu tragen. Muster können nur durch Disziplin und
beständiges Dranbleiben überwunden werden. Außerdem wirken solche Schritte nur
dann nachhaltig, wenn die Disziplin von innen kommt, also in keiner Weise von
außen aufgezwungen ist, wie z.B. durch die Erwartungen anderer Personen, durch gesellschaftliche
Normen oder Idealvorstellungen. Dazu ist es erforderlich, die inneren Zwänge
und die in ihnen enthaltenen Ängste aufzuarbeiten und aufzulösen, die die
Verhaltensmuster aufrechterhalten.
Auf diese Weise gelingt es, die alten Konditionierungen aufzubrechen
und damit die Kommunikation mit der organischen Weisheit wieder herzustellen, sodass
der Kontakt zu den Selbststeuerungs- und Selbstheilungskräften des Körper-Seele-Systems
ins Fließen kommt und zur Selbstverständlichkeit wird. Das ist die Grundlage
für jene Formen der Selbstzurücknahme, die autonom entschieden werden, unter
Berücksichtigung der genuinen körperlichen Bedürfnisse, und nach der
Entmachtung der künstlichen Konditionierungen. All dies steht im Dient der Wiederherstellung
unserer körperlich-seelischen Einheit, ein anderes Wort für Gesundheit in einem
umfassenden Sinn.
Zum Weiterlesen:
Über das Reduzieren von Ansprüchen und Idealen
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