Wie sag ich es, wenn mich etwas an anderen Personen stört?
Was wir gelernt haben: Die Absicht muss rüberkommen, die andere Person soll spüren, wie wichtig es ist, dass sie ihr Verhalten ändert.
Auf einen Fehler, eine Schwäche oder einen Makel aufmerksam gemacht zu werden, beschämt immer. Wir wollen ja von den anderen geliebt und akzeptiert werden, wie wir sind, und sobald etwas Unvollkommenes an uns sichtbar wird, fürchten wir um diese Liebe und Akzeptanz. Zugleich aktivieren wir unsere Schamabwehr. Denn das Schamgefühl ist äußerst unangenehm. Wir wollen nicht in unserer Blöße dastehen.
Wie also können wir ein kritisches Feedback geben, ohne die angesprochene Person zu beschämen? Schließlich ist es auch für uns nicht angenehm, wenn wir bei anderen Menschen Scham auslösen.
Bedürfnisse und Verletzungen ausdrücken
Zwei Elemente spielen bei dieser Kunst des Taktes eine Rolle. Erstens geht es darin, dass wir uns klarmachen, dass es zu unserer Aufgabe im Zusammenleben gehört, unsere Verletzungen und Bedürfnisse auszudrücken. Wenn uns etwas stört, stört es auch die Kommunikation und die Beziehung. Wir haben die Möglichkeit, die Rückmeldung zu unterlassen und uns zu entscheiden, mit der Störung weiterleben zu wollen. Dann übernehmen wir die Verantwortung für die Störung und haben keinen Grund mehr, der anderen Person böse zu sein oder sie abzuwerten. Die Störung gibt es ja in uns selber, sie besteht nicht objektiv, sondern kollidiert mit inneren Maßstäben, Wertsetzungen, Empfindlichkeiten. Wir machen etwas, das im Außen passiert oder nicht passiert, zu einem Problem, indem wir daran leiden. Dieses Leiden nicht zu kommunizieren hat zur Folge, dass wir uns selber darum kümmern müssen.
Wir können die Verantwortung für dieses Leiden aber auch so wahrnehmen, dass wir sie der anderen Person rückmelden. Es ist ein Bedürfnis von uns, das durch das Verhalten des anderen zu wenig berücksichtigt wurde. Es kann z.B. sein, dass uns schmutzige Fingernägel bei anderen stören. Wir nehmen sie wahr und empfinden Ekel. Wenn wir der anderen Person verschweigen, was uns stört, halten wir etwas zurück. Jede zurückgehaltene Botschaft wirkt als Hemmung in der Kommunikation und nimmt ihr an Offenheit. Die Einengung und Distanzierung im Kontakt, die dadurch geschieht, wird zwar von beiden Seiten wahrgenommen, kann aber nicht gedeutet werden und steht dann zwischen den beiden Personen, außer wir nehmen die Störung und das damit verbundene Problem, wie oben beschrieben, ganz zu uns selbst.
Die Perspektive, aus der die Mitteilung des eigenen Bedürfnisses und seiner Störung kommen sollte, stammt aus der eigenen Subjektivität: „Ich teile dir etwas aus meiner Welt mit. Da tue ich mir schwer damit. Das stört oder irritiert mich und ich kann leider nicht darüber hinwegsehen. Ich teile es dir mit, damit du weißt, wie es mit deinem Verhalten geht.“
Absichtsloses Wünschen
Jetzt kommt der zweite und entscheidende Schritt. Es geht es darum, die Absicht wegzulassen, die natürlicherweise darin besteht, die andere Person zur Veränderung ihres Verhaltens zu bewegen, also z.B. die Fingernägel zu reinigen. Denn die Absicht bewirkt eine drängende Bitte oder eine Forderung, die besagt, dass die andere Person sich so verhalten soll, dass wir kein Problem mehr damit haben. Sie soll uns also unser Problem wegnehmen, indem wir es zu ihrem oder zu unserem Problem umwidmen.
Eine Rückmeldung ohne Veränderungsabsicht dagegen drückt sich als Wunsch nach einer Korrektur oder Veränderung aus. Der Wunsch unterscheidet sich von der Forderung, dass er der anderen Person jede Freiheit lässt, ihm nachzukommen oder nicht. Wir können einen Wunsch nur dann als Wunsch zum Ausdruck bringen, wenn wir uns innerlich im Klaren sind, dass wir auch gut damit leben können, falls der Wunsch abgelehnt wird. Und noch mehr: Dass wir die andere Person weiterhin wertschätzen können, auch wenn sie bei ihrem Verhalten bleibt, das uns stört.
Ein wichtiger Aspekt der Rückmeldung besteht darin, dass sie, wenn es um potenziell peinliche Themen geht, unter zwei Augen erfolgen soll. Das Ansprechen von schambesetzten Themen braucht Privatheit. Die Anwesenheit von anderen Personen erhöht den Schamdruck.
Die Krux mit dem Fordern
Wir alle verfügen über Strategien der Schamabwehr. Wenn wir auf Schwächen, Fehler und Unzukömmlichkeiten angesprochen werden, hängt es von der Intention der Rückmeldung ab, ob wir mit Abwehr oder Offenheit darauf reagieren. Sobald unser Sensorium einen Druck vom Feedbackgeber wahrnimmt, wird unsere Verteidigungshaltung aktiviert. Wir reagieren dann je nach gewohnter Strategie mit einem Gegenangriff (wenn wir uns angegriffen fühlen), mit einem Ausweichmanöver, mit einer Rechtfertigung oder können der beschämten Position nicht entrinnen und sind voll von der Peinlichkeit der Situation belastet. Denn die Scham hat sich verdoppelt: Zum einen erkennen wir einen Makel an uns, zum anderen stehen wir mit diesem Makel vor der anderen Person, der wir mit diesem Makel ein Problem bereitet haben.
In jedem Fall ergibt sich eine Spannung in der kommunikativen Situation, und die Auflösung bleibt unbefriedigend. Zwar kann die Feedbackgeberin zufrieden sein, wenn sich die Empfängerin bereit erklärt, das eigene Verhalten zu verändern. Doch wird bei ihr ein Ressentiment bestehen bleiben, dass sie in eine beschämte Lage gebracht wurde, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass daraus irgendwann später ein Racheimpuls kommt.
Forderungen schaffen ein Machtgefälle: Die fordernde Person stellt sich über die geforderte. Sie will, dass ihr Wille umgesetzt wird, und besteht darauf mit der Drohung, dass sonst die Spannung aufrecht bleibt: Ich bin dir so lange böse, bis du tust, was ich will. Mit einer Forderung wollen wir signalisieren, dass es keinen anderen Weg zur Lösung für „unser“ Problem gibt, als dass die andere Person etwas ändert.
Und das ist die Krux mit dieser Strategie: Wir treten die Verantwortung ab und das Machtgefälle dreht sich um. Wir sind in der hilflosen Rolle. Wir können niemanden zwingen, unseren Willen zu erfüllen. Wir können zwar mit Druck, Drohung, Erpressung, Manipulation usw. erzwingen, dass andere das tun, was wir wollen, aber sie tun das dann nur widerwillig und zahlen uns ihre Unterwerfung bei nächster Gelegenheit heim, direkt oder indirekt. Alles, was jemand gegen seinen eigenen Willen tut, hat keinen Bestand und keine Haltbarkeit und verbleibt als Knoten in der Beziehung.
Das Wünschen als Abhilfe
Ob das Wünschen hilft oder nicht, ist nicht die Frage. Es ist allerdings der Königsweg zu einer beschämungsfreien Kritik- und Feedbackkultur. Die Absichtslosigkeit ist der entscheidende Stolperstein auf diesem Weg. Denn wir verfolgen immer Absichten, wenn wir Kritik üben oder Feedback geben. Auf das Weglassen von Absichten müssen wir uns vorbereiten. Wir können nicht darauf hoffen, dass sie sich spontan einstellt. Sie erfordert das Üben von Achtsamkeit und das entspannte Eingehen auf den Partner, dem das Feedback gilt. Denn nur wenn wir entspannt sind und innerlich distanziert von der Angelegenheit, die uns stört, können wir uns von den aggressiven Aspekten des Vorwurfs und von der Dringlichkeit des Forderns verabschieden. Dann bietet sich der Weg des absichtslosen Wünschens an. Er hilft, die Kommunikation von den Fallen der Beschämung zu befreien.
Zum Weiterlesen:
Scham und Rache
Emotionale Erpressung und der Ausweg
Scham und Verletzlichkeit
Lernen ohne Belehrung
Von den Absichten zur Absichtslosigkeit
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