Der österreichische Gesundheitsminister Rudi Anschober ist zurückgetreten. Sein großer persönlicher Einsatz für das Amt und für die damit verbundene Verantwortung für die Gesundheit aller hat zu viel an der eigenen Gesundheit eingefordert. Wie das sonst Politiker wie die Pest vermeiden, hat er öffentlich seine Schwäche eingestanden und daraus die Konsequenz gezogen. Und mit diesem mutigen Schritt setzt er ein Beispiel – für alle, die ein politisches Amt bekleiden, und für alle anderen auch, die Schwächen haben.
Schwächen werden in der Politik gerne als Führungsschwächen ausgelegt; vertrauen kann „der kleine Mann“ ja nur starken Figuren. Denn sie alleine garantieren Sicherheit und Zuversicht, dass alle Probleme von oben gelöst werden können. Deshalb präsentieren sich Politiker gerne in ihren Stärken. Präsident Putin hat sich unzählige Male mit seinen Muskeln fotografieren lassen, Ex-Präsident Trump hat verbal bei jeder Gelegenheit seine Muskeln auf dem Klavier der Unverschämtheiten spielen lassen und Präsident Bolsenaro rühmt sich seiner Sportlichkeit und hat verkündet, dass ihm deshalb kein Virus etwas anhaben kann. Dazu kommt: Ein starker Mann weint nicht.
Psychologisch ist klar: Je schwächer sich das eigene Ich fühlt, desto stärker muss die Identifikationsfigur erscheinen, die diese Schwäche ausgleicht. Jeder also, der sich seiner eigenen Schwächen schämt, erwartet von seinen Leitfiguren Stärke und unendliche Belastbarkeit. Umso wichtiger ist ein Gegenbeispiel: Im Einbekennen der eigenen Schwäche (und der Scham darüber) eine Kraft zu gewinnen, die jede aufgebauschte äußerliche Stärke übertrifft.
Die Schwächen der Mächtigen bleiben indes im Allgemeinen geheim. Folglich wirkt es wohltuend, wenn ein Mächtiger auf Macht verzichtet, weil er sich seiner Endlichkeit bewusst ist und sich selber wichtiger nimmt als die Macht. Wir haben nur diese eine Gesundheit und unseren Körper, für die wir voll verantwortlich sind, und dem die Priorität zu geben, ist eine Botschaft, die einem Gesundheitsminister würdig ist. “Ein Gesundheitsminister ist für die Gesundheit da, auch für die eigene” (Anschober bei seinem Abschied).
Mit Anschobers Politik mögen nicht alle einverstanden sein – eine Politik, die alle zufriedenstellt, schafft kein Politiker, erst recht nicht in einer Zeit, in der das Gesundheitswesen aller Staaten dieser Welt vor der größten Herausforderung der letzten hundert Jahre steht. Populäre Entscheidungen können unter solchen Umständen nur schlechte Entscheidungen sein, und unpopuläre machen unbeliebt. Anschober hat bei seinen Stellungnahmen das Verständnis für diese Zwickmühle und für die vielen Betroffenen durchklingen lassen und hat das Verspielen der Volksgunst in Kauf genommen für das, was ihm sachlich, vernünftig und wissenschaftlich unterstützt als richtig in einem nachhaltigen Sinn erschienen ist.
Seine ruhige und gelassene Art, mit der er die Pressekonferenzen und Interviews bestritten hat, hat viel zur Entemotionalisierung der Corona-Maßnahmen beigetragen. Das Einbeziehen von Experten und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen sowie die Gespräche mit Betroffenen und in den Problemzonen Tätigen sind Vorgangsweisen, die zukunftsträchtig sind, indem nicht mehr einsam oder in Machtzirkeln entschieden wird, sondern indem sich Teams aufeinander abstimmen und Entscheidungen in offenen Prozessen getroffen werden.
Ich plädiere also dafür, Rudi Anschober zum Gesundheitsminister honoris causa zu ernennen, weil er in seinem Amt in mehrfacher Hinsicht ein Vorbild abgegeben hat und weil er indirekt angeregt hat, dass wir alle unsere eigenen Gesundheitsminister werden sollten: Indem wir auf uns selber zuerst schauen sollten, auf das, was unser Körper und unsere Seele brauchen, und danach unsere Leistungsfähigkeit usw. bemessen. Der Seinsmodus, den unser Körper und unsere Seele vorgeben, hat den Vorrang vor jedem Funktionsmodus, auch wenn dieser von vielen Teilen der Gesellschaft erwartet und eingefordert wird. Bleiben wir Menschen und überlassen wir das Maschinesein den Maschinen und überlassen wir das message controlling denen, die nicht merken, wie sie dabei zu Sprechrobotern werden.
Chapeau, Rudi Anschober!
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