Die Rache ist im Gespräch. War der Begriff bisher vor allem als fixer Bestandteil der Rhetorik von extremen Terrororganisationen, so hat ihn die US-Propagandaaktion gegen den Hauptfeind Osama Bin Laden auch im angeblich aufgeklärten Westen salonfähig gemacht. Der Gegner wurde umgebracht, damit wurde ausgeglichen, was den Amerikanern vor 10 Jahren angetan wurde.
Was wurde ausgeglichen? Keine Tote der Anschläge vom 11. September steht wieder auf, kein Traumatisierter ist von seinen Symptomen befreit, keine Hinterbliebene wird vom seelischen Schmerz erlöst. Ausgeglichen wurde etwas in der krankhaften Struktur des Egos. Die Demütigung, die die Seele „des Westens“, der USA oder wessen auch immer, durch die Anschläge erlitten hat, wurde korrigiert, und dazu haben offenbar zwei Kriege (gegen Afghanistan, gegen den Irak) und die Hinrichtung eines anderen Hauptfeindes (Saddam) nicht gereicht (der sich ja als Unbeteiligter an der Hauptkränkung erwiesen hat); der Böse hinter allem Bösen muss beseitigt werden.
Wir sehen daran unsere Neigung, Konflikte zu personalisieren, auf dieser Ebene lassen sie sich scheinbar leichter und endgültig lösen: Ich bringe meinen Gegner um, damit ist der Konflikt aus der Welt. Aus den Erfahrungen mit der Blutrache wissen wir, wie wenig das stimmt; die Spirale von Rache und Gegenrache ist prinzipiell ohne Ende; im günstigen Fall deeskaliert sie im Lauf der Zeit, im ungünstigen eskaliert sie (ein Terroranschlag wird mit Krieg gegen ein Land beantwortet). Jedenfalls sorgen die Racheaktionen, insbesondere die hoch symbolbeladenen gegen prominente Exponenten der gegnerischen Seite dafür, dass der Konflikt bestehen bleibt. Und klar werden mit der institutionellen Absicherung eines Dauerkonflikts die verschiedensten Interessen bedient, und so mancher kann sich die Hände reiben mit Blick auf seine fetter werdende Brieftasche.
Was ist krankhaft an der Rache? Ist es nicht eine natürliche Reaktion, dass wir uns rächen wollen, wenn uns etwas Böses zugefügt wurde? Müssen wir nicht, wenn der Partner fremdgeht, ihm das mit einem eigenen Seitensprung heimzahlen? Müssen wir nicht, wenn wir erfahren, dass jemand schlecht über uns geredet hat, zumindest schlecht über diese Person reden, am besten so, dass sie es auch irgendwann mitbekommt? Rache ist doch süß, sollen wir auf den Genuss verzichten, der uns zuteil wird, wenn wir sehen, wie unser Feind leidet?
Wenn wir erkennen, dass es "nur" unser Ego ist, das sich mit der Rache stabilisiert, fällt es uns vielleicht leichter, unsere Racheimpulse zu reflektieren und zu hinterspüren. Wie könnte das geschehen?
Wir vergelten Böses mit Bösem und können damit nichts gut machen. Wir begeben uns auf die Stufe des anderen und machen uns ihm gleich, seine Bosheit ist nunmehr unsere Bosheit. Wenn wir uns das ehrlich eingestehen, sind wir schon einen Schritt weiter. Wir haben erkannt, dass wir nicht besser sind als der andere, der uns geschädigt hat. Wir sind genauso menschlich wie er auch. In diesem Sinne meinte Nietzsche: „Eine kleine Rache ist menschlicher als gar keine Rache.“
Der nächste Schritt kann sein, auf die geplante Racheaktion zu verzichten. Was bringt sie uns noch? Mit der Erkenntnis, dass wir selber rachsüchtig sind, haben wir schon eingesehen, dass wir böse sein können, der andere hat uns nichts mehr voraus. Im Gegenteil: Martin Luther King hat gesagt: „Das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ hinterlässt auf beiden Seiten nur Blinde und Zahnlose.“ Und wenn wir dem anderen die Zähne ausschlagen, wird uns selbst noch ein weiterer Zahn ausgeschlagen.
Es ist nicht unser Selbstgefühl, das wir mit solchen Aktionen stärken, sondern unsere Selbstabwertung, weil wir diejenigen Seiten von uns bekräftigen, die zu unserem Schatten gehören. Unser Selbstgefühl kann nicht an Handlungen, die anderen Schaden zufügen, wachsen, und ein ehrlicher Blick in unser Gewissen zeigt uns, dass wir auf solche Taten nicht stolz sein können. Wir engen unsere Innenwelt ein und verdunkeln sie. Unser Ego mag sich freuen und sich seiner Taten brüsten, aber unserer Seele ist damit ein weiterer Schaden zugefügt, der uns leiden lässt: Nicht daran, dass wir uns damit auch faktisch mit dem gleich gestellt haben, der uns verletzt hat, sondern einfach daran, dass wir einen Bruder, eine Schwester, einen Mitmenschen beschädigt haben.
Moses und Paulus berichten: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ (5 Mos 32,35; Röm 12,19). Sie meinen damit, dass wir das Rächen dem Herrn überlassen sollen, er soll sich darum kümmern, auszugleichen, was durch die Verletzung passiert ist, die uns widerfahren ist. Wir können keine Gerechtigkeit auf der Welt herstellen, solange wir von unseren Verletztheiten ausgehen und solange wir darum kämpfen, unser Ego zufriedenzustellen. Und wie Gott diese Gerechtigkeit herstellt (mittels Zorn oder mittels Liebe oder mittels etwas noch anderes), ist letztlich seine Sache. Aber um das anzuerkennen, müssen wir einen gewaltigen Stück aus unserem personalisierten Ego-Bewusstsein machen.
Um uns zu einem solchen Sprung zu motivieren, kosten wir ein Stück systemisches Bewusstsein in dem Zitat aus dem mittelalterlichen Versepos Ruodlieb: „Böses mit Gutem zu vergelten, ist eine überaus großmütige Rache.“ Was so salbungsvoll christlich klingt, zeigt einen Hintersinn: Wenn ich die Kette der Rache und Gegenrache durchbreche (eine „Interpunktion von Ereignisfolgen“ nach Paul Watzlawick), dann bringe ich ein neues Element ein, den Großmut. Denn für einen solchen Schritt brauche ich einen größeren Mut, als er erforderlich ist, wenn ich dem anderen eine „in die Gosch’n hau“.
Rache gewinnt dann einen neuen Sinn: Sie bringt etwas Größeres in Ausgleich als das Ego, sie durchbricht einen Teufelskreis und schafft Raum, dass Neues passieren kann. Sie beendet die destruktive Abhängigkeit vom Todestrieb und öffnet die Pforten für Wachstum und Befreiung.
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