Dienstag, 10. Mai 2011

Das Kopftuch und sein Symbolwert

Herrn Sarazins umstrittene krasse Aussage über die Türken, die nur Kopftuchmädchen produzieren, hat dieses Bekleidungsstück weiter mit Symbolwert aufgeladen.

Ich stehe vor einem Dilemma.
Einerseits: Ich weiß nicht, was so schrecklich daran sein soll, wenn Frauen Kopftücher tragen. Das kann einem gefallen oder nicht. Es gibt so viel Verschiedenheiten unter den Betuchungen, da brauche ich nicht gerade auf solche starren, die meinem Geschmack weniger entsprechen. Und warum sollen sich alle so kleiden, wie es meinem Geschmack und ästhetischen Urteil entsprechen würde?
Muss ich bei Kopftuch sofort an die drohende Türkisierung oder Islamisierung der Gesellschaft und Kultur denken, muss ich mir durch die Ängste vor Überfremdung die Sinne und das Denken vernebeln lassen (wie der oben zitierte Autor), muss ich sofort in ein Freund/Feindschema verfallen und das Thema vor politische Interessen spannen, oder kann ich es einfach dabei belassen: Da gibt es Frauen, die Kopftuch tragen, na und?

Andererseits kann ich auch nicht nachvollziehen, was so toll daran ist. Speziell an heißen Tagen des Hochsommers können einen die Kopftuchträgerinnen nur leid tun. Nicht wenige jedoch verbergen freiwillig ihre Haartracht unter Tuch, bei jeder Witterung. Natürlich ist das nicht die einzige Form des Leidens, die man und vor allem frau auf sich nimmt, zwecks sinnenansprechender Botschaft nach außen.
Es geht also um die Symbolkraft. Für viele im Westen und für viele „westlich“ denkende im Osten heißt Kopftuch Unterdrückung der Frauen und religiöser Fundamentalismus. Freiwillige Kopftuchträgerinnen sind dann solche, die die Unterdrückung internalisiert haben und die Nachordnung der Frauen nach den Männern für selbstverständlich nehmen und noch dazu bejahen. Aber können wir das so einfach unterstellen? Es mag in vielen Fällen zutreffen und in vielen anderen nicht.

Dazu kommt noch die religiöse Dimension. Neben dem Brauchtum in den Ländern des Orients, wo auch die meisten Männer Kopfbedeckungen tragen, wird der Koran zitiert mit einer (einzigen) Sure, die im Sinn einer Bedeckung der Frauen in der Öffentlichkeit (ohne dass genau angegeben wird, was bedeckt werden soll) interpretiert werden kann. Manche Frauen demonstrieren dann mit dem Tragen des Kopftuches das Bekenntnis zu ihrer Religion. Wenn also männliche Juden die Kippa tragen, sollte muslimischen Frauen das Tragen des Kopftuches nicht angekreidet werden. Und auch in diesem Bereich gibt es die oben angesprochene Leidensbereitschaft: Zugleich damit, dass die Frömmigkeit unter Beweis gestellt wird, wird ebenso die Fähigkeit, Opfer auf sich zu nehmen, demonstratitiv zur Schau gestellt.

Klar wünschen wir uns selbstbestimmte Frauen, d.h. dann aber auch solche, die nicht jeder Konsummode nachlaufen, nur in Designerlabels denken, einen standardisierten Musikgeschmack haben, jede Diät praktizieren, die gerade angepriesen wird, ihren Wissenshorizont mit Gratiszeitungen und Illustrierten begrenzen usw. Klar wünschen wir uns kritische, aufgeklärte, selbstbewusste und engagierte Frauen, die sich nicht fernsteuern lassen, weder von den Marketingstrategen der Konsumproduzenten noch von fundamentalistischen Ideologien. Aber es wäre zu einfach, am Vorhandensein oder Fehlen eines Kleidungsstückes auf solche Qualitäten und Persönlichkeitsmerkmale rückzuschließen.

Noch eine Nachbemerkung zum Burka-Verbot in Frankreich:

Ich kann den FranzoösInnen nachempfinden, dass sie Burkas nicht sehen können. Erstens haben sie sich 1789 ihre Freiheit erkämpft, die auch mit einer freien Bekleidungsform verbunden war – keine Culotten mehr, also die Geburt der langen Hose als Revolutionskleidungsstück. Von da her sind Bekleidung und Politik verbunden, und Politik ist für die Franzosen sehr stark mit dem Begriff der Freiheit verbunden.

Zweitens ist Frankreich auch das Geburtsland der Mode überhaupt, der deutsche Begriff kommt von dort. Lange Zeit dominierte Paris die Modewelt und ist auch heute noch ein großer Mitspieler in diesem Theater. Das Modegespür der Französinnen ist Legende, überhaupt gibt es viele weitere Belege für das ästhetische Empfinden dieser Nation. Da kann es wie die Faust aufs modisch geschulte Auge wirken, wenn arabische Damen mit Burkas, sprich mit Nicht-Mode schlechthin, also mit purer Bekleidung bar jeder Schönheit oder Hässlichkeit, die Straßen bevölkern, und wenn noch dazu dieses Bekleidungsstück fix mit der Unterdrückung der Frauen assoziiert ist.
Allerdings, die Freiheit, auch Nicht-Bekleidung zu tragen, hat in der Toleranz der FranzösInnen dennoch keinen Platz. Letztlich geht also Geschmack vor Freiheit.

                                                                           
                                                                                            
       

5 Kommentare:

  1. Danke für Deine Zeilen.

    Ich muss dazusagen, dass ich mich der Geschichte des Korans nicht viel auseinander gesetzt habe, aber mir das Thema Kopftuch immer wieder begegnet.

    Ich frage mich immer wieder, was Frauen dazu bewegt dieses Kopftuch zu tragen und die Störfaktoren hinzunehmen. Abgesehen, dass es im Sommer sehr heiß sein muss, kann ich mir auch vorstellen, dass man eingeschränkter hört und vielleicht auch sieht. Auch sicherlich trägt man den Kopf steifer oder/und ruhiger.

    Auch verstehe ich vor allem die jungen Trägerinnen nicht. Die ja eigentlich schon teilentwurzelt von Ihren Ursprungsfamilien hier aufwachsen und trotzdem das Tragen des Tuches "auf sich nehmen".

    Toleranz ja, Religionsfreiheit ja und trotzdem regt sich bei mir, wenn ich betuchte Frauen sehe, immer das Gefühl der Unterordnung und Unterdrückung. Und ich kann auch gar nicht nachvollziehen, wenn sie es manchmal mit soviel Stolz tragen.

    Mir tun sie leid und ich verstehe dieses "Kopftuchtragen" viel zu wenig.

    Wenn ich ab und zu darüber diskutiere, sagen viele Diskussionspartner: lass Sie doch, Ihre Entscheidung, ist doch eh ok.

    Dann frage ich mich, ob sie wirklich selber und frei entscheiden können und ob nicht noch viel Aufklärung getan werden muss.

    Ich finde es ok, wenn sie es wirklich freiwillig und hinterfragt tragen wollen.

    Alles andere ist wahrscheinlich ein Stück Pioneerarbeit in der Frauen-Evolution.

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  2. Ich weiß auch nicht, in welche Richtung die Frauen-Evolution noch weiter gehen wird. Ich denke zumindest, dass jede Form der Bevormundung irgendwann wegfallen muss, das können Menschen einfach nicht erdulden. Und es tut sich was, in Nordafrika, gegen die politische Bevormundung, und da ist die soziale und familiale Bevormundung mitinbegriffen, und es ist noch nicht absehbar, wie sich das auf die Stellung der Männer und der Frauen auswirken wird. Ich glaube, dass den meisten islamischen Männern die postpatriarchale Identitätsfindung erst bevorsteht, es gibt aber schon ein paar Beispiel, wo das in Gang kommt. Ob das Kopftuch nach all diesen Prozessen noch übrigbleibt, weiß allein der Prophet.

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  3. Wir sollten auch bei dem Thema achtsam sein, dass wir nicht in eine Haltung "kolonialer Überheblichkeit" verfallen: weil wir davon ausgehen, dass wir weiter entwickelt sind, meinen wir, wir wüssten dann besser, was für andere gut und schlecht ist. Wissen wir aber nicht!

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  4. Zu Kopftuchmädchen: kann als Bewohner des türkisch exterritorialen Gebietes „Brunnenmarkt und Umgebung“ als subjektive Beobachtungen mitteilen: -) die Leute sind arm und dafür recht gut drauf -) das hängt z.Teil daran, dass sie rigide patriarchale Gesellschaftsstrukturen haben, die die Kommunikation und den Zusammenhalt untereinander fördern; auch gibt es kaum Kriminalität; allerdings kann der/die einzelne aus seiner zugewiesenen Rolle nicht raus und es werden Frauen definitiv unterdrückt. Es gibt keinen Willen zu Integration von österreichischer Seite, aber auch keinen von türkischer Seite; die türkische Community schottet sich ab; einzige Ausnahme: Soho Ottakring, bei diesem kulturellen event bekommt man einen Geschmack davon, was Integration sein kann -) was ich noch von einer gebildeten Türkin gelernt habe: die Gastarbeiter, die zu uns gekommen sind, kommen aus den ungebildetsten und bezüglich ihrer religiösen und gesellschaftlichen Strukturen rigidesten Schichten der Türkei und können dementsprechend mit dem „Westen“ an sich und dann auch noch mit einer Großstadt nichts anfangen, sind verschreckt und isolieren sich. Dazu kommt eben dann die Fremdenfeindlichkeit usw. Ich denke daher, dass es eine Hauptfrage ist, wie man reaktionär und patriarchalisch denkenden Menschen eine Integration in die Gesellschaft mit unserern Werten (wie Gleichstellung der Frauen, Religionsfreiheit usw.) anbieten kann. Wenn ich zur Zeit hier in meiner Gegend durch die Gassen gehe, verstehe ich die Menschen, die miteinander reden, nicht und sie wollen auch nicht verstanden werden. Aus den vielen Kleinlokalen schauen ausschließlich Männer und bauen eine unsichtbare Mauer. Und Frauen mit Kopftüchern schauen hauptsächlich auf den Boden unmittelbar vor sich. Ich hoffe, dass das anders wird.

    Liebe Grüße,

    Vadano

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  5. Ich denke, es ist nicht nur ein Unterschied der Kulturen, sondern auch des Bewusstseins, der sich in dem Symbol "Kopftuch" ausdrückt. Wenn Menschen aus einer agrarischen Kultur kommen, bringen sie andere Einstellungen zu vielen Dingen des Lebens mit, die wenig zu unseren passen. Wir neigen dazu, unsere Bewusstseinsmuster als besser und überlegener zu sehen, die sind es aber nur dann, wenn wir dem Anderen mehr Verständnis und Toleranz entgegenbringen als er/sie uns.

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