Robert Menasse, Autor und Essayist (Oberösterreichische Nachrichten am 16.6.2011), und Robert Pfaller, Philosophieprofessor, (Ö1-Gespräch am 12.5.2011) stimmen darin überein, dass wir in einer lustfeindlichen Gesellschaft leben, und nehmen als Beispiel dafür die Rauchverbote. Weitere Indizien für diese Feststellung: Cola light, fettarmes Schlagobers und alkoholfreies Bier. Der Umkehrschluss ist: Genuss ist es, überall rauchen zu können, wo man will, kalorienreiches Kola zu trinken, dazu fettes Schlagobers und Bier mit möglichst hohem Alkoholgehalt.
Die intellektuelle Reflexion bei Pfaller über die Hintergründe einer Gesellschaft, die solche Auswüchse der Lustfeindlichkeit hervorbringt, findet die neoliberale Wirtschaftsordnung mit dem damit verbundenen Sozialabbau als Verantwortlichen. Das mag so sein oder mag auch nicht so sein, einfach zu belegen ist diese Schlussfolgerung nicht, weil sie viele Zwischenstufen benötigt, bis sie vom Cola light bei der Kürzung von Sozialprogrammen ankommt. Aber kühne Sprünge sind eine Lieblingsbeschäftigung von Intellektuellen, und wenn eine gewisse Sprachgewandtheit dazu kommt, ist gleich ein „interessanter“ Gedankengang geschmiedet, der wortreich und seitenfüllend dargelegt werden kann. Ob es die Neoliberalen wieder aus den Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Gesellschaft vertreiben wird, wenn die Leute wieder ordentliches Bier trinken (was sie ja nach wie vor tun), ordentliches Schlagobers auf die Sachertorte türmen (detto), Cola heavy trinken (detto), bleibt noch abzuwarten.
Wenn schon Neoliberalismus: Rauchen und Trinken sowie ungesund Essen sind Übungen in der Körperverachtung und dienen der Zurichtung auf die Erfordernisse des Kapitalismus, der ja nur mit einem hohen Grad an Körperfeindlichkeit funktioniert. Die Genüsse, die dann noch in den Nischen des Arbeitslebens übrigbleiben, sind natürlich auch von Industrie und Marketing gesteuert, geben die Illusion von Entspannung und machen zugleich die Körper taub und gefühllos.
Diese Beispielen aus der Konsumwelt zeigen vor allem, wie sehr Menschen konditionierbar sind in ihrer Form des Genießens. Es ist ja nicht naturgegeben, dass Menschen das Rauchen genießen, das braucht bekanntlich einige Überwindungsprozesse, bis der Körper das Gift toleriert. Aber wenn jemand dann am Stengel dranhängt, kommt er so leicht nicht mehr los, auch deshalb, weil er es genießt. Wir wissen schon längst (auch die Raucher, die ja auch über Lungenkrebs und Raucherbeine Bescheid wissen), dass der Genuss in den ersten paar Zügen einer Zigarette liegt, mit deren Hilfe der Körper Stress abbauen kann. Das ist der Genuss. Die nächsten Züge bauen den Stress wieder auf. Dann muss die nächste Zigarette her, um den Genuss zu verschaffen, den Stress, den die vorige Zigarette erzeugt hat, wieder abzubauen. So simpel. Welch ein Genuss, welch eine Lust. Welch eine Gemeinheit und wie menschenfeindlich eine Gesellschaft, die solches Verhalten verbieten oder einschränken will...
Mit dem Alkohol verhält es sich ähnlich, wenn das Ekelgefühl einmal überwunden ist, liegt der Genuss in der Enthemmung, die sich nach der Ausnüchterung umso mehr wieder einstellt. Alkoholtrinker zeigen durch ihr Verhalten, wie sehr sie sich selber kontrollieren, sodass sie die Substanz brauchen, um sich freier zu fühlen. Eine Freiheit, die durch die Zufuhr von Stoffen, die der Körper als feindlich erlebt und nur mühsam abbauen kann, erzeugt werden muss, ist ein Zerrbild.
Und zum fetten Essen und zu den damit verbundenen Risiken gibt es genug sinnvolle Informationen. Wer nach dem Genuss eines üppigen fettreichen österreichischen Beislessen noch intellektuell denken kann, verdient uneingeschränkte Bewunderung.
Menasse karikiert den korrupten Puritaner (da denkt er wohl an einige Politiker, die jetzt am Pranger stehen): „Das ist ein widerlicher gesellschaftlicher Prototyp: der nicht rauchende, Cola light trinkende, fettarm essende Schmiergeldempfänger.“ Gefällt uns der rauchende, normales Cola trinkende und fettreich essende Mensch, ob Schmiergeldempfänger oder nicht, mit diesen Zuschreibungen allein schon besser?
Interessant ist dazu auch, dass sich auf den Barrikaden gegen die Raucherfeindschaft und gegen die Säuferschlechtmachung die Linken und die Rechten treffen. Rauchverbote waren in Österreich politisch erst machbar, als die FPÖ/BZÖ nicht mehr in der Regierung war. Und die Trinkfestigkeit gehört zentral zu den traditionellen Initiationsritualen der rechtsradikalen Zirkel. Offenbar brauchen auch die Linken die alkohol-induzierte Enthemmung (Mut antrinken?), um gegen die Entfremdungsstrukturen frech Stellung nehmen zu können. Nur in Bezug auf Schlagobers ist mir die Einstellung der politischen Richtungen noch nicht bekannt.
Weiters kann man darüber sinnieren, dass sich Intellektuelle mit solchen Themen beschäftigen. Ist das nicht viel mehr das Indiz einer Zeit, in der sich die geistigen Kräfte in den Analysen von Konsumgewohnheiten und Genusskonditionierungen verlieren und darin hängenbleiben? Sollen sie doch rauchen und trinken, fettes Gulasch und üppiges Schlagobers verschlingen und damit demonstrieren, wie sehr sie ihren Körper und seine Bedürfnisse verachten, aber was ist daran relevant im Sinn neuer Perspektiven für die Kultur des Genusses? Das ist in meinen Augen nur die Verteidigung spießbürgerlicher Konsumgewohnheiten
Wäre es nicht wichtiger zu fragen, wie wir den Verführungen der Konsumwirtschaft entkommen können, ohne Zwang oder Steuerung von oben, ohne verordnete Askese, vielmehr von innen heraus? Es gibt ja auch die Möglichkeit, auf all diese Substanzen deshalb zu verzichten, weil wir uns erlauben, auf unseren Körper und seine Weisheit zu hören, und wenn wir das wieder gelernt haben (wenn wir also die ankonditionierten Verdrängungsmechanismen der Körperweisheit durchbrochen haben), dass dann von selber der Drang und die Gier nach solchen schädlichen Substanzen verschwindet. Wir können zu einem Wohlgefühl in unserem Körper und in unserem Geist zurückfinden, das ganz andere Dimensionen des Genießens und der Lust eröffnen als sie je durch noch so raffiniert zubereitete Giftstoffe entstehen können.
Eine Teilnehmerin einer Atemgruppe hat erzählt, wie plötzlich jeder Drang zum Rauchen weggefallen ist, ohne wiederzukehren - ohne dass sie vorhatte sich das Rauchen abzugewöhnen.
Die wirkliche Askese wächst von innen und hat nichts mit Abtötung oder Lustfeindlichkeit zu tun. Sie besteht in einem Wiederfinden von tiefer (also unterhalb der Konditionierungen) in uns selber liegenden Quellen des Glücks. Wir müssen nur die Blockaden wegräumen, die sich im Lauf unseres Lebens über diese Quellen gehäuft haben. Und leider ist es so, dass alle Süchte und Abhängigkeiten, auch wenn wir sie auf einer Ebene als Genuss empfinden und aggressiv werden, wenn man sie uns wegnehmen will, noch mehr Schutt über die Quelle ablagern.
Der Genuss eines bewussten freien Atemzuges, eines meditativen Moments, eines gelungenen Gesprächs ist jenseits aller kapitalistischen Manipulationen. Mit solchen Genüssen lässt sich kein Geschäft machen, weil sie die Menschen nicht süchtig machen, sondern kreativ, offenherzig und zufrieden.
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