Sonntag, 25. Februar 2024

Das Glück im Hirn

Was macht uns glücklich? Ich werfe hier einen Blick auf die Glücksentstehung im menschlichen Gehirn. Die Neurowissenschaften haben die grundlegenden Mechanismen entschlüsselt, unter welchen Umständen wir zu Glückserfahrungen gelangen.

Wir leben mit unserer reichhaltigen Innenwelt von Erwartungen bezüglich unserer Zukunft: Was wird als nächstes, übernächstes und überübernächstes passieren? Wir wollen den Überblick über unsere Zukunft haben, damit wir uns sicher im Jetzt fühlen können. Das Gefühl der Sicherheit reicht nicht aus, um uns glücklich zu fühlen. Es kommt zwar vor, dass wir Glücksgefühle spüren, wenn wir einer Gefahr entronnen sind und uns sicher fühlen. Aber daran gewöhnen wir uns schnell wieder, und die Sicherheit, die wir genießen, zählt zu den Selbstverständlichkeiten.

Die Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass wir Glücksgefühle erleben, wenn unser Gehirn Dopamin ausschüttet. Allerdings geht es dabei nicht um die Menge dieses Botenstoffes, sondern um die Änderung zum vorigen Niveau. Bei einem starken Dopaminanstieg meldet sich das Glücksgefühl. War die Menge vorher schon recht hoch, dann bringt ein weiterer Anstieg nicht sehr viel. Wenn wir „Glück haben“, wie wir sagen, dann hat uns gerade die Wirklichkeit positiv überrascht. Sofort wird Dopamin freigesetzt und wir fühlen uns besonders gut. Unsere pessimistische oder neutrale Zukunftserwartung trifft nicht zu, stattdessen widerfährt uns etwas Gutes.

Das sind die Erfahrungen, nach denen wir auf der Suche nach dem Glück streben. Erwartbare Erfolge wirken viel weniger erhebend als ein plötzlicher Glückstreffer. Das Glück ist also überhaupt nicht in unserer Hand, sondern „ein Vogerl“, wie es im Wienerlied heißt. Es speist sich aus der Ungewissheit und Unvorhersagbarkeit der Zukunft. Die meiste Zeit hadern wir mit dieser Unsicherheit, und das Nichtwissen bereitet uns Unbehagen. Gewissermaßen als Ausgleich hat uns die Natur mit einem Belohnungsmechanismus ausgestattet, der aktiviert wird, wenn etwas unvorhersehbar Tolles passiert. Glück findet also im Moment der Überraschung statt und verflüchtigt sich durch die Gewöhnung an das Neue. 

Die schnelle Abnutzung des Glücks hat auch seine Vorzüge – sie motiviert die Menschen zur Produktivität und Kreativität. Im Grund wissen wir, dass wir etwas tun müssen, um die Bedingungen fürs Glücklichsein zu schaffen; im Grund wollen wir auch tätig sein und etwas in der Welt weiterbringen. Es treibt uns dabei die Erwartung auf eine Belohnung an, die Hoffnung auf das Glück. So wechseln wir zwischen Phasen der Anstrengung und des Verzichts auf einen sofortigen Lohn mit Phasen, wo wir uns über das Geschaffene freuen; da sich Freude und Glück schnell abnutzen, verbringen wir wohl mehr Zeit mit der Glückssuche, und das ist auch gut so. 

Süchtige leiden darunter, dass ihnen diese Motivation abhandengekommen ist und sie nicht mehr zu ihr zurückfinden. Ihr Glücksstreben ist auf eine Substanz oder eine Verhaltensweise fixiert und von ihr abhängig. Genauer gesagt, kann ihr Gehirn nur mehr Dopamin freisetzen, wenn die entsprechende Reizzufuhr kommt, sei es von einer Droge oder von einem zwanghaften Verhalten. 

Die Suchtdynamik stellt eine extreme Form der kreisförmigen Abläufe im Dopaminhaushalt dar. Diese Abläufe sind ansonsten allgegenwärtig in unseren kulturellen Mustern eingeprägt. Wir passen uns schnell an ein neues Niveau an Wohlstand oder Wohlgefühl an und brauchen bald mehr an positiven Überraschungen, um wieder in ein High zu kommen. Wir wollen das Glücksgefühl, das wir schon kennen, zurückhaben, müssen aber immer mehr aufwenden, um zu ihm zu kommen. Das Anspruchsniveau steigt mit jeder Glückserfahrung, und wir brauchen eine gesteigerte Zufuhr von außen, um wieder in den bekannten Glückszustand zu kommen, und diese Zustände werden immer kürzer, während sie immer schwieriger erreicht werden können.

Das neue Auto, mit dem wir unsere Nachbarn beeindrucken können, das neue Smartphone, das unsere Freunde beeindruckt – ein Strohfeuer an Befriedigung und Glück, das schnell verbrennt. Also muss ein neuer Kick her, vielleicht ein neuer Film oder ein neuer Song. Unsere Kultur bietet jede Menge an Glücksversprechen, jeder Werbeclip verspricht einen Dopaminschub.

Diese Dynamik besteht auch auf der kollektiven Ebene, was den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Lebenszufriedenheit anbetrifft. Nach statistischen Erhebungen braucht es ein bestimmtes Niveau des Lebensstandards, dass sich die Menschen glücklich fühlen können. Steigt der Wohlstand über dieses Niveau hinaus, stagniert die Lebenszufriedenheit. Superreiche sind also im Schnitt nicht glücklicher als Otto-Normalverdiener. 

Wie entkommen wir der Abhängigkeit von Außenreizen und Glückstriggern? Wir wollen ja diese Momente der Erfüllung nicht missen. Sie machen uns das Leben immer wieder lebenswert und geben uns ein Sinngefühl. Hier treffen wir auf die Bestrebungen der jahrtausendealten östlichen Weisheitslehren, die sich auch in manchen westlichen Philosophien wiederfinden. Es geht darum, die Illusionsmaschinerie der kurzfristig wirksamen Glücksversprechen zu überwinden und zu distanzieren. Jeder, der sich länger mit Meditation befasst hat, kennt die Erfahrung, dass es genügen kann, die Augen zu schließen, die Aufmerksamkeit nach innen zu richten, die Atmung zu entspannen, und schon stellen sich Glückserlebnisse ein. Es ist nicht immer so, aber geschieht immer wieder und umso öfter, je mehr wir uns der Meditationspraxis widmen und ihr Zeit geben. 

Es ist ein Glück, das sich in solchen Zusammenhängen einstellt, das nicht mit Erwartungen verbunden ist. Es wird nicht durch eine positive Überraschung ausgelöst, sondern steigt aus einer tieferen inneren Quelle aufsteigt.  Wir wissen, dass das regelmäßige Meditieren den Dopaminspiegel erhöht (hier zur Quelle), aber das ist nur ein Nebeneffekt. Insbesondere geht es beim Meditieren um die Innenwendung und damit um die Befreiung von äußeren Glücksverlockungen. Wenn wir uns regelmäßig in der Meditation in uns selbst verankern, können wir aus den suchterzeugenden Mechanismen der Konsumwelt aussteigen. Wir erkennen, dass wir alles in uns haben, das wir brauchen, um glücklich zu sein.

Die Zusammenhänge zwischen Dopamin und Glückserfahrungen habe ich diesem Buch entnommen: 
Henning Beck: 12 Gesetze der Dummheit. Denkfehler, die vernünftige Entscheidungen in der Politik und bei uns allen verhindern. Ullstein 2023, S. 156 - 162

Zum Weiterlesen:
Das Geheimnis der Lebensfreude
Das individuelle Glück und die Ungeheuerlichkeit des Leids
Konsumscham und Schamkonsum
Der Mythos vom verlorenen Glück
Der trügerische Zauber der Illusion


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen